Von allen Seiten

Predigt beim Dekanatskirchentag mit Sternwanderung auf den Sophienberg   Jesaja 1, 1-5


Dies ist's, was Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat über Juda und Jerusalem:

Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!

 

Sie strömen, von allen Seiten und aus allen Himmelsrichtungen. Menschen aus aller Herren Länder, Menschen aller Hautfarben, Menschen aus allen Religionen. Was beim Propheten Jesaja eine glückliche Vision für die letzte Zeit darstellt, sozusagen den Himmel auf Erden, erleben heute vielen Menschen als Schreckensvision. Der Traum des Propheten wird zum Albtraum, wenn Zigtausende auf der Balkanroute unterwegs sind und vor allem ein Ziel haben: Deutschland. Darf man das vergleichen: die Endzeitvision des Jesaja, den glücklichen Ausgang all der Kämpfe, auch der Religionsstreitigkeiten, dass am Ende alle in das kleine Land Israel strömen, hin zu dem Berg, auf dem der Tempel des Gottes Jahwe steht, von dem seine Gläubigen behaupten, er sei der einzige, der Schöpfer und Herr der ganzen Erde, des ganzen Weltalls. Darf man das vergleichen, das Ziel der Heilsgeschichte im Alten Testament, dass die ganze Welt auf ihn hört und nach seinen Geboten fragt, und die Flüchtlingswelle heute, wo Millionen aus den Krisengebieten in Syrien, Irak, Sudan und anderen Ländern fliehen oder Sinti und Roma aus dem Kosovo ihre schwierigen bis unerträglichen Lebensbedingungen eintauschen wollen gegen Wohlstand und Sicherheit.

Was die Menschenmassen, die zum Zion ziehen, suchen, ist vor allem Frieden. Das Gebot, die Weisung, nach der sie verlangen, ist das Friedensgebot. Gottes Reich, das damit anbricht, ist ein Friedensreich. Deswegen schmieden sie als Konsequenz dessen, was sie am Berg Zion gelernt haben, ihr Schwerter um zu Pflugscharen. Das heißt: sie werden zurückgekehrt sein in ihre Heimatländer, an ihre Öfen und zu ihren Waffenkammern und haben sich an die Arbeit gemacht; an das, was auch uns oft sehr schwer fällt, nämlich zu tun, was wir am Gottesdienst am Sonntag gehört haben; einfach tun, was einem da am Sonntagvormittag so eingeleuchtet hat und wozu man innerlich Ja gesagt hat. Auch das gehört zum Reich Gottes, dass die Leute das tun, was sie als richtig erkannt haben und dieser verdammte Graben überwunden ist zwischen: das Gute kennen und wissen – und es tun.

Frieden ist es, den die Flüchtlinge auch bei uns suchen. Frieden bedeutet ja nicht nur, dass kein Krieg herrscht, dass man nicht um sein Leben fürchten muss, dass Kinder nicht zwischen die Gewehre und Bomben geraten wie in Syrien. Frieden ist auch mehr als Sicherheit, dass Frauen in ein Taxi oder einen Omnibus steigen können, ohne Angst, vergewaltigt zu werden. Zum Frieden gehört Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, keine willkürlichen Verhaftungen, faire Prozesse, zum Frieden gehören die Menschentrechte: Meinungsfreiheit, die Freiheit, seine Religion zu leben. Und Frieden beinhaltet nach alttestamentlichem Verständnis auch Wohlstand. Dass die Felder eben nicht brach liegen, weil die Männer in den Krieg ziehen müssen, sondern bebaut werden und ihre Ernte geben; dass die Ölbäume nicht von Eroberern umgehauen werden, sondern Frucht bringen; deswegen soll die Schwerter umgeschmiedet werden zu Pflugscharen. Damit die Arbeitsfähigen arbeiten und ihre Familien versorgen können und die Hilfsbedürftigen auch satt werden.

Am Ende dieser wunderbaren Vision, dass alle Völker zum Heiligen Berg kommen, sich belehren lassen und zu einem friedlichen Leben in ihrer Heimatländer zurückkehren, die sich fast wortgleich beim Propheten Micha wiederfindet, hat dort später jemand wohl eine Randbemerkung gemacht, die dann beim Abschreiben in den Bibeltext hinein geraten sein mag: Ein jedes Volk wandelt im Namen seines Gottes, aber wir wandeln im Namen des Herrn. Und hier bei Jesaja heißt es: Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, und lasst uns wandeln im Licht. Das könnte heißen: auf diesen erhebenden Moment, die glückliche Stunde der Menschheit könnt ihr lange warten. Darum fangt ihr wenigstens mit an, ihr vom Hause des Herrn.

Auch das könnte ein wichtiger Hinweis sein in der aktuellen Flüchtlingsdiskussion, wenn manche in den begehrten Aufnahmestaaten wie Schweden, Österreich oder Deutschland fragen, warum denn wir die Hauptlast tragen sollen und andere EU-Staaten sich weigern, ihren verhältnismäßig kleinen Anteil zu übernehmen. Dass die anderen das Gute nicht tun, kann nie ein Grund sein, es selbst auch nicht zu tun. Schon in der Schule gilt die Ausrede nicht: der hat aber auch, oder: der hat seine Hausaufgaben auch nicht gemacht. Vielmehr sagt Jesus: wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel verlangt. Und unsere Grundgesetz weiß: Eigentum verpflichtet. Wir leben in Deutschland zwar nicht auf der Insel oder dem Berg der Seligen, aber im Vergleich zu manch anderen Ländern in schier himmlischem Frieden, Wohlstand und Rechtssicherheit. Und übrigens zeigt die Geschichte, dass sich langfristig der Wohlstand vor allem dort entwickelt hat, wo man Flüchtlinge aufgenommen hat. Das giltr nicht nur für die Bundesrepublik nach 1945 sondern auch z.B. für die Schweiz. Genf, das in der Reformationszeit bis zum Platzen mit Glaubensflüchtlingen gefüllt war, ist heute die reichste (und teuerste) Stadt der Welt.

Was hat aber unser Zug hier herauf auf den Sophienberg heute mit dem allen zu tun. Wir sind nicht so vermessen, diese Anhöhe im Bayreuther Land für den Mittelpunkt der Welt zu halten. Dass übrigens der Berg Zion in Jerusalem einmal höher sein sollte als alle anderen Berge, war auch schon eine ziemlich verwegene Vorhersage. Und mit den Menschenmassen der Völker- oder Flüchtlinmgsströme sind unsere vier Züge von Gesees, Haag, Oberschreez … auch nicht zu vergleichen. Die Hoffnung, dass alle kommen und die Leute nur so strömen, würde selbst innerhalb eines überschaubaren Dekanatsbezirks enttäuscht. Vielleicht steckt ja auch eine Allmachtsvorstellung dahinter, dass alle kommen müssten, dass unsere Gottesdienste und Veranstaltungen alle interessieren müssten, dass alle unseren Glauben teilen müssten. Wir aber sind herauf zum Sophienberg gezogen, aus allen vier Himmelsrichtungen, weil wir hier das gleiche finden, wie die Völker in der Vision des Jesaja, nämlich Frieden.

Wir finden den Frieden in dem Psalmwort, das das Kunstwerk von Wolfgang Stephan inspirierte: Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Das Kunstwerk stellt so etwas wie eine Schutzhütte dar. Von allen Seiten umgeben, umhüllt und eingebettet findet die Seele Frieden. Wer dagegen aufgestört ist, auf der Flucht, sich verfolgt und bedroht fühlt, der sieht sich ängstlich um nach allen Seiten. Nach hinten: Ist da etwas in meinem Rücken. Hinter dem Rücken ist es besonders gefährlich, weil ich das nicht sehe. Jemand fällt einen in den Rücken. Statt Rückendeckung zu geben, greift jemand auf einmal an. Das müssen nicht nur Menschen sein. Manchmal ist es die Vergangenheit, ein Fehler, eine Schuld. Immer wieder holt sie einen ein, kommt von hinten, hinterrücks taucht sie auf. Gott hält uns den Rücken frei. Wie eine Hand schiebt sich seine Vergebung dazwischen. Er hält seine Hand nicht nur über mir, sondern schirmt auch den Rücken und legt sie auf die Schulter.

