Die Taufe ändert sich

Matthäus 3, 13-17


Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt zu! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's ihm zu. Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Liebe Gemeinde,

ein großes Projekt braucht einen großen, Aufsehen erregenden, wenn möglich sensationellen Start. Im Projektmanagement redet man vom „kick off“, dem Anstoß wie beim Fußball. Die neuesten Automodelle werden auf dem Genfer Autosalon mit Feuerwerk, Champagner und Modells präsentiert, man nennt das dann „glamour“. Und die Einführung eines neuen Präsidenten in sein Amt wird als Staatsakt zelebriert und in alle Welt übertragen. Der Amtsantritt Jesu als Messias, als Sohn Gottes, als Retter der Welt läuft anders, eben so ganz und gar nicht nach dem Schema der Menschen, die bedeutend sind oder es sein wollen. Aber das kennen wir ja schon von seiner Geburt. Und die Weisen aus dem Morgenland, die den neu geborenen Weltherrscher im Palast in Jerusalem suchen, müssen sich in die Niederungen eines Viehstalls begeben. Immerhin leuchtet da ein Stern und führt sie. Das ist der Weg Gottes, als er Mensch wird, sein Weg aus der Höhe in die Tiefe. Dazu passt eben, dass Jesus sein großes Projekt nicht mit Sekt und Kaviar, mit großen Reden und Jubelfanfaren beginnt. Er geht hinaus in die Wüste zu Johannes, dem Täufer und lässt sich taufen.

Dieser Johannes – am 3. Advent haben wir uns näher mit ihm beschäftigt – muss eine wilde Gestalt gewesen sein. Schließlich lebte er in der Wüste, trug ein Kamelfell – von wegen Kamelhaarmantel – und ernährte sich von Heuschrecken und wildem Honig. Zum Erschrecken war auch seine Botschaft: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen! Das Wort Himmelreich klang dabei gar nicht so himmlisch und paradiesisch. Nach mir kommt einer, predigte Johannes, der hat die Worfschaufel in der Hand. Der steht auf der Tenne und trennt die Spreu vom Weizen. Der sticht mit seiner Schaufel in den Haufen hinein und wirft das geerntete Getreide hoch. Die Spelzen, die Streu, das Unbrauchbare wird vom Winde verweht. Es fliegt davon und wird schließlich zusammengekehrt und verbrannt. Nur die Frucht, die Weizenkörner fallen auf den glatten Boden und werden eingesammelt.

Kehrt um, predigte Johannes der Täufer, vielleicht habt ihr noch eine Chance. Lasst euch taufen, lasst euch untertauchen im Jordan als Zeichen dafür, dass ihr neu anfangen wollt. Lasst den alten Adam ertränken. Lasst euch tief untertauchen, bis euch die Luft wegbleibt, ja bis euch die Todesangst packt, vielleicht rüttelt euch das wach, vielleicht ändert ihr dann euer Leben.

Wer weiß: waren die Leute in Jerusalem wirklich zu Besinnung gekommen, oder war es eine Modewelle wie so viele bis heute? War es Einsicht und Reue, war es Weltuntergangsstimmung und Torschlusspanik oder war es auf einmal chic in den gehobenen Jerusalemer Kreisen, jetzt einmal den Reumütigen rauszukehren und auf Zerknirschung zu machen, die teuren Stoffe gegen Sack und Asche zu tauschen, hinauszupilgern an den Jordan zu diesem seltsamen Heiligen und dieses Massen-Event, das geile Tauchabenteuer mitzumachen, wo es einem so richtig gegeben wird und man um eine Grenzerfahrung reicher wird.

Was wollt ihr denn hier?, ruft Johannes dementsprechend entsetzt der Schickeria der Hauptstadt entgegen. Hat euch jemand eingeladen? Wer gibt euch die Hoffnung auf Gnade? Ihr Schlangenbrut, woher nehmt ihr die Gewissheit, ihr könntet Gottes Zorn entrinnen? Das hier ist kein Spiel, kein besonders unterhaltsamer Nervenkitzel. Wenn ihr`s ernst meint, dann will ich Früchte sehen. Dann zeigt, dass ihr ein anderes Leben führen wollt. Die Axt ist den Bäumen schon an die Wurzeln gelegt. Wenn ihr nichts Gutes hervorbringt, dann wird der Baum abgehauen und zu Brennholz verhackstückt. Was wollt ihr denn hier ?!, wer hat euch gesagt, dass ihr dem Zorn Gottes entkommt?

Was willst du denn hier ?!, fragt Johannes, als Jesus von Nazareth kommt, sich von ihm taufen zu lassen. Was willst du denn hier, du hast es doch nicht nötig. „Du bist doch nicht ein Sünder wie wir und unsre Kinder, von Übeltaten weißt du nicht.“, heißt es im Lied.

Jesus reiht sich ein in die Schlange der Menschen, die Johannes als Schlangenbrut und Otterngezücht beschimpft. Jesus reiht sich ein in die Schlange der Kinder Adams und Evas, die von der Schlange verführt wurden, nach dem Höchsten zu greifen, die sein wollten wie Gott und im Elend landeten. Jesus sagt nur: Lass es jetzt geschehen. Es soll so sein. Nötig hat er es nicht, aber wir haben es nötig. Denn indem sich Jesus selbst taufen lässt, verändert sich die Taufe des Johannes. Wie eine Taube kommt der Geist Gottes auf Jesus herab, und eine Stimme vom Himmel spricht: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Merken Sie, wie die Taufe des Johannes ihren Charakter verändert? Stand sie vorher im Zeichen drohendes Unheils, im Zeichen des Zornes, heißt es plötzlich: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Es ist, wie wenn das Licht durch drohende Gewitterwolken bricht, wie wenn die Sonne aufgeht. In dem Untertauchen, in dem es eigentlich um Ertränken, um Tod geht, darum, Gottes Zorn zu entkommen, da sagt plötzlich Gottes Stimme: „mein lieber Sohn“ und „Wohlgefallen“, so wie die Engel zuvor den Hirten auf dem Feld. „Friede auf Erden, den Menschen, an denen Gott sein Wohlgefallen hat.“ Das ist ein anderer Gott als der, den Johannes verkündet. Keiner, der Angst, Furcht und Schrecken verbreitet, sondern einer, zu dem man „Vater“ sagen kann. „Abba, lieber Vater“, so lehrt Jesus, Gott anzureden.

Ohne diese Verwandlung der Taufe, die dadurch geschieht, dass Jesus sich selbst taufen lässt, ohne diese Verwandlung hätte niemals das Zeichen des Heiles und der Erlösung werden können, das uns zu Christen macht. Auf den Befehl Jesu hin haben die Jünger die Taufe übernommen, aber ganz anders als bei Johannes. Jesus ist unser Bruder geworden. Was Gottes himmlische Stimme damals am Jordan über ihn gesagt hat, das haben die Jünger Jesu gewagt, auf alle Brüder und Schwestern Jesu auszuweiten: Dass Gott bei dieser Wassertaufe sagt: Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Das ist meine liebe Tochter, an der ich Wohlgefallen habe. Und dass er seinen Geist wie eine Taube herabkommen lässt vom Himmel auf dieses Gotteskind. 

Martin Luther war dem Johannes im manchem ähnlich. Er war ein ernsthafter Mensch ohne Selbsttäuschung. Er wusste: So wie wir sind, können wir vor Gott nicht bestehen. Und da helfen keine frommen Übungen, keine Traditionen. Jeder steht selbst vor seinem Gott, unmittelbar. Manchmal erfasste Martin Luther ein Erschrecken wie damals den Johannes. Nicht nur im Kloster, als er sich quält mit der Frage: Wie bekomme ich eine gnädigen Gott, als Gottes Gerechtigkeit ihm Angst macht, weil kein Mensch die Gebote Gottes erfüllen kann, weil er wie Johannes Gott als Richter fürchtete, der schon die Wurfschaufel in der Hand hat. Auch später, auch nach der reformatorischen Entdeckung, nach der großen Befreiung, gab es immer wieder solche Momente der Anfechtung. Wenn ihm der Boden unter den Füßen wegzubrechen drohte, wenn die Angst ihn zu verschlingen drohte wie ein schwarzer Strudel, wenn Verzweiflung sich seiner bemächtigte, dann sagte er sich immer wieder dieses eine vor: Ich bin getauft, ich bin getauft. Damals hat Gott es auch zu mir gesagt: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Du, lieber Martinus, bist mein Sohn. Ich liebe dich. Du gefällst mir. Auch wenn du dir selbst im Augenblick überhaupt nicht gefallen magst.

Was bedeutet uns unsere Taufe? Mein theologischer Lehrer Eberhard Jüngel hat die Taufe als Bekenntnis verstanden: als Bekenntnis Gottes zum Menschen, so wie es in der Stimme damals zum Ausdruck kam: Das ist mein Kind, mein lieber Sohn, meine liebe Tochter. Und das wird so bleiben, was auch geschehen mag. Wir bleiben Söhne und Töchter unseres Vaters; manchmal auch gegen unseren Willen. Und wir können immer zurückkommen, so wie der verlorene Sohn im Gleichnis. Die Taufe ist für Jüngel aber auch ein Bekenntnis des Menschen zu Gott, ein Ja, auf das er sich festlegen lässt: Das soll gelten. Ja, das soll selbst dann gelten, wenn ich es nicht  glauben kann. Sogar dann noch, wenn ich aus irgendeinem Grund meinen Glauben wegwerfen sollte. Wenn das Leiden und der Schmerz so übermächtig werden sollten, dass ein Mensch sein Leben und sogar Gott verflucht. Wir wissen von frommen Männern und Frauen, die ein solches Schicksal erlitten und wie belastend das für ihre Angehörigen sein kann – besonders wenn man meint, das Leben entscheide sich darin, wie man stirbt. Nein, sagt Jüngel, das Bekenntnis, da Ja des Menschen zu Gott in der Taufe bleibt bestehen. Darauf hat er sich ein für allemal festgelegt. Ich finde das eine sehr tröstende Vorstellung.

Jüngel zieht daraus die Konsequenz, dass man Erwachsene taufen solle, weil nur sie dieses Ja sprechen können. Für mich ist das keine notwendige Folge. Denn nicht auf unser Bekenntnis kommt es an, nicht auf unser Ja. Jesus hat bei seiner Taufe gar nichts gesagt, sondern es nur mit sich geschehen lassen. Entscheidend ist Gottes Ja, selbst wenn unser Ja schwach bleibt oder sich sogar in ein Nein verwandelt.

Aber wahrscheinlich verbinden viele gar nicht so tiefe gläubige Gedanken mit ihrer Taufe. Das Kind muss halt einen Namen haben. Und so wird Taufe zur Namensgebung. Der frühere Regionalbischof von Augsburg, mein ehemaliger Chef im Predigerseminar, Ernst Öffner, hat sich übrigens dagegen gewandt, Züge oder Schiffe oder dergleichen zu taufen oder sich kirchlicherseits an solchen sogenannten Taufen zu beteiligen. Darin hat er wohl recht: Eine Taufe ist das nicht. Etwas anderes ist es, um Gottes Segen zu bitten für die Menschen, die mit diesem Zug oder diesem Schiff reisen. Wenn wir ein Haus „einweihen“, dann geschieht genau das: wir segnen vor allem die Menschen, die hier ein- und ausgehen. Bei einer Schiffstaufe heißt es ja auch: Ich taufe dich auf den Namen Augusta oder so. Bei der christlichen Taufe heißt es: Simon oder Katharina, Peter oder Maria, ich taufe dich auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wir taufen ein Kind nicht auf seinen Namen, sondern auf den des dreieinigen Gottes. Ist Ihnen das aufgefallen? Und dennoch spielt der Name eine wichtige Rolle.

Es ist gar nicht falsch, die Taufe mit der Namensgebung zu verbinden.  Auch wenn ich meinen Namen nicht erst bei der Taufe bekommen habe, sondern von meinen Eltern einige Zeit vorher im Krankenhaus. Auch wenn dieser Name schon vor meiner Taufe im Standesamt im Geburtsregister und in der Geburtsurkunde eingetragen wurde, bei der Taufe wird mein Name vor Gott genannt. Ich habe einen Namen bei Gott. Mein Name steht geschrieben, nicht nur auf Papieren, nicht nur in Urkunden und Registern. Mein Name steht bei Gott geschrieben, eingeritzt in den Baum des Lebens. „Gott spricht: Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“. So wird die Taufe, auch wenn sie ein unspektakuläres Zeichen ist, ein ganz besonderer „kick off“ ins Leben. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz