Vertraut nicht der "Mutter aller Bomben" sondern den Müttern allen Glaubens

Nicole Ahland, ,Space' # 22, 2015, Fotografie 148 cmm x 140 cm, Bild über August Riedels Altargemälde "Jesus in Gethsemane" im Rahmen der Ausstellung "Luther reicht nicht" Bayreuth Stadtkirche.

Matthäus 28,1-10


Liebe österliche Gemeinde,

 

I. Erzählungen von der Auferstehung und vom neuen Sehen

 

Alle biblischen Texte erzählen heute von der Auferstehung Jesu und vom neuen Sehen. Paulus erzählte gleich von mehreren Hundert Menschen, die den Auferstandenen gesehen haben. Markus fesselte seine Hörerinnen und Hörer mit einem leeren Grab und einem Jüngling in weißem Gewand und auch der Evangelist Matthäus hält für uns eine Ostergeschichte bereit:

 

(1) Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.

 

(2) Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. (3) Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee.

 

(4) Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.

 

(5) Aber der Engel sprach zu den Frauen: „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. (6) Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; (7) und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.

 

(8) Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.

 

(9) Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: „Seid gegrüßt!

Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.

(10) Da sprach Jesus zu ihnen: „Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: dort werden sie mich sehen.

 

II. Engel, Frauen und unsere Angst

 

Um diese Ostergeschichte einordnen zu können, lohnt ein Rückblick, von wem Matthäus da erzählt. Nach der Anklage des Hohepriesters machte sich Jesus der Gotteslästerung schuldig (26,65). Er hat von sich behauptet, Gottes Sohn zu sein. Der Centurio (Befehlshaber einer Hundertschaft) bestätigte diese Aussage nach Jesu Tod am Kreuz (27,54): „Wahrlich, dieser war Gottes Sohn.“ Schön zwar, aber vergangen, aus und vorbei war es mit der Heilsgestalt. Dabei hatte sich an Jesus die Hoffnung vieler geknüpft. Bei der Bergpredigt verkündete er eine neue Gerechtigkeit. Die Sanftmütigen sollten die Erde besitzen (5,5). Statt einer neuen Weltordnung wurde der tote Gottessohn in ein Grab gelegt, dieses versiegelt und gut bewacht. Die Hoffnung der Hohepriester und Pharisäer war es, dem Betrug und der Anmaßung ein Ende zu bereiten. Denn sie wähnten sich als die, die bestimmten, was Wahrheit ist und Wirkmächtigkeit besitzt.

 

Die Jünger haben ihrerseits Jesus verraten, verleugnet, sind geflohen. Lediglich zwei Frauen wagen den Weg zum Grab. Sie stehen für Menschen, die von dem üblichen Prozedere des Weltgeschehens getroffen wurden, und doch zu den Gräbern gehen. Sie haben im Auftreten Jesu Sinn für ihr Leben erkannt, fühlten sich erlöst von den Mächten, die sie mundtot machten. Doch die Machthaber schufen Fakten: Kreuz und begrabene Hoffnung.

 

In diesen Zusammenhang hinein erzählt Matthäus die Geschichte von einem Engel. Sein Erscheinen beginnt mit einem Erdbeben. Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee, heißt es. Für die judenchristlichen Hörerinnen und Kenner der alten Schriften von damals war klar: Mit Blitz und Feuer, Bergbeben und Rauch und Wolke erscheint allein der Herr vom Sinai (vergleiche 2. Mose 19,16-19). Die Botschaft ist klar: Gott greift ein. Furcht und Schrecken verbreitet er. Die Wachen sind so tot wie der, den sie bewachen sollten. Die Engelsgestalt setzt sich auf den weggerollten Verschlussstein. An dieser Naturgewalt kommt keiner vorbei. Ihn muss man hören, wenn man die Botschaft des Auferstandenen vernehmen möchte.

 

Uns heute liegt die Situation der Frauen wieder sehr nahe. Auch wir hatten Hoffnungen an eine Person geknüpft. Da war ein Mann, der gesagt hatte: Yes, we can. Obama war für viele eine Heilsgestalt, der sich für Gerechtigkeit eingesetzt hatte und eine Gesundheitsreform anstieß; der versuchte, mit Geduld Frieden ohne Waffen zu schaffen; der sich der Staatsverschuldung stellt und zugleich den Klimawandel anging. „Er trat 1985 der United Church of Christ bei, die sich für soziale Gerechtigkeit für Afroamerikaner im Sinne der Black Theology einsetzt.“[i] Und nun? Nach der Wahl des neuen Präsidenten triumphieren wieder Lügen, wird mit Waffen hantiert. Wir indessen bangen um den Weltfrieden. Die Belustigung über einen Mann, der in der Innenpolitik kaum etwas zustande bringt, weicht der Furcht, dass der neue Präsident Massenvernichtungswaffen einsetzen lässt.

 

III. Mutter aller Bomben?

 

In der vergangen Woche hatten die USA eine Bombe namens MOAB abgeworfen. GBU-43/B Massive Ordnance Air Blast. Mit über 8 Tonnen Sprengstoff hat sie einen Zerstörungsradius von 3,2 km.[ii] Mit der Druckwelle soll in diesem Umkreis alles Leben über und unter der Erde vernichtet werden. - Nebenbei bemerkt: Das Abwurfgebiet liegt in Afghanistan, das in Teilen von Deutschland als sicher eingestuft wird und in das Flüchtlinge abgeschoben werden. - Die Bombe sollte den Islamischen Staat treffen und zugleich Nordkorea abschrecken. Das seinerseits nun mit Waffen protzt. Die Abkürzung MOAB wird unter Soldaten und in der Presse als die „Mutter aller Bomben“ wiedergegeben. Welcher Zynismus hinter dieser Namensgebung steckt, muss man sich klar machen, was Mütter eigentlich tun: Mütter gebären Leben. Diese Bombe tötet Leben in Massen.

 

Wie schon häufig in der Geschichte der Menschheit hofft man, Krieg mit Gewalt zu beseitigen, feiert die „Erfolge“ des Militärs, bis die ersten Zinksärge in der Heimat der Bombenwerfer eintreffen. Der Stückpreis einer Bombe dieses Größe wird derzeit mit 16 Millionen Dollar gehandelt. Es ist jetzt schon deutlich, dass die Waffenindustrie der einzige Sieger sein wird.

 

Der Arbeitskreis Evangelische Erneuerung verweist in seiner Erklärung „Den Drachen an der Leine führen“ darauf, dass Verlauf und Resultate der jüngsten Kriege in Afghanistan, Kosovo, Irak, Libyen und Syrien das Postulat absurd erscheinen lassen, Kriege könnten letzte vernünftige Handlungsmöglichkeiten (ultima ratio) sein.[iii]

 

IV. Mütter des Glaubens

 

Ostern sagt uns mit Matthäus: Vertraut nicht auf die „Mutter aller Bomben“! Vertraut den Müttern allen Glaubens! Die zweite Maria ist uns als echte erfahrene Mutter bekannt, als Mutter des Jakobus und des Josef (27,56). Mit Maria Magdalena fürchtet sie sich nach der Erzählung des Matthäus vor der Erscheinung des Engels. Nach dessen Beschwichtigung: „Fürchtet Euch nicht!“ lädt sie der Engel ein, die Stätte zu besichtigen, wo der tote Jesus gelegen hat. Doch die beiden Frauen haben ihren eigenen Kopf. Sie müssen keine Tatsachen sehen. Sie glauben der Stimme vom Grabstein. Und darum geht es uns doch im Glaubensbekenntnis, um den Glauben an die Auferstehung. Statt ins Grab einzutreten, gehen sie eilends von dort weg. Sie sind es, die dem Auferstandenen bei den Füßen fassten, mit anderen Worten auf dessen Spur blieben. Sie fielen vor ihm nieder, nicht um ihn zu sehen, sondern im Herzen hochzuhalten.

Der dritte Tag nach Jesu Tod hat sie gelehrt, die Wirklichkeit anders zu sehen. Sie wurden zu den ersten Botinnen eines neuen Reiches, dessen Ausgangspunkt nach Matthäus wohl in Galiläa lag (Vers 10). Wenn man wissen möchte, wie bei Matthäus Gläubige den Auferstandenen tatsächlich sehen, so muss man ein paar Kapitel nach vorne blättern: Im Gleichnis vom Weltgericht fragen die Gerechten[iv]: „Wann haben wir dich (…) gesehen?“ Und der König antwortete: „Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben, ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich bekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen. (…) Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Ihm Nächsten, im Bedürftigen kann man also den Auferstandenen sehen.

