Die Botschaft ausbreiten und im Herzen bewegen

Lukas 2, 15-20


Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.
Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.
Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.
Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

 

Liebe Gemeinde,

es gibt Geschicklichkeitsübungen oder –tests, bei denen man den beiden Händen ganz unterschiedliche Bewegungen machen muss. Zum Beispiel soll die eine Hand eine Gerade beschreiben, gerade vor oder zurück, während die andere Kreise malt. Sie können es ja einmal probieren. Gleichzeitig gegensätzliche Bewegungen machen, da muss man sich schon konzentrieren. Aber dass im Leben das Gegensätzliche gleichzeitig da, kommt ja häufiger vor. Man nennt das dann Ambivalenzen. An Weihnachten tritt diese Ambivalenz bei manchen in der Form auf, dass Freude und Trauer zugleich aufkommen. Das Leben ist selten einlinig oder einpolig, dass sich alles um ein Thema dreht wie der Kreis um einen Mittelpunkt. Meistens sind es gegensätzliche Pole, die Spannung erzeugen. Aber wie beim Magnet steckt in diesen gegensätzlichen Polen auch Kraft.

Am Ende der Weihnachtsgeschichte, als die Höhepunkte vorbei sind – die wundersame Erscheinung der Engel bei den Hirten draußen auf dem Feld, als es plötzlich taghell wird mitten in der Nacht, und dann die Botschaft der Engel, die die Heilige Nacht erfüllt; und später die Szene im Stall, als die Hirten niederknien und das Kind anbeten, weil sie in ihm den Heiland, den Retter erkennen. Als das alles vorbei ist, scheint die Weihnachtsgeschichte ihre Spannung verloren zu haben. Vielleicht hört man dann gar nicht mehr so genau hin bei den letzten Versen, als die Hirten wieder heim ziehen und Maria mit dem Kind und  ihrem Josef allein zurück bleibt. Am Ende der Weihnachtsgeschichte können wir genau diese gegenläufigen Bewegungen beobachten.

Die Hirten ziehen hinaus, heim zu ihren Herden, zu den Ställen und in die Dörfer. Sie breiteten das Wort aus, heißt es. Es muss hinaus, alle sollen es hören, sollen es erfahren. Nicht nur, dass es solche Typen von Menschen gibt, die ein unheimliches Mitteilungsbedürfnis haben. Kinder, die von der Schule nach Hause kommen und gleich losplatzen, was sie alles erlebt haben, was sie beim Ausfragen gewusst haben, wie nett oder blöd der Lehrer war und wie gemein wieder einmal der eine Junge; Männer, die am Abend nach der Arbeit all das los werden wollen, was sich im Laufe des Tages angesammelt hat, bis hin zu den bekannten Tratschweibern – die es natürlich ebenso in männlicher Form gibt -, die am Gartenzaun oder an der Einkaufskasse, besonders gern beim Friseur und bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit einem „Hast du schön gehört“ oder „Wissen sie schon“ begierig die neuesten Neuigkeiten ausbreiten. Meistens sind es keine guten oder freundlichen. Und wenn es um die Liebe geht, dann eher im zweifelhaften Sinn.

Es lag wohl nicht nur am Mitteilungsbedürfnis dieser Hirten, die vielleicht schon stumm geworden waren bei ihrer manchmal stumpfsinnigen Arbeit in den langen stillen Nächten. Sie hatten etwas gesehen und erlebt, was sie weitersagen mussten. Ihr Herz war so voll, dass der Mund übergehen musste, auch wenn sie sonst nicht alle so redselig gewesen sein mögen. Ihr Herz war voll, und zwar von Freude. Nicht von dem, wovon unsere Herzen manchmal voll und schwer sind und von dem sie dann auch überfließen mit Seufzen, Schimpfen und Klagen. Luther sagt: Gott ist wie ein glühender Backofen voller Liebe. Da hatten sie hinein geschaut in diese Glut, in dieses Feuer, wo alles zerschmilzt und ausgeht ins Licht.

Wie wohl tun Menschen, deren Herz davon erfüllt ist und die das verbreiten. So wie Paulus es in seinem hohen Lied der Liebe beschreibt: sie freuen sich nicht an der Unwahrheit, sondern an der Wahrheit. Sie ziehen nicht über andere her, sondern wenden alles zum Besten. Sie verurteilen nicht, sondern nehmen in Schutz. Das heißt ja nicht, dass die Hirten die kritischen Töne hätten verschweigen müssen. Zum Beispiel, dass sich das Ganze im Stall abgespielt hat und die Oberschicht in Jerusalem keine Ahnung davon hatte. Aber wenn es darum geht, das Wort auszubreiten, was in der Bibel ein anderer Ausdruck für „Mission“ ist, dann steht an erster Stelle das Evangelium. Das gilt auch für uns als Kirche und als Christen heute. Evangelium bedeutet nicht, die Zustände schön zu reden wie es die Propaganda tut. Zwar kommt das Wort Propaganda genau von diesem „Ausbreiten“ aus der Weihnachtsgeschichte, aber es hat den üblen Beigeschmack des Unwahrhaftigen bekommen, wenn im Extrem die DDR-Grenze mit ihren Mauern, dem Stacheldraht und den Selbstschussanlagen, mit der ein ganzes Volk eingesperrt war, als antifaschistischer Schutzwall bezeichnet wurde. Evangelium ist keine Propaganda, sondern das Ausbreiten, was die Hirten gesehen und gehört haben an Weihnachten: Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Euch ist heute der Heiland geboren.

In den Krippenspielen am Heiligen Abend spielen die Mädchen gerne die Engel und die Jungs übernehmen mit Vorliebe die Rolle der Hirten. Es wäre schön, wenn die kleinen und großen Mädchen und Jungs auch darüber hinaus diese Rolle weiter spielen würden, dass sie Engel bleiben und die große Freude weiter verkündigen, und dass sie Hirten bleiben und die Weihnachtsbotschaft ausbreiten, wenn sie wieder zurück sind auf ihren Feldern, in ihren Dörfern und Ställen. Am besten geht das, wenn das Herz davon voll ist. Lassen wir es uns füllen in diesen Tagen.

Die zweite Bewegung, gleichsam die kreisende, erkenne ich bei Maria. Von ihr heißt es: sie behielt all diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Es ging wohl noch rund in ihrer Seele, die ganzen Eindrücke, die Qualen und dann das Glück, die Ängste einer jungen Mutter, besonders unter diesen Umständen, und dann die Freude, aber dann vor allem, dass diese Leute kamen, nach ihrem Kind zu sehen und ihr zu gratulieren, nicht nur, wie wir gratulieren zur Geburt, und das tun auch schon einmal wildfremde Leute, sondern dass sie erzählen von einer wunderbaren Erscheinung und von Engeln, alles nur wegen ihres Kindes, das der Retter der Welt sein soll.

Das wollte sie festhalten, sich bewahren, nie wieder vergessen, so wie wir uns in einem überwältigenden Augenblick vornehmen, das nie wieder zu vergessen, die Bilder, die Gefühle und vor allem die Worte, an die wir uns dann ein Leben lang erinnern und immer wieder zusammenbringen mit diesem Ort, diesem Geschehen, diesen Eindrücken. Und zugleich die Worte bewegen, hin und her wenden, so wie man eine Blume, einen Edelstein oder ein Kunstwerk hin und her wendet, von allen Seiten, aus den verschiedenen Perspektiven betrachtet und tatsächlich immer wieder neues entdeckt. Zum Beispiel wenn man die Worte einzeln und unterschiedlich betont: Euch ist heute der Heiland geboren. Euch, nicht irgendjemandem auf der Welt, nicht den anderen, den Superfrommen, denen, die sich für Makellos oder Unschlagbar halten – Euch, Dir. Das ist, wie wenn jemand mit dem Finger auf dich zeigt, aber nicht vorwurfsvoll oder unhöflich, weil man nicht mit Fingern auf jemanden zeigt. Er ist geboren, tatsächlich. Es ist nicht nur eine Legende, ein schönes Märchen oder ein Wunschgedanke von dem Märchenprinzen, der das arme Mädchen erlöst und reich macht. Christ ist erschienen. Lateinisch est. Est, est, est, hat der deutsche Kaiser bei seiner Durchreise am Bolsena See in Italien gerufen, drei Mal: er ist es. Allerdings hat er den Wein gemeint, der noch heute dort so heißt in Montefiascone. Um wieviel mehr gilt das für Jesus Christus: Er ist es.

Der Heiland. Wie oft und sehr kann und muss man dieses Wort drehen und wenden und wieviel kann es bedeuten. Einer, der uns Heil bringt, heil macht. Wie viele haben das versprochen, versprechen des heute: Heilung, Heiles für die Seele. Worin suchen die Menschen ihr Seelenheil? Wie kann er, wie kann der Glaube in ihn Heil und Segen bringen „mit zugleich“? Wo wir von ihm doch nur Worte haben oder Zeichen wie das Kreuz oder Brot und Wein? Wo wir das alles nur haben als Versprechen und nichts Handfestes. Und trotzdem merken, wie das befreien kann innerlich von Selbstvorwürfen, von Ängsten, verlassen zu sein oder gar verloren. Weil wir merken, wie solche Worte gut tun: Ich habe dich je und je geliebt, wenn es einer sagt, der von Gott kommt und zugleich ein Mensch ist wie wir.

Er ist geboren, ein kleines Kind, ein Säugling, so wie wir geboren wurden; einer von uns. Geboren, das heißt: es fängt an, Gott fängt klein an. Das muss wachsen. Das braucht Zeit, sich zu entwickeln. Geboren werden bedingt: zu sterben, um aufzuerstehn, zu einem neuen Leben geboren werden; aber vorher auch zu leiden. Von Anfang dieser Gegensatz: geboren, um zu leben; geboren, um zu sterben; Erfüllung der Hoffnung und wieder angewiesen sein auf Hoffnung.

Darin ist Maria wirklich die erste, die glaubt, darin ist sie Vorbild: dass sie die Worte festhielt und bewahrte, dass sie sie ihm Herzen bewegte, so dass ihre Gedanken kreisten, nicht so, wie unsere Gedanken manchmal kreisen und uns immer tiefer hinein und hinter ziehen in einer ausweglosen Spirale, sondern glücklich. Auch das kennen wir, dieses glückliche Kreisen um ein gutes Wort, ein Wort der Liebe, ein geheimnisvolles Wort; denn die Liebe ist das größte Geheimnis; Worte, die man nie vergisst. Wenn man solche Worte im Herzen bewegt, dann kann es, ja wird es geschehen, dass das Herz voll wird, bis es fast platzt. Aber weil es nicht platzen und zerreißen soll, fließt es über. Beide Bewegungen gehören eben zusammen: das Kreisen und das Ausbreiten. Bei den Hirten und bei Maria waren es wohl genau die Worte der Engel, die wir an Weihnachten gerne wiederholen: Euch ist heute der Heiland geboren. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz