Der zündende Funke

Apostelgeschichte 2,1-18


Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein. Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist: ´Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.

 

Liebe Gemeinde,
ein zündender Funke entfacht ein Feuer. Ob das mit Absicht geschieht, wenn mit Feuersteinen Funken geschlagen werden, die das trockene Holz, den Zunder anzünden. Oder ob wie bei einem Waldbrand ein Funke oder die Glut einer Zigarette genügt, den ausgetrockneten Wald in ein Feuermeer zu verwandeln wie zuletzt in Kanada – kleine Ursache, große Wirkung. Solch große Wirkung hat der Zündfunke in einem Motor, wenn das Benzin-Sauerstoff-Gemisch im Zylinder verdichtet wird und vom Funken der Zündkerze zur kontrollierten Explosion gebracht wird. Der Motor springt an und läuft und entwickelt so seine Pferdestärken.

Kleine Ursache, große Wirkung, so wie es im Lied von dem Stein, der ins Wasser fällt und weite Kreise zieht, heißt: ein Funke, kaum zu sehn, entfacht doch helle Flammen. Die Pfingstgeschichte, die Geschichte von der Geburt der Kirche, ist ein besonders Beispiel dafür, wie ein zündender Funke zu einem Flächenbrand führt (Der Vergleich mit dem Brand ist allerdings zu negativ. Es geht nicht um Zerstörung, sondern um diese Ausbreitung). Heute feiern Christen in allen Ländern der Erde das Pfingstfest. Es fing damals in Jerusalem ja auch mit Feuer an. Allerdings nicht mit Funken, die man kaum sieht, sondern mit Zungen, „zerteilt wie von Feuer“. Irgendetwas flackerte über den Jüngern. Dieses irgendetwas, das aussah wie züngelndes Feuer, wird aber gleich bestimmt: er setzte sich auf einen jeden von ihnen – er, der Heilige Geist.

Aber das mit den Zungen ist ein schönes Bild. Feuer züngelt. Ich beobachte das gerne am Kamin oder am Lagerfeuer, dieses Spiel, diese Bewegung und Lebendigkeit in den Farben zwischen gelb, rot und blau. Dazu passt auch der Sturm, das Brausen, das plötzlich das ganze Haus erfüllt, in dem sie versammelt waren. Der Wind, der Sturm entfacht das Feuer, lässt die Zungen tanzen und die Funken sprühen. Doch das mit den Zungen ist nicht nur ein schönes Bild für alle, die gerne am offenen Feuer oder an einer Glasscheibe sitzen und dem Feuer zusehen – manche stellen sich auch einen Bildschirm hin und lassen das Feuer von der DVD abspielen, weil es solch eine beruhigende, ja meditative Wirkung hat. Das Bild von den Zungen finde ich deshalb besonders treffend, weil die Zunge mit Sprache zu tun hat; so sehr, dass Sprache ohne Zunge undenkbar ist, ja dass die Zunge selbst zu einem anderen Ausdruck für Sprache geworden ist, nicht nur im Englischen oder griechischen, sondern etwas altertümlich auch bei uns, wenn wir von Menschen verschiedenster Zungen reden – wie zum Beispiel den Parthern, Meder, Elamitern, Phrygiern oder Pamphyliern, die den armen Lektoren und Lektorinnen am Pfingstsonntag zu Zungenbrechern zu werden drohen.

Der zündende Funke an diesem Pfingsttag, das waren aber die Worte der Apostel, der zwölf Jünger Jesu (wenn es heißt, dass Petrus mit den Elf auftrat, dann ist keine Fußballmannschaft mit ihrem Trainer gemeint). Petrus hält eine zündende Predigt. Sie zündet so sehr, dass sich an dem Tag 3000 Menschen taufen lassen. Ob es alle waren, die zuhörten; ob vielleicht sogar die, die am Anfang lästerten, dass die Jünger doch besoffen sein müssten, „voll des süßen Weins“, wenn sie unverständlich daherlallten mitten am Tag, ob auch die noch eines Besseren belehrt wurden, ist nicht überliefert. Aber 3000 Menschen ging es so ins Herz, dass sie nicht nur betroffen fragten: was sollen wir tun?, sondern dass sie das Wort annahmen, dass sie also glaubten und sich taufen ließen.

Davon träumt vielleicht so mancher Prediger, von solch einer durchschlagenden Wirkung seiner Predigt: nicht nur mehrere Tausend Zuhörer, die herbeigeströmt kommen; zwar nicht, weil sie unbedingt die Apostel hören wollen, sondern weil die seltsame Naturerscheinung sie neugierig gemacht hatte und sie plötzlich die Jünger in ihrer Muttersprache hören wollten. Es lag also zunächst nicht an der Anziehungs- und Überzeugungskraft der Jünger, auch nicht an ihrem rhetorischen Talent, sondern eher an Neugier und Sensationslust, die auch damals genauso verbreitet waren wie heute. Doch dass die Predigt solch durchschlagenden Erfolg hat, dass die Menschen nicht nur zuhören, sondern sich die Worte zu Herzen gehen lassen, ihnen glauben, durch sie an Jesus Christus glauben und zu Christen werden, davon könnte man schon träumen. Das würde dann in die Kategorie einordnen, die der Theologe Manfred Josuttis als den „Traum des Theologen“ beschreibt. Kurz gesagt: Die Gemeinde strömt zum Gottesdienst, hängt an den Lippen des Predigers und liegt ihm zu Füßen.

Auch wenn solche Formen des Allmachtstraums ziemlich illusionär sind, es geschieht auch heute, dass der Funke überspringt; dass Worte zünden wie dieser Funke. Woran liegt das? Woran lag das damals an Pfingsten in Jerusalem? Woran liegt das heute. In der Wirtschaft würde man sagen: Was sind die Erfolgsfaktoren?

Liegt es an der Rhetorik, dass da einer ein Feuerwerk abzieht? Nicht nur ein paar Funken, sondern so ein richtiges Feuerwerk, das wir bewundern in dieser Woche beim Volksfest: Leuchtraketen, Sternenschauer, Glitzerkaskaden, die einen gebannt und mit offenen Mund zum Himmel schauen lassen. Das gibt es. Und ich freue mich auch über solche Feuerwerke, die allerdings häufiger im Kabarett zu hören sind, als in der Kirche. Gerade in unserer evangelischen Kirche hat die Bemühung um eine gute, auch sprachlich gute Predigt eine große Tradition. Und ich bin dankbar für alle, denen das gelingt, dass man ihnen gerne zuhört, die ansprechen, interessieren, vielleicht sogar mitreißen. Ob allerdings die Predigt des Apostel Petrus damals rhetorisch so mitreißend war, bezweifle ich eher. Wir können sie ja nachlesen. Erst einmal fordert er die Leute auf, dass sie ihre Ohren aufmachen und ihm zuhören. Dann begegnet er dem Vorwurf, dass seine Kollegen betrunken seien. Also nach der Aufforderung zum Zuhören erst einmal eine Rechtfertigung, und dann noch ein Zitat aus dem Propheten Joel. Also keine eigene Botschaft, sondern beruft sich auf eine andere Autorität, so wie viele Prediger heute lieber die Bibel zitieren oder Martin Luther oder sonst jemand, als das eigene Wort zu wagen. Wenn ich als Prüfer diese Predigt zu beurteilen hätte, wie ich es auch bei Prediger Höppner zu tun hatte im Januar in der Christuskirche, würde ich einiges Kritische anzumerken haben. Also an der Rhetorik kann es nicht gelegen haben.

Sicherlich lag es am Inhalt. Petrus predigt Christus. Er ist das Zentrum unserer Verkündigung. Er ist das Licht der Welt. Wir müssen es nicht erst zum Leuchten bringen, es leuchtet von selbst. Aber wir sollen hinzeigen auf dieses Licht und es soll durch unsere Worte hindurch strahlen und so sie Herzen der Menschen erleuchten. Für einen Moment, für einen Halbsatz sieht es so aus, als würde Petrus einem beliebten Trick verfallen. Wenn man nämlich erst einmal alles außen herum schwarz malt und ganz dunkel zeichnet, dann leuchtet das eigene Lichtlein umso heller. Für einen Moment sieht es so aus, als benutzte Petrus die Schuld seiner Zuhörer, die Anklage, sie wären schuld, dass Jesus am Kreuz sterben musste, als dunkle Folie für das Evangelium. Aber er verzichtet auf diesen Trick, erst einmal alles schlecht zu machen, um dann wie ein Putzmittelvertreter das Wundermittel hervorzuzaubern, mit dem man selbst die Rotweinflecken auf dem hellen Teppich mühelos beseitigt. Petrus singt ein Loblied auf Jesus Christus, er hält eine Laudatio oder stimmt begeistert in die Verse des 16. Psalms ein: Darum ist mein Herz fröhlich und meine Zunge frohlockt. Ja, Petrus ist begeistert und seine Begeisterung steckt an.