Die beiden Frauen haben dieser Botschaft vertraut. Mit Freude gegen die Sichtbarkeit der Gräber aller Opfer von Gewalt verkündeten sie das Reich Jesu. Selig sind die Friedfertigen, denn sie sollen den Erdkreis besitzen. Das war Jesu Botschaft. Frieden schafft man nicht mit Bomben und Waffen, jede Mutter weiß das bei der Erziehung ihrer Kinder, sondern durch Teilen von Lebensmitteln, von Wohnraum und Zuwendung in Zwangslagen. Wer jetzt denkt, im Blick auf die Weltherrschaft seien das alles nur Phantastereien, möge sich doch einmal das Weißbuch der Bundesregierung vom letzten Jahr hernehmen, mit wieviel Engagement die Bundeswehr Krieg im Vorfeld durch friedensstiftende Maßnahmen zu verhindern sucht.

 

V. „Ich kann nicht mehr“ und „Space“

 

Ostern möchte unsere Sehen ändern, worauf wir sehen und dann auch Wert legen sollen. Allen denen, die von Kriegstreiberei, Waffengeschäften, Militäreinsätzen, Toten und Flüchtlingswellen genug haben, allen denen, die Opfer institutioneller oder leiblicher Gewalt geworden sind, die in die Mühlen von maschinellen Abläufen der Unbarmherzigkeit geraten sind, die verzagt sind wie die beiden Frauen aus unserer Erzählung vom Engel, sei der Chorraum heute empfohlen. Dort finden sie im Chorgestühl auf Augenhöhe 6 von 15 Grafiken des Künstlers Michael Morgner, die das Lebensgefühl vieler Menschen heute aufgreifen: Im Kopf einer Darstellung kann man lesen: Ich kann nicht mehr. Im Altarraum stehen wir nachher beim Abendmahl zusammen, nehmen die in unsere Mitte, die ausgebrannt sind und einen Ausweg suchen.

 

Dort im Altarraum möchte aber auch ein Bild unseren Blick heben. Das Bild von Nicole Ahland >,Space` # 22< aus dem Jahr 2015 möchte uns und alle die an Ungerechtigkeit und Kriegstreiberei leiden in die neue Wirklichkeit von Ostern helfen. - Wir sehen einen Lichtquader zwischen Himmel und Erde. Der Horizont zeichnet sich in der Mitte der Ränder links und rechts im Grau ab. Die Lichtfläche füllt den Raum (im Englischen Space) und diffundiert an den Rändern im Erdbereich. - Die Kuratoren und der Kirchenvorstand haben sich geeinigt, das Bild erst zu Ostern über das Passionsbild von Jesu Anfechtung im Garten Gethsemane zu hängen. Das romantische Bild von August Riedel lugt am oberen Rand noch etwas hervor. Leid und Anfechtung kann man nicht übertünchen oder zustellen. Aber zu Ostern erstrahlt am Altar für den Erschöpften ohne Zutun ein neues Licht, das über aller Verzweiflung und Anfechtung stehen soll. Ahlands Fotographie ist ein Osterbild, das die Passionszeit Jesu und unsere Passionszeit zwar nicht ungeschehen macht aber doch in ein anderes Licht bringen möchte. Die Künstlerin Nicole Ahland „nutzt die Möglichkeiten, die die Belichtung von Fotoplatten bietet, um Atmosphären“ einer anderen Welt „sichtbar zu machen. Sie zeichnet mit dem Lichtstrahl das Immaterielle und macht eine über die Atmosphäre hinausgehende,“ eine ihr „innewohnende Wirklichkeit“[v] sichtbar. Ostern wird, wenn wir wie die Jünger Jesu den beiden Frauen Glauben schenken, die mit großer Freude Jesus auf der Spur blieben und liefen, sein Reich zu verkündigten.

 

Vertraut nicht auf die „Mutter aller Bomben“! Vertraut den Müttern des Glaubens und macht Euch mit ihnen auf den Weg, sein Reich der Sanftmut zu künden! Amen.

 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 


[i] https://de.wikipedia.org/wiki/Barack_Obama. Stand: 16.04.2017.

[ii] https://de.wikipedia.org/wiki/GBU-43/B_Massive_Ordnance_Air_Blast

[iii] Mitgliederversammlung (MV)des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung (AEE), Den Drachen an der Leine führen, Erklärung der MV des AEE zum Friedensauftrag der Kirche, Nürnberg 2016, Seite 2.

[iv] Zum Folgenden vergleiche Matthäus 25, 37ff.

[v] Ohne Autorenname, Texte für die Ausstellung „Luther reicht nicht“, Bad Windsheim ohne Jahr.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Autor: Pfarrer Martin Kleineidam