"Komm und erleuchte Herz und Verstand"

1. Timothes,2, 1-6


So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, dass dies zu seiner Zeit gepredigt werde.

 

Liebe Gemeinde,

eine so durch und durch schmutziges Geschäft kann die Politik doch nicht sein, wenn selbst der Apostel nicht nur zu Bitten und Fürbitten für die Regierung aufruft, sondern sogar zur Danksagung. In die Fürbitten kann man ja so manche Kritik hineinverpacken, nach dem Motto: lass die Politiker doch endlich zur Vernunft kommen. Was dann meistens bedeutet: sie sollen genauso denken und entscheiden, wie es der Pfarrer oder wer da sonst betet für richtig hält, also zum Beispiel Atommeiler abschalten oder die Grenzen nicht dicht machen gegen Flüchtlinge, wie es Österreich gegenwärtig tut. Abgesehen davon, dass ich das Gebet nicht als den geeigneten Ort für politische Auseinandersetzung halte. Beim Beten geht es nicht darum, in einer Gemeinde und im Gottesdienst zu verkünden, was richtig und was falsch ist. Und Gott würde es sich wohl verbieten, ihn für unsere politischen Meinungen und Interessen einzuspannen. Das „Gott mit uns“ war eben nicht nur auf den Koppelschlössern der deutschen Wehrmachtssoldaten falsch, als man meinte, Gott müsse auf Seiten der Deutschen stehen. Es wird auch falsch, wenn man ihn so hundertprozentig auf seiner Seite weiß, wenn es um eine heutige politische Option geht. Es ist eben ein Unterschied, um Frieden zu bitten, oder darum, dass er die Waffen gegen den IS segne und den Bombenangriffen Erfolg gebe. Wer Fürbitten für Politiker und andere Verantwortungsträger formuliert, muss sich das genau überlegen. Worum bitte ich Gott, wo kann die ganze Gemeinde zustimmen und innerlich oder laut und deutlich das „Herr, erhöre uns“ mitsprechen. Wenn Gott zum Unterstützer und Parteigänger einer politischen Meinung gemacht werden soll, oder wenn gar ein Politiker oder eine Partei in der Bitte verurteilt wird, dann ist das zumindest gefährlich, besonders in einem demokratischen Staat, wo es eben verschiedene Überzeugungen gibt, wie z.B. Frieden geschaffen und bewahrt werden kann oder wie Flüchtlinge am besten integriert werden können.

Also, bitten soll man nach der Bergpredigt ja auch für seine Feinde. Und beim Vaterunser könnte man beim „erlöse uns von dem Übel“ manchmal sogar an Menschen denken. Aber Danksagung, danken für die da oben, die Stadträte und die Bürgermeister, die Abgeordneten und die Regierungen; danken, nicht nur für die Parteigänger oder die Sympathischen, sondern – so verstehe ich den Timotheusbrief – für alle, kraft Amtes. Dann kann die Politik doch nicht nur ein schmutziges Geschäft sein, von dem sich anständige Leute fernhalten sollen. Oder, wie fromme Christen früher oft geantwortet haben, wenn wieder einmal Wahlen anstanden: Ich wähle das kleinste Übel. Heute gehen viele überhaupt nicht mehr zur Wahl. Oder die Protestwähler erreichen Rekordergebnisse, weil den Herrschenden nur das Allerschlechteste unterstellt wird. Da wird Wut kultiviert und geschürt, ohne dass irgendwelche brauchbaren Alternativen zu ahnen wären. Danksagung ist so ziemlich das Gegenteil eines Wutbürgertums, auch wenn das Danken für die Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu tragen und für die rechtsstaatliche Ordnung auf keinen Fall Kritik ausschließt.

Ich habe den Eindruck, dass sich auch der Apostel nicht so leicht tut mit seiner Aufforderung, dass man vor allen Dingen für die Könige und Obrigkeiten beten soll. Vor allen Dingen, also das Gebet für die Politiker und anderen Verantwortlichen nicht nur unter anderem, so unter „ferner liefen“, sondern „vor allen Dingen“, an erster Stelle. Nicht nur, dass das Priorität haben soll, sondern in welchem Geist es geschehen soll: mit Dankbarkeit. Heute am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, den die Sozialisten und die Gewerkschaften erkämpft haben, könnte das anleiten, dafür Gott zu danken, was diese Gewerkschaften erkämpft haben. Die Kirchen fühlten sich früher meist auf Seite der „Obrigkeit“, der Herrschenden, auch der Grund- und Fabrikbesitzer und kämpften mit ihnen gegen die Arbeiterbewegung. Sicherlich förderte diese Parteinahme der Kirchen für die da oben auch die atheistischen und kirchenkritischen Elemente in dieser Bewegung. Wir leben aber nicht in einem Obrigkeitsstaat, sondern in einer Demokratie, in der Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen; auch wenn wir uns über Streiks mit ausgefallene Zügen und geschlossenen Kindergärten ärgern.

Aber eigentlich wollte ich darauf hinaus, dass der Apostel wohl einige Mühe hatte, seine Mitchristen zu überzeugen, dass sie Gott für ihre Regierung danken sollen. Man merkt das daran, wie weit er ausholt und wie gezielt er ansetzt, damit seine Argumentation trifft und überzeugt. Gerade im römischen Reich damals, in einem „heidnischen Staat“, der bald die Christen verfolgen würde, lag es vielen Christen völlig fern, für den Kaiser in Rom oder seine Statthalter in der Provinz, für die Polizei und die Soldaten auch noch zu danken. Wenn schon nicht in den Widerstand gehen, so doch lieber ins Ghetto; mit all diesen schmutzigen Geschäften nicht zu tun haben; sein eigenes Leben anständig und fromm führen, in der Gemeinde Gottesdienst feiern, irgendwo unbemerkt in der Nische, nach dem Motto: tu mir nichts, ich tue dir auch nichts; und sich eben nicht die Finger schmutzig machen. Genau so begründet der Apostel seinen Aufruf zum Dank für die Politiker: damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.

Dafür soll die Politik die Rahmenbedingungen schaffen. Das ist der positive Aspekt von „Sicherheit und Ordnung“: den Lebensraum zu schützen, dass sich das Leben entfalten kann; dass die Menschen auch ihre Religion leben können, beten, zum Gottesdienst zusammenkommen. Syrische oder iranische Christen z.B., die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, wissen das zu schätzen, dass sie in eine Kirche gehen können ohne Angst. Der Apostel schreibt: Gott will, dass allen geholfen wird und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Ich sehe darin zwei wichtige Aufgaben des Staates; Aufgaben, die er im Sinne und Auftrag Gottes tut: dass allen Menschen geholfen wird. Darin sehe ich den Sozialstaat begründet: allen soll geholfen werden, keiner soll unter die Räder kommen; alle sollen zum Arzt gehen können und die nötigen Medikamente bekommen; alle sollen genug zum Essen haben und eine Zeitung lesen oder Fernsehen können; alle Kinder sollen Chancen auf Bildung haben; und die Schwächeren brauchen umso mehr Unterstützung und Förderung. Dafür kann der Sozialstaat sorgen.

Was er nicht kann, ist das Zweite: dass alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Für uns Christen hat diese Wahrheit einen Namen: Jesus Christus. Hier wird er der Mittler zwischen Gott und Menschen genannt, der sich selbst geben hat für alle zur Erlösung. Und damit, liebe Gemeinde, komme ich nun endlich über alle Politik und Staatstheorie zur Kantate. Sie besingt eben nicht diese Rahmenbedingungen, nicht die Strukturen und Ordnungen, die äußeren Gefäße, die auch notwendig sind und die manchmal sogar die Form von Gesetzen und Paragraphen annehmen müssen. Die Kantate besingt, was in diesen Kanälen fließen soll: Gottes Geist und Gottes Liebe.

Ich nehme dies als zweiten Beitrag zum Thema des Sonntags: Rogate, betet. Der erste war diese Ermahnung, für diesen äußeren Lebensrahmen zu bitten und für alle, die für ihn Sorge tragen, für alle Wohlfahrt und allen Wohlstand, für den äußeren Frieden. Der zweite Gebetswunsch richtet sich nun aber nicht mehr aus irgendetwas, worum wir Gott auch noch bitten sollen. Es geht nicht mehr darum, Gott um irgendwas zu bitten, und sei es die Gesundheit oder was im Moment das Allerwichtigste sein könnte. Die ganze Kantate ist ein einziger Ruf: Komm. Jetzt heißt es nicht: Gib, sondern: komm. Nicht: schick mir irgendetwas, so wie Janis Joplin einst sang: O Lord, won´t you buy me a Mercedes Benz“, ein Mercedes, weil die Freunde alle Porsche fahren, ein Farbfernseher dazu, und alles als Liebesbeweis: Prove that you love me und buy the next round – beweis mir deine Liebe und bezahle die nächste Runde.

Um Liebe geht es auch in der Kantate, aber nicht in Form materieller Liebesbeweise, sondern mit dem Ruf „Komm, komm selbst“. So ist es eben in der Liebe. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, manchmal auch größere. Aber sie sind eben nur Zeichen, Ausdruck der Freundschaft und Liebe. Der eigentliche Wunsch ist: Komm! Zuerst ist es, wie wenn ein König einzieht, der König der Ehren, wie im Advent, wo der große Gast mit einem Stall vorlieb nehmen muss. Wie der Stall mehr einer schäbigen Baracke gleicht als einem herrschaftlichen Schloss, so bietet unsere „Herzenshütte“ keinen geeigneten Wohnraum für Gott. Aber er lässt sich nicht nur erbitten, einzuziehen, sondern klopft selbst an die Herzenstür.

Komm, das ist die Bitte der Pfingstlieder: Komm, o komm du Geist des Lebens, oder wie in der Arie sehr poetische ausgedrückt: komm, du süßer Himmelswind, wehe durch den Herzengarten. Ein frischer, erfrischender Wind, der die stickige, abgestandene Luft wegbläst. Der Heilige Geist, nicht nur neben der Luft das Allerwichtigste zum Atem, sondern selbst Frischluftzufuhr Gottes, für das Gehirn und für das Herz. So bitten wir vor jedem Gottesdienst: Komm, Heiliger Geist mit deiner schöpferischen Kraft, mit deiner Kreativität. Nicht nur, wie es Sprayer an Betonwände schreiben: „O Gott, schmeiß Hirn runter!“, sondern komm selbst als Geist, der unserem Geist auf die Sprünge hilft.

Das Duett wird zum Liebeslied, wie es Bach aus den Opern kennt, was ihm ja den Vorwurf einbrachte, zu viel Opernhaftes in die Kirche zu  bringen. Und so klingt es wie Liebesgeflüster: Liebste Liebe, die so süße aller Wollust Überfluss. Ich vergeh, wenn ich dich misse.“ Die schmachtende Sehnsucht wird erlöst durch den Gnadenkuss. So klingt das „komm“ schon fast wie das des Liebespaares im Moment innigster Vereinigung.

Vielleicht ist das nicht eines jeden Art, seinen Glauben auszudrücken, so in der Tradition der Jesusminne, wo das mit dem Bräutigam ganz ernst genommen und gefühlvoll ausgemalt wird. Vielleicht liegt manchem diese nüchternere Bitte „Komm, heiliger Geist“ näher. Das Gebet hat ja so viele Facetten und Spielarten, so dass jeder das finden kann, was besser zu ihm passt. Worum wir aber Gott bitten, und seien es sehr handfeste und manchmal auch banale Dinge, letztlich geht es darum, dass er selbst zu uns kommt mit seinen Gaben: Komm, Herr Jesu, sei du unser Gast und segne, was du uns bescheret hast. Amen

 

 

 



Autor: Dekan Hans Peetz