Zuspruch der Gotteskindschaft – Ein Heilswort für Notzeiten

Matthäus 16,13-19


Das Bekenntnis des Petrus und die Verheißung an ihn

(13) Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: „Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?“

(14) Sie sprachen: „Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten.“

(15) Er fragte sie: „Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“

(16) Da antwortete Simon Petrus und sprach: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“

(17) Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: „Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. (18) Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. (19) Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.

(20) Da gebot er seinen Jüngern, niemandem zu sagen, dass er der Christus sei.

 

 

Liebe festliche Gemeinde,

 

I. Nicht in Frieden leben

 

„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“

Dieses leicht abgewandelte Zitat stammt aus Schillers »Wilhelm Tell«. Tell antwortet mit dieser Feststellung dem Feldschützen Stüssi, der in unruhigen Zeiten diejenigen beneidet, die zu Hause angeblich in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen dürfen.

 

„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Der Fromme leidet heute wie ehedem. Da arbeitet ein frommer Mensch hart, so dass ihm durch Gottes Segen einiges gelingen darf. Sein Glück aber ruft den Neider, die Neiderin auf den Plan. Und der/die weiß viele Künste, dem Frommen das Leben schwer zu machen.

Da ist das Ehepaar, das ehrbar und zueinander treu leben möchte und dann von anderen vorgehalten bekommt: „So wie ihr lebt doch keiner mehr. Ich kenne jedenfalls niemanden.“

Da ist ein Land fleißig und nimmt Flüchtlinge auf. Das Nachbarland aber versucht noch aus Flüchtlingen Kapital zu schlagen, wie der Flüchtlingsbeauftragte unserer Landeskirche dieser Tage zu berichten weiß.

 

Der friedfertige Mensch wird stets versucht. Er sollte doch auch hauen und stechen wie die anderen, sollte sich der Konkurrenz im Wettbewerb stellen und sei es mit Mitteln der verbrannten Erde. Er sollte mitmachen beim Buhlen um des Nachbars Frau, beziehungsweise der Nachbarin den Mann abspenstig machen. Oder er sollte wie die anderen auch die EU-Fördertöpfe geschickt ausnützen und missbrauchen. Denn wenn alle kräftig sündigen, dann fällt es auch nicht mehr so auf, wenn man sich wie ein Sauhund benimmt. Dann sind alle irgendwie gleich, wird alles entschuldbar. Was regst Du dich auf? Wir kommen eh alle in den Himmel, oder? Und hat nicht Luther selbst gesagt: „Pecca fortiter!“ = „Sündige tapfer!“ Solche Halbzitate habe es in sich, da sie vergessen, dass der Reformator im gleichen Atemzug einen neuen Himmel und eine neue Erde erhoffte, in welchen Gerechtigkeit wohnt.

 

II. Fragen des Selbstzweifels

 

Manch einer mag solche Rede gern beschwichtigen und sagen: „Na mal ehrlich, bist du nicht auch manchmal der böse Nachbar?“ Aus evangelischer Sicht wäre eine Kritik an Schiller angebracht: Den bösen Nachbarn gibt es nicht. Freilich aber gibt es böse Handlungen. Und unter denen leidet der ein oder andere von uns schon. Daher der kurze Rat: Man hüte sich vor solchen Rückfragen, ob man nicht selbst auch mal der böse Nachbar sei! Denn sie machen den einsamen Bedrängten noch einsamer als er eh schon ist. Vielmehr tröste man sich mit dem Mann, der einst vor seinem Gang zum Kreuze stand. Denn unser Predigttext steht unmittelbar vor Jesu Leidenszeit, als sich die Stricke der Gegner zuzogen und das Ende spürbar wurde. „Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?“ fragte der Fremde aus Nazareth, der sich in das heutige syrisch-libanesische Grenzgebiet zurückgezogen hatte, um sich zu vergewissern, wer er denn eigentlich ist.

Vielleicht kennen Sie diese Frage auch aus anderen Zusammenhängen, wie zum Beispiel in der Literatur: Da fragt im Herrn der Ringe (Teil 2 von J.R.R. Tolkien) Rang und Namen vergessend der König von Rohan seinen Untergebenen, als die Feinde vor den Mauern stehen: „Wer bin ich?“ Oder da zweifelte Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis von Tegel einsam und bang:

Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest

wie ein Gutsherr aus seinem Schloss? (…)

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von  mir weiß? Unruhig, sehnsüchtig, krank wie ein Vogel im Käfig.

Ja, liebe Gemeinde, wer sind wir, wenn die Anfechtung an unsere Tür klopft? Wenn die Einsamkeit anklagt, was man alles falsch gemacht hat. Muss man immer lutherisch sagen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders?“ Sollte es nicht besser heißen: „Hier stehe ich, ich kann auch anders!“ Sind wir so dumm, wie wir uns zeihen? Und was holt uns aus Selbstzweifeln und Verzagtheit heraus?

 

III. Zu Hause ankommen

 

Jesus ist kein Self-made Man des amerikanischen Traums nach dem Motto vom Zimmermannssohn zum Messias. Ganz Mensch sucht er Bestätigung von außen, braucht das äußere Wort, das ihn für den bevorstehenden Weg stärkt. Unter den vielen Titeln und Namen, die die Jünger Jesus antragen, fällt im Unterschied zu den anderen Evangelisten „Jeremia“ auf. Das war auch so einer, der sogar den Tag seiner Geburt verfluchte, da er nur Jammer und Herzeleid sehen und seine Tage in Schmach zubringen musste. (Jeremia 20,14-18). Erst bei dem Bekenntnis des Petrus „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ scheint Jesus zufrieden und auch wir sollten ganz zu Hause angekommen sein.

 

IV. Den Zuspruch der Gotteskindschaft hören

 

Denn worum geht es für uns bei diesem Petrusbekenntnis: Es geht darum, dass Sie, liebe Gemeinde, in Anfechtung Stärkung erfahren, Sie das Petrusbekenntnis ganz auf sich beziehen, da Sie ja auf Christi Namen getauft wurden und ganz zu ihm gehören. Hören wir deshalb auch noch einmal die Wertschätzung der christlichen Gemeinde bei Paulus: „Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.“ (1. Korinther 12,4-6). Noch deutlicher, wer wir sind, wird der Apostel mit dem anschließenden Bild vom einen Leib Christi mit seinen vielen Gliedern (12,12ff.). Pfingsten geschieht da, wo Sie sich wie Christus zusprechen lassen: Sie sind ein Kind des lebendigen Gottes; sie gehören mit den vielfältigsten Gaben zu seinem Leib. Nach Martin Luther gehört dieser Zuspruch in der Not (und wir haben weniger eine finanzielle als eine geistliche Not vor uns),  gehört unsere Berufung zum Glauben an den Heiligen Geist, wie wir beim Reformator im dritten Teil seiner Auslegung des Glaubensbekenntnisses lesen. Kennzeichen des Heiligen Geistes ist es, dass man durch Christi Gaben erleuchtet wird und trotz aller Anfechtung an Jesus Christus festhält. Hier ist auch die Geburtsstunde der Kirche: sie ist zwar manchmal durch schillernde Figuren, wie Petrus es eine war (vgl. 16,21-23), angeleitet, aber doch ist sie zuerst und zuletzt eine Gemeinde Jesu, die für sein Reich bestimmt ist. Ihr kann auch der Tod nichts anhaben (Hades ist hier besser mit Totenreich statt mit Hölle zu übersetzen).

Sie, liebe Gemeinde, sind für die Ewigkeit bestimmt und nicht einsam und allein auf Ihrem Weg wie noch Christus der Erstgeborene des neuen Menschseins. Zwar beendete auch Bonhoeffer seine Fragen und Selbstzweifel mit dem Satz: „Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“ im einsamen Gebet. Ermutigender freilich ist es, wenn andere einem die Gotteskindschaft zusprechen, der Zuspruch nicht nur eine literarische Erscheinung bleibt, wie beim Herrn der Ringe oder man allein jeden Tag in seine Taufe „kriechen“ muss, wie es Luther vorschwebte.

 

V. Es kann der Frömmste in Frieden leben

 

Damit der Einzelne in der christlichen Gemeinde nicht alleine bleibt, gilt es unseren Predigttext auch in seinem zweiten Bekenntnis ernst zu nehmen. Wir sind nicht nur darin Christi Geschwister, wenn wir wie er das Evangelium von unserer Gotteskindschaft hören dürfen. Sondern wenn wir auch anderen den Zuspruch weitergeben. So wie sich der Meister zu seinem Jünger Petrus bekannte: Du bist Petrus, auf diesem Felsen will ich meine Gemeinde bauen. Es gilt, auch dem anderen die Gotteskindschaft zuzusprechen. Kirche für andere zu sein, wie es Bonhoeffer sagen würde. Denn es ist schon so, wie Matthäus später in seiner Bußgeschichte vom Weltgericht schrieb (Matthäus 25,31-40), als die Gerechten fragen: „Wann habe wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben. (…) Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen (…).“ Und er wird sagen: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!“ Christus begegnet uns heute nicht als Lichtgestalt, sondern in der Person dessen, der zum Beispiel unter Neidern leidet und Beistand braucht, dessen Ehe in unserer zwar freien aber manchmal die Würde vergessenden Gesellschaft bedroht ist. Und nicht zuletzt begegnet uns Christus auch in den Fremden, die unser Land aufsuchen, weil sie Krieg, Not, Vertreibung und Verfolgung zu uns treiben. Mein Eindruck, liebe Schwestern und Brüder, ist es, dass unserem deutschen Land viel gegeben ist, wie dem Petrus die Schlüssel, um anderen das Leben auf Erden und im Himmel zu erschließen und Gemeinde aufzubauen. Wen wundert es da, wenn man uns in die Verantwortung für die Welt ruft und man von uns einiges einfordert. Seid stark in dieser Verantwortung und in den damit verbundenen Anfechtungen! Es sei Ihnen diese Verantwortung angetragen; denn wenn man die große Hilfsbereitschaft und Umsicht in unserem Land beobachtet, und ich darf Ihnen diese Wertschätzung einmal von unserer Kirchenleitung weitergeben, dann möchte man Schiller doch noch einmal abwandeln:

Es kann der Frömmste in Frieden leben, wenn auch dem Nachbarn der göttlich´ Geist gefällt.

Amen. Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.



Autor: Martin Kleineidam