Von allen Seiten umgibst du mich. Auch von der Seite. Das ist zum festen Ausdruck geworden: jemanden an der Seite haben, jemand, der mir zur Seite steht. Wahrscheinlich kommt auch das vom Krieg und Kampf: der neben mir kämpft mit mir, schaut und läuft in die gleiche Richtung, ist stets da, einzugreifen und für mich zu streiten. Unsere Sprache hat hier schon aus Schwertern Pflugscharen gemacht, bis ins romantische Weihnachtslied hinein: das Christuskind, das nicht nur alle Jahre wieder kommt, sondern bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende, steht auch dir zur Seite, still und unerkannt. Es steht einem nicht nur zur Seite, dass es einspringt in der Not, sondern will einen leiten an der lieben Hand.

Von allen Seiten umgibst du mich. Auch von vorne. Vorne sehe ich, was auf mich zukommt oder worauf ich zugehe. Manchmal lässt mich das schneller gehen, freudig darauf zugehen. Manchmal werden die Schritte langsamer, zögerlicher, stockend; am liebsten würde man umdrehen. Manchmal muss man tatsächlich ausweichen, um nicht getroffen zu werden. Auch beim Völkerball kann ich nicht jeden harten Ball fangen, sondern drehe mich schnell weg. Aber anderes ist unausweichlich. Gott vor mir. Jesus Christus ist vorausgegangen und sagt: nimm dein Kreuz auf dich. Er sagt aber auch: Sorgt nicht, denn Gott sorgt für euch. Jesus ist vorausgegangen in den Tod und ist auferstanden. Gottes Hand als Schutzhand, die er vor uns hinhält.

Neben diesen vier Richtungen vorne, hinten, links und rechts, die den vier Himmelsrichtungen entsprechen, aus denen wir herauf gezogen sind, gibt es im dreidimensionalen Raum noch zwei andere: oben und unten. Die Hand drunter halten, das ist stützen, unter das Kinn, um den Kopf aufzurichten; unter die Arme greifen, heißt helfen. Und die Hand, die drunter gehalten wird, fängt auf, wenn etwas hinunter fällt; das rohe Ei, dass es nicht am Boden zerplatzt. Manchmal muss man etwas wieder aufheben, was am Boden liegt. Gottes Hand fängt auf. Du kannst nicht tiefer fallen als in sie. Gottes Hand stützt aber auch und hebt wieder auf.

Und die Hand über uns, die kommt im Psalm sogar ausdrücklich vor: du hältst deine Hand über mir oder über mich. Von oben kommt eben nicht nur alles Gute, auch wenn man nicht ständig die Angst haben muss, dass einem der Himmel auf den Kopf fällt. Manchmal ist es auch die Zimmerdecke, und dann braucht man die Weite des Berges und des Himmels. Oben beim Menschen ist der Kopf mit seinen empfindlichen Organen: den Augen vor allem, den Ohren. Oben ist das Gehirn, das den ganzen Körper steuert. Dort sitzt unser Denken, unser Fühlen, unsere Erinnerung und unser Planen. Deswegen setzt man in gefährlichen Situationen einen Helm auf. Gott Hand über mir ist deswegen eine besonders starke Zusage.

Ist das nicht Frieden, so von allen Seiten umgeben zu sein und Gottes Hand nicht nur über sich zu wissen, sondern vor, neben, hinter und unter einem. Frieden kann man finden auf dem Sophienberg, nicht nur wegen der schönen Landschaft, sondern in dem Kunstwerk, in dem Psalmvers. Das Kunstwerk wird wieder abgebaut am Ende des Themenjahres zum Reformationsjubiläums „Bild und Bibel“. Die Einladung bleibt, so voller Vertrauen sagen zu können: Von allen Seiten umgibst du mich. Und dann kann man auch daran denken, dass wir Hände haben, die andere schützen und bergen, aufnehmen und unterstützen können, zum Beispiel die Flüchtlinge, die jetzt zu uns strömen. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz