Das gemeinsame Haus

Epheser 2,17-22


Christus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.

 

Liebe Gemeinde,

„so seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen“. Hausgenossen, Mitbewohner im selben Haus, in dem einen Haus Gottes. Die Idee vom gemeinsamen Haus hat, ich hoffe nicht zu übertreiben, die Welt verändert. Auch wenn sie sich noch nicht überall durchgesetzt hat und immer wieder herbe Rückschläge erleidet, sie hat eine starke verändernde Kraft. So wie die Rockband Scorpions einst den „wind of change“, den geradezu pfingstlichen Sturm der Veränderung besangen, der an den Ufern des Flusses Moskau wehte. Es war die Idee vom gemeinsamen Haus Europa, die den damaligen Staatspräsidenten der Sowjetunion Michail Gorbatschow beflügelte, die Grenzen in Europa, den Eisernen Vorhang nieder reißen zu lassen. Die Älteren erinnern sich an die Bilder an der Grenze Ungarn zu Österreich, die sich plötzlich für Tausende DDR-Bürger auftaten, Flüchtlinge, die von Ost-Berlin, Leipzig oder Bautzen eine Art Balkan-Route für ihre Flucht wählten. Heute hat Ungarn seine Grenzen wieder dicht gemacht.

Aber nicht nur politisch hat die Idee vom gemeinsamen Haus enorme Kraft entwickelt, auch wenn jetzt das gemeinsame Fundament bröckelt und manche mit dem Auszug drohen. Schon lange vor Gorbatschow und auch lange vor der Europäischen Gemeinschaft entstand unter diesem Leitbild eine Bewegung, die weit über die Grenzen Europas hinausgeht: die weltweite Ökumene der Christen. Auch in dem Wort Ökumene steckt das Haus, griechisch „oikos“. „Ökumenisch“ wird manchmal mit „ökonomisch“ verwechselt, so dass es „ökonomische Gottesdienste“ und „ökonomische Trauungen“ gibt. Ökonomie, diese ganze Welt der Wirtschaft und der Finanzen, heißt eigentlich Haushalterschaft. Heute ist die Frage, ob die Welt von der Ökonomie zusammengehalten und beherrscht wird oder vom Geist der Ökumene, wo es heißt: so seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger und Hausgenossen.“ Dieses Jahr 2016 steht in der Evangelischen Kirche als letztes Vorbereitungsjahr auf das große Reformationsjubiläum 2017 unter dem Motto: die Reformation und die eine Welt – unser gemeinsames Haus.

Im Epheserbrief war zunächst die christliche Gemeinde gemeint. Die „Judenchristen“ galten als die Alteingesessenen, die schon immer an Gott geglaubt hatten, schon immer bei Gott zu Hause waren. Die „Heidenchristen“, die vorher an andere Götter geglaubt hatten oder an gar nichts, das waren die Fremdlinge, die „die fern waren“, weit weg; die Migranten und Flüchtlinge im Glauben; das waren die, die vorher draußen vor der Tür standen, abgeschirmt und abgewiesen durch eine scharfe Glaubensgrenze, wo an den versperrten Toren stand: Kein Zugang für Nichtjuden! Zutritt verboten! In den Versen vor unserem Predigttext heißt es: Denkt daran, dass ihr ausgeschlossen wart vom Bürgerrecht Israels und Fremde außerhalb des Bundes der Verheißung. Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst Ferne wart, Nahe geworden durch das Blut Christi. Jetzt sind alle Hausbewohner, alle haben ihr Hausrecht und Wohnrecht in der Gemeinde.

Uns heute sind diese Grenzziehungen von früher wohl fremd. Im Dritten Reich hätte gerade unsere evangelische Kirche an die Worte des Epheserbriefes denken können, als man den staatlichen Arierparagraphen akzeptierte, durch den alle Beamten jüdischer Herkunft von ihren Ämtern ausgeschlossen wurden. Auch in unserer Kirche wurden Pfarrer und andere Mitarbeiter mit jüdischen Wurzeln diskriminiert. Aber wir Nachgeborenen sollten uns nicht über  die Menschen damals erheben, auch wenn uns Scham erfüllen muss, dass Christen blind waren, obwohl das Neue Testament so deutliche Worte findet. Unser Predigttext ist ja auch keine Anklage gegen diese früheren Grenzziehungen, sondern wie ein freudiger Jubel: Ihr seid nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger und Gottes Hausgenossen.

Heute haben wir vielmehr das Problem, dass viele in der Gemeinde, in der Kirche gar nicht daheim sein wollen. „Fremde Heimat Kirche“ hieß der Titel einer der Mitgliedschaftsuntersuchungen der EKD, in der alle zehn Jahre, die Kirchenglieder befragt werden, wie sie sich in der Kirche zuhause fühlen. Heimat ja, wenigstens zum Teil und punktuell; weil es dazu gehört; weil ich da getauft bin und konfirmiert wurde; weil ich an manchen Punkten meines Lebens Kirche brauche; aber im Grunde doch fremd; weil der Gottesdienst, die Lieder fremd sind und einem immer fremder werden; auch die Sprache erscheint fremd, die Begriffe wie Sünder, Rechtfertigung; eine fremde Welt; wenn man sie betritt, fühlt man sich unsicher; peinlich, wenn man nicht weiß, wie man sich verhalten muss, was man macht beim Abendmahl. Auf diese Christen bezogen, die sich sehr fremd vorkommen und nur ab und zu wie Gäste erscheinen, sagt unser Predigttext: ihr seid keine Fremdlinge oder Gäste, sondern Hausbewohner im Haus Gottes. Und deshalb geht es nicht an, wenn die, die sich hier so ganz zuhause fühlen, Grenzen aufziehen und sei es nur im Denken und Reden, wenn man diese Kinder Gottes als U-Boot-Christen bezeichnet, die nur ab und zu einmal auftauchen und sonst untergetaucht sind.

Wir alle haben unser Hausrecht nicht von Natur aus, auch wenn wir als Kinder getauft wurden und schon immer dazu gehören. Wir haben keinen Anspruch auf eine Sozialwohnung bei Gott, so wie in einer Stadt durchaus jeder und jede ein Recht auf bezahlbaren Wohnraum und ggf. Anspruch auf Wohngeld hat. In Gottes Haus wohnen zu dürfen, bei ihm zu Hause zu sein, das ist Gnade und Ehre zugleich. Wir sind die „verlorenen Söhne und Töchter“ Gottes, die es in die Fremde zieht, die weg wollen von ihm, die sich ihr Erbteil auszahlen lassen, um es zu verprassen. Wir sind es, die ihn oft weit weg haben wollen und sich selbst entfernen. Das meint das alte und schwierige Wort „Sünder“: Leute, die sich absondern von Gott. Wir sind aber auch die, die immer wieder zu ihm zurückkehren können, denen er entgegenläuft und sie in die Arme nimmt, ihnen das Festgewand des Hoferben überzieht und eine Fete für sie steigen lässt. Da besteht kein Grund, die Nase zu rümpfen oder sich überlegen vorzukommen gegenüber denen, die nur selten nach Hause kommen. Wir sind schon solche Hausgenossen Gottes. In einer Wohngemeinschaft wünscht man sich wohl bessere Mitbewohner. Aber das hindert Gott nicht, uns bei sich wohnen zu lassen. Er schmeißt keinen hinaus.

