Der Sieg des Glaubens über die Welt

1. Johannes 5,1-4


1 Wer glaubt, dass in Jesus der Sohn Gottes erschienen ist, hat Gott zum Vater. Und wer den Vater liebt, der ihn gezeugt hat, wird auch alle anderen lieben, die vom selben Vater stammen.

2 Doch ob wir die Kinder Gottes auch wirklich lieben, das erkennen wir daran, dass wir Gott lieben, und das heißt: seine Gebote befolgen.

3 Die Liebe zu Gott ist nur echt, wenn wir nach seinen Geboten leben. Und seine Gebote sind nicht schwer zu befolgen;

4 denn alle, die Gott zum Vater haben, siegen über die Welt. Der Sieg über die Welt ist schon errungen - unser Glaube ist dieser Sieg!

(Gute Nachricht)

 

Predigt

„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat!“ So übersetzt Martin Luther diesen großen Satz.

Ich traue mich gar nicht so recht, ihn in den Mund zu nehmen: Der Glaube, der die Welt besiegt. Ist es nicht eher so, dass die Welt den Glauben besiegt? Das jedenfalls ist nicht nur mein Eindruck.

Wie schwer tun wir Menschen uns mit dem Osterglauben von der Auferstehung, angesichts der Macht des Todes, die uns täglich vor Augen geführt wird – vorgestern die ertrinkenden Flüchtlinge im Mittelmeer, gestern die Erdbebenopfer in Nepal! Wie schwer ist es uns zu glauben, dass der Tod und die Mächte des Bösen überwunden sind, -und das von Anfang an! Jedenfalls wird der Zweifel daran schon in der Bibel nicht verschwiegen, - denken wir an den ungläubigen Thomas.

„Der Glaube ist der Sieg“ - der Sieg?

Das ist schon eine martialische, eine kriegerische Sprache. Wie sehn Sieger aus?
Ich muss an die Drohvideos der Kämpfer des Islamischen Staates oder der Al-Quaida-Krieger denken, wenn sie Menschen in grauenhafter Weise zu Tode bringen, am liebsten Christen. Die halten sich ja für „Glaubenskämpfer“, die mal wieder einen Sieg des Glaubens über die böse Welt, über die Ungläubigen davontragen. Aber da geht’s ja auch um den angeblich so friedlichen Glauben der Moslems.

Das ist ja wohl in unserem Bibeltext nicht gemeint. Dafür ist auch viel zu oft von der Liebe die Rede: gleich fünfmal in diesen wenigen Versen!

Begriffsklärung bleibt uns also nicht erspart.

Was heißt Sieg in unserem Predigttext? Was ist die Welt, die überwunden wird durch den Glauben?

Wenn die „Welt“ siegen sollte, dann würde nach Johannes der „Geist der Zerstörung“ siegen.

Bei Johannes ist »diese Welt« zuerst einmal alles, was der Liebe widerspricht, von der kleinen Unachtsamkeit bis zur erbarmungslosesten Unmenschlichkeit, zu der Menschen fähig sind, im Kleinen wie im Großen. Das ist »Welt«, was die Liebe tötet.

Zum andern ist »diese Welt« alles, was von der Macht des Todes beherrscht wird; also auch unsere Angst vor Vergänglichkeit und Tod. Und die ist wahrlich weit verbreitet und äußert sich oft ganz überraschend.

 

Die »Welt« ist also nicht da draußen vor der Kirchentür, sondern die ist in jedem von uns drinnen. Und das bedeutet: Hier müssen wir die Lieblosigkeit und die Angst zuerst erkennen und überwinden, wenn sich da draußen etwas verändern soll. Hier soll der Glaube der Sieger sein!

Nur, - gar nichts wird überwunden, wenn wir versuchen dies irgendwie mit Gewalt durchsetzen zu wollen oder als Glaubenshelden „siegreich“ zu überwinden. Das ist der Denkfehler aller Fundamentalisten, gleich welcher Fachrichtung.

Die Forderung kann nur sein, über alles, was den Geist der Zerstörung ausmacht, offen zu reden.

Über alles, was die Liebe auszumerzen droht, was der Lieblosigkeit Vorschub leistet, offen zu reden.

Über alles, was den lebendigen, sprühenden Geist Christi hemmen oder gar ersetzen will, offen zu reden.

Und ich denke, da ist ungeheuer viel Gesprächsbedarf, nicht nur in der »Welt« in uns drinnen oder da draußen, sondern nicht zuletzt auch hier in unserer Kirche. Auch über ihre Strukturen… Da ist ganz viel »Welt«…

 

Jesus lebte aus der tiefen Gewissheit und dem Vertrauen, dass die negativen Kräfte »dieser Welt« nicht die letzte und größte Macht sind. Da ist ja noch die wirkende Kraft Gottes, die Macht dessen, den er Vater nennt, und die reicht über unseren Horizont hinaus. Wir können sie mit unserer Vernunft nicht fassen und nicht beweisen, aber wir können sie als Wirklichkeit erfahren. Gottes Macht, das ist das große Leben, das alles umfängt, aus dem wir unser Leben schöpfen, und es ist die große, alles umfassende Liebe, aus der wir leben dürfen; ein Ja zu allem Leben, das auch uns dieses oft so gefährdete Leben annehmen hilft. Nur aus solchem Vertrauen heraus ist es möglich, den bedrohlichen Kräften ins Auge zu sehen, sie gut kennen zu lernen und sie zu akzeptieren als zu dieser Welt gehörend, ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen.
Der Sieg über das Zerstörerische in dieser Welt besteht darin, dass wir sie, so wie sie ist, erst einmal akzeptieren und dann in liebender Annahme die scheinbare Allmacht des Zerstörerischen überwinden. Und dass wir uns voll Vertrauen dem überlassen, der das Dunkel in neues Licht verwandeln wird. Das hat uns Jesus vorgelebt, so ist in ihm die göttliche Welt aufgeleuchtet. Er ist uns »Christus« geworden, indem er uns Gott nahe bringt und uns herausholt aus unserer engen, angstvollen Welt in ein weites Land – wenn wir ihm folgen wollen! Denn »glauben« heißt bei Johannes nicht, Glaubenssätze für wahr halten und Bekenntnisse nachsprechen, sondern, Glauben, das ist sich ergreifen lassen von dem Wunder einer unbegreiflichen Liebe, die unser Leben mehr und mehr verwandeln kann. Für mich ist diese Erkenntnis so wichtig, denn durch sie werden auch die anderen Aussagen des Textes verständlich:

Sich ergreifen lassen von dem Wunder einer unbegreiflichen Liebe, die unser Leben mehr und mehr verwandeln kann.

Da geschieht etwas, was das Leben und den Geist erneuert und wir erfahren diese Wandlung gewissermaßen wie eine Neugeburt: sich von Gottes Liebe ergreifen lassen, das führt in eine neue Lebenssicht hinein, in neue Lebendigkeit und Lebenskraft, neue Freiheit und einen neuen Geist.
In den - vielleicht seltenen - Augenblicken, wo wir das begreifen, werden wir erfüllt mit unendlicher Dankbarkeit und mit einer tiefen Liebe, und wir möchten nichts lieber als immer mehr da hinein zu wachsen. Dann erkennen wir auch, dass Gottes Gebote, die wir ja halten sollen, wenn wir seine Kinder sein wollen, nichts anderes sind als heilsame Lebensordnung, Formen seiner Liebe, nichts von außen Aufgezwungenes, nichts Schweres.
So zeigt dieser Abschnitt, wie für Johannes alles ineinander greift und zusammenhängt. Und wie einer, der selbst begeistert ist von den vielen Aspekten der einen frohen Botschaft, entfaltet er sie in immer neuen Kreisen.

 

Tja, so einfach ist das alles im Grunde, und doch so schwierig. Nun habe ich diese Sätze als Prediger von der Kanzel herab in den Mund genommen und merke, wie voll ich den Mund da eigentlich nehme. Auch Pfarrer sind ja nichts anderes als kleine Leute, die in zu großen Schuhen gehen.
Sie sollen etwa von der Ganzheit des Lebens reden, sie sollen sagen, dass die Glaubenden von Gott geboren sind – welch ungeheure Aussagen! Und noch dazu aus dem Mund von Menschen, die auch keine Glaubensheroen sind, denen es oft genug so geht wie dem zweifelnden Thomas. Nur mit dem Unterschied, dass dann eben kein Auferstandener kommt, der die Nagelmale präsentiert. Und dann sagt, sei nicht mehr ungläubig, sondern gläubig.

Deshalb bin ich so dankbar für solche Tage wie den heutigen Sonntag. Wo wir gemeinsam anstimmen „Er ist der Erst, der stark und fest all unsere Feind hat bezwungen.“ (EG 108,  Mit Freuden zart)

Man muss nicht authentisch sein, wenn man glaubt, sagt Fulbert Steffensky, einer der bekannteren theologischen Autoren der Gegenwart. Aber man kann sich diesen schwachen, schwankenden Glauben, bzw. Unglauben ja stärken lassen. Etwa wenn man sich solchen Bibel- oder Liedtexten aussetzt, z.B. hier im Gottesdienst. Die Kirche ist auch eine „Glaubensverleihanstalt“, wo man sich in den Glauben der lebenden und auch schon verstorbenen Geschwister „einschmuggeln“ kann.

Und der kann schon kräftig dazu helfen, die zerstörerischen Kräfte in einem selbst in Zaum zu halten und zurück zu drängen. Dann wird der Glaube tatsächlich zum Sieg, der die Welt überwindet, weil die Liebe sich ausbreiten darf. Diesen Reichtum und das Beglückende dieser Botschaft entdecken zu dürfen und immer mehr hineinwachsen zu dürfen, ohne Ende bis zum Ende – das macht jubeln.

Amen.



Autor: Pfarrer Hans-Helmut Bayer