Osterspuren

1. Kor. 15,12-20


Liebe Festgemeinde,

 

I. Durch den Geburtskanal

 

Um Ostern zu finden, lohnt es Spuren aufbrechenden Lebens zu suchen.

Bei Ostern muss ich an neues Leben denken. Die Blumen brechen sich eine Bahn durch die winterliche, verhärtete Erde, zarte Blätter sprießen aus dem harten Holz der Äste. So kann man es auch auf dem Landesgartenschaugelände beobachten, das am 22. April 2016 seine Tore öffnet. Zugvögel von Süden nach Norden kreuzen unseren Breitengrad. Die Natur füllt sich mit neuem Leben.

Eine Osterspur ist für mich ganz persönlich die Geburt meiner ältesten Tochter. Es war ein kalter Tag des 23. Dezembers 1994. Mitten in der Nacht setzten die Wehen meiner Frau ein und weckten mich. Irgendjemand hatte in ein schlaues Geburtsvorbereitungsbuch geschrieben: Jetzt nur Ruhe bewahren und vor der Geburt gelassen sein, es ist meist ein Fehlalarm. Kopflos wie ich war, musste ich mich also noch unbedingt in aller Ruhe rasieren, wollte noch einen Kaffee trinken, Zeitung lesen und schon mal die Liegeschale für ´ s Baby einpacken, während meine Frau eigentlich nichts anderes im Sinne hatte, als möglichst schnell ins Krankenhaus zu kommen. Als meine Frau sagte, es wäre höchste Zeit, wurde mir endlich klar: Es war kein Fehlalarm. Sagte mir meine Frau schon die ganze Zeit, aber wir Männer halt… Die Liegeschale musste freilich trotzdem unbedingt mitgenommen werden, obwohl auch das noch Tage später nach der Geburt genügt hätte. Doch dann ging es schnell durch die vereisten Straßen von München. Das neue Leben wollte mit Macht durch den Geburtskanal zur Welt kommen.

 

II. Ein Ereignis das völlig verändert

 

   Als werdender Vater darf man ja heute bei der Geburt dabei sein. In verschiedensten Büchern wird man über die Phasen der Geburt informiert: Da gibt es die Eröffnungsphase, die Übergangsphase und was weiß ich alles für Phasen. Man bekommt auch als Vater gesagt, was man in den einzelnen Phasen zu tun oder zu lassen hat. Vieles davon mag hilfreich sein und ist es auch gewesen; doch können logische Erklärungen biologischer Abläufe auch hinderlich sein, das Eigentliche zu erfassen und zu erfahren, nämlich dass die Geburt ein Geschenk ist, ein Zeichen neuen Lebens, eine Osterspur und nicht nur ein rationales Geschehen, aufgegliedert in viele logisch nachvollziehbare Phasen. Ja es ist ein Ereignis, das mich selbst völlig verändert hat: Ich war auf einmal Vater. Frauen mögen vielleicht bei Geburt eher an Karfreitag denken. Aber - heute predigt ja ein Mann und manche Mutter, die es bei der Geburt sehr schwer hatte möge es mir nachsehen - die Geburt meiner Kinder war ein richtiges Stück Osterfreude. Ich verstand damals erst, wenn ältere Männer mit schwimmenden Augen erzählt haben: Meine Frau hat mir zwei Kinder geschenkt.

So wie sich manch einer an den aufbrechenden Blumen erfreut oder der Frühling dem Herzen Auftrieb gibt, so erfreue ich mich noch heute an den Geburtstunden meiner Kinder – von der Geburt meines Sohnes und meiner Zwillinge erzähle ich besser ein andermal.

 

Nicht nur von einer Osterspur, nicht nur von einem Stück Ostern, sondern von Ostern selbst weiß Paulus zu berichten. Er tut dies im 1. Brief an die Korinthische Gemeinde im 15. Kapitel. Ich lese die Verse 12-20:

 

(12) Wenn aber Christus gepredigt wird, dass er von den Toten auferstanden ist, wie sagen da einige unter euch: Es gibt keine Auferstehung von den Toten? (13) Wenn es aber keine Auferstehung von den Toten gibt, ist auch Christus nicht auferstanden; (14) Wenn aber Christus nicht auferstanden ist, ist auch unser κηρυγμα (unsere Verkündigung, unsere Predigt) vergeblich, ist euer Glaube leer; (15) wir würden als falsche Zeugen Gottes gefunden werden, weil wir gegen Gott bezeugt hätten, er hätte Christus auferweckt, den er gar nicht auferweckt hätte, wenn doch die Toten nicht auferstehen. (Wie manche von euch sagen).

(16) Denn wenn die Toten nicht auferstehen, ist Christus auch nicht auferstanden; (17) wenn aber Christus nicht auferstanden ist, ist euer Glaube unnütz, so seid ihr noch in euren Sünden. (18) Wenn wir in diesem Leben auf Christus allein gehofft haben, sind wir die bemitleidenswertesten unter allen Menschen.

(20) Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter den Entschlafenen.

 

III. Was ist eine Illusion: Sicherheiten oder Auferstehung?

 

   Diese Satzfolgen sind einem logischen Kettenschluss nachempfunden. Die Sache hat nur einen Haken: Alles hängt an der Auferstehung Christi. Nun, die kann man glauben oder auch nicht – wie wohl auch einige Korinther ein Leben nach dem Tod für unwahrscheinlich hielten.

   Paulus bezeugt dieses neue Leben, das Christus nach seiner Kreuzigung erfahren hat. Er ist dem Auferstandenen begegnet, so berichtet er an anderer Stelle und so erzählt es auch die Apostelgeschichte des Lukas. Wie immer dieses so genannte Damaskusereignis geschehen sein mag, wo der Auferstandene Paulus erschienen ist, das WIE dieser Erscheinung ist Paulus – anders als dem Lukas – nicht wichtig. Wichtig war ihm, dass es ein Ereignis war, das ihn völlig verändert hat. So ähnlich wie mich die Geburt meiner ersten Tochter zum Vater gemacht hat, so ist der jüdische Saulus zum christlichen Paulus geworden. Er spricht so selbstverständlich von diesem Erlebnis, dass er auf eine genaue Erklärung oder Beschreibung verzichtet, was uns heutigen Menschen vielleicht fehlt. Der Apostel versucht in unserem Predigttext seiner Gemeinde zu erklären, was alles an diesem Glauben an Auferstehung hängt, die wir ja auch vorhin beim Glaubensbekenntnis bekannt haben. Von der Auferstehung hängt die Glaubwürdigkeit jeder Predigt ab. An der Auferstehung hängt die Glaubwürdigkeit des christlichen Zeugnisses. Die Predigt von der Auferstehung lässt auch hoffen, dass der Schöpfer uns durch den Geburtskanal des Todes tragen wird.

Ja, Paulus geht noch weiter: wenn die HOFFNUNG auf ein Leben nach dem Tod in diesem Leben alles war, wenn es nur Hoffnung ist, wozu sollte man dann ein christliches Leben führen, wenn es keine Auferstehung tatsächlich gibt? Wir wären dümmer, als die, die von dem Gekreuzigten noch nie etwas gehört haben.

   Vielleicht erklärt in unseren Tagen ein tiefsitzender Unglaube gegenüber der Auferstehung die große Gier nach etwas angeblich solidem wie Geld, Gold oder Immobilien. Es ist der Zweifel an dem österlichen Geschehen, der die Sucht nach angeblichen Sicherheiten befördert. Ist die Auferstehung nur eine Illusion? Wie schnell Sicherheiten durch internationale Krisen oder persönliches Unglück ins Wanken geraten können, wissen wir im Grunde. Was ist da eigentliche eine Illusion? Der Glaube an die Auferstehung oder der Glaube an die Sicherheit materieller Güter?

 

IV. Zweifel am Tod als dem Endpunkt

 

   Paulus spricht gegenüber der Sehnsucht nach Sichheit nicht nur von einer Hoffnung auf Auferstehung. Er sagt: „Christus ist auferstanden.“ Das ist geschehen. Für ihn nicht nur eine Hoffnung, sondern eine Erfahrung, ein Ereignis. Eine unerschütterliche Überzeugung spricht sich in ihm angesichts von Krisen, Unglück und dem Tod aus. Was will Paulus? Man könnte sagen, der Apostel möchte einen grundlegenden Zweifel säen, und zwar einen Zweifel an dem Glauben, dass mit dem Tod alles aus sei. Zweifeln wir doch einmal mit Paulus an der scheinbar unerschütterlichen Endgültigkeit des Todes. Zweifeln wir mit dem völlig verwandelten römischen Bürger aus Tarsus, dass die Gräber unsere Endstation wären. Halten wir doch das Leben selbst - Gott - für echt und bleibend.

 

V. Durch Osterspuren dem Leben auf der Spur

 

   Das Leben selbst legt so viele Spuren neuen Lebens: Seien es die Blumen nach langem Winter, die sich durch die harte Erde farbenprächtig entfalten. Sei es das frische Grün, das die Blätter des vergangenen Herbstes verdrängt. Sei es ein buntes Osterei, das den Aufbruch neuen Lebens symbolisieren will. Oder sei es die Geburt eines Kindes, das einen gewiss werden lässt, es verändert sich noch etwas in meinem Leben. Ich werde verändert. Lassen Sie mich an dieser Stelle innehalten. – Es ist schon so, dass wir oftmals keine österlichen Gefühle haben. Statt Hoffnung  tragen wir Trauer im Herzen. Statt Glauben ist da Leere, ungestillte Sehnsucht und Schmerz. Und wir merken, dass wir von uns aus an diesen Gefühlen nichts verändern können. Paulus spricht aber davon, dass Gott den Gekreuzigten als Christus erweckt hat, dass er gehandelt hat. Wie er als Schöpfer schon diese Welt geschaffen hat, wird er auch eine verdorrte Seele wieder zum Leben erwecken, es auch in meinem und Deinem Herzen Ostern werden lassen. Es ist nicht alles fest gefahren, sinnlos und leer. Ostern schenkt uns den Glauben, dass alles neu wird, wie bei der Geburt eines Kindes.

Um Ostern zu finden, lohnt es Spuren aufbrechenden Lebens zu suchen. Suchen wir doch diese Osterspuren, damit wir dem Leben selbst auf die Spur kommen und verwandelt werden zu einem neuen Leben im Übergang von dieser in eine andere Welt. Amen.

Und der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne im österlichen Herrn. Amen.



Autor: Pfarrer Martin Kleineidam