Die Idee vom gemeinsamen Haus greift aber weit über die christliche Gemeinde, über die Kirche hinaus. Wir nennen zwar unsere Kirchen Gotteshaus, aber wir wissen: Gottes Haus ist viel größer. Die Idee vom gemeinsamen Haus hat die Kraft, Grenzen niederzureißen. Damals bei den ersten Christen war es die Grenze zwischen Juden und Heiden, also Nichtjuden. Das gab es einen Grenzzaun, ja sogar Feindschaft. Denken wir heute über unsere Kirchenmauern hinaus, dann sehe ich zwei Grenzzäune, die beide zusammenhängen. Bei vielen Worten, die der Predigttext gebraucht, muss ich an die Flüchtlinge denken, die bei uns sind und die zu uns wollen: Fremdlinge, die, die fern waren; Zugang, Zaun. Das alles gilt eben nicht nur für den Glauben, sondern ganz handfest für die Flüchtlinge. Weil Kirche von Anfang ökumenisch, weltweit war, eine Gemeinschaft vieler Völker, und weil wir an Jesus Christus glauben als Herrn der Welt, weil es eben keinen deutschen Jesus gibt, keinen französischen, keinen ungarischen , keinen polnischen und keinen persischen; und weil dieser Jesus sagt: wer einen von diesen meiner geringsten Brüder und Schwestern aufgenommen hat, der hat mich aufgenommen, deswegen ist es unsere Christenpflicht, dass wir uns für die Flüchtlinge engagieren und dazu helfen, dass sie menschenwürdig leben können und dass sie bei uns integriert werden; dass eben aus Gästen und Fremdlingen Hausgenossen werden, Mitbewohner unserer Städte und Dörfer, unseres Landes.

Doch gerade an diesem Thema spaltet sich gegenwärtig unsere Gesellschaft. Nicht nur in Österreich, wo bei den Präsidentschaftswahlen die eine Hälfte den nationalkonservativen Kandidaten wählten, der für eine harte Ausländerpolitik steht, und die andere Hälfte den Grünenpolitiker, der nicht nur offener gegenüber Flüchtlingen, sondern auch für ein gemeinsames Europa eintritt. Die Spaltung unserer Gesellschaft droht, wo Zäune des Unverständnisses und des Hasses aufgerichtet werden; wo rechtsradikale Gewalt den Beifall breiter bürgerlicher Schichten findet. Der gesellschaftliche Konsens, wie wir uns gegenüber Flüchtlingen verhalten, wie wir eine Nation innerhalb der Nationen Europas, ein Teil des europäischen Hauses sein wollen; der gesellschaftliche Konsens darüber, was anständig und was unanständig ist, wie man miteinander umgeht, scheint verloren zu gehen. Die christlichen Werte, den Fremden anzunehmen und ihm zu helfen, die Versöhnung zu suchen, nicht zu beleidigen usw., diese christlichen Werte, die tatsächlich unsere Kultur bestimmen, werden gerade von denen mit Füßen getreten, die behaupten, das christliche Abendland vor einer islamischen Überfremdung retten zu müssen.

Aber, liebe Gemeinde, vertiefe ich die Spaltung nicht gerade in diesem Augenblick, wenn ich all das anprangere? Säe ich Unfrieden, wo doch unser Predigttext Frieden verkündet? Aber es soll kein fauler Friede sein. Paulus, dem dieser Brief zugeschrieben wird, hat einen eindeutigen Auftrag: er ist der Heidenapostel; er ist der, der das Evangelium allen Völkern bringen soll; er soll verkünden, dass der Zaun endgültig abgebrochen ist und dass alle Zugang haben zum Vater. Dafür wirbt er bei den Judenchristen, bei all denen, die sich nicht vorstellen können, dass diese Fremden nun auch dazu gehören sollen; dass Gott sie genauso liebt und angenommen hat und dass sie als Christen ihnen die gleiche Liebe erzeigen sollen. Paulus tut alles, die Alteingesessenen zu gewinnen, so wie der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn eben zu dem älteren hinausgeht, um ihn wirbt, um sein Verständnis, ihn hereinbittet, ihn in die Gemeinschaft hereinholen will und die Grenze, die der Bodenständige gegen seinen Bruder aufgerichtet hatte, auch diese Grenze zu durchbrechen. Ob es ihm gelungen ist, wissen wir nicht. Auch Paulus wird nicht alle überzeugt haben. Er sucht das Gespräch, aber er lässt sich nicht beirren, dass das Heil auch jenen Fremden, jenen Dahergereisten gilt. Was für den Glauben und die Gemeinde gilt, dass  passt doch auch zum gemeinsamen Haus in dieser Welt. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz