Was droben ist

Osternachts-Predigt über Kolosser 3, 1-4


Liebe Osternacht-Gemeinde,

wir feiern die Auferstehung von Jesus Christus, die wir mit der Vernunft nicht fassen können. Viele haben seit damals versucht, mit Worten und Bildern sich diesem Geheimnis des Glaubens zu nähern. Einer davon ist August Riedel, der vor knapp 200 Jahren das Bild des Auferstandenen an unserem Altar gemalt hat (Sie haben es auch auf dem Programm vorne). Riedel hat den Auferstandenen als Erhöhten gemalt, der zur Rechten Gottes sitzt auf einem mächtigen Thron. Wie es im Ps 110 heißt: „Der HERR/Gott sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache.“ Wir sehen den Schemel – der letzte Feind ist hier wohl der Tod. Christus ist noch von Grabestüchern umgeben, hinter ihm das Licht der aufgehenden Sonne bzw. einer anderen Welt, der rechte Arm zur Herrschafts- bzw. Segensgeste erhoben und in der linken Hand hält er das rote Siegesfähnchen.  

Unser Predigttext spricht auch von Christus, der zu Rechten Gottes sitzt, und er setzt uns Christen gleichzeitig in Beziehung zum Auferstandenen. Ich lese Kol 3,1-4:

Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.

Der Kolosserbrief, der wohl zwischen 70 und 80 n. Chr. geschrieben wurde, ist zwar nicht von Paulus selbst, knüpft aber an den großen Apostel an. Zum Beispiel an die Stelle in Röm 6, die wir gerade vorhin zur Tauferinnerung gehört haben: An die bildliche Vorstellung, dass mit der Taufe der alte Mensch gestorben und begraben ist und durch die Taufe ein neuer Mensch mit Christus auferstanden ist. Röm 6,4: „So sind wir mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit – wie Christus auferweckt ist von den Toten (…) auch wir in einem neuen Leben wandeln.“

In der Sprache des Kolosserbriefs: „Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist.“ – „Mit Christus auferstanden“ meint also, nicht mehr im alten, sondern im neuen Leben sein. Damit hängt zusammen die Suche nach dem „Droben“, dem Himmel, dem Reich Gottes, das legt der Briefschreiber den Kolossern – und auch uns - ans Herz. Ein Irrweg wäre nun die vollkommene Weltflucht, einseitig wäre es, nur in Gebet, Meditation oder Mystik aufzugehen. Ebenso wäre es zu kurz gegriffen, wenn sich der Glaube nur auf die Innerlichkeit beschränkte. Wenn also nur meine Beziehung zu Jesus wichtig ist, nicht auch noch das, was sich aus dieser Beziehung für mein Leben im Hier und Jetzt ergibt.

Nein, das ist nicht in Jesu Sinn, wenn man alle Zeugnisse von ihm betrachtet. (Ihm ging es zu seinen Lebzeiten nicht nur ums „droben“.) Natürlich betete Jesus zu seinem Vater im Himmel; doch ein wichtiger Teil seiner Verkündigung war Gottes Reich, das schon hier und jetzt auf Erden beginnt („Das Reich Gottes ist mitten unter euch“, Lk 17) und sich ausbreitet – und ausgespannt ist bis nach droben, bis in die Transzendenz oder das Jenseits.

 

Was meint der Kolosserbriefschreiber nun aber damit, dass wir nicht nach dem trachten sollen, was auf Erden ist?  Nun, er meint sicher nicht das beginnende Reich Gottes oder die vielen positiven Dinge, die es hier auf Erden gibt. Er meint das Menschlich-Allzumenschliche. Das beginnt etwa beim Realismus, der oft einfach nur Pessimismus ist – und manchmal sind Menschen pessimistisch und haben keine Visionen, weil das nämlich bequemer ist, als sich Gedanken zu machen oder nach positiven Lösungen für Probleme zu suchen. – Gemeint ist mit „dem auf Erden“ das bei uns Übliche, etwa, dass man im Zweifelsfall doch an seinen eigenen Vorteil denkt, gemeint sind Haltungen wie Geiz, Habgier oder die Angst zu kurz zu kommen gepaart mit Hartherzigkeit; so erleben wir es in letzter Zeit leider von einem Teil der Gesellschaft.  Da werden Augen verschlossen und Herzen verhärtet vor der Not anderer. Gemeint sind mit dem, wonach wir nicht trachen sollen, wohl auch Rachegedanken, Hass und Gewalt.

Doch Jesus war anders – wir haben es in den letzten Tagen bei seiner Leidensgeschichte bedacht. Er war menschlich, aber eben nicht allzumenschlich, sondern vielmehr göttlich, Gottes Sohn – und deshalb ist er jetzt auch „droben“, erhöht und an der rechten Seite, der Ehrenseite Gottes: Sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. – Er hatte keine Angst, zu kurz zu kommen, er hatte einen Blick für die Not anderer und half ihnen in vielfältiger Weise, Habgier war ihm fremd, Hass begegnete er mit Liebe. Jesus vereinte beides: Spiritualität, Beten und innige Verbundenheit mit seinem himmlischen Vater und  die praktische und helfende Liebe, mit der er Gottes Reich unter die Menschen getragen hat.

Sucht, was droben ist, wo Christus ist. Liebe Ostergemeinde, ich finde,  Christus ist für uns wie ein Kompass, oder wie ein Navi, eine App, die einen ans Ziel bringt.

Wohin wollen wir? – Es geht um eine Richtungsentscheidung, darum, wonach man suchen soll (abgesehen von den Ostereiern oder Osternestern heute). Woran sollen wir uns ausrichten? Ja, in welcher Perspektive sehen wir die Welt?

Wenn man die sogenannte Realität auf das reduziert, was man mit den Augen sieht oder auch mit den anderen menschlichen Sinnen wahrnehmen kann, und darauf, was man naturwissenschaftlich beweisen kann, dann tut man sich mit dem auferstandenen Christus möglicherweise schwer. Aber wenn wir das suchen, was „droben“ ist, dann vermuten wir, dass es noch mehr gibt als das für uns Sichtbare, dass es eine andere transzendente Wirklichkeit jenseits gibt. Man kann es Himmel nennen, Reich Gottes, wo Jesus Christus zur Rechten Gottes sitzt. All das sind unzureichende Worte und vorläufige Bilder – wir können nur versuchen, uns an das Geheimnis Gottes heranzutasten.

Aber als Getaufte haben wir eine Beziehung mit Christus. In unserem Text ist das Sein mit ihm betont. Gleich zu Beginn heißt es eben: Wir sind mit ihm auferstanden: aufgrund der Taufe als geistlicher, neuer Mensch. Wir sind mit Christus verborgen in Gott, heißt es weiter. Und im 4. Vers schließlich: Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.

Wir sind schon jetzt mit ihm und dürfen das auch für die Zukunft erhoffen, sagt der Briefschreiber – das vergewissert und stärkt uns einerseits, und andererseits weist es uns nochmal auf Christus, der uns als Kompass, App oder Navi die Richtung anzeigt. Wir haben die Freiheit, selbst zu entscheiden, in welche Richtung wir wollen, nach was wir trachten. In etwas anderen Bildern sagt das die kurze Geschichte von den zwei Wölfen:

Eine alte Indianerin saß mit ihrer Enkelin am Lagerfeuer. Es war schon dunkel geworden, das Feuer knackte, die Flammen züngelten zum Himmel.

Die Alte sagte nach einer Weile des Schweigens: „Weißt du, wie ich mich manchmal fühle? Es ist, als ob zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen würden. Einer der beiden ist rachsüchtig, rücksichtslos und aggressiv. Der andere ist liebevoll, sanft und mitfühlend.“

Welcher der beiden wird den Kampf um dein Herz gewinnen?“ fragte das Mädchen.

Bedächtig antwortete die Alte: „Der, den ich füttere“.

 

Der Kolosserbrief empfiehlt, nicht den bösen Wolf zu füttern, sich nicht am Allzumenschlichen auszurichten, sondern das Liebevolle, Sanfte und Mitfühlende in uns stark werden zu lassen, das wofür in besonderer Weise Jesus Christus einstand und steht.

Indem wir uns immer wieder an unsere Taufe erinnern, waschen wir das Böse ab, begraben wir das, was uns von Gott trennt und suchen ein neues Leben. Der zweite Vers vom Osterlied „Wach auf, mein Herz, die Nacht ist hin“ (das wir gleich singen), drückt das so aus:

Steh aus dem Grab der Sünden auf / und such ein neues Leben,/

vollführe dienen Glaubenslauf / und lass dein Herz sich heben /

gen Himmel, da dein Jesus ist / und such, was droben, als ein Christ,/

der geistlich auferstanden.

 

Liebe Ostergemeinde, unser Altarbild mit dem auferstandenen Christus strahlt uns in warmen Farben entgegen. Das Gelb und Orange der aufgehenden bzw. jenseitigen Sonne, und das Rot in der Siegesfahne, Rot – die Farbe der Liebe. Sein Strahlen möge uns auf unserem Weg erleuchten.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

 

 

 

 

 

 



Autor: A.-K. Kapp-Kleineidam