Vom Nutzen der neuen Kirche

Themenpredigt


Predigt zur Wiedereinweihung der Stadtkirche Heilig Dreifaltigkeit
im Gottesdienst am Nachmittag des 1. Advents, 30.11.2014

Liebe Gemeinde,

wozu brauchen wir diese Kirche überhaupt? Diese elementar, an den Fundamenten rührende Frage hat vor 400 Jahren schon Generalsuperintendent Dr. Christoph Schleupner, der Vorgänger der Regionalbischöfin und des Dekans in Personalunion, gestellt. Damals, nach dem großen Stadtbrand von 1614 hatten manche bezweifelt, ob es überhaupt gelänge, die Kirche wieder aufzubauen, ob die Riesensumme von 25.000 Gulden aufgebracht werden könnte. So hoch schätzte Baumeister Michael Mebart ein gutes Jahr nach der Zerstörung die Kosten, als er das Trümmerfeld inspizierte. Auch damals wurde ein Großteil der Baukosten durch staatliche Mittel abgedeckt. 2006, als das Ausmaß der Schäden an unserer Stadtkirche langsam offenbar wurde, waren es wohl nicht ganz ernst zu nehmende Gedanken und Fragen, ob sich eine Renovierung dieser Kirche lohnt, wofür sich die Kosten am Ende wohl bei 13 Millionen Euro bewegen werden. Die Notwendigkeit, dass die Stadtkirche Heilig Dreifaltigkeit saniert und restauriert wurde, wird wohl niemand in Zweifel ziehen, und das nicht in erster Linie aus Gründen des Denkmalschutzes. Aber die Frage, wozu brauchen wir diese Kirche, ist angebracht, weil sie unseren Blick weg lenkt von den stählernen Sicherungsstäben, den ausgebesserten Sandsteinrippen, der erneuerten Farbgebung, den neuen Ausstattungsstücken und der ganzen Technik, die sich hier verbirgt – hin zu dem dreieinigen Gott, dem diese Kirche auf den Tag vor 400 Jahren geweiht wurde.

 

Der erste Nutzen der Kirche, den der damalige Dekan zeigt, heißt: Gottes Gegenwart. In der Arie haben wir die Zusage, dass der lebendige Gott hier ist, gehört mit dem bekannten Bild der Wohnung: „Zion ist noch seine Stadt, / da er seine Wohnung hat.“ Und Schleupner sagt: „Nun hat Gott sein Haus bei uns zu Bayreuth, und heute ist er eingezogen, heute hat er seinen Advent bei uns gehalten. Darum haben wir ihn hier wohnhaft“. Gott selbst, wohnhaft Kirchplatz 1. Er hat sogar eine Hausnummer. Freilich wissen wir, dass er auch an anderen Orten zuhause ist, nicht nur in anderen Kirchen. Und aus dem Gebet des Königs Salomo bei der Einweihung des Tempels in Jerusalem, das Pfarrer Bayer heute Vormittag vorgelesen hat, hören wir auch die Mahnung, dass wir Gottes nicht habhaft werden können, ihn nicht einsperren, nicht über ihn verfügen können. Die Himmel und die unendlichen Räume des Alls können ihn nicht fassen. Ganz vorsichtig wird vom Tempel gesprochen als dem Ort, wo Gott seinen Namen wohnen lässt. 100 Jahre nach Beginn des ersten Weltkriegs, als auch in dieser Kirche Unsägliches von dieser Kanzel gepredigt wurde, sehen wir, welcher Missbrauch getrieben wurde mit dem „Gott mit uns“, wenn man meint, Gott ganz selbstverständlich auf seiner Seite zu haben und für die eigenen Zwecke vereinnahmen zu können. Gott ist frei, er lässt sich nicht vor den Karren spannen. Aber er ist so menschenfreundlich, dass er hier bei uns wohnen will, mitten unter uns. Nicht dass er hier gegenwärtiger wäre als im Laden, in der Gastwirtschaft oder dem Büro in der Regierung nebenan. Aber wir werden hier mit allen Sinnen darauf gestoßen: durch den Altar, durch die Bilder, durch die Architektur, die unseren Blick nach oben zieht, hinauf zu ihm, der sein helles Licht hereinströmen lässt, den Morgenglanz der Ewigkeit. Gott ist gegenwärtig, das kann auch die Atmosphäre dieser Kirche spüren lassen, nicht nur beim Gottesdienst, wenn die Orgel und andere Instrumente Glanz verbreiten und die Seele anrühren, sondern auch während der Woche, wenn dann die Orgel fertig intoniert und Stille eingekehrt ist.

