Geist von Pfingsten und Ungeist des Todes

Johannes 16,5-15


Liebe Gemeinde,

 

I. Vom Bedauern, dass Jesu nicht mehr da ist

 

   „Schade, dass dieser Jesus nicht mehr unter uns ist.“ Ich weiß nicht, liebe Gemeinde, ob Sie diesen Satz irgendwann einmal gedacht haben. Mir ist dieser Gedanke bekannt. „Schade, dass dieser Jesus nicht mehr unter uns ist.“ Dieses Bedauern spiegelt sich heute in manchen Fragen von Schülern, ob wir denn eigentlich nichts Genaues von Jesus haben. „Hat er wirklich gelebt?“ In der Schule lernen die Kinder, dass weder das Geburtsdatum, noch das Sterbedatum des Nazareners genau zu ermitteln ist. Er hat im Unterschied zu den meisten Religionsgründern keinerlei Schriften oder sonstige Güter hinterlassen. Historiker versuchen Beweise für die Existenz Jesu zu finden. Hie und da findet sich auch eine Notiz bei dem römischen Schriftsteller Tacitus oder Sueton. Und freilich haben wir die Evangelien und neutestamentlichen Briefe. Aber alle diese Schriften sind keine Zeitzeugnisse Jesu. Mittelalterliche Reliquienfrömmigkeit suchte daher tausendfach in gefundenen Holzsplittern Teile des Kreuzes Jesu zu erkennen. Die Beweisführungen sind Ausdruck des Kummers, dass Jesus nicht mehr unter uns ist.  Hätten wir ihn leibhaftig bei uns, wir hätten dann doch das Wort Gottes, das Leben, aus erster Hand.

 

II. Etwas Substantielles ist verloren gegangen

 

   „Schade, dass dieser Jesus nicht mehr unter uns ist.“ Im Grunde offenbart dieser Satz mehr als nur Bedauern. Irgendetwas von diesem Mann hatte einen berührt. Man hätte ihn wohl gerne noch näher kennen lernen wollen. Doch er ist nicht da. Etwas Substantielles ist mit ihm verloren gegangen. Mit den Jüngern Jesu spüren wir den Verlust. Ein Mann, der dem Leben Sinn und Perspektive vermittelt hat, entschwindet. In Johannes 16,5-15 hören wir wie der Gekreuzigte und Auferstandene zu seinen Jüngern redet:

 

 (5) Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? (6) Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer.

 

   (7) Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der  Tröster nicht zu euch.   Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.

 

   (8) Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht;(9) über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; (10) über die  Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; (11) über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.

 

   (12) Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. (13) Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird,  wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. (14) Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen. (15)  Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird's von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.

 

III. Der Geist öffnet der Welt die Augen

 

   Wenn einem bisher das Pfingstfest ein Rätsel war, dann womöglich durch diesen Text erst recht.  Vielleicht liegt es daran, dass wir als Kinder der Welt uns selbst ein Rätsel sind. Was tut die Welt eigentlich. Sie urteilt und richtet in einem fort. Sie tut es mit jedem Adjektiv und jedem Adverb. It´s great! It´s awesame! It´s true! Es ist großartig. Es ist hammermäßig (eigentlich furchteinflößend)! Es ist wahr! So dröhnt es wie mit Maschinengewehrsalven seit einem Jahr über den Atlantik! Aber was wir da in Zuspitzung hören, findet sich bei uns selbst im Kleinen auch. Mit jedem Eigenschaftswort geben wir ein Urteil über die Welt und andere Menschen ab. Wir richten, weil wir uns im Besitz der Wahrheit glauben. Im Johannesevangelium tritt Jesus der Welt und ihren Urteilen entgegen und sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich!“ (14,6) Wenn der Geist von Pfingsten kommt, wird die Sünde der Welt offenbar, heißt es in unserem Predigttext. Die Sünde offenbart sich nicht in einem Urteil der Moral und Ethik, die sagt: „Das ist gut, das ist falsch, das ist richtig, das ist verwerflich!“ Sünde ist, Wahrheit und Leben, ja Gott außerhalb von Jesus und seinem Urteil zu suchen. Den Jesus der Geschichte hält man noch für wahr. Den Jesus des Glaubens aber für entbehrlich. Wenn der Geist der Welt die Augen öffnet, so öffnet er ihr diese für die eigene Blindheit gegenüber der Bedeutung Jesu.

 

Gerechtigkeit heißt nun, dass der Gerichtete und der Gekreuzigte, die Gerechtigkeit des Himmels findet. Die Augen der Welt suchen diesen Jesus. Sie finden aber Jünger und Zeuginnen vor, deren Augen für Jesus für immer verschlossen sind. Ein Irrwitz? Nein, denn was hat denn die christliche Gemeinde? Sie ist nicht im Besitz einer neuen Wahrheit oder einer neuen Heilsgestalt. Sie hat nur den Glauben daran!  Die Gemeinde Jesu sieht nicht, sie glaubt; daran erinnert uns die Geschichte vom Thomas am Ende des Evangeliums.

