Panorama der Klarheit

Matthäus 17, 1-9


I. Superlativen

 

Liebe Gemeinde,

 

es ist schon ein Panorama von höchsten geistlichen Höhen, das uns Matthäus mit seiner Geschichte der Verklärung Jesus aufzeigt. Der Evangelist ortete die Metamorphose Jesu in die Gegend von Cäsarea Philippi (16,13), dem Quellgebiet des Jordan, wo sich die Berge Richtung Syrien und Libanon auf 3000 Meter aufbauen, höher als die höchsten Höhen des Sinai oder des Karmel, deren Repräsentanten dort ebenfalls erscheinen.
Aber nicht nur der Ort ist extrem gewählt, auch der Zeitpunkt fordert höchste Aufmerksamkeit: Nach sechs Tagen heißt es. Der 7. Tag also war der Sabbat, nicht nur Festtag in der jüdischen Woche, sondern Ruhetag des Schöpfers am Anbeginn der Zeiten nach dem 1. Buch Mose. Gott ruht, doch wen soll man jetzt hören?
Kunstvoll schaut Matthäus die Geschichte Jahwes mit seinem Volk zusammen (ὅραμα 17,9) und lässt zwei Gipfelbezwinger vergangener Zeiten erscheinen. Mose taucht auf, der auf dem Sinai die 10 Gebote seinem Volk aufzeigte. Im religionswissenschaftlichen Vergleich bieten sie ihrerseits -mit Ausnahme der Präambel- die Zusammenschau menschlicher Regeln verschiedenster Kulturen. Mit heutigen Vokabeln eines demokratischen Landes könnte man sagen, er repräsentiert die Legislative in einem Rechtsstaat. Und da erscheint zugleich Elia, der Prophet der auf dem Karmel ein Gottesurteil über die Baalspriester fällte. In diesem Richter nimmt die Judikative Gestalt an. Wunderbar wie neben den Superlativen von Berg und Zeit Personen hoher Gewalt ein historisches Panorama mit geistlichem Gewicht liefern.

 

II. Mit geistlichen Vätern und Müttern im Gespräch

 

Matthäus erzählt, dass der verklärte Jesus mit den geistlichen Vätern Israels ins Gespräch kommt. Mit welchen geistlichen Vätern besprechen wir uns an den Höhepunkten unseres Lebens? Mit Dietrich Bonhoeffer etwa, Karl Barth und Martin Luther? Oder sind es Berthold Brecht, Jean Paul Sartre und Friedrich Nietzsche? Oder in weiblicher Provenienz Clara von Assisi, Marie Luise Kaschnitz und Dorothee Sölle? Musikalisch besprechen wir uns vielleicht mit Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Max Reger. Mit wem wir ein inneres geistliches Gespräch halten, die Personen sind uns Orientierungshilfe und erfahren wie auch in der Geschichte auf dem Hermon im Antilibanon-Gebirge bleibende Wertschätzung. Es ist wichtig mit den verstorbenen geistlichen Vätern und Müttern im Gespräch zu bleiben, nicht nur damit man in seinem eigenen Leben nicht hinter sie zurückfällt, sondern dass man sich nach seinem Tod vor ihnen nicht allzu sehr schämen muss. Noch aber hat unsere letzte Stunde nicht geschlagen. Wen sollen wir zuletzt hören? Vor uns liegt bereits ein neues Jahr, in dem vielleicht wichtige Entscheidungen fallen: Sei es in persönlicher, wirtschaftlicher oder beruflicher Hinsicht oder sei es von allgemeiner Bedeutung wie der UN-Klimagipfel in Paris Anfang Dezember. In diesen Verwandlungssituationen wird es Gipfelgespräche geben. Wen wird man dort hören? Wessen Geist wird den Raum und die Zeit der Entscheidung bