Der Geist hilft unserer Schwachheit auf

Röm 8, 26-30


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde!

Gott zu spüren, ihn zu erfahren und zu ihm beten zu können wünschen wir uns. Und das passiert auch: Dass Menschen Gott in ihrer Wirklichkeit entdecken, manches als Zeichen von ihm wahrnehmen und in Beziehung zu ihm stehen. Aber es gibt auch die Erfahrung, dass man ihn nicht entdeckt, nicht erlebt – und Schwierigkeiten hat, zu ihm zu beten.

 

Ein Pfarrer aus Norddeutschland erzählt: „Da steht sie vor meiner Tür. Bittet um ein Gespräch. Es geht um materielle Not, aber auch um geistliche Not. Sie kann die Lieder in der Kirche nicht mehr mitsingen, sie kann nicht mehr beten. Sie weiß nicht, was sie beten soll. Nicht laut, nicht leise. Stumm ist sie vor Gott geworden. Tränen stehen in ihren Augen, mehr als ein leises Seufzen.“  - Auch das ist eine Gebetserfahrung.

Möglicherweise hat der Apostel Paulus Ähnliches erlebt, oder er hat in den gerade entstandenen christlichen Gemeinden Menschen getroffen, denen es ähnlich ging. Jedenfalls schreibt er im Brief an die römische Gemeinde im 8. Kap, V. 26-30, nachdem er davor schon einiges über das Leben im Heiligen Geist ausgeführt hat:

 

„Desgleichen hilft der Geist auch unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich´s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen wie es Gott gefällt.

 

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat der auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.“

 

Die Worte von Paulus sind tröstlich – für ihn selbst und für andere Christen: Der Geist hilft unserer Schwachheit auf, besonders, wenn wir nicht wissen, was oder wie wir beten sollen, wie sich´s gebührt. Der Hl. Geist vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Und der die Herzen erforscht – also Gott, der Schöpfer, der das Herz des Menschen ansieht,( nicht was vor Augen ist), wie es bei der Berufung von David heißt – Gott weiß, was der Geist meint, weil dieser gottgemäß für die Heiligen eintritt.(Mit „Heiligen“ sind – wie im Glaubensbekenntnis auch – die gläubigen Christen gemeint, sie bzw. wir sind heilig nicht von uns aus, sondern von Gott her und durch Jesus Christus).

Die Worte, dass Gott weiß, worauf das Ansinnen des Geistes gerichtet ist, sind Ausdruck für die Dreifaltigkeit oder Dreieinigkeit Gottes – Gott, Vater, Sohn und Hl. Geist. Jesus, der  Sohn, kommt im Text als Erstgeborener und Urbild für die Gläubigen vor. Den Heilige Geist nun, der uns im Gebet vor Gott vertritt, können wir uns vielleicht wie eine besondere Brieftaube vorstellen, die Nachrichten überbringt. (Die Taube ist ja bekanntlich ein Symbol für den Geist). Diese besonders begabte Geist-Taube kann auch gestammelte Gebete auf dem Flug in gottgemäße Worte fassen. Durch sie kommt das, was wir auszudrücken versuchen, richtig an.

 

„Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich´s gebührt.“ Die Welt und unser Leben sind so komplex, da gibt es oft keine einfachen Lösungen. Da kann es sogar das wahrhaftigere Gebet sein, still vor Gott zu werden, in der Hoffnung, dass der Geist uns vertritt. Vielleicht ist jene Frau ja näher an Gott als sie glaubt und die geistliche Brieftaube vertritt sie schon mit unaussprechlichem Seufzen? – Sie ist allerdings nicht nur still vor Gott, sondern auch stumm. Es scheint keine Beziehung zu Gott mehr zu geben, sie kann nicht mehr mitsingen und nicht mehr beten. Sie spürt Gott nicht, erfährt ihn nicht.

Möglicherweise ist die unverbrüchliche Gewissheit, die aus Paulus´ Worten spricht, für sie und andere ermutigend: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“. Paulus machte auf seinen Missionsreisen ja sehr viel durch – von Schiffbrüchen über Prügel bis hin zu Gefängnisaufenthalten. Da könnte er manchmal ins Nachdenken gekommen sein, ob sich die ganzen Mühen und Nöte, die er für die Ausbreitung des Evangeliums in Kauf genommen hatte, lohnten. Ob die Liebe zu Gott und Jesus Christus ihm wirklich zum Guten dienten. Er hat für sich den Schluss gezogen, dass alle Dinge, auch die schweren, ihm zum Besten gedient haben und dienen. („Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“ ist auch so ein Glaubenssatz, der wohl von seinem persönlichen Erleben her gedeckt ist.)

 Auch aus dem Kettenschluss spricht eine starke persönliche Überzeugung, ja Gewissheit: „…die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.“ - Die künftige Verherrlichung, die die Gläubigen in Gottes Reich erwartet, steht für Paulus so fest, dass er davon  - auch durch den Hymnus-Stil begründet – in der Vergangenheit spricht: „… die hat er auch verherrlicht.“ Wir glauben und hoffen, liebe Gemeinde, dass wir einst in der Nachfolge von Jesus als dem Erstgeborenen gerecht gemacht und verherrlicht werden – doch Paulus hat hier schon die Perspektive der Endzeit, wo dies bereits geschehen sein wird.

 

Seine starke Gewissheit könnte aber auch zwanghaft oder sogar zynisch wirken: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“. – Liest man diesen Satz als objektive Tatsachenbehauptung, kann er Widerspruch hervorrufen, nicht nur bei jener Frau, die sich durch solche oder ähnliche Worte möglicherweise nicht ernst genommen fühlt. – Sowohl Ihnen als auch mir fallen wohl gottesfürchtige, Gott liebende Menschen ein, bei denen es nicht zum Besten steht, die unter Krankheit oder andere Not zu leiden haben. Wenn man denen sagte: „Schau nur genau hin, dann merkst du schon, dass Gott es eigentlich gut mit dir meint“, ist das verzwungen und nicht einfühlsam, jedenfalls nicht wirklich tröstlich.

 

Doch man kann den Satz auf Paulus´ persönlichem Hintergrund auch anders auffassen, nämlich als Entlastung. Als Entlastung davon, Gott immer spüren und erfahren zu müssen. Als Entlastung von dem Gedanken, das nur das von Belang ist, was ich religiös erfahren habe. – Es gibt auch einen Terror der Erfahrung. Wenn ich mich nur noch dann von Gott getragen fühlen kann, wenn ich ihn irgendwie spüre oder wahrnehme, dann wird die Erfahrung zum Zwang und ihr Ausbleiben zum Tod jeglichen Glaubens.

 

Auch Paulus kannte Gottferne und hat Zweifel erlebt. Und er hat seine Worte an die römischen Christen in eine Situation hineingeschrieben, wo die Erfahrung mehr gegen den Gott Jesu Christi sprach als für ihn. Die christlichen Gemeinden in den ersten Jahrhunderten waren ja alles andere als große, starke, gesellschaftlich anerkannte Gruppen. Sie waren, ob in Rom; Korinth oder Ephesus, Angefochtene – ja Outsider. Da die Situation der Angefochtenheit Christen zu allen Jahrhunderten bekannt war und ist, sind  Paulus´ Worte so trefflich und sprechen auch uns an.

Den Schwachen, Angefochtenen also stellt Paulus seine Glaubenssätze mit der ihm eigenen Gewissheit entgegen, um sie ( und vielleicht auch sich selbst) zu stärken. „Wir wissen aber…“. Dieses „Wissen“ kann man vor allem als große Hoffnung, als Verheißung sehen: Auch wenn ich ihn nicht spüre, Gottes Geist seufzt in mir. Auch wenn ich es nicht erlebe – er hilft meiner Schwachheit auf. Auch wenn ich es jetzt nicht glauben kann, ich bin von Gott geliebt und berufen. Ja selbst das: Obwohl ich nicht im Geringsten sehe, wie mir das, was mir hier widerfährt, wenigstens zum Guten, wenn schon nicht zum Besten dienen soll, vertraue ich darauf, dass Gott es gut mit mir meint.

 

Vielleicht könnte das jener Frau aus Norddeutschland helfen: Wenn der Pfarrer akzeptiert, dass sie gerade stumm ist, nicht beten kann, keine Beziehung zu Gott hat; und ihr gleichzeitig zuspricht, dass Gott dennoch bei ihr ist, dass sie ihn nicht immer spüren muss. Vielleicht könnte das etwas in ihr lockern. - Die Erfahrung der Gottverlassenheit wird ja sogar von Jesus selbst berichtet. Er hat nach Mt. und Mk. am Kreuz Worte des 22. Psalms gesprochen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

 

Martin Luther schrieb zu Ps 22: Christus schreiet „als wie sich selbst widersprechend (…), er sei von Gott verlassen, und nennt doch Gott sein und bekennet damit, er sei nicht verlassen.“ In der Erfahrung der Nichterfahrung Gottes wirft Jesus sich auf die alten Worte seiner jüdischen Tradition. Denn Überlieferungen können Halt geben.

 

In Bezug auf eine andere Überlieferung möchte ich Ihnen zum Schluss einen Geistesblitz, den mein Vater hatte, nicht verschweigen. (Er predigt heute auch über Röm 8). Er rief mich an und sagte: „Ich bin ziemlich sicher, dass Paulus das Vaterunser nicht kannte. Hätte er sonst geschrieben: „Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich´s gebührt“?

 

Überliefert ist das Vaterunser uns ja nur von Mt. und Lk., auch Mk. und Joh. haben es nicht. Die Briefe von Paulus sind ja noch vor den Evg. entstanden, 50 n.Chr. schrieb Pls. den 1. Thess. Brief, erst 70 n.Chr. ist das Mk.-Evg., und danach Mt., Lk. und Joh. entstanden. Offensichtlich hat Jesus das Vaterunser einigen Jüngern weitergegeben – von daher haben es Mt. und Lk. aufgenommen; doch Paulus, der die Christen ja zuerst verfolgte, kannte es nicht, sonst hätte er es bestimmt in einem seiner Briefe erwähnt, erst recht im Römerbrief, der für die Ausleger als „Testament des Pls.“ (Jürgen Becker) gilt.

 

(Das Abendmahl etwa kommt sowohl in den Evangelien als auch bei Paulus vor – unsere Abendmahl-Einsetzungworte kommen aus 1. Kor. 11.)

 

 Liebe Gemeinde, für viele Christen, die nicht genau wussten was und wie sie richtig beten sollen, war und ist das Vaterunser Hilfe und Halt. Es ist uns von Jesus, dem Erstgeborenen unter vielen, weitergegeben worden. Vielleicht sind die von Jesus überlieferten Worte ebenso wie etwa die Psalmen oder andere Kostbarkeiten der Bibel eine Hilfe für jene Frau oder für andere, die keine Beziehung zu Gott spüren. Und wenn geprägte Worte wie diese nicht hilfreich sind, so ist da immer noch der Geist, der wie eine bes. begabte Brieftaube unsere Seufzer und stummen oder gestammelten Gebete aufnimmt.

 

Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.



Autor: Anne-Kathrin Kapp-Kleineidam