 

Ein letztes wird der Welt offenbart: Der Fürst dieser Welt ist gerichtet. Dieses Gericht birgt Heil für die Welt; denn der Kosmos hat ein Problem: Es ist der Tod. Er ist der Herr dieser Welt und der Antityp zu Pfingsten. Gerichtet ist er mit Jesu Erhöhung, dem Kreuz, und dem Gang Jesu zum Vater (Himmelfahrt). Pfingsten hat den Tod zum Gespenst gemacht. Er geistert zwar noch in den Hirnen und Herzen umher. Ihn hören wir in Urteilen wie It´s great! It´s awesame! It´s true! Aber der Ungeist Tod hat keine Macht, auch wenn er denkt er hätte eine, indem er Bomben auf Afghanistan schmeißt oder unter Kindern  Westeuropas explodieren lässt – wie gestern wieder in London.

 

IV. Durch den Geist auf den Weg in ein neues Land mitgenommen

 

   Der Geist des Todes hat vor allem auch keine Macht über die Jünger Jesu, über die christliche Gemeinde. Sie ist nach der Welt die zweite Adressatin der Rede Jesu. Die Jünger werden durch Jesu Rede zu Bürgerinnen und Bürgern einer anderen Welt, eines himmlischen Landes gemacht. Wenn der Geist kommt, wird er in der Wahrheit leiten. „Ich bin der Weg, die Wahrheit!“  Ein Weg in der Wahrheit ist etwas anderes als sich im Besitz der Wahrheit zu wähnen. Denn auf dem Weg der Wahrheit haben Anfechtungen, Zweifel und Ängste Raum. „Ich habe euch noch viel zu sagen: aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen!“ hören wir Jesus im Predigttext. Das Nicht-Sehen, der Glaube, lässt einen bei Gelegenheit in der Schwebe, womöglich im Dunkeln und Ungewissen.

 

Aber wir bekommen durch und im  Geist Anteil an dem Eigentum Jesu, der da sagt „Ich bin das Leben“. Leben ist doch das, was Gott, der Vater, in Fülle hat, wie es am Ende des Predigttextes anklingt. Somit werden wir mit dem Pfingstfest zu Kindern im Reich Gottes, zu Kindern des Lebens. Wir werden nicht zu Menschen gemacht, die mit Schlagstöcken, Hunden und Pfefferspray Lernende aus einer Schule abholen und in Kriegsgebiete abschieben wollen. Für jeden, der in einer Schule unterrichtet, bedeutet die Vorstellung letzte Woche in Nürnberg Unerträglichkeit. Mit dem Geist von Pfingsten werden wir vielmehr zu Menschen gemacht, die Leben vor Bomben schützen möchten. Ein Geist, an den auch Polizei und Militär mit Notwendigkeit anknüpfen können.

 

In diesem Reich redet kein Geist im Eigeninteresse: Amerika first oder Germany first. Er redet auch nicht im eigenen Interesse von Obergrenzen der Liebe. Der Geist in diesem Land redet weniger, er hört zunächst. Er hört insbesondere auf die Stimme und die Worte Jesu in den Evangelien, sei es in der Bergpredigt bei Matthäus oder in der Feldrede des Lukas. Er hört auf die Gleichnisse bei Markus oder auf das Liebesgebot (Joh. 15,12) im Johannesevangelium.

 

 In diesem Land dürfen die Glaubenden Freiheit atmen, Freiheit von dem Tod, Freiheit von der Angst. Hier darf man Visionen haben, prophetisch reden dürfen. „Was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.“ heißt es bei Johannes. Unsere Vorstellungen von Gerechtigkeit und Visionen dürfen an dem Tun und Reden Jesu anknüpfen. Keine Utopien sind gemeint, kein ausgedachtes Land, kein „Phantasia“, denn das hieße wieder aus sich selber reden. Der Geist, der die Jünger, der uns erfassen will, knüpft an Jesu Reden an und wendet sich denen zu, die durch Adjektive anderer gerichtet werden. Er kommt zu den Abgeurteilten und Ausgegrenzten, die den Kreuzweg Jesu gehen und nimmt sie auf den Weg des Lebens und der Wahrheit mit.

 

V. Der Geist des Trostes

 

Der Geist von Pfingsten ist kein Kind der Traurigkeit, dass Jesus nicht mehr da ist, sondern des Trostes, dass Jesus in Wort und Sakrament gegenwärtig ist für die, die unter den Urteilen und Wertungen dieser Welt leiden.

Amen

 

Und der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.



Autor: Pfarrer Martin Kleineidam