Juden - Christen - Muslime

Markus 12, 28-34


Und es trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen? Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften«. Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese. Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Meister, du hast wahrhaftig recht geredet! Er ist nur "einer," und ist kein anderer außer ihm; und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. Als Jesus aber sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.

 

Liebe Gemeinde,

viele Urlauber liegen jetzt in der Türkei an den Stränden des Mittelmeeres. Ab und zu klingt dann von der Stadt der Ruf des Muezzins herüber und erinnert daran, dass man sich in einem islamischen Land befindet. Lautsprecher ermöglichen, dass die Stimme über die Dächer dröhnt. Fremd klingt der Aufruf zum Gebet in der arabischen Sprache und in der ungewohnten Art des Gesangs. „la ilaha illa llah“, lauten die zentralen Worte des Gebets, übersetzt: „ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah“. Wenn wir diese Worte genauer anschauen, dann klingen sie gar nicht so fremd, sondern ganz bekannt. Erstaunlicher Weise ähneln sich das Glaubensbekenntnis des Islam und des Judentums sehr, wie groß die Gegensätze zwischen Islam und Judentum sonst auch sein mögen, besonders wenn es um den Staat Israel und um seine Hauptstadt Jerusalem geht. Das ganze Glaubensbekenntnis in einem Satz (unsere Konfirmanden würden sich zumindest darüber freuen, dass sie nicht so viel lernen müssten). Im Judentum heißt dieser Satz: Höre Israel, Jahwe, unser Gott ist der Herr allein. Im Islam bekennt der Gläubige fünf Mal am Tag: Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah; wobei „Allah“ nichts anderes bedeutet als „Gott“.

Jesus war Jude. Als ihn ein jüdischer Schriftgelehrter, ein Theologe und Religionslehrer nach dem höchsten und wichtigsten Gebot fragt, da antwortet er, wie es wohl jeder Jude getan hätte: Das Höchste und Wichtigste im Glauben ist dieses „Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen Kräften.“ Eigentlich geht es zuerst gar nicht um ein Gebot, sondern um ein Glaubensbekenntnis. Vorher hatten sie gestritten über den Glauben an die Auferstehung und darüber, ob man dem Kaiser Steuern zahlen darf. In all diesen Streitfragen, die ja auch heute oft die Gläubigen entzweien, wenn es meist um ethische Fragen geht, um Homoehe oder Sterbehilfe, in denen Christen oft so gegensätzlich urteilen und sich richtig zerstreiten können, da fragt ein Schriftgelehrter Jesus: Was ist eigentlich das Wichtigste. Wenn man den Überblick und den Durchblick zu verlieren droht, wie soll ich als Christ leben, ist es tatsächlich gut zu fragen: worum geht es eigentlich? Was ist hier eigentlich das Wichtigste?

Jesus antwortet wie ein Konfirmand bei der Konfirmandenprüfung früherer Art, wenn er den Kleinen Katechismus aufsagen sollte, die zentralen, die wichtigsten Stücke des Glaubens. Wie gesagt, bei uns ist es mehr als ein Satz, das gehören die 10 Gebote, das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser dazu. Aber Jesus lässt sich nicht zu einem Schulbuben herunterstufen, der brav sein auswendig Gelerntes aufsagt. Er erinnert an das Fundament, an den gemeinsamen Grund, an das, was alle Streithähne eint. Das hilft auch in unseren Streitigkeiten, dass man einander zugesteht: wir haben eine gemeinsame Basis, wir verfolgen das gleiche Ziel, wenn auch auf verschiedenen, ja manchmal auf gegensätzlichen Wegen. Das könnte auch ein gutes Rezept im Verhältnis der Religionen sein, ohne die Unterschiede zu verwischen oder einen Einheitsbrei daraus zu kochen, indem man alles durcheinanderrührt nach dem Motto: wir haben doch alle denselben Gott. Was wir von diesem Gott glauben soll, was er von uns Menschen möchte und was er für uns tut, das unterscheidet sich ziemlich zwischen Christentum und Judentum auf der einen Seite und Islam auf der anderen. Aber dass das zentrale Bekenntnis aller monotheistischen Religionen, aller, die an einen und nur einen Gott glauben, so gleich klingt, stellt doch eine gute Basis für ein friedliches Miteinander dar.

Auch dass Jesus neben das Gebot der Gottesliebe das der Nächstenliebe als genauso wichtig hinstellt, gab es schon im Judentum, auch wenn beide Gebote in den fünf Büchern Mose ziemlich entfernt voneinander stehen. Aber seit Jesus muss man beides immer in einem Atemzug nennen: Gott, den Herrn, lieben von ganzem Herzen, und deinen Nächsten wie dich selbst. Man könnte dafür das Kreuz als Zeichen nehmen, die beiden Balken; der senkrechte steht für die Liebe zu Gott, der waagrechte für die Liebe zu den Menschen. Ein Kreuz entsteht erst, wenn beide Richtungen da sind, ohne den anderen Balken ist es nur ein Strich. Das Kreuz ist zugleich ein Pluszeichen: Gott plus Mensch, Gott lieben und den Nächsten.

Jesus war Jude. Er hat keinen anderen Gott bekannt und verkündigt als seine jüdischen Mitbrüder und –schwestern. Selbst wenn er sich gestritten hat, vor allem mit den Schriftgelehrten, den Pharisäern, also den religiös Verantwortlichen, den Lehrern, er meinte den gleichen Gott wie sie, den Gott der sich in der Geschichte des Volkes Israel gezeigt hatte, als er es aus der Gefangenschaft in Ägypten herausführte, ja der sich schon vorher den Vätern Abraham, Isaak, Jakob und Joseph gezeigt hatte, der sie gesegnet und sie zum Segen gemacht hatte. Paulus sagt später: es ist wie bei einem Obstbaum, dem man einen neuen Zweig aufpropft. Die Wurzel, der Stamm, das ist das Judentum, der neue Zweige, der dann zu einer Baumkrone gewachsen ist und sich ausgebreitet hat, das ist das Christentum. Wenn man das bedenkt, kann man einfach nicht verstehen, wie Christen sich über Jahrhunderte so feindselig, so verächtlich, so bösartig und verbrecherisch über das Judentum auslassen und Juden so behandeln konnten. Und auch heute, im Miteinander der Religionen, muss klar sein, dass das Judentum uns entscheidend näher steht als jede andere Religion, weil es eine echte Schwester ist, mit dem gleichen Vater.

Der Unterschied ist, dass wir Jesus nicht nur als einen Lehrer, einen Rabbi verehren, so wie der Schriftgelehrte ihn anredet und ihm gleichzeitig doch noch wie einen Schüler behandelt, nach dem Motto: Gut geantwortet, Note eins (Das gibt es bei uns auch manchmal bei Grußworten, dass man dem Landrat, dem Bürgermeister oder sonst wem respektvoll für sein Grußwort dankt und zugleich anfängt, es zu benoten: „gut haben sie geredet“) Der Schriftgelehrte redet Jesus mit „Meister“ an und behandelt ihn wie einen Schüler, der sein Sprüchlein richtig aufgesagt hat. Doch Jesus kehrt die Sache um. Am Ende heißt es: als Jesus sah, dass der Schriftgelehrte verständig geantwortet hatte, sagte er zu ihm: du bist nicht fern vom Reich Gottes. Das ist der Unterschied: Jesus entscheidet, wo Gottes Reich ist und wer nah oder fern ist. Er handelt wie Gott selbst, er nimmt die Vollmacht Gottes in Anspruch, zum Beispiel, indem er Sünden vergibt. Das konnten die Juden damals nicht glauben und können es bis heute nicht, dass Jesus Gottes Sohn ist, der Messias. Der zweite Unterschied kommt dazu: Jesus verstand sich als Jude, er sah seinen Auftrag zunächst nur begrenzt auf das jüdische Volk. Die ausländische Frau am Brunnen in Kanaa weist er schroff zurück. Sie kennen den Vergleich mit den Hunden, die man nicht mit dem Brot füttern soll, das den Kindern gehört. Die Kinder, das waren nur die Kinder Israels. Nach seiner Auferstehung aber schickt Jesus seine Jünger in alle Welt: Geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker. Jude kann nur sein, wer das Blut einer jüdischen Mutter in den Adern hat. Deshalb gibt es keine Mission im Judentum. Mit der Himmelfahrt sprengt Jesus diese Grenzen. Alle Menschen sollen zum Volk Gottes gehören. Der Islam hat viel aus dem Alten Testament, aus dem Judentum übernommen, aber diesen Missionsgedanken, den Glauben auszubreiten in alle Welt, wohl vom Christentum.

Über die Dächer unserer Städte wie Bayreuth oder unserer Dörfer erschallt nicht die Stimme des Muezzins zu den Gebetszeiten, so wie an den Stränden der Türkei oder in Istanbul. Und doch ist der Islam präsent. Vielleicht begegnet man ihm in Gestalt einer Mitschülerin, die nicht ohne Kopftuch aus dem Haus geht, oder in Person eines Arbeitskollegen, der sich mittags in einen stillen Raum zurückzieht und seinen Gebetsteppich ausrollt. In unseren Kindergärten haben wir muslimische Kinder, die dann beim Grillen keine Schweinsbratwurst essen (aber das tun die von vegetarisch lebenden Eltern auch nicht). Wir sind als Christen immer mehr damit konfrontiert, dass andere Menschen eine andere Religion haben. Juden treten dabei seltener in Erscheinung. Dass andere an einen anderen Gott oder anders an Gott glauben, war schon immer eine Herausforderung. Natürlich ging es in den „religiösen Auseinandersetzungen“ bis hin zu den Religionskriegen meistens auch um ganz andere Interessen. Juden wurden vertrieben oder umgebracht, weil man ihnen Geld schuldete und so seinen Kredit, seine Schuld leicht tilgen konnte, wenn man den Geldgeber vertrieb oder gar tötete. Aber oft wurde die andere Religion verspottet, verächtlich gemacht, weil man so die Überlegenheit seines eigenen Glaubens herausstellen wollte. Ein bösartiges Beispiel dafür ist die sogenannte Judensau, wo Juden dargestellt wurden, dass sie am Euter und am After einer Sau saugten, also dem Tier, das für Juden wie Muslime gleichermaßen unrein ist, und darunter schrieb man: das ist eure Mutter. Sicherlich geht es heute meist weniger bösartig oder drastisch zu, wenn andere Religionen verächtlich gemacht werden. Kann und muss man eigentlich die Überlegenheit seiner Religion beweisen? Christen haben das versucht, indem sie das Christentum als Religion der Nächstenliebe darstellten, was ja gut unserem Predigttext passen würde: deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Aber die Praxis widerspricht dem oft. Wir sind in puncto Nächstenliebe oft auch nicht besser als andere.

Wir müssen damit leben, dass andere Menschen eine andere Religion haben – oder  gar keine, oder einen Religionsersatz, weil der Mensch an irgendetwas glauben muss, und sei es, dass zwei Pfund Rindfleisch eine gute Suppe ergeben. Ich habe da einmal einen Satz von Matthias Claudius gefunden, den ich in unser Gesangbuch gebracht habe. Er schreibt an seinen Sohn:
„Wer nicht an Christus glauben will, der muss sehen, wie er ohne ihn raten kann. Ich und du können das nicht. Wir brauchen jemand, der uns hebe und halte, solange wir leben, und uns die Hände unter den Kopf lege, wenn wir sterben sollen; und das kann er überschwänglich, nach dem, was von ihm geschrieben steht, und wir wissen keinen, von dem wir`s lieber hätten.“ (EG Bayern S. 461) Oder anders ausgedrückt: Wir haben die Liebe unseres Gottes erfahren, wie könnten wir einen anderen lieben. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz