Glaube und Vernunft

Johannes 1, 1-18


 

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen. Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes. Der kam zum Zeugnis, damit er von dem Licht zeuge, auf dass alle durch ihn glaubten. Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht. Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. Es war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht; und die Welt erkannte es nicht. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden: denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus menschlichem Geblüt noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Johannes zeugt von ihm und ruft: Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist; denn er war eher als ich. Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat es verkündigt.

Liebe Gemeinde,

der Komiker Dieter Nuhr kommt gerne und oft auf die Religion zu sprechen. In einem satirischen Beitrag gab er vor, er wolle ja nicht über Religion reden, aber dann tat er es doch ausführlich. Dabei zog er vor allem spottend über den Islam her, genauer: über einen fundamentalistischen Islam. Sicherlich findet er die breite Zustimmung, wenn wir an die Terroranschläge wie jetzt gegen die Menschen in der Istanbuler Diskothek denken. Sozusagen: Religion mit Scheuklappen. Aber eben nicht nur gegen solch gewalttätigen Fundamentalismus wettert der Satiriker, er macht auch den christlichen Glauben lächerlich. Mit Vernunft, so der Komiker, könnte Religion nun wirklich nichts zu tun haben. Gerne zitiert Nuhr in seinen Programmen den verbreiteten Spruch: „Wer`s glaubt, wird selig“. „Wer`s glaubt, wird selig“, heißt doch eigentlich: das ist barer Unsinn, völlig unvernünftig, ja hirnrissig. Glauben heißt eben: nicht wissen.

Glaube und Vernunft geraten tatsächlich manchmal, ja oft in Widerspruch. Auch wenn man den Verstand beim Betreten der Kirche oder auch beim Beten nicht abschaltet, auch wenn man die Religion nicht zur Verdummung der Leute einsetzt –  wer an Gott glaubt, stößt oft an die Grenze des Verstehens. Vielen geht das so, wenn sie nicht begreifen können, wieso Gott, wenn er die Liebe ist und wenn er allmächtig ist, all das Leid zulassen kann. Viele sagen: Ich bekomme das in meinem Kopf nicht zusammen, und entscheiden sich entweder dafür, Gott abzuschalten oder aber, das Denken abzuschalten. In der Theologie nennt man das das: sacrificium intellectus – die Vernunft opfern. Sie sozusagen abzuschlachten auf dem Opferaltar des Glaubens.

Nun gehört zu diesem Epiphaniastag aber die biblische Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland. Nicht von Königen wird in der Bibel erzählt, sondern von Magiern, von Sterndeutern. Was für uns heute in den Bereich vernunftwidrigen Aberglaubens gehört: die Zukunft aus den Sternen vorauszusagen, wie das gerade zum Jahreswechsel seine seltsamen Blüten treibt – während wir solche Stern- und Zeichendeuterei heute als Aberglauben betrachten, galt die Astrologie damals als ernst zu nehmende Wissenschaft. Die Magier aus dem Orient könnte man als Wissenschaftler auf dem neuesten Stand der Forschung ansehen, so wie die Professoren an unserer Uni, die die kleinsten Nanopartikel erforschen. Schließlich heißt es ja auch: Astro-logie, die Lehre von den Sternen (nicht zu verwechseln mit der Astronomie, die auch heute als ernsthafte Wissenschaft die Himmelskörper studiert). Das Evangelium erzählt also, dass Wissenschaftler aus dem Zentrum des Wissens, sozusagen von der damaligen Harvard-Universität, kommen, um dieses Kind anzubeten. Nicht weil sie vorher ihren Verstand ausgeschaltet hätten und niederen Instinkten gefolgt wären, sondern geleitet durch ihre Forschung.

Eine ähnliche gewagte Verbindung zwischen dem christlichen Glauben und dem Denken seiner Zeit, ja der ganzen griechischen Philosophie, stellt das Johannesevangelium her. Und das nur mit einem Wort: dem Wort „logos“, das Luther übersetzt mit „das Wort“. Am Anfang war das Wort. Und das Wort ward Fleisch. Logos, woher unser Fremdwort „logisch“ kommt, die Logik als Denkvermögen und als innerer Sinn, logos, was viele Wissenschaften in ihrem Namen tragen, von der Biologie über die Ethnologie und die Theologie  bis zur Zoologie, logos, dieses zentrale Wort griechischer Geistestradition – und geistig waren die Griechen die Weltmacht und blieben es trotz der römischen Eroberungen. Dieses zentrale Wort griechischer Wissenschaft nimmt der Evangelist Johannes auf, nimmt er vielleicht auf mit einem alten Lied oder Gedicht, und sagt: Er ist es. Jesus Christus ist der Fleisch gewordene logos. Johannes baut damit eine Brücke, die später Europa geistig zu dem macht, was es heute ist: die Brücke zwischen christlichem Glauben, der im Judentum wurzelt, und der griechischen Philosophie eines Sokrates, Plato oder Aristoteles. Wir können uns die geschichtliche Tragweite dieses Kunstgriffs gar nicht vorstellen. Die Geburt dieses Kindes im Stall bleibt kein belangloser Augenblick im Schatten der Welt, aber auch nicht ein obskures Rätsel, gehütet von Dunkelmännern, sondern wird ins Licht  des Geistes und der Vernunft gestellt. Der logos, das Wort, oder wie man es übersetzen soll – Sie kennen wohl Goethes Versuche im Faust:

Geschrieben steht: „Im Anfang war das Wort! Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort!

Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muss es anders übersetzen,

wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. Geschrieben steht: „Im Anfang war der Sinn“.

Bedenke wohl die erste Zeile, dass deine Feder sich nicht übereile!

Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft Es sollte stehn: „Im Anfang war die Kraft!“

Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.

Mir hilft der Geist. Auf einmal seh ich Rat und schreib getrost: „Im Anfang war die Tat!“

Vielleicht könnte man auch sagen: Am Anfang war die Idee, die Idee Gottes. Und sie wurde Fleisch. 

„In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis konnte es nicht überwinden.“ Licht in die Finsternis bringen, das war das Pathos der Aufklärung. Das Licht der Vernunft sollte hell erstrahlen und alle dunklen Kammern ausleuchten, gerade auch die Dunkelkammern religiöser Verblendung und des Aberglaubens. Nicht nur der Hexenwahn kam zu einem Ende, dass vor allem Frauen das Spiel mit finsteren Mächten angedichtet wurde. Licht in die Finsternis hatten die Scheiterhaufen nicht gebracht, sondern die Hirne und Herzen wohl noch mehr verdunkelt. Unser Christentum heute ist deutlich von der Aufklärung geprägt, jedenfalls in unserer Volkskirche. Wenn das Kind Bauchweh hat, kaufen ihm die Eltern Tropfen in der Apotheke und rufen nicht eine Beschwörerin. Und eine Behinderung können wir auf die Erbanlagen zurückführen und müssen nicht fragen, welche schwere Sünde die Eltern wohl auf sich geladen haben.

Zu den Früchten der Aufklärung gehört auch, dass wir wissen: Nicht alles in der Bibel kann wörtlich verstanden werden, so wie es dasteht. Wenn der Kabarettist Dieter Nuhr sich darüber lustig macht, dass in der Bibel steht, die Welt sei in sechs Tagen erschaffen worden, dann trifft er damit nicht unseren Glauben. Keiner von uns würde behaupten, das Kaninchen sei ein Wiederkäuer, so wie es an einer Stelle im Alten Testament steht. Und dass das Weib in der Gemeinde schweigen soll, verstehen wir als eine zeitbedingte Aussage des ApostelsPaulus. Wenn aber die Schöpfungsgeschichte bildhaft erzählt, dass Gott die Sonne, Mond und Sterne wie Lampen an der Himmeldecke befestigt, dann war das schon damals, 1000 Jahre vor Christus, höchst aufklärerisch. Während die Nachbarvölker selbstverständlich glaubten, Sonne, Mond und Sterne seien Götter, die man nicht ungestraft als Laternen verhöhnt. Ja, die Entgötterung der Natur machte erst den Weg frei, die Wissenschaft, die Natur zu erforschen mit der menschlichen Vernunft.

Und selbst die christliche Mission (das ist ja heute am Epiphaniastag auch ein wichtiges Thema) bestand eben nicht darin, vorher glücklich lebenden Eingeborenen einen fremden Glauben und eine fremde Kultur zwangsweise überzustülpen und ihre unschuldige Nacktheit in die engen europäischen Hosen zu zwängen. Man muss nur hören oder lesen, wie der Dämonenglaube, die ständige Angst vor Geistern und Teufel, die ständige Sorge, es den Geistern der Ahnen recht zu machen, wie das einen Menschen knechten kann. Und selbst im kommunistischen China blüht der Geisterglaube, so dass chinesische Fischer, die sich von Geistern verfolgt wissen, ganz knapp vor dem Bug großer Schiffe kreuzen, damit die Geister, die ihnen auf den Fersen sind, an dem großen Schiff hängen bleiben. Manchmal freilich fahren sie so knapp vorbei, dass nicht nur die Geister hängen bleiben, sondern auch das Fischerboot selbst.

Ich erzähle das nicht, um andere lächerlich zu machen oder eine christlich-europäisches Überlegenheitsgefühl zu demonstrieren, sondern als Antwort auf die, die meinen, christlicher Glaube und Vernunft, christlicher Glaube und Freiheit seien unvereinbar und schlössen sich gegenseitig aus. Wer an Jesus Christus glaubt, dass er das Licht der Welt ist, der  kann dankbar die vielen Lichter sehen, auch das Licht, das die aufklärerische Vernunft in ein Dunkel der Angst und des Unwissens gebracht hat. Oft hilft ja eine einfache Erklärung gegen die Angst. Das fängt schon bei den Kindern an. Wenn man kurz noch einmal das Licht im Zimmer anmacht, dann sieht man, dass das Gespenst hinter dem Vorhang nur eine Falte ist. Es ist und war ein Missverständnis und ein Machtmissbrauch, wenn in Kirchen Leute verdummt wurden, um sie besser lenken zu können, um sie abhängig zu halten. Besonders durch Angst. Sehr viele Probleme lassen sich tatsächlich durch vernünftige Erklärungen lösen. Deswegen sagte Martin Luther auch immer wieder: das ist doch eine Sache der Vernunft, wenn es um die Wirtschaft geht oder um das Schulwesen.

Und doch reicht Aufklärung allein nicht aus, die Dunkelheit zu vertreiben. Nicht nur, wenn der Verfolgungswahn krankhaft ist, und jede Erklärung, wo der vermisste Geldbeutel bei nüchterner Suche doch noch zu finden sei, abprallt an der Einbildung. Da hilft eben keine vernünftige Erklärung, sondern nur viel Geduld und Liebe. Martin Luther nennt die Vernunft einmal sehr abschätzig eine Hure. Obwohl er sonst so auf die Vernunft setzt. Eine Hure wirft sich für Geld einem jeden an den Hals. Sie ist käuflich. Auch die Vernunft lässt sich vor jeden Karren spannen, sie erfindet die hilfreichsten medizinischen Apparate ebenso wie die tödlichsten Kriegswaffen. Die Konzentrationslager waren höchst vernünftig organisiert, obwohl die Judenvernichtung eine Ausgeburt des Wahnes, der Unvernunft war. Die Vernunft bleibt nur solange vernünftig, als sie um ihre eigenen Grenzen weiß. Vernünftig ist die Vernunft, wenn sie weiß, dass sie Gott nicht beweisen kann, weder dass es ihn gibt, noch dass es ihn nicht gibt. Sie kann ins Staunen hinführen, und damit nahe an den Glauben. Denn je mehr Licht wir in unsere Welt bringen, desto mehr Staunen erregt sie. Sie kann aber auch die Widersprüche aufzeigen und nahe an den Unglauben heranführen. Wenn sie vernünftig bleibt, wird sie beide Grenzen nicht überschreiten. Und sie weiß, dass sie meist machtlos ist, Licht in das Dunkel der Herzen zu bringen. Das kann vor allem die Liebe, auch wenn sie manchmal sehr unvernünftig erscheint. Deswegen heißt es in dem Friedensgruß, dem so genannten Kanzelgruß am Ende der Predigt: und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Höher ist er als die Vernunft, dieser Friede. Das bedeutet nicht, die Vernunft schlecht zu machen. Nein, sie ist eines der höchsten Güter, die wir haben, und Paulus ermahnt uns ja zu einem vernünftigen Gottesdienst. Vernunft kann sehr viel bewirken und manchmal kann man ja nur bitten: O Gott, wirf Hirn herunter (wobei nicht nur die Köpfe der anderen Bedarf haben)! Nicht das Licht der Vernunft zu verdunkeln, sondern um das Licht Jesu Christi umso stärker zum Leuchten zu bringen, heißt es heute am Epiphaniastag, dem Fest der Erscheinung Christi, wie an jedem Sonntag: der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz