"Herberge"

Ansprache bei der Weihnachtsfeier des Diakonischen Werkes - Stadtmission Bayreuth e.V. am 10.12.2015


Heute ist der internationale Tag der Menschenrechte. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat dazu ein Materialheft für einen Gottesdienst für diesen Anlass herausgegeben. Es trägt den Titel „Kein Raum in der Herberge Europa?“ Keine Angst, ich will keine Ansprache zur Flüchtlingsfrage halten, zur Menschenrechtslage – wie es im Untertitel der Arbeitshilfe heißt – an den Außengrenzen der Europäischen Union. Auch wenn dies im Augenblick die soziale und diakonische Herausforderung für unsere Gesellschaft darstellt. Seit Jahrzehnten gibt es in Bayreuth ja die Absprache, dass die Caritas die Flüchtlingssozialberatung für die beiden Kirchen übernommen hat. Der JPV engagiert sich in der Betreuung Unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und unsere Landeskirche hat zur Verteilung der zweimal 10 Millionen Euro für Flüchtlingshilfe in den Jahren 2015 und 2016 eine „AG Herberge“ eingerichtet.

Um diese Herberge geht es mir heute. Was ist nicht alles heraus- und hineingesponnen worden aus diesem Nebensatz der Weihnachtsgeschichte: „Und sie fanden keinen Raum in der Herberge“. Ganze Szenen und Schauspiele mit hartherzigen Wirten und hochschwangeren Frauen, wozu sich im Krippenspiel die Maria ein Kissen unter das Kleid klemmt, gesungene oder gesprochene Dialoge mit der flehentlichen Bitte  „o lasst mich ein“ und der schroffen Antwort „nein, nein, das kann nicht sein“. Wie wohlig warm und Geborgenheit verbreitend klingt auf diesem Hintergrund das schöne alte Wort „Herberge“, zum Beispiel in der Jugendherberge (die in Bayreuth jetzt ganz im Gedanken der Inklusion neu gebaut wird) .

Mich hat einmal interessiert, welches Wort da in meinem griechischen Neuen Testament in der Weihnachtsgeschichte steht. Dieses griechische Wort für Herberge kommt von einem Verb, das ursprünglich bedeutet: losbinden, ausspannen. Eine Herberge ist also der Ort, an dem man ausspannen kann. Allerdings hat man ursprünglich nicht ans Relaxen der Menschen in einem Hotelbett oder dem swimmingpool gedacht, sondern an die Tiere: Pferde, Esel – den Reittieren und zugtieren das Geschirr abnehmen, den Wagen abspannen und sie in den Stall führen (beim Kind im Stall von Bethlehem stehen ja auch Ochs und Esel in der Nacht und fressen)

So ein Wort „ausspannen“, das ursprünglich ganz konkret eben dieses Abschnallen meint, bekommt dann eine übertragene Bedeutung. Im Griechischen wurde aus dem Losbinden und Ausspannen einerlseits: auflösen (so wie man den Knoten auflöst), beenden (die Tagesreise ist damit ja beendet, Feierabend), und weiter abschaffen, beseitigen, zerstören. Das klingt dann schon bedrohlich. Auflösungserscheinungen. Das entsprechende lateinische Wort „solvere“ kennen wir aus solchen wirtschafrtlichen Bedrohungen. Eine Herberge dagegen bietet ja Schutz vor den bedrohlichen Kräften von Regen und Sturm, Hagel oder Kälte im Winter. Unsere Diakonie bietet solche Schutzräume, zum Beispiel für Kinder, für Behinderte, für psychisch Kranke, für Menschen in Lebenskrisen oder Beziehungskrisen. Schon ei geschützter Gesprächsraum kann so eine Herberge sein. Aber auch wir selbst brauchen für uns solche Räume.

Dazu passt dann das zweite Bedeutungsumfeld dieses griechischen Wortes, das im griechischen „Herberge“ steckt. Müde werden kann man nicht nur von einer Reise, von den Anstrengungen der Arbeit, sondern auch von Streit, Kampf und Krieg. Und dann heißt dieses Wort: einen Streit beilegen, sich wieder vertragen und versöhnen, Frieden schließen. Das ist die Sehnsucht in dieser Advents- und Weihnachtszeit. Wenn wir uns eine stille und ruhige Zeit wünschen, die die meisten von uns dann doch nicht finden in diesen Dezemberwochen, dann wünschen wir uns ja vor allem diesen inneren Frieden für uns und andere, und natürlich auch den äußeren Frieden, dass der Krieg mit seinem Töten und Zerstören aufhört, der Terror mit den Menschenopfern, den Verletzten und der Angst, die er verbreitet. Diese Sehnsucht nach Frieden hat für uns Christen ihre Wurzel in der Botschaft der Engel in der Heiligen Nacht: Frieden auf Erden den Menschen; an ihnen hat Gott sein Wohlgefallen. Und der erwachsene Jesus ruft es in der Bergpredigt zu: Selig, die Frieden stiften. Mancher Berater versucht das, wenn der Richter das völlig zerstrittene Ehepaar, das sich im Rosenkrieg befindet , zuerst einmal in die Beratungsstelle schickt.

Und natürlich meint das Wort genau dasselbe wie im Deutschen: ausspannen. Auch bei uns wurde ja aus dem Ausspannen der Pferde oder Esel diese Erholung, die wir mit Feierabend, Wochenende oder eben den Weihnachtsfeiertagen verbinden; dass sich die ganze Anspannung einmal lösen kann. Heute sagt man dafür „chillen“. Das bedeutet eigentlich abkühlen. Auch das ein passendes Bild: wenn der Kopf heiß wird, wenn es heiß und hitzig zugeht, abkühlen. Aber das Ausspannen gefällt mir noch besser. Jesus redet ja auch von einem Joch, diesem Zaumzeug für Ochsen, in das sie eingespannt waren, um die schweren Wagen oder Pflüge zu ziehen. Kommt her, zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, sagt er, ich will euch erquicken. Und eben nicht als Appell an die Helfer, sich noch mehr aufzuladen, um die Mühseligen dieser Welt zu erquicken und entlasten, sondern sie selbst sind gemeint, die ächzen unter dem Joch. Er sagt. Siehe, mein Joch ist leicht und meine Last ist nicht schwer. Da geht es nicht nur um Freizeit, aus der Tretmühle heraus zu kommen und einmal die Gliedmaßen oder gar die Seele baumeln zu lassen. Es geht um Freiheit.

All das steckt in dem Wort Herberge, wenn wir der Wortwurzel nachgehen. Die etwas altertümlich klingende Herberge ist ein schönes Bild. Kirche mit ihrer Diakonie soll so eine Ort sein, wo man Herberge findet, und das nicht nur in der Flüchtlingsfrage. Man muss auch nicht Maria heißen oder Josef und hochschwanger sein. Herberge, ein Raum zum Ausspannen, keine verschlossene Tür, kein abweisender  Wirt, der schon voll hat, kein Türsteher an der Disco, der nur die Schönen und Reichen hereinlässt, sondern freundliche Aufnahme. So eine Art Stall, vielleicht mit einem typischen Stallgeruch, der hoffentlich nicht in einen Mief umkippt, warm und wohlig – ohne dass die Frischluft fehlt; was zum Futtern; ein vorübergehendes Zuhause, wo man bleiben kann, aber auch wieder gehen und wiederkommen. Und es sind andere da, manchmal nur wenige, dann hat man Platz und kann sich besser unterhalten, manchmal wird es eng. Ein Ort, sich – so wie das Wort auch bedeutet – sich zu vertragen und zu versöhnen.

Zum Schluss noch etwas für naturwissenschaftliche Interessierte. Den meisten ist dieses griechische Wort bekannt aus einem Gerät, das inzwischen jedes benzinbetriebene Auto hat: dem Katalysator. Katalysator heißt dann ein Stoff, der sich auflöst in einer chemischen Reaktion. Wir wissen es natürlich besser: ein Katalystor in ein Stoff, der eine chemische Reaktion in Gang bringt oder beschleunigt und am Ende wieder unverändert daraus hervorgeht. Beim Auto reinigt er die Abgase. Auch das könnte man auf Kirche und Diakonie übertragen.  Prozesse in Gang bringen und beschleunigen, zum Beispiel Lernprozesse in der Kita, das ist das tägliche Brot, Entwicklungsprozesse eines Kindes oder Persönlichkeitsentwicklung sonst, den Prozess der Versöhnung. Der Berater soll sich nicht hinenziehen lassen, sich nicht distanzlos auflösen. Aber unverändert gehen wir nicht heraus wie der Katalysator, manchmal nimmt es uns mit, manchmal freuen wir uns und fühlen uns bereichert. Aber solch technische Bilder sind immer problematisch, nicht nur beim Katalysator. Schon die griechischen Philosophen verglichen die Tätigkeit des Lehrer z.B. mit der Hebammenkunst. Der Lehrer, Begleiter, berater, der Pädagoge und Seelsorge sollte wie eine Hebamme sein, nämlich Geburtshelfer für das, was in jemandem steckt. Womit wir wieder am Anfang wäre und bei Weihnachten mit der Herberge und dem Stall. Dass wir Herberge bieten können und hoffentlich auch finden, gerade in dieser vorweihnachtlichen und dann weihnachtlichen Zeit. Dass wir all das finden, was mit diesem Wort verbunden ist: ausspannen können, sich vertragen, Frieden und Freiheit. Denn wir haben Herberge bei Gott, und das nicht nur vorübergehend. Wir sind bei ihm zu Hause. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz