Zeit Kraft zu schöpfen, neu anzufangen, willkommen zu heißen

Logo der Stadtkirche

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Lukas 12,35-40


(35) Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen!

 

(36) und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun. (37) Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen. (38) Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet' s so: selig sind sie.

 

(39) Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen.

 

(40) Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint.

 

Liebe Gemeinde,

 

bevor man ein neues Jahr willkommen heißen kann, ist es sinnvoll, das alte Jahr zu bedenken. Will man nicht Fehler, die sich unbedacht eingespielt haben, unfreiwillig auch 2015 unzählige Male wiederholen, ist eine Besinnung auf den Grund unseres Glaubens notwendig.

Mit Blick auf unsere Stadtkirchengemeinde haben wir mit der Wiedereinweihung der Kirche Heilig Dreifaltigkeit ein großes Ereignis hier in Bayreuth feiern können. Fast das ganze Jahr 2014 war bei vielen Mitarbeitenden auf dieses Großereignis ausgerichtet. Die Stadtkirche hat sich völlig neu der Öffentlichkeit präsentiert. Aber nicht nur vom Gebäude her war ein Neustart zu beobachten, auch die Homepage wurde neu gestaltet. Die Gemeinde hat ein neues Markenzeichen erhalten. In einem Kirchenfenster mit drei Halbbögen ist die Silhouette der gewohnten zweitürmigen Stadtkirche abgebildet. Die Dreifaltigkeit Gottes ist gleichsam ins Bild gesetzt worden. Sie umschließt die Kirche von oben und von den Seiten. Das Logo findet sich auf Briefpapieren, Programmheften, Plakaten, der Festschrift und vielen Öffentlichkeitsprodukten. Unsere Stadtkirche macht diesbezüglich bei einem epochalen Ereignis mit: Jede Firma, ja unzählige Einzelpersonen stellen sich virtuell selbst dar.

Man entwickelt im Internet eine Homepage, informiert über das soziale Netzwerk sog. „Freunde“ über das, was man gerade macht, oder twittert Informationen über sich selbst in das weltweite Netz www..

 

II. Unverwechselbarkeitsdruck

 

Da inzwischen fast jeder Mensch mitmacht, entsteht ein Druck, seine eigene unverwechselbare Identität herauszubilden, die sich von der breiten Masse abhebt. Christian Schüle hat in dem Magazin ZEITWISSEN Mitte diesen Jahres zugespitzt formuliert, dass das Ich des Menschen, englisch „I“, Eingang in die Produktnamen mancher Mobilfunkgeräte gefunden habe: iPod, iPad, iPhone, iGoogle. Freilich steht das kleine „i“ für Information. Aber ganz falsch liegt der Publizist nicht; denn häufig geht es tatsächlich um persönliche Informationen, die weltweit ausgetauscht werden. Und immer geht es darum: Du musst interessant sein! Du musst einmalig sein! Wer nicht einmalig ist, verschwindet unbeachtet im weltweiten Netz, verliert an Bedeutung, verliert Identität. Der Zwang zur Selbstdarstellung erfasst viele Menschen bereits derart, dass sie gar keine Zeit mehr haben, irgendwelche tiefergehenden Erfahrungen zu machen, weil sie ja ständig damit beschäftigt sind, andere über sich zu informieren. Es geht darum, Selbstportraits sog. Selfies von sich zu schießen und ins Netz zu stellen, um von anderen erkannt, anerkannt und berühmt zu werden. Wie sehr wir durch diese neuen Medien im vergangenen Jahr gehetzt werden, zeigt der Verfall einer Nachricht: Auf einer Homepage, so ein Berater der neuen Medien, muss man eine sog. News jede Woche neu einstellen, sonst gilt man als rückständig. Auf Facebook hat eine Nachricht eine Halbwertzeit von 8 Stunden. Bei Twitter muss man alle paar Stunden eine kurze Information hinterlegen, sonst spielt man vorne nicht mehr mit. Die Angst, im digitalen Graben der Informationsgesellschaft zu verschwinden, hatte auch 2014 viele fest im Griff. Nur wo bleibt die Freiheit von sich selbst, die Freude am anderen, das Fest des Lebens? Die Erfahrung, Knecht dieser epochalen iBewegung zu sein, lässt viele zwar nachdenklich werden, aber schnell werden Gegenargumente gefunden, nicht auszusteigen. Wie schön ist es doch, schnell mal im Internet nach dem Beginn des Orgelkonzertes heute Nacht auf unserer Homepage nachschauen zu können, wie ich die Erfahrung mit einem Anrufer heute Morgen geteilt habe.

Unser Predigttext aus Lukas 12,35-40 lädt ein, aufmerksam auf die Zeit zu achten: Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr´s nicht meint. Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache (nach römischer Rechnung also etwa zwischen 22 Uhr und 6 Uhr morgens) und findet´s so: selig sind sie. Genau diese Sorge treibt Betreiber von Homepages und Facebookseiten um. Weiß man doch nicht, ob nicht gerade die Oberbürgermeisterin sich auf der elektronischen Veranstaltungsseite einen Gottesdienst heraussuchen will. Und sei es um 23 Uhr. Wehe, da steht dann nichts! Zwar muss man unsere Oberbürgermeisterin nicht wie einen Dieb fürchten, wie es im zweiten lukanischen Gleichnis der Hausherr tut; aber wer einen Internetbesucher enttäuscht, muss damit rechnen, nicht mehr aufgesucht zu werden. Er bleibt - bei mehrfachen Verstößen gegen die virtuellen Gesetze der neuen Medien - unbeachtet.

 

III. Postulate des iGod

 

Gegen den Verlust an Anerkennung bietet die iGesellschaft eine Fülle von Strategien an, die teilweise sogar gegenläufig sind. Zwei seien beispielhaft genannt. Da ist das Postulat erfolgreich zu sein. Fünf Kategorien haben sich nach Christian Schüle auch im Internet bewährt: Man muss emotional stabil sein (z. B. gegen Shitstorms), gewissenhaft, verträglich gegen jedermann, offen für Neues und die Bereitschaft mitbringen, das Innerste nach außen zu kehren; kurz man muss mitteilungsfreudig sein. Das Internet sei die beste Plattform dafür. Umgekehrt hält er aber fest: Wenn man zu gewissenhaft ist, allem und allen nach dem Mund redet, sich zu sehr anpasst, um an der Erfolgsleiter emporzusteigen, läuft man Gefahr in die Ich-Schablone der Angepassten zu geraten. Darum lautet ein entgegengesetzter Rat: Nimm Dir Zeit für Konflikte, gehe Irrwege, mach die Erfahrung auch einmal zu scheitern, um zu lernen. Denn sogenannte Wunderkinder und Menschen, die bereits im Kindesalter auf Karriere getrimmt waren, holen um die Vierzig ihre Pubertät noch nach, nicht als Midlife Crisis sondern als späte Adoleszenzkrise, so die Lifestyle-Forscher.

Kaum einer nimmt wahr, dass die Wegrichtungen der virtuellen Welt sich widersprechen, dass die Postulate der iGesellschaft inzwischen schon wie ein iGod die Geschicke des Einzelnen, von Firmen und Staaten lenken. Der Datensatellit, "der da ist im Himmel", löst im Alltag den "Vater unser im Himmel" ab, so scheint es. Der informationsgläubige iMensch aber, in seiner Kindheit als Ichling aufgezogen, geeicht, für sein Glück und seine Rente höchst selbst Sorge tragen zu müssen, und der zu einer Ich-AG mit Kompetenzen der Selbstorganisation und Selbstkonstitution ausgestattet wurde, ist zutiefst erschöpft durch die sich widersprechenden virtuellen Imperative des Informationszeitalters.

 

IV. Verrückte Umkehrung der Verhältnisse

 

Seid bereit! Ruft uns Lukas am Ende des Jahres zu. Ja, wie denn? Ist das schon wieder eine Aufforderung, der wir nachkommen müssen – nun von biblischer Seite? Es lohnt am Übergang zum neuen Jahr sich Gedanken zu machen, an welchen Gott man seine Identität festmachen will. Im ersten Gleichnis vom Hausherrn wird uns die Rolle eines Knechtes angeboten. Schlüpfen wir einmal in diese Rolle: Unser Herr befindet sich auf einer Hochzeitsfeier. Wir hüten währenddessen das Haus, haben alles sorgsam abgeschlossen und warten, um den zurückkehrenden Dominus gebührend zu begrüßen. - Wenn man heute in der Silvesternacht durch die Straßen schaut, wenn die Feiernden lärmend und grölend nach Hause wanken, könnte man sich bei einem Hochzeitsfestheimkehrer ähnliches vorstellen. Wir müssten wohl darauf gefasst sein, dass der Herr das Schlüsselloch nicht mehr findet oder aus eigener Kraft sein Bett nicht mehr erreichen kann. Müssten wir damit rechnen, ihn umzukleiden, auf die Toilette zu helfen, Erbrochenes aufzuwischen? Nichts davon in diesem Gleichnis! Wer diesen Mann als Hausherren hat, darf damit rechnen, dass man bedient wird. Es heißt: „Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.“ Was für eine verrückte Verkehrung der Verhältnisse: Der Herr wird zum Knecht und der Knecht zum Herrn. Es geht im Reich Gottes eben nicht um die ewige Befütterung von Maschinen mit Daten, sondern um einen dienstbaren Gott, der mit uns die Hochzeitsfreude teilen und ein Fest feiern will. Gott dient als Schöpfer, Gott dient als Erlöser von Zwangshandlungen, Gott dient als Befreier nicht nur vom digitalen Tod.

 

V. Wahrlich, auf gutem Weg

 

„Seid bereit!“ Ist eine Aufforderung an Menschen, die den Gürtel der Wahrheit des Gekreuzigten haben (Eph. 6,14) oder das Licht des Lebens (Joh. 8,12), das in ihnen brennt. Seinen Leib mit diesem Gürtel der Ewigkeit umgürtet sein zu lassen, heißt seine Identität nicht an Besucherquoten auf einer Homepage mit neuem Logo festzumachen. Schön, wenn eine virtuelle Seite gelingt und besucht wird. Wenn nicht, es gibt bei Gott Wichtigeres: Zum Beispiel wenn der Menschensohn in Gestalt von Flüchtlingen zu uns kommt oder in der Larve des bedrohten Weltklimas. Wenn ich die Bewegung Bunt statt Braun hier in Bayreuth beobachte, wieviele junge Menschen tagtäglich bei der Essensausgabe bei Flüchtlingen helfen, wenn ich die Planungen unserer Stadt anschauen, in der neue Asylwohnungen bereit gestellt werden sollen oder wenn ich die neu entstehenden Windkraftanlagen entlang der A9 sehen, dann ist doch für 2015 vieles auf einem guten Weg. Lasst eure Lenden umgürtet sein! hören wir bei Lukas. Bleibt auf diesem Weg!

Heute, am Ende des Jahres 2014, können wir vor Gott dankbar auf so vieles zurückblicken: Persönlich, gesellschaftlich und kirchlich, um gute Wege weiter zu verfolgen. Das „Wahrlich, ich sage euch“ unseres Predigttextes knüpft an eine Erfahrung an, die ein Glaubender mit Gott gemacht hat. Freilich, die Allmacht der Kommunikationsmaschinen ist mit dem lebendigen dreifaltigen Gott gebrochen, aber die Freiheit mit den Kommunikationsmitteln gewonnen. Denn in Gott haben wir einen anderen Identitätsbildenden Grund. Wir feiern heute wahrlich Jesu Mahl, schöpfen in der Gemeinschaft dieses Gottesdienstes neue Kraft, fangen in der Beichte das Leben neu an und heißen das neue Jahr 2015 willkommen. Altes vergeht, Neues und viele neue Menschen kommen auf uns zu. Seid in Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist dazu bereit!

Amen



Autor: Pfarrer Martin Kleineidam