Vision vom Tau der Lichter

Nicole Ahland, ,Space´# 22, 2015, Fotografie 148 cm x 140 cm, Osterbild 2017, Bayreuth Stadtkirche. Gezeigt zur Ausstellung "Luther reicht nicht" bis 15. Mai 2017.

Jesaja 26,13f.19


(13) HERR, unser Gott, es herrschen wohl andere Herren über uns als du, aber wir gedenken doch allein deiner und deines Namens.

(14) Tote werden nicht lebendig, Schatten stehen nicht auf; darum hast du sie heimgesucht und vertilgt und jedes Gedenken an sie zunichte gemacht.

(19) Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Toten herausgeben.

 

 

I. Das Anti-Ostern

 

 

Liebe Ostergemeinde,

 

der erste Teil unseres Predigttextes für die Osternacht aus Jesaja 26,13f.19 hört sich fast an wie ein Anti-Oster-Gebet. Zwar beteuert der Prophet vor Gott seine Einzigkeit, aber er stellt mit Blick auf seine Zeit fest: „Es herrschen wohl andere Herren über uns als du.“ Anders als in diesem Text hören wir zu Ostern und im Rahmen des Ostersiegs vielmehr von der Unterwerfung der Weltmächte wie bei der Offenbarung des Johannes (11,15b) „Es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Oder aus dem Philipperhymnus: „Darum hat ihn (Christus) auch Gott erhöht, (…) dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden (…) sind.“ (Philipper 2,9f.)

 

Jesaja ernüchtert aber wie ein Morgengrauen nach einem Fest im Rausch: „Es herrschen wohl andere Herren über uns als du.

 

II. Vertilgt und vergessen - Jahwe setzt noch eines drauf (Theodizee)

 

Verhält es sich aber bei uns so sehr viel anders? Nach acht Jahren einigermaßen friedlicher Regierungszeit in den USA beginnt mit dem Herrschaftswechsel dort wieder das Bangen um den Weltfrieden. Es war ja vorherzusehen:

 

Wer im Inneren leckt die Wunden,

Sucht mit Krieg zuletzt zu punkten.

 

Und wir werden womöglich Zeuginnen und Zeugen von einer Katastrophe, die sich anbahnt: Ohne UN-Mandat mischt sich eine Weltmacht in einen Krieg in Syrien ein, fährt den nukleargetriebenen Flugzeugträger USS Carl Vinson vor der Küste Nordkoreas in Stellung und provoziert andere Mächte. Während wir um den Weltfrieden bangen und später uns wohl wieder um Flüchtlinge werden mühen müssen, reiben sich Waffenhändler und Ölkonzerne die Hände, die womöglich mit dem Herrscher von Washington in Geschäftsbeziehung stehen. „Es herrschen wohl andere Herren über uns als du.[1]

 

Jesaja erschreckt uns am Ostermorgen aber noch weiter: Die Toten der Kriege bleiben nicht nur tot. Statt von der Gerechtigkeit bei der Auferstehung im Gericht hören wir, dass Gott selbst die Toten heimgesucht hat. Er steht hinter aller Gewalt von Tyrannen und Lügenbolden. Jahwe setzt noch eins drauf. Im Gebet bekennt Jesaja: Die Opfer, die Schatten werden vertilgt und jegliche Erinnerung an sie ausgelöscht.

 

Auch die vielen Massengräbern auf dem Balkan und anderswo mit vielen namenlosen Toten sind unsere Realität. Aber hinter diesen Verbrechen Gottes Wirken zu sehen, das ist doch eine Zumutung für den Glauben. Wo findet sich in diesen Zeilen die Barmherzigkeit Gottes? Luther hat von dem verborgenen Gott gesprochen (Deus absconditus), der auch in das Finstere wirkt und den Menschen in Versuchung oder Verzweiflung stürzt. Gott und seine Allmacht rücken mit der Erfahrung von Gewaltherrschern in weite Ferne. Unnahbarkeit, ja Erbarmungslosigkeit sind Eigenschaften, die Jesaja an Gott abliest. - „Sage Gott ab!“ riet schon die Ehefrau des Hiob (2,9). Wie viele von unserer Mitmenschen haben sich von Gott, Glaube und Kirche abgewandt, weil sie zu viel Grausamkeit in der Welt gesehen haben und zu wenig Mitgefühl, Liebe und Barmherzigkeit.

 

III. Die Plötzlichkeit des Umschwungs – Tau der Lichter

 

Und doch erstrahlt Ostern mitten in der Verzweiflung: Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Toten herausgeben.

Plötzlich findet sich ein Umschwung. Aus Finsternis tauen auf einmal Lichter. Mit der Poesie eines Dichters schaut Jesaja in die Zukunft und sieht einen Sternenregen. Die Lichtpünktchen dringen in die Erde, benetzen die toten Gebeine wie Tau die wüste Erde, so dass die Toten aus der Erde hervorgehen werden wie Blumen, die beim ersten Regen nach einem Dürrejahr aus dem Wüstenboden sprießen. Hesekiel hatte ja die Vision, dass die Toten wieder mit Sehnen und Fleisch überzogen und leben werden, wie wir vorhin hörten.

Jesaja hält diese Wandlung für möglich, weil es Gottes Tau ist. Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau… Wie mit dem Odem des ersten Anfangs wird der Schöpfer die Kraft haben, den Schatten neue Gestalt zu geben; ist er doch der Schöpfer des Universums.

 

IV. Meine Taufe – Mein Hirte – Mein Morgen

 

Liebe Gemeinde, so finden sich in diesem Abschnitt bei Jesaja zwei Welten. Die Welt des Anti-Ostern, wo die Tyrannen regieren und daneben die Welt von Ostern, wo ein Lichtschauer Gottes Leben zurückschenkt. Doch wie bekommen wir als Gemeinde Anteil an der Wunderwelt Gottes? Die alte Welt der Angst erleben wir ja ohnedies in der Gegenwart. Entscheidend sind bei Jesaja die Besitzanzeiger: Deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Es wird Ostern über uns, wenn wir die Wirkmächtigkeit Gottes über uns gelten lassen. Das meint Glauben. Wenn Sie sagen könne, dieser Morgen ist mein Morgen, dann ist Ostern. Wenn wir nachher von Herzen singen: „Mein ist die Sonne, mein ist der Morgen.“[2] dann taut auf uns der erste Tau.

Wenn unser heutiger Täufling Leonie Tewelde einmal später ihren Eltern zustimmen kann und bekennt, der Herr ist nicht nur ein Hirte, sondern mein Hirte[3], dann ostert es über ihr.

Die Osternester, Osterhasen und Ostereier, die wir uns gegenseitig schenken, wollen uns doch nur zu einem locken, dass wir der Zusagen trauen können, dass wir mit unserer Taufe zu Gott gehören im Leben, in mancher Verzweiflung, im Altwerden und im Tod.

Auch das Bild von Nicole Ahland >,Space` # 22<[4] aus dem Jahr 2015 möchte uns in diese neue Wirklichkeit verhelfen. Wir sehen ein Lichtquader zwischen Himmel und Erde. Der Horizont zeichnet sich in der Mitte der Ränder links und rechts im Schiefergrau ab. Die Lichtfläche füllt den Raum (im Englischen Space) und diffundiert an den Rändern im Erdbereich. - Die Kuratoren der Ausstellung in der Stadtkirche einigten sich mit dem Kirchenvorstand darauf, diese Fotographie von Nicole Ahland erst zu Ostern über die Anfechtung Jesu im Garten Gethsemane zu hängen. Ich bin froh über diese Lösung. Denn im Chor finden sich auch Kunstwerke, die den Titel tragen: Ich kann nicht mehr. Was wäre gewesen, wenn nur die Erschöpfung bleibt? Die Verzweiflung hätte gesiegt. Nun erstrahlt am Altar für den Erschöpften ohne Zutun das Licht von Ostern, das sich über alle Verzweiflung und Anfechtung legen möchte. Es ist ein Osterbild, das die Passionszeit Jesu zwar nicht ungeschehen macht aber doch überleuchten will. Liebe Gemeinde, auch dieses Bild von Nicole Ahland möchte Ihnen einen Tau des Lichtes schenken, dass das Osterfest 2017 zu ihrem Osterfest, dass das Abendmahl nachher Ihr Abendmahl, dass das Osterfrühstück Ihr Osterfrühstück und dass diese Gemeinde Ihre Gemeinde wird mit ihren Gottesdiensten, Konzerten wie vergangene Woche, mit internationalen Gottesdiensten, Kirchenasyl, Suppe am Samstag, Vorträgen, Kindergottesdiensten, Konfirmationen und vielem mehr. Dass so mancher Leidensweg von Ihnen überstrahlt wird von österlicher Hoffnung. Deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau. Amen


[1] Vergleiche: www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/trump-14444125-p2.html

[2] EG 455.3

[3] Taufspruch von Leonie Tewelde Psalm 23,1

[4] Ausgestellt auf dem Hochaltar der Stadtkirche Bayreuth über dem romantischen Bild von August Riedel >Jesus in Gethsemane<. Noch bis 15. Mai 2017 zu sehen. Begleittext zur Fotografie von Ahland zur Ausstellung:

 

Die Fotographie von Nicole Ahland >,Space` # 22< aus dem Jahr 2015 möchte uns in die neue Wirklichkeit von Ostern helfen. - Wir sehen einen Lichtquader zwischen Himmel und Erde. Der Horizont zeichnet sich in der Mitte der Ränder links und rechts im dunklen Grau ab. Die Lichtfläche füllt den Raum (Englisch: Space) und diffundiert an den Rändern im Erdbereich. Die Künstlerin Nicole Ahland „nutzt die Möglichkeiten, die die Belichtung von Fotoplatten bietet, um Atmosphären“ einer anderen Welt sichtbar zu machen. Sie lässt mit dem Lichtstrahl das Immaterielle erstrahlen „und macht eine über die Atmosphäre hinausgehende,“ eine ihr „innewohnende Wirklichkeit“[1] sichtbar.

 

Die Kuratoren und der Kirchenvorstand der Stadtkirche Bayreuth haben sich geeinigt, das Bild ab Ostern über das Passionsbild von Jesu Anfechtung im Garten Gethsemane zu hängen. Das romantische Bild von August Riedel lugt am oberen Rand von Ahlands >,Space` # 22< noch etwas hervor. Leid und Anfechtung kann man nicht übertünchen oder zustellen. Aber zu Ostern erstrahlt am Altar für den Erschöpften (vergleiche die 6 Grafiken des Künstlers Michael Morgner >Ich kann nicht mehr< im Chorgestühl) ohne Zutun ein neues Licht, das alle Verzweiflung und Anfechtung erhellen soll. Das Osterbild möchte unseren Blick heben. Es kann die Passionszeit Jesu und unsere Leidenszeit zwar nicht ungeschehen machen, aber in ein anderes Licht bringen.           

 

Bayreuth, 18. April 2017, Pfarrer Martin Kleineidam


[1]Ohne Autorenname, Texte für die Ausstellung „Luther reicht nicht“, Bad Windsheim ohne Jahr.

 

 



Autor: Pfarrer Martin Kleineidam