Liebe

1. Johannes 4,7-12


Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.

 

Liebe Gemeinde,

haben Sie mitgezählt, wie oft das Wort “Liebe“ in den 6 Versen unseres Predigttextes vorkommt? 15 Mal – fast eine Inflation. Sie meinen, das kennen Sie, eine solche Inflation des Wortes „Liebe“. Man braucht nur Bayern 3 hören, Antenne Bayern oder Radio Mainwelle. Oder den Fernseher anschalten: „Verbotene Liebe“ oder „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Alles dreht sich um die Liebe. Was er mit „Liebe“ meint, erklärt der 1. Johannesbrief nicht. Er definiert zwar Gott: Gott ist die Liebe. Aber was Liebe ist, das definiert er nicht. Er tut so, als wüsste jeder, was er mit „Liebe“ meint. Da hat er natürlich recht. Liebe kann man nicht definieren, nicht festlegen. Da ist schon eher die Phantasie gefragt. Vor einiger Zeit war so ein niedliches, harmlos nacktes Pärchen verbreitet auf Kopfkissen, Zahnputzbechern, Briefpapier und Aufklebern. Und dazu ein Satz, eine konkrete Umschreibung: Liebe ist – das Frühstück ans Bett bringen; nicht ungeduldig werden, wenn er sich verspätet usw. usw. – was einem halt so alles einfällt.

Welche Gedanken und Empfindungen löst das Wort „Liebe“ in Ihnen, in Euch aus. Das ist wohl sehr unterschiedlich, ja nach Alter und Lebenssituation.

Für Jugendliche so im Konfirmandenalter ist es oft etwas peinlich von Liebe zu reden, wenn so langsam das Interesse am anderen Geschlecht wächst. Natürlich wissen Jugendliche von heute so ziemlich alles über Liebe und Sexualität dank Jugendzeitschriften wie „Bravo“, die gerade ihr 60-jähriges Jubiläum feiert, aus dem Fernsehen und heute vor allem aus dem Internet. Aber wenn es darum geht, sich vorsichtig anzunähern, die Schüchternheit zu überwinden oder die Angst vor einem Korb, dann hat sich vielleicht gar nicht so viel geändert. Wenn das Wort „Liebe“ im Konfirmandenunterricht fällt, dann gehen die Gedanken schnell zum anderen Geschlecht. Und beim Spiel „Sag mir, wen liebst du“ – wo man doch nur den Satz „Wen liebst du“ wiederholen muss – werden die Köpfe schon einmal hoch rot.

Aber meint unser Predigttext nicht etwas ganz anderes, wenn er von Liebe redet? Wofür wir im Deutschen nur dieses eine, so unklare Wort „Liebe“ haben, unterscheidet das Griechische klar zwischen „Eros“ und „Agape“, zwischen Erotik und Nächstenliebe. Sollte ich also gar nicht so viel von Jungen und Mädchen, von Männern und Frauen reden, von Sehnsucht und Zärtlichkeit, wenn es um christliche Liebe geht? Ist es ein Schade oder ein Glück, dass wir nur das eine Wort haben für alles, das eine Wort Liebe vom Geschlechtsverkehr bis zur Verehrung Gottes? Ich halte unsere deutsche Begriffsverwirrung in Sachen Liebe nicht für einen Schaden. Denn Gott der Schöpfer hat uns als geschlechtliche Wesen geschaffen.

Das wird ganz klar, wenn sich Brautpaare gerade einen dieser Verse aus dem 1.Johannesbrief als Trauspruch wünschen. Sie empfinden das als große Bestätigung ihrer Liebe: Wenn wir einander lieben, dann ist das ganz im Sinne Gottes; dann tun wir, was er will und wozu er uns erschaffen hat. Und da machen die Brautpaare keinen Unterschied zwischen körperlicher und seelischer Liebe, zwischen Kuss, Kinderkriegen oder gemeinsamem Kirchgang. Da gehört für sie zur Liebe genauso das Verzeihen nach einem Streit, sich um Kinder kümmern wie das körperliche Eins werden. Das Liebesgebot ist ihnen gar nicht Fremdes oder Äußerliches, schon gar nichts Aufgezwungenes, sondern genau das, was sie selbst von ganzem Herzen wollen. Und wenn es heißt: Gott will, dass ihr einander liebt, dann bekommt das menschliche Glück eine noch viel tiefere Dimension. Und dann ist die Liebe nicht nur geistig-platonisch, sondern ganz umfassend. Martin Luther, der dem Volk nicht nur auf das Maul schaut, gibt deshalb Ehepaaren ganz handfeste Ratschläge, wie sie ihre Liebe am Brennen erhalten sollen. Er rät sogar, wie oft sie miteinander ins Bett gehen sollen: „zween die Woche“.

Wie anders hören die das Wort „Liebe“, deren große Liebe vorbei ist. Sei es, dass sie zerbrochen ist, vorbei, in Scherben gegangen - in Scherben, die kein Glück brachten. Sei es, dass sich die Liebe allmählich verflüchtigt hat, ausgeblichen ist wie die Farbe mit jedem Waschgang. Manchmal sehen wir an der Wand, dort wo ein Bild hängt, wie die Farbe ursprünglich aussah: kräftig leuchtend. Da wird der Unterschied besonders sichtbar. Nimmt man da noch das Wort Liebe in den Mund, oder klingt es nur wie eine Erinnerung an frühere Zeiten, an heiße Bekenntnisse.

Und wie anders hören die das Wort Liebe, die alleine leben, denen diese Form der Liebe versagt geblieben ist oder denen der geliebte Mensch genommen wurde vom Tod.

Allen schreibt der Johannisbrief von der Liebe. Er schreibt von einer anderen Liebe, die doch nicht zu trennen ist von dem, was wir meist Liebe nennen. Um die Liebe geht es ihm und um das Sehen. Wie schwer ist es, sagt er, Gott zu lieben, den wir nicht sehen. „Aus dem Auge, aus dem Sinn“, sagt das Sprichwort. Wie kann man jemand lieben, den man nicht sehen kann. Gott sei Dank hat er sich uns zeigt, hat er seine Liebe sichtbar werden lassen. Gott sei Dank hat er gezeigt, wie sehr er uns liebt. Zeichen dafür ist das Kreuz. Die Werbung von „e +“ hat es geklaut, das Kreuz als Zeichen der Liebe. Sie kennen vielleicht den Werbespot, wo man überall das Kreuz erkennen kann als Zeichen der Verbindung. Aber das ist keine Erfindung von „e +“, das ist unser christlicher Glaube. Ich weiß nicht, was z.B. Sportlerinnen bei der Olympiade  oder andere Damen ausdrücken wollen, wenn sie sich ein Kreuz ins Dekolleté hängen – vielleicht spielt das auch das erotische Element mit – aber dieses Kreuz erinnert uns an Gottes Liebe. „Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.“

Wie viel leichter, sagt der Johannisbrief, müsste es dann sein, den Menschen zu lieben, den du siehst. Liebe hat mit Sehen zu tun. Man sagt zwar etwas abfällig, Liebe macht blind. Und das stimmt manchmal, wenn sich jemand vor lauter Verliebtheit weigert, bestimmte Schattenseiten zu sehen und später bitter bereut, damals so dumm gewesen zu sein. Doch Liebe macht nicht blind, sie lässt einen den anderen nur mit anderen Augen sehen. Das beginnt damit, dass die Nase, die man bei uns eine Himmelsfahrtsnase nennt, zum süßen Stupsnäschen wird. Aber das geht noch viel tiefer. Ja, das geht soweit, wie Paulus im Hohen Lied der Liebe im 1. Korintherbrief schreibt, dass die Liebe alles verzeiht, alles duldet, alles glaubt. Dass sie Marotten, über die man sich sonst furchtbar aufregen könnte, als kleine, liebenswürdige Schwächen ansieht. Lieben, so könnte man definieren, heißt: den anderen mit anderen Augen betrachten.

Im Glauben heißt das: als von Gott geliebten Menschen, als Gottes Geschöpf, den er wunderbar gemacht hat mit seinem Äußeren, mit seinen Begabungen, seinen inneren Werten. Aber eben nicht nur verklärt, sondern ihn auch als den anschauen, für den Jesus Christus genauso gestorben ist wie für mich „zur Versöhnung für unsere Sünden“. Nur mit diesem Blick lässt sich der andere aushalten, wenn er seine Schattenseiten zeigt.

Verliebte können einander ja unendlich lang anschauen, einander verklärt in die Augen schauen. Manche Beziehung beginnt ja mit dem Blick in die Augen. Deswegen warnt ja der Schlager die Männer davor, einer schönen Frau zu tief in die Augen zu schauen – es könnt gefährlich zu sein. Aber nicht nur für Verliebte gilt: Die Liebe lässt einen hinschauen. Ich denke, das ist ihr Geheimnis. Indem sie lange und genau hinschaut, entdeckt sie, was der andere braucht. Und deswegen braucht sie auch keine Gebrauchsanweisungen.

Es ist ja erstaunlich, dass in unserem Predigttext 15 Mal das Wort Liebe auftaucht und zwei Mal die Aufforderung, dass wir einander lieben sollen, aber an keiner Stelle genau gesagt wird, was wir eigentlich tun sollen. Keine genauen Anweisungen, keine Rezepte: wenn dich einer auf der Straße um Geld bittet, gib ihm etwas. Da sind wir ja besonders vorsichtig geworden. Oder wenn jemand an der Wohnungstür bettelt, am besten Freitag Nachmittag oder am Abend, wenn die übrigen Stellen, die helfen könnten, geschlossen haben. Ich muss unbedingt einen Pfarrer sprechen. Dann weiß ich meist schon, was er will: Geld. Solche Sätze wie aus dem heutigen Predigttext könnten einem nicht nur das Herz weich machen, sondern auch den Verstand. Vielleicht haben auch deswegen viele Christen ihre Schwierigkeiten mit dem Gebot der Nächstenliebe, nicht nur wegen des Egoismus, sondern auch wegen dieser Unsicherheit: Was ist denn nun Nächstenliebe. Ist es Nächstenliebe, Kleidung nach Afrika zu schicken, wenn durch die Kleiderspenden die heimische Produktion kaputt gemacht wird und man auf den Märkten in Tansania nur noch gebrauchte europäische und amerikanische kaufen kann.

Liebe lässt einen genau hinschauen. Und beim genauen Hinschauen erkennt man besser, was der andere braucht. Es gibt Männer und Frauen, die zu viel lieben, die mit ihrer Liebe das Gegenteil erreichen. Vielleicht weil sie nicht genau hinschauen – so wie es im Lied der Söhne Mannheims heißt „vielleicht schaun sie nicht hin“. Denn wenn sie genau hinschauen würden, könnten sie merken, dass in diesem Augenblick Härte liebevoller wäre als weiches Nachgeben, dass jetzt Verweigerung besser wäre als immer noch mehr angeblicher Liebe. Gerade Angehörige von Alkoholkranken müssen das schmerzlich lernen. Liebe ist nicht automatisch geben, was der andere begehrt. Aber Liebe ist hinschauen und entdecken, was er braucht. Schnell die Wünsche des anderen zu befriedigen, könnte gerade die bequeme Ausflucht sein, eben nicht hinschauen zu müssen, eben nicht den anderen aushalten zu müssen, sondern schnell wieder weitergehen zu können und den anderen los zu sein.

Liebe Gemeinde, also keine Rezepte für die Liebe heute, weder für die Konfirmanden und Jugendlichen, weder für die frisch Verliebten noch die alten Ehepaare und auch nicht für die Getrennten und allein Lebenden; auch keine Anweisungen und Konkretionen, was wir als Christen alles tun könnten und müssten – keine Zeigefinger im Namen der Nächstenliebe und keine Appelle – nur das eine, das mit den Augen: dass die Liebe den Blick verändert und dass sie lehrt, genau hinzuschauen. Der heilige Augustin meint: ama et fac quod vis, liebe, und mach was du willst. Denn, wenn du mit den Augen der Liebe genau hinschaust, wirst du sehen, was richtig ist. Amen

 

 



Autor: Dekan Hans Peetz