Als zweiten Nutzen der Kirche nennt der Generalsuperintendent Gottes Segen. Als Ort der Gegenwart Gottes ist sie ein Ort des Segens. Die Kantate führt im vierten und fünften Satz diesen Segen genauso mit zwei Seiten aus wie der „aaronitische Segen“ am Ende unserer Gottesdienste: der Herr segne euch und behüte euch. Der unbekannte Dichter des Kantatentextes beginnt mit der Schutzfunktion: „Gott ist noch unsre Zuversicht, / sein Schutz, sein Trost und Licht / beschirmt die Stadt und die Gäste (so haben Herr Dorn und ich umgedichtet).“ So hatte der zweite Stadtkirchenpfarrer Matthias Häfner ja auch gepredigt am Nachmittag des damaligen Adventssonntages: die beste Feuerwehr, der beste Bandschutz – und wer heute baut, weiß, was Brandschutz bedeutet und kostet – die größte Vorsicht im Umgang mit brennbarem Material – es eben nicht so zu machen wie der Metzger Ruppert in der Sophienstraße, dessen Unachtsamkeit beim Talgsieden den Brand auslöste, obwohl er bereits verwarnt worden war – alle menschlichen Maßnahmen, so Häfner, nützen nicht, wenn nicht Gott die Wacht hält.

 

Freilich fragte man sich sieben Jahre nach der Wiedereinweihung, als noch ein größerer Teil der Stadt abbrannte und auch die neue Orgel, die erst zwei Jahre von Weltstars zum Klingen gebracht worden war – freilich fragte man damals und fragt auch heute, wo Gott geblieben ist mit seinem Schutz, warum er nicht den versprochenen Engel schickte, der die glimmende Lunte austritt oder den ausgleitenden Fuß festhält. Die Antwort, die man vor 400 Jahren gab und genauso noch vor 100 Jahren, befriedigt nicht: dass es Gottes Strafe war. Die Frage nach dem Warum, die über alle menschlichen Fehler und Gründe des Versagens hinausgeht, bleibt ohne Antwort. Die Antwort Gottes auf die bohrende Frage des Mannes am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ – die Antwort kam erst am dritten Tag in Form der Auferstehung. Wohl auch deshalb wurde der Altar für die Stadtkirche als Passionsaltar gestaltet. Weil der letzte Trost im Kreuz liegt. Weil Jesus Christus gestorben ist, kann uns nun nichts mehr trennen von ihm und von Gott, dem Vater. Weil Gottes Hand ihn gehalten und herausgezogen hat aus dem Reich und der Herrschaft des Todes, deshalb können auch wir nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.

 

Doch am Altar sind neben den Leidenswerkzeugen oben in der Mitte, auf dem „Wappen Jesu“, das über den Wappen der markgräflichen Herrschaften steht, neben Dornenkrone und Nägeln und all dem, was Schmerz zufügt und tötet, am Schnitzwerk des Altars sind Früchte, vor allem Trauben zu sehen. Schleupner geht beim Thema Segen eben nicht nur auf diese geistliche, spirituelle Dimension ein, dass die Seele Trost finden kann, sondern er entfaltet ganz handfest und materiell all die Segnungen, die Gottes Gegenwart mitten in der Stadt, mitten im Leben verspricht. Er nennt das „den Segen der Brüste und Bäuche“, wobei es ihm wohl weder um Brust- oder Bauchumfang ging, noch um ästhetische Schönheitsideale, sondern um die Fruchtbarkeit, den Kindersegen und den in den Ställen, die Milch und die sonstige Ernährung. In einer Wohlfahrts- ja Überflussgesellschaft – wie begann des Rezitativ im vierten Satz – Gottlob, es geht uns wohl! – mitten zwischen Läden, im Zentrum der Genussregion Oberfranken mit der größten Dichte an Bäckereien, Metzgereien und Brauereien können die wie Zeigefinger zum Himmel weisenden Türme der Stadtkirche zumindest an den Geber aller guten Gabe erinnern, und ein Glockenschlag zu Mittag daran, in der Kantine oder einer der zahlreichen Gaststätten rund um die Kirche, wenigstens in der Stille kurz „danke“ zu sagen.

 

Mit dem Mittagsläuten sind wir beim dritten Nutzen (insgesamt nennt Dr. Schleupner sechs, aber aller guten Dinge seien heute bei der Wiedereinweihung der Stadtkirche Heilig Dreifaltigkeit eben drei) – dritter Nutzen: die Kirche als Ort des Friedens. Die drei Mal drei Schläge des Türkenschlags, die jeden Mittag vom Turm erklingen, waren ursprünglich gegen die Türken gerichtet, die Europa zu überrennen drohten. Zum Glück hat sich wie in Europa so auch in unserer Stadt das Verhältnis zwischen den Kulturen und den Religionen gewandelt. Der Türkenschlag mahnt heute zum Frieden. Schon vor 400 Jahren wurde es als positives Zeichen für den Frieden angesehen, dass man die Kirche wieder aufbauen konnte: „dass man bei uns so schöne und große Kirchen bauen kann, das ist ein Anzeichen des lieben Friedens in unserem Land. Denn im Krieg baut man keine Kirche, sondern zerstört, zerbricht oder plündert sie im geringsten Fall“. Der Dekan bricht richtiggehend emotional aus: „O welch in Kleinod ist der Friede.“ Und zitiert den lateinischen Dichter Silius Italicus: „Das Beste von allem, was der Mensch kennen kann, ist der Friede!“ – Das war vier Jahre vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. In der Bachkantate wird nicht Latein, sondern ein Psalm zitiert, nämlich der 85. mit seinem erotischen Bildwort, dass Gerechtigkeit und Frieden einander küssen, also eine liebevolle Vereinigung eingehen.

 

Zum Frieden gehört also das Recht, die Gerechtigkeit. Die Kantate ist ja zu einem politischen Anlass entstanden: dem Ratswechsel in der Stadt Leipzig, sozusagen für die Einführung des neuen Stadtrats, wie wir sie im Mai noch in der Spitalkirche begangen haben. Die Stadtkirche ist von Anfang an mit dem Wohl und Wehe unserer Stadt verknüpft. Die erste urkundliche Erwähnung von Bayreuth, damals Baierrute, am 9. November 1194 geschieht, als der Bischof von Bamberg mit seinem ganzen Domkapitel und hohen Adligen hier weilt, wohl zur Grundsteinlegung oder sogar der Einweihung der romanischen Kirche, deren Grundmauern noch unter uns liegen. Auch dieses Jubiläum könnten wir feiern: 820 Jahre Stadtkirche und Stadt Bayreuth. Nur noch ein historisches Detail dieser engen Verbindung: Das Mitglied des inneren Rates, aus dem periodisch die Bürgermeister gewählt wurden, Konrad Küffner hat das Epitaph gestiftet, auf dem nicht nur die Geschichte des Stadtbrandes beschrieben ist, und dass die Kirche dann den Namen Heilig Dreifaltigkeit bekam, sondern der kleine Altar enthält auch die älteste Stadtansicht. Küffner war als Gotteshausmeister übrigens auch für die Finanzen der Stadtkirche zuständig. Der 9. November, was für ein Datum. Jährlich gedenken wir auf dem jüdischen Friedhof mit der jüdischen Gemeinde der Reichsprogromnacht. Dieses Jahr feierte Deutschland 25 Jahre Maueröffnung. In der Arie wird dann um Gottes Segen für die Regierenden gebetet: „Segne die, so uns regieren, / die uns leiten, schützen, führen, / segne, die gehorsam sind.“

 

Wie kann die Stadtkirche beitragen, dass Frieden und Gerechtigkeit nicht nur einander küssen, sondern wie zwei Musen all die Menschen in Bayreuth küssen, die zu ihren Türmen heraufsehen vom Markt oder vom Rathaus. Auf manchen Bildern umarmen sich sogar die beiden Türme. Sie sind eines der Wahrzeichen unserer Stadt und sollen es im ursprünglichen Sinn des Wortes sein; denn – so hat es Bernd Schwemmlein in seinem Beitrag über die Türmer beschrieben – Wahrzeichen sollen Aufmerksamkeit erregen, so wie unser neues Logo auch. Aber sie sind mehr als Hilfen zum schnellen Wiedererkennen. Denn  aufmerksam werden, achtgeben – oder fränkisch „Obacht“ – heißt viel mehr. Früher gab der Türmer da droben Obacht, dass nichts anbrennt. Die Türme zeigen hinauf zu dem Gott, der Obacht gibt auf uns, aber sie sagen auch in andere Weise „Obacht!“ „Obacht“ bei euren Geschäften und euren Beschlüssen im Rathaus, nebenan bei der Regierung oder beim Diakonischen Werk und im Kapitelsaal. „Obacht“ wenn es darum geht, den Sonntag zu schützen. „Obacht“, wie ihr mit den Flüchtlingen umgeht, mit den Ausländern; „Obacht in der Deutschen Rentenversicherung“, dem größten Arbeitgeber im Schatten der Türme, dass die Alten noch ihr Auskommen haben in Zukunft. Dieses freundliche und manchmal ernste „Obacht“ kommt nicht von einer hohen Warte, wo man alles besser weiß, ruft auch nicht zur „Habachtstellung“ gegenüber kirchlichen Autoritäten, sondern will Achtsamkeit für den Menschen. Und zwar deshalb, weil er, der treue Menschenhüter dort oben, auf uns achtgibt. Deswegen ist der Grundton nicht nur der Kantate, sondern dieses ganzen Tages und hoffentlich auch unserer Herzen überhaupt, der Dank. Heute kommt er überschwänglich: wir danken dir, Gott, wir danken dir. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz