Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich

Liedpredigt über EG 27 und Nikolaus Hermann (Verfasser)


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde!

Martin Luther sagt in seinen Tischreden: „Die Musica ist eine schöne herrliche Gabe Gottes und nahe der Theologie. (…) Die Jugend soll man stets zu dieser Kunst gewöhnen, denn sie macht feine geschickte Leute. (…) Ein Schulmeister muss singen können, sonst sehe ich ihn nicht an“. 

„Der Schulmeister Nikolaus kann angesehen, ja muss hoch angesehen werden. Er ist kein studierter Theologe (…), wohl aber ein Kinderfreund und Liebhaber der Jugend der sein pädagogisches Geschick, sein Erzähltalent und seine Spielfreude ins Kirchenlied einbringt. (…) Indem er sich den Kleinen zugewandt hat, gehört er unter die Großen in der Liedgeschichte.“ So sagt es Martin Rößler, Theologe und Kirchenmusiker, der an der Universität Tübingen lehrte, in seinem Buch: „Liedermacher im Gesangbuch“. - Ich stütze mich im Folgenden auf seine Ausführungen.

Von Nikolaus Herman finden Sie viele Lieder in unserem Gesangbuch, neben „Lobt Gott, ihr Christen“, das wir nachher näher anschauen wollen, z.B. „Die helle Sonn leucht jetzt herfür“, das Abendlied „Hinunter ist der Sonnen Schein“ oder das Osterlied „Erschienen ist der herrlich Tag“.

Wichtige Punkte seines Lebens liegen im Dunkeln. Mithilfe eines Porträts konnte man schließlich ermitteln, dass Herman genau im Jahr 1500 geboren ist; und zwar nicht weit von uns in Altdorf  bei Nürnberg. Er beruft sich einmal auf Hans Sachs, vielleicht hat er diesen Meistersinger auch getroffen, der mit seinen Psalm-Bereimungen und Volkslied-Umdichtungen mehr Bedeutung für das Kirchenlied hat, als man an unseren Gesangbüchern ablesen kann.

Wo Herman gelernt oder studiert hat, wird nirgends erwähnt. Um 1518, also ein Jahr nach Luthers 95 Thesen, hält er sich als Lehrersgehilfe an der Lateinschule in St. Joachimsthal im böhmischen Erzgebirge auf. Kantoren- und Organistendienste werden zu seiner Tätigkeit gehört haben. Die Stadt war eben erst neu aufgeblüht. Graf Stephan von Schlick hatte 1516 eine verfallene Silbergrube wieder in Betrieb gesetzt. Im Wort „Taler“ lebt das Andenken an St. Joachimsthal weiter. Die gräfliche Familie sorgt dafür, dass neben der katholischen Konfession eine Kirche samt Schule böhmisch-hussitischer Prägung eingerichtet wird; das Wort Gottes soll schlicht gepredigt und gelehrt werden, das Sakrament des Altars in beiderlei Gestalt gereicht werden. In dies soziale und kirchliche Umfeld wird der junge Schulmeister und Kantor

eingebunden.

1524 bekommt Herman Luthers Büchlein aus dem gleichen Jahr in die Hand:  AN DIE RATHERREN ALLER STÄDTE DEUTSCHES LANDS, DASS SIE CHRIST-LICHE SCHULEN AUFRICHTEN UND HALTEN SOLLEN. Er ist tief beeindruckt von den Sätzen, die er darin liest: … „Denn wir wollten ja gerne unsern lieben Kindern nicht allein den Bauch, sondern auch die Seel versor-gen…“  Luther umschreibt in dieser Schrift den rapiden Verfall der Universitäten und Lateinschulen und wirbt beim Magistrat der Städte für die allgemeine Schulpflicht der Buben und Mädchen. Er betont, wie wichtig die Sprachen für die Ausbreitung des Evangeliums sind und schreibt: „Wenn ich Kinder hätte (damals war Luther noch nicht verheiratet), sie müssten mir nicht alleine die Sprachen und Historien hören, sondern auch singen und die Musica mit der ganzen Mathematica lernen.“

Das ist Herman aus dem Herzen gesprochen. Er lernt verstehen, wie man die Sprache handhaben und möglichst so in ein musikalisches Klanggewand kleiden sollte, dass das Evangelium einprägsam zur Wirkung gelangt. Noch im selben Jahr 1524verbreitet er seine Erkenntnisse in einer zunächst anonym erschienenen Schrift EIN MANDAT JESU CHRISTI AN ALLE SEINE GETREUEN CHRISTEN.

Doch wegen seiner Begeisterung für Luther kommt es offensichtlich zu Zusammenstößen mit seinem Rektor. Kann sich Herman in dieser Stadt halten, soll er überhaupt bleiben?  - In seiner Not wendet er sich an Stephan Roth, der mit Luther in Verbindung steht. Und Luther schreibt am 6. Nov. 1524 an Nicolao Hermanno viro pio et erudito in Valle Joachimica, also an Nicolaus Herman, einen frommen und gelehrten Mann in Joachimsthal. Luther schreibt (übersetzt): „Gnade und Friede in dem Herrn. Der Magister Stephan hat mich nach Darlegung der Lage und der Ursachen in Deinem Namen gefragt, lieber Nikolaus, ob du das Tal verlassen sollst. Ich bin jedoch der Meinung, nachdem Dir der Herr die Gnade verliehen hat, dass Du den vergangenen Fall geduldig überwunden hast, dass Du ausharren musst, - zumal da sie sich schon als Freunde erweisen, wie Du schreibst, - bis Du aller Schwierigkeiten endgültig Herr wirst. Wer weiß, was Gott über Dich denkt, und was er durch Dich zu tun vorhat? .. .Überwinde also das Böse mit Gutem und rüste Dich und Deine Bürge mit Güte, indem Du den Standpunkt des sogenannten strengen, harten Rechtes aufgibst,…. Und ich habe Deine Sache energisch genug  verfochten, sodass Hoffnung besteht, es werde schließlich alles mit Christi Hilfe besser werden. In ihm lebe wohl und bitte für mich sündigen Menschen!“

Ich finde den Briefschluss übrigens bemerkenswert.

Tatsächlich hat Luther sich für Herman verwendet (bei dem Joachimsthaler Berghauptmann Heinich von Könneritz und seiner Frau  Barbara von Breitenbach, die der luth. Lehre zuneigen), und seine Fürsprache muss Erfolg gehabt haben: Herman bleibt auf dieser seiner ersten Stelle bis in hohe Alter. Leider sind Einzelheiten seines Lebenslaufs nicht bekannt. Er heiratet und gründet einen Hausstand. Die Namen seiner Töchter Sibylla und Dorothea werden genannt, nicht aber der seiner Frau; ein Sohn Moses erwirbt später den Magistergrad.  - Nikolaus Herman versieht sein Schulamt zeitlebens in untergebener Rolle als zweiter Lehrer, aber in großer Treue. 1532 bekommt er Anerkennung und Unterstützung vom neuen Rektor der Lateinschule Johannes Mathesius, und die beiden werden auch zu Freunden.

Nikolaus Hermans Beitrag zum geistlichen Singen ist in seinen beiden Sammlungen von 1560 und 1562 zusammengefasst. Herman schrieb Erzähllieder zu allen sonntäglichen biblischen Predigttexten: Das erste Buch DIE SONNTAGS EVANGELIA ÜBER DAS GANZE JAHR enthält 101 Lieder und zwei Reimgedichte.

 

Wir singen nun von seinem Lied „Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich“ die ersten drei Strophen (27, 1-3)

 

1. Lobt Gott, ihr Christen alle gleich / in seinem höchsten Thron,

der heut schließt auf sein Himmelreich / und schenkt uns seinen Sohn /

und schenkt uns seinen Sohn.

 

2. Er kommt aus seines Vaters Schoß / und wird ein Kindlein klein,

er liegt dort elend, nackt und bloß / in einem Krippelein / in einem Kr….

 

3. Er äußert sich all seiner G´walt / wird niedrig und gering

und nimmt an eines Knechts Gestalt / der Schöpfer aller Ding / der Sch….

 

4. Er wechselt mit uns wunderlich: / Fleisch und Blut nimmt er an

und gibt uns in seins Vaters Reich / die klare Gottheit dran / die klare…

 

5. Er wird ein Knecht und ich ein Herr / das mag ein Wechsel sein!

Wie könnt es doch sein freundlicher, / das herze Jesulein / das herze…

 

6. Heut schließt er wieder auf die Tür / zum schönen Paradeis;

der Cherub steht nicht mehr dafür / Gott sei Lob, Ehr und Preis, / Gott…

Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht, aber dieses fast 500 Jahre alte Lied gehört für mich zu Weihnachten dazu. Es ist ja auch eingängig – dadurch dass Herman die Kinder im Blick hatte, formuliert er so, dass man sich seine Lieder gut merken kann.

Die erste Strophe ist eine Aufforderung an alle Christen, Gott zu loben. Denn „er schließt heut auf sein Himmelreich und schenkt uns seinen Sohn“. Weihnachten ist für Herman der offene, besser noch geöffnete Himmel. Die erste und die letzte Strophe rahmen das Lied. In der 6. Strophe heißt es: „Heut schließt er wieder auf die Tür / zum schönen Paradeis, / der Cherub steht nicht mehr dafür (davor), Gott sei Lob, Ehr und Preis.“ Der Cherub bewacht ja als Wächterengel nach dem Sündenfall und der Vertreibung der ersten Menschen das Paradies. Damit begann der Weg der Menschheit in die Gottesferne. Doch Gott schenkt seinen Sohn – er kommt aus der Sphäre des göttlichen, liebenden Vaters:„Er kommt aus seines Vaters Schoß“( 2. Str.).Er tritt in unser Schicksal ein und verändert es total. Die Pforten zur himmlischen Geborgenheit sind nicht mehr verschlossen; kein Wächterengel mit drohendem Schwert verstellt mehr den Zugang. Das fordert uns zum Lob heraus.

Die Melodie, die Herman selbst gemacht hat, unterstreicht seine Worte. Der fröhliche, jubelnde Charakter kommt durch das strahlende F-Dur zur Geltung. Die Melodie hat den Charakter eines Volksliedes, ja Kinderliedes: Rezitierende Silben auf einem Ton, wie es zu einem Erzähllied gehört, vor allem eine wie ein Echo wiederholende Schlusszeile, die die wesentlichen Kernsätze betont. Tanzrhythmen schwingen mit. Tatsächlich hat er die Melodie schon 1554 zu einem „Christlich Abendreihen“, also einem Reigen verwendet.

In der 2. Strophe wird anschaulich beschrieben, wie Jesus, von Gott kommend, uns Menschen gleich wird: „nackt und bloß“ , „in einem Krippelein“. In der 3. Strophe greift Herman dann die Theologie auf, die Paulus im Brief an die Philipper (im sog. Philipperhymnus) so ausdrückt:  

„Er (Jesus Christus), der in göttlicher Gestalt war,

hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,

sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an,

ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.“

Bei Herman: „Er äußert sich all seiner G´walt, wird niedrig und gering, und nimmt an eines Knecht Gestalt, der Schöpfer aller Ding.“ Im Zusammenhang mit der zweiten Strophe wird hier Jesus (!) als Schöpfer bezeichnet. Vielleicht haben Sie sich beim Singen auch schon mal darüber gewundert. (Im Glaubensbekenntnis haben wir ja gerade Gott, Vater als Schöpfer bekannt.) Dass Jesus schon bei der Schöpfung war, wird im Kolosserhymnus ausgedrückt:  In Kol 1,15 heißt es: „Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung.  Denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und Unsichtbare (…)“ – Jesus hat von Anfang an zu Gott dazugehört, das kommt hier zum Ausdruck.

 

In Strophe 4 und 5 greift Herman Luthers Ausdruck vom „fröhlichen Wechsel“ und „seligen Tausch“ auf: „Er wechselt mit uns wunderlich: Fleisch und Blut nimmt er an“.  Jesus ist menschlich und göttlich, Mensch und Gott zugleich – diesen schwer vorstellbaren Glaubensgrundsatz versucht sowohl der Philipperhymnus als auch Herman zu beschreiben:  „Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern wurde den Menschen gleich“  heißt es in Philipper 2.

„Fleisch und Blut nimmt er an und gibt uns in seins Vaters Reich die klare Gottheit dran“ heißt es bei Herman.

Und in der 5. Strophe ist der Wechsel dann ganz persönlich, in der Ich-Form: „Er wird ein Knecht und ich ein Herr; das mag ein Wechsel sein!“ – Gott selbst hat sich zu unserem Diener gemacht, sich für uns erniedrigt – damit wir Heil und Leben haben. Er ist für uns zum „herzen Jesulein“, zum Krippenkind geworden, das feiern wir in der Weihnachtszeit.

 

Liebe Gemeinde, Herman hat sich in den Dienst Jesu gestellt und hat sich Jesus als Vorbild genommen. In alten Akten heißt es von ihm: „Erstens: Er ist den Kindern ein Kind gewesen und geblieben um Jesu Christi willen, welcher das A und das O (…) in seiner Schule war, sodass alle Kinder zwischen diesem Kinderfreund saßen.

Zweitens: Er hat ein großes Ziel in seiner Schule vor Augen gehabt, nämlich seinen Kindern den Fels zu zeigen, an welchem die Kleinen und Großen ihren Anker anlegen und sicher in Sturm und Wetter wohnen können.“  - Ich finde das ein schönes Bild: Gedichtete frohe Botschaft, gereimtes Evangelium in Weihnachts- oder Osterliedern, in Morgen- und Abendliedern als Fels, an dem man sicher ankern kann. Für Dietrich Bonhoeffer etwa waren im Gefängnis  neben Bibelstellen die Lieder ein ganz wichtiger Fels, etwas, was ihn in der Haft stärkte. Er schreibt in „Widerstand und Ergebung“, dass er sich Lieder aufsagte. Und auch für uns kann Gedichtetes und Auswendiggelerntes wichtig  und tröstlich sein, manche von uns haben das schon selbst erfahren.

„Drittens“ heißt es von Herman: „Er hat gemeint ein betendes Volk sei das beste auf Erden, und der Schulmeister der beste, der dem Apostel Paulus an die Seite treten könne, da er schreibet: `Wir aber haben Christi Sinn.´ (1.Kor 2,16)“.

Das ist das Vermächtnis von Nikolaus Herman: Er gestaltet Text und Melodie kindgemäß  - und ist deshalb auch für Erwachsene so gut zu verstehen – er verkündigt in Erzähl- und Feierliedern und hat Gebetsstrophen für verschiedene Anlässe geschrieben.

Lassen Sie uns nun die Strophen 4-6 vom Lied 27 singen. Die letzte Strophe endet so, wie die erste beginnt: Mit dem Lob Gottes.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsre Vernunft, wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.

Amen.

 

EG 27, 4-6



Autor: Kapp-Kleineidam