Auch in dem Wort Begeisterung steckt der Geist. Das ist der Funke, der überspringt und die trockenen Worte zu einem brennenden Feuer macht. Das ist der Funke, der überspringt und die Menschen ansteckt, dass sie selbst zu brennen beginnen. Brannte nicht unser Herz in uns, fragen sich die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus, nachdem Jesus ihnen die Schrift aufgelegt hatte. Das ist das Werk des Heiligen Geistes. Er ist der zündende Funke.

Doch das Feuer braucht Brennmaterial. Man kann zwar das schönste Lagerfeuer aufschichten, kunstvoll mit Papier und dünnen Spänen unten drin, mit Luftzufuhr und trockenem Holz, aber ohne den zündenden Funken bleibt es ein Holzhaufen. Anders herum braucht das Feuer Nahrung. Der Vergleich ist zwar ziemlich schief, aber so ähnlich wirken wir Menschen mit dem Heiligen Geist zusammen. Ohne den Geist brennt kein Feuer. Ohne den Geist wächst kein Glaube. Ohne den Geist zündet die Botschaft nicht. Ohne den Geist bleiben die Worte der Bibel tot, stroherne Episteln, „reif fürs Museum“. Erst Gottes Geist macht sie lebendig, so dass Gott selbst zu uns spricht, jetzt in diesem Moment; beim Lesen oder durch den Mund eines Menschen.

Mit dem Brennmaterial möchte ich unsere Arbeit als Prediger und Hörer vergleichen. Das Feuer braucht Nahrung. Die Pfingstgeschichte als Anleitung für die Predigtarbeit sagt: Dass die Menschen in ihrer Sprache, in ihrem Verstehenshorizont den Prediger verstehen, sollte man nicht einem Wunder allein überlassen. Es mag ja sein, dass es einem Wunder gleichkommt, wenn Menschen sich verstehen. Aber Verständlichkeit ist Arbeit. Die Sprache der Menschen zu sprechen – wie Luther sagt: dem Volk aufs Maul schauen – ist ja mehr als deutsch zu reden, und so laut und deutlich, dass es alle hören. Wer verstanden werden will, muss mehr kennen und wissen als allein die Sprache. Das zweite ist die Rhetorik. Das heißt: die Predigt soll kurzweilig sein und nicht langweilig, sie soll im besten Fall mitreißen. Und das dritte und wichtigste ist der Inhalt: Wir predigen Christus, den Gekreuzigten, für uns gestorben, für uns auferstanden, nicht als Gestalt der Vergangenheit, sondern jetzt mitten unter uns. Das, was er ein für allemal für uns getan hat, immer neu zu verkündigen, auch das ist Arbeit. Aber, liebe Gemeinde, auch das Hören ist Arbeit. Nicht nur gegen das Einschlafen anzukämpfen, wenn man müde ist. Zuerst an der eigenen Einstellung und Erwartungshaltung arbeiten: der Prediger hat mir etwas zu sagen, Gott will mir etwas sagen durch ihn. Luther bemüht dafür den wenig schmeichelhaften Vergleich mit dem Esel, den Gott zum Sprechen brachte, um den Propheten Bileam auf das richtige Geleis zu bringen. Zuhören, Aufmerksamkeit ist Arbeit, zumal weil heute niemand mehr gewohnt ist, 15 bis 20 Minuten einer Person zuzuhören ohne Film und Bildschnitte. Der Heilige Geist fordert unsere Mitarbeit.

Aber dass es dann zündet, das kann nur er allein. Und dann reicht manchmal schon ein Wort, ein Satz, um unser Herz und unser Denken zu verwandeln. Um Gottes Heiligen Geist bitten wir, wenn wir jetzt singen „O Heiliger Geist, o heiliger Gott“. Das bitten wir für uns alle und heute besonders für den Prediger Jürgen Höppner, den wir dann zum Dienst der Verkündigung beauftragen. Amen    

 

 



Autor: Dekan Hans Peetz