Freiheit die Frieden freisetzt

Römer 8, 18-25


(18) Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.

 

(19) Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. (20) Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; (21) denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. (22) Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.

 

(23) Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. (24) Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? (25) Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.

 

Liebe Gemeinde,

 

I. Dorthin schauen, wo keiner mehr hinschauen will

 

Müssen wir erst in Kriegsgebiete schauen, um zu wissen, wie kostbar Frieden ist? Heute am Volkstrauertag blicken wir auf zwei Weltkriege mit Millionen von Toten und flüchtenden Menschen zurück. Ich selbst bin ein Kind eines Flüchtlings aus Breslau dem heutigen polnischen Wroclaw. Von denen, die aktiv am ersten Weltkrieg 1914-1918 als Soldaten mitgewirkt haben, lebt niemand mehr. Auch die echten Kriegsveteranen des zweiten Weltkrieges 1939-1945 sind selten geworden. Viele von unserer Gemeinde haben aber als Kinder den Krieg erlebt oder haben Verwandtschaft mit Migrationshintergrund, wie man heute Menschen nennt, die oftmals nur ihre Haut retten konnten und das, was sie bei sich trugen. Vielleicht hilft aber ein Blick in eine Stadt, in die keiner mehr blicken möchte, nicht nur den Frieden wieder wert zu schätzen, sondern sich für den Frieden einzusetzen. „Zeit online“ hatte den Mut und berichtete letzte Woche über die syrische Stadt Aleppo, die sich seit 2012 in einem Bürgerkrieg befindet. Via Skype berichtete z. B. ein Architektenehepaar aus der Stadt nahe der türkischen Grenze:

„Wie es uns geht? Es gibt so gut wie keine Nahrungsmittel mehr zu kaufen, wir leben von dem, was wir noch zu Hause haben. Es gibt auch kaum Benzin oder Gas zum Kochen. Aus dem Hahn kommt kein Wasser. Es gibt viele Brunnen in der Stadt, aber das Wasser ist nicht gesund. Die Menschen haben angefangen, das Wasser mit Chlortabletten zu säubern und zu trinken. Strom ist ebenfalls selten geworden. Es gibt Generatoren (…). Aber die brauchen Treibstoff, der uns (…) ausgeht. In unserem Viertel gibt es zwar drei Stunden Strom am Tag, aber er ist sehr teuer. Wenn wir auf die Straße gehen, müssen wir damit rechnen, in ein Bombardement zu geraten. Wenn wir unsere Häuser verlassen, muss uns klar sein, dass wir vielleicht nicht zurückkommen. Aber es kann auch passieren, dass wir zwar heil nach Hause zurück-kehren, aber unsere Häuser (..) durch Bomben zerstört wurden.“[i]

 

II. Die herrliche Freiheit der Kinder Gottes und die Revolution

 

Wer lebt heute noch in Aleppo, das ähnlich aussieht wie Berlin nach dem zweiten Weltkrieg? Bis 2012[ii] bildeten Araber und Kurden die Mehrheit der muslimischen Bevölkerung. Daneben gab es auch noch Turkmenen sowie andere kleinere muslimische Volksgruppen. Etwa 15–20% der Einwohner waren Christen, überwiegend Aramäer und Armenier, sie gehörten der Syrische-Orthodoxen bzw. Armenisch-Orthodoxen Kirche an, daneben gab es auch Griechisch-Orthodoxe Gläubige.

Doch lassen wir wieder das Architektenehepaar von heute zu Wort kommen: „Wissen Sie, alle Welt spricht über uns und sagt, dass wir uns in einem Krieg befänden. Entschuldigung, aber wir befinden uns nicht in einem Krieg, sondern in einer Revolution gegen einen Diktator, der uns dazu zwingt, bei einem Krieg mitzumachen. Der uns zwingen will, ihm zu folgen. Ein Diktator, der uns einsperrte und tötete, nur weil wir gegen ihn demonstrierten.“ Dann werden Foltermethoden angesprochen. „Wir sind auf dem richtigen Weg. Dieses Regime und Russland und all ihre Verbündeten benutzen ihre Waffen, um die Menschen zu töten, unsere Revolution und unsere Rechte. Damit wir nie wieder nach unseren Rechten rufen. Sie wollen, dass wir Monster werden. Aber das wird nicht passieren.“

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2016 waren in den Stadtgebieten von Aleppo etwa 300.000 Menschen eingeschlossen, die unter der Kontrolle teils gemäßigter und teils islamistischer Rebellengruppen stehen.[iii] Es sind also insbesondere Revolutionäre, die in dieser Stadt Syriens eingeschlossen sind. Sie werfen den UNO-Mitgliedstaaten vor, dass sie nur verurteilen, was passiert. Ich zitiere: „Und dann warten sie. Sie warten und warten und warten. Sie sehen dabei zu, wie wir sterben.“[iv] So der Vorwurf aus den Ruinen Aleppos.

Wie steht es mit der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes, wie sie der Predigttext benennt, im Blick auf die Revolution?

 

III. Kinder für die Werte der Revolution opfern?

 

Ein Englischlehrer berichtet in dem gleichen Artikel aus Zeit online darüber, wie er Kinder in Aleppo unterrichtet.

„Wir müssen hinausgehen und lehren, unseren Kindern Wissen vermitteln, damit sie die Zukunft Syriens aufbauen können! Und viele Eltern sind so mutig und schicken ihre Kinder weiter in die Schule, obwohl hier überall ständig Bomben einschlagen. Die Schule und die Uni sind für sie eine Flucht aus dem Krieg. (…) In der Schule sind sie mit ihren Freunden zusammen, dort können sie lachen und lernen. Und wir Lehrer versuchen, ihren Optimismus zu stärken, obwohl wir uns große Sorgen um sie machen. Wir versuchen, ihnen Mut zu machen. Wir sagen ihnen, dass unsere Zukunft besser sein wird als die unserer Väter und Mütter. (…) Wenn die Bomben fallen, gehen wir alle gemeinsam in den Keller. Manche Kinder sind nicht zu beruhigen. Aber ich habe im Keller auch Kinder erlebt, die lachten und keine Angst zeigten.[v] (…) Im Alltag stellt sich der Lehrer fürsorgliche Fragen: „Hat dieses Kind noch Vater und Mutter? Hat jenes heute schon gegessen? Warum kommt es in Lumpen?[vi]

„Nach einem schweren Bombenangriff auf die Schule gaben die Lehrer den Kindern drei Tage frei, zur Erholung. Manche Eltern schickten sie danach nicht wieder her. Einige sagten: Lieber sterben wir alle zusammen zu Hause. Ich will nicht, dass mein Kind allein stirbt.“[vii]

Auch wenn der Lehrer sagt, dass Syrien die mutigsten Kinder der Welt hat, so haben doch viele von uns noch das Bild von dem Kind im Herzen, das blutverschmiert und fassungslos in einem Fahrzeug nach einem Bombardement aufgenommen wurde.

Liebe Gemeinde, wir kennen mit Bonhoeffer zwar auch revolutionäre Pläne zum Umsturz eines Tyrannen, aber der Theologe aus der Zeit des dritten Reiches hätte niemals Kinder für seinen Widerstand, für Werte und die christliche Freiheit geopfert.

Ich denke, wir müssen unsere syrischen Flüchtlinge im Land um der Kinder willen bitten, dass sie Einfluss auf ihre Landsleute nehmen, die weißen Fahnen in Aleppo zu hissen. Das was nach ihrem Verständnis nach Warten der Vereinten Nationen aussieht, bis alle tot sind, ist ein Harren darauf, dass solche Tyrannen, die ihr Volk mit Brandbomben und womöglich mit chemischen Waffen drangsaliert, sich einmal nicht nur vor dem internationalen Gerichtshof verantworten müssen wie einige Tyrannen in den Balkanstaaten, sondern auch vor dem höchsten Richter im Himmel.

 

IV. Tyrannenmord und Aufstand von unten – eine Gewissensfrage und Betrachtung des Einzelfalls

 

Die christliche Gemeinde teilt mit den Aufständischen die Sehnsucht nach der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Es geht nicht nur um die Wohlstandsfreiheit unseres Landes. Da müssten wir uns zu Recht sagen lassen, dass man in einem sicheren Land eine gemeinsame Sehnsucht nach Freiheit hat, wenn man selbst in Sicherheit und Unbeschwertheit lebt Es geht darum, dass wir alle samt der Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen sind – ob früher oder später. Wir haben alle gemein, dass wir sterben müssen. Im Herbst der fallenden Blätter wird das ja jedes Jahr für uns anschaulich. Aber auch im Blick auf die Politik haben wir zwischen 1939-1945 eine Tyrannei erlebt. Christliche Gewissensfreiheit und die Revolte gegen einen Gewaltherrscher ist Teil unserer Geschichte, die wir bis heute reflektieren.

In seiner Schrift „Ob Kriegsleute auch in seligem Stand sein können“ bestreitet Luther 1526 in einem konkreten Fall, dass ein Aufstand von unten nicht möglich sei. Besser ein Tyrann als jeder gegen jeden. Besser ein ungerechter Herrscher als wenn alle mit Messern auf der Straße aufeinander losgehen und am Ende keiner mehr übrig bleibt.

Freilich, das hat schon Bonhoeffer gezeigt, in der Zeit der Massenvernichtungswaffen kann der Tyrannenmord das kleinere Übel sein. Auch in Untätigkeit kann man schuldig werden. Aber im konkreten Fall von Syrien könnte ein Eingreifen der Nato oder UN einen dritten Weltkrieg herauf beschwören und wem ist dann geholfen. Den Kindern in Aleppo und anderswo sicher nicht. Und die Rebellen in Syrien wollen doch ausgesprochenermaßen eine Zukunft für ihre Kinder haben. Oder wollen Sie, dass am Ende Atombomben fliegen, die immer noch - unverständlicherweise - im Besitz von Russland und den USA liegen? Das kann doch niemand im Ernst wollen.

Luthers Schrift hält die Frage Gewissensfreiheit auch für uns heute aktuell und lädt ein, sich die Fälle vor uns genau und im Einzelnen anzuschauen.

 

V. Das kann konkret getan werden - 5 Auswahlmöglichkeiten

 

Kann man denn gar nichts tun? Fragt der Zeitartikel und antwortet überraschend mit „Doch!“. Leider habe ich nach Lektüre des Artikels für mich keine Lösung gefunden, was ich, was wir als christliche Gemeinde wirklich konkret tun können.Ich möchte im Folgenden trotz der allgemeinen Ohnmacht mit Blick auf Aleppo oder Homs fünf beispielhalfte Möglichkeiten formulieren, die Situation auf einen friedlichen Weg zu bringen:

Beten (1) sind wir als christliche Gemeinde gewohnt. Die ungelösten und drängenden Fragen wachhalten – denn bei uns klopfen ja immer mehr Flüchtende an – und gemeinsam auf Gottes Antwort warten.

Die ganze Schöpfung wartet aber auch auf die Offenbarung der Kinder Gottes (V. 19). Daher noch einmal mein Rat, die syrisch-stämmigen Menschen unter uns dahin gehend zu beraten (2), dass die weißen Fahnen in Aleppo, Homs und anderen Kesseln gehisst werden. Hier gilt es, die muslimischen Schwestern und Brüder auch daran zu erinnern, dass nach ihren Glauben Kinder bis zum achten Lebensjahr als rein gelten.[viii] Wollen Sie die Reinheit blutig opfern?

Wir können aber auch, wie der Arbeitskreis Evang. Erneuerung letzte Woche beschlossen hat, aufhören von einem gerechten Krieg zu reden. In der Zeit von A-B-C Waffen und Massenvernichtungsmitteln gibt es im Krieg keine Gerechtigkeit mehr. Die alte Begründung, dass Krieg das letzte Mittel der Vernunft sein könne (ultima ratio) muss aufhören. Es gilt davon zu reden, dass die Ultima ratio der Friede ist (3). Hier ist erfreulich zu erwähnen, dass das Weißbuch der Bundesregierung, das etwa alle 10 Jahre die militärische Marschrichtung angibt (neu erschienen im Juli 2016), offenbar auch umgedacht hat und in erster Linie auf Friedenssicherung setzt. Nur gilt es nach wie vor zu bedenken, dass zunächst die Friedensdienste finanziell endlich gleichgestellt werden, bevor man Krisenrandgebiete militärisch und mit Waffen zu stabilisieren und zu „ertüchtigen“ sucht.

Mit Blick auf Italien und Griechenland, die als Anrainer der Krisenregion Massen von Flüchtlingen aufnehmen, müssen wir uns in unserem Land und in Europa für eine gerechte Verteilung der Flüchtenden einsetzen (4). Die Dublin-Verträge entsprechen nicht mehr der Wirklichkeit und schaffen unter uns Unfrieden, weil die einen die Ungerechtigkeit sehen und sich für Flüchtende bis hin zum Kirchenasyl einsetzen und die anderen auf die Drittstaatenregelung pochen und Flüchtlinge abschieben wollen. Auch Europa gerät durch solche unzeitgemäßen Gesetze in Instabilität.

Ich möchte zum Abschluss an die wunderbare Partnerstädtearbeit bei der Landesgartenschau zum Abschluss erinnern. Da waren nicht nur Beiträge aus Prag, Rudolstadt oder dem Burgenland (weiße Esel) zu bewundern. Die französische Stadt Annecy schickte mehrfach wochenlang Gärtner nach Bayreuth, um unsere Stadt bei der Landesgartenschau zu unterstützen. Ein großes Modell des Sees von Annecy aus verschiedenfarbigen Glas, Kunstblumen und einem sehenswerten Wasserspiel zeigt eindrücklich, wie wichtig Annecy die Partnerschaft ist. Ein Gärtner des Bayreuther Stadtgartenamtes sagte mir letzte Woche in der Wilhleminenaue, dass er unbedingt auch in Annecy bei ähnlicher Gelegenheit tätig werden will, gleich ob dafür Geld da ist oder nicht. Schön wäre es, wenn die Partnerschaft mit der türkischen Stadt Tekirdağ (im europäischen Teil der Türkei am Marmarameer) in dieser Richtung intensiviert werden könnte (5).

Solche Städtepartnerschaften sind gelebte Hoffnung, dass die herrliche Freiheit der Kinder Gottes keine Utopie („ortlos“) ist, sondern einen Ort unter uns hat und Frieden freisetzen kann.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen


[i] Lina Shamy und Yusuf Mousa in: Özlem Topçu, Kann man denn gar nichts tun? Doch!, aus: www.zeit.de/2016/44/aleppo-syrien-bewohner-alltag-krieg/komplettansicht, 9.11.2016 DIE ZEIT Nr. 44/2016, 20.10.2016; Stand: 12.11.2016, 17:34 Uhr.

[ii] Zu den folgenden Zahlen vergleiche Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Aleppo, Stand: 12.11.2016, 17:45 Uhr.

[iii] Ebd.

[iv] Lina Shamy und Yusuf Mousa, a.a.O..

[v] Abdulkafi Alhamdo in: Özlem Topçu, Kann man denn gar nichts tun? Doch!, aus: www.zeit.de/2016/44/aleppo-syrien-bewohner-alltag-krieg/komplettansicht, 9.11.2016 DIE ZEIT Nr. 44/2016, 20.10.2016; Stand: 12.11.2016, 19:56 Uhr

[vi] Ebd.

[vii] Ebd.

[viii] Diese Information erhielt ich in der DITIB-Moschee in Bayreuth 2015 zur Vorbereitung der Station Intrade, Melodie des Lebens, Landesgartenschau 2016.



Autor: Pfarrer Martin Kleineidam