"ad fontes - zu den Quellen"

Apostelgeschichte 2,41a.42-47


Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen. Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Es kam aber Furcht über alle Seelen und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.

Liebe Gemeinde,

„ad fontes –zu den Quellen“ kann beides bedeuten: nostalgische Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies oder Besinnung auf die Quellen, die unaufhörlich sprudeln und von denen wir jetzt leben. Heute geht es um die Urgemeinde, die Gemeinde der ersten Christen in Jerusalem, in der es paradiesisch zugegangen sein muss. Sie waren ein Herz und eine Seele. Sie verkauften ihren Besitz und gaben ihr Geld in die Gemeinschaftskasse – Besitz und Geld, eine der Hauptquellen von Neid und Streit; sie hatten alle Dinge gemeinsam und waren beieinander, so wie es das Volkslied besingt. „fein sein, bei´nander bleiben“. Keine unfeinen Attacken. Sie waren einmütig beieinander. Es herrschte Harmonie unter Gleichgesinnten. Und sie halfen denen, die Hilfe nötig hatten. In einem Klima sozialer Kälte, das damals herrschte, erregte das Aufsehen, dass man sich um Arme und Kranke so liebevoll kümmerte. Das zog viele an, es heißt: sie fanden Wohlgefallen beim ganzen Volk. Und die Gemeinde wächst. Täglich kommen Neue hinzu. Keine Kirchenaustritte, bei Angst um die Zukunft schrumpfender Gemeinden. Es geht vorwärts und aufwärts.

Diese Beschreibung der Urgemeinde am Ende der Pfingstgeschichte hat schon immer die Christen fasziniert. Eben paradiesische Zustände. Aber wir leben jenseits von Eden und das Ur ist seit 1627 ausgestorben. Das Tier, der Auerochse, hat seinen Namen zwar anders woher, aber alles, was mit „Ur-„ anfängt klingt ziemlich alt und lange vorbei. Im Urweltmuseum sind die Saurier ausgestellt, längst ausgestorben. Und sie durch Gene, die im Bauch einer Fliege aus dem Bernstein enthalten sind, wieder zu beleben, ist bisher nur der Fantasie im Film gelungen. Angesichts der tödlichen Abenteuer im Film „Jurassic park“ kann man nur sagen: Lasst die Toten ruhen, uns reichen die Versteinerungen und die Plastiknachbildungen. Vieles, was mit „Ur-„ anfängt, klingt nach Urzeiten, so dass man sagen könnte: schon so lange her, dass es gar nicht mehr wahr ist.

Freilich gibt es und gab es immer wieder Versuche, so zu leben wie die Urgemeinde. Denn dieses Idealbild ist für viele attraktiv, die sich nach echter Gemeinschaft sehnen, nach wahrer Freundschaft ohne Heuchelei, nach tiefem Verstehen und aufgefangen zu werden in der Not. Viele wünschen sich solch eine Gruppe, wo es geistlich zugeht und die oft störenden menschlichen Beziehungskisten in den Hintergrund treten, so wie es Dietrich Bonhoeffer in seinem Büchlein vom gemeinsamen Leben beschrieben hat und das unsere Jugendgruppe damals als Grundlage für solch eine enge, vom Glauben geprägte Gemeinschaft gelesen hat. Man muss gar nicht an den Missbrauch denken, den manche Gruppen treiben, indem sie sich auf das Urchristentum berufen, wie jene „12 Stämme“, die einen Gutshof im Ries kauften und sich weigerten, ihre Kinder in die öffentlichen Schulen zu schicken, weil sie sie fern halten wollten von der aus ihrer Sicht verdorbenen Welt. Davon ist übrigens nichts in der Apostelgeschichte zu lesen, vielmehr dass die Liebe untereinander ansteckend wirkte. Man muss auch nicht an die Gruppe in unserer Umgebung denken, die sich auf das Urchristentum berief und doch nur einem weiblichen Guru folgte. Auch die Brüder- und Schwesternschaften, nicht nur Mönche und Nonnen, sondern z.B. auch unsere Selbitzer Schwestern von der Chirstusbruderschaft haben sich auf diese Grundsätze einer geistlichen Gemeinschaft verpflichtet. Und dazu gehört auch der Verzicht auf persönlichen Besitz, was bei Orden dem Armutsgelübde entspricht. Sich ganz hingeben, mit allem, was man hat, nicht erotisch oder sexuell verstanden, sondern eben geistlich.

Und doch bleibt das urchristliche Ideal unerreicht. Selbst wenn die Begeisterung wieder aufbricht, wenn eine charismatische Persönlichkeit Menschen um sich sammelt und zur Hingabe animiert – nicht zur Hingabe an einen Menschen, einen Führer, einen Ordensgründer oder Jugendleiter, sondern zur Hingabe an Jesus Christus, selbst wenn in dieser Pionierphase es so funktionieren würde,wie es die Apostelgeschichte vom Pfingsttag, der Pionierphase der Kirche erzählt, spätestens die nächste Generation muss mit Problemen kämpfen, dass die Begeisterung erlahmt, dass Streit aufkommt, ja oft, dass man sich trennt; dass man Kompromisse mit der Welt schließen muss, zum Beispiel wenn man jemanden heiratet, der oder die ganz anders tickt; oder wenn man Berufe übernimmt, in denen auch harte Entscheidungen zu treffen sind und die Bergpredigt allein nicht ausreicht. Für manche und eine Zeitlang mag dieses Modell von Kirche klappen, und dann haben solche Gruppen eine große Ausstrahlung, sie wirken wirklich wie die Stadt auf dem Berg, die leuchtet weithin und zieht viele an. Doch als die Kirche größer wurde, heute nennen wir uns Volkskirche, zeigte es sich, dass dies kein Modell für die ganze Kirche sein konnte; auch wenn das manche bedauern und sich danach sehnen, oder wie die Pietisten meinten und meinen, dann müsse es eben in der großen Kirche, der großen ecclesia, kleine Kirchlein „ecclesiolae“ nach dem Modell der urchristlichen Hausgemeinden geben.

Aber man darf auch hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Auch wenn sich die Gestalt der Kirche verändert hat und wir sozusagen aus diesem urchristlichen Paradies vertrieben wurden, die Beschreibung des Lukas enthält Wesenselemente der Kirche, die auch heute gültig sind. „Ad fontes“, zurück zu den Quellen, heißt ja nicht unbedingt einen langen Rückweg antreten bis dorthin, wo der Fluss einmal entsprungen ist. Zu den Quellen, das heißt, davon zu trinken, sie möglichst rein zu erhalten und sie zu nutzen, weil der Glaube, ja weil der Mensch davon lebt.

Vier Quellen nennt Lukas: sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.

1. In der Lehre der Apostel bleiben. Die Apostel, die Jünger Jesu, seine Gesandten und Botschafter, wie das Wort übersetzt heißt, verbreiten nicht ihre eigenen Lehren, sonst wären sie ja keine Gesandten und Botschafter. Sie richten die Botschaft Jesu aus. Denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt. 1500 Jahre später, im Augsburger Bekenntnis, wird es heißen: die Kirche ist die Gemeinschaft der Heiligen, in der das Wort Gottes recht verkündigt wird. In der Kirche wird nicht irgend etwas verkündet, weil es angeblich egal ist, was man glaubt, Hauptsache man glaubt irgend etwas. Kirche ist auch nicht die Ansammlung von Menschen, in denen sich jeder seine eigene Weltanschauung zusammen gezimmert hat. So vielfältig und so unterschiedlich die Boten sind und ihre Interpretation, so sehr sich die eigenen Erfahrungen, Fragen und Gedanken hineinmischen, weil sich Gottes Wort eben mit dem Leben verbinden soll, so gibt es eben doch nur ein Evangelium von Jesus Christus. Die Botschafter sollen es in andere Länder mit ihren anderen Sitten tragen, sollen die Menschen ansprechen, dass die alten Worte, die trockenen Buchstaben eben wie Wasser werden, das den Durst stillt. Es gibt solche Bibelworte, die sind wie eine sprudelnde Quelle. Nicht nur in verschiedenen Lebenslagen, auch in jeder neuen Generation werden sie lebendig und helfen zum Leben.

2. Sie blieben in der Gemeinschaft. Kirche ist Gemeinschaft. Wir bekennen „die Gemeinschaft der Heiligen“. Auch wenn wir nicht so zusammenleben, uns nicht so häufig treffen oder gar den Besitz unter uns aufteilen, Kirche ist wesentlich eine Gemeinschaft. Deswegen muss man nicht ständig zusammenkuscheln oder sich umarmen. In der Urgemeinde gab es ja den Kuss unter Christen, so wie später bei den Kommunisten. Wahrscheinlich wurden beim Küssen sehr bald oder von Anfang an Männer und Frauen getrennt. Bei uns spürt man von der Gemeinschaft oft wenig, aber sie beginnt eben damit, dass man durch die Taufe Mitglied dieser Kirche ist. Zu dieser Gemeinschaft gehört auch, dass die Pfarrer die Älteren zum Geburtstag besucht und dass Ehrenamtliche mit anpacken. Und dass Menschen in Notlagen geholfen wird, sei es organisiert und professionell durch Diakonie, oder oft unbemerkt in der Nachbarschaft.

3. Sie blieben im Brotbrechen. Im Abendmahl wird diese Gemeinschaft sichtbar. Wir stehen im Kreis, trinken aus demselben Kelch oder tauchen die Hostie darin ein. Aber dieser Kreis hat einen Mittelpunkt. Jesus Christus steht im Zentrum, er selbst ist gegenwärtig. Wir in unserer evangelisch-lutherischen Tradition sprechen von Realpräsenz, übersetzt: wirklicher, realer Gegenwart. Jesus Christus, unser Herr, ist selbst anwesend. Er schickt uns eben nicht nur seine Boten wie ein Kaiser aus einem fernen Land, nicht nur seine Botschaften, so wie man über You tube, whats app oder SMS Botschaften versendet. Er ist selbst da. Und das eben nicht nur beim Abendmahl, sondern zum Beispiel auch dann, wenn zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. Er ist da und er schenkt sich selbst, gibt sich für uns hin. Gibt seinen Leib und sein Blut, gibt sein Leben. Das ist das Zentrum unseres Glaubens. Das Abendmahl ist kein magisches Ritual, sondern genauso wie die Predigt Verkündigung. „Deinen Tod, o Herr verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir“, heißt es nach den Einsetzungsworten. Und wenn in der Apostelgeschichte nur vom Brotbrechen gesprochen wird, dann zwar nicht, um der Gemeinde den Kelch, den Wein nicht zu geben. Aber ausgeschlossen ist doch, dass der Wein, der das Blut Christi verkörpert, etwas Höheres, Wichtigeres oder Geheimnisvolleres sei als das alltägliche Brot. Geheimnis des Glaubens ist beides.

Und 4. Sie blieben im Gebet. Das Gebet ist die Verbindung zu Gott. Auch wenn man nicht redet, an ihn denken. Auch wenn man nicht an ihn denkt, er bleibt in Verbindung mit uns. Aber die Beziehung soll eben nicht einseitig bleiben. Das Gebet ist der Fluss des Glaubens. Manchmal wird er zum Rinnsal wie unser Roter Main in trockenen Sommern, manchmal versickert dieser Fluss ganz, manchmal aber strömt er kräftig und füllt das ganze Flussbett, unser ganzes Leben. Vom Stoßseufzer, der wie ein Wasserspritzer ist bis zum Vaterunser, dieses tägliche Glas Wasser.

Vier Quellen sprudeln in der Gemeinde seit jenen frühen Tagen der Christenheit. Die Gemeinde hat sich verändert, vieles von damals klingt für uns wie eine ferne vergangene Welt. Aber diese vier Quellen sprudeln weiter: die Lehre der Apostel, die nichts anderes ist als das Evangelium, die Gemeinschaft, das Brotbrechen und das Gebet. In diesem Sinn: ad fontes! Auf zu den Quellen, besonders wenn es so heiß wird wie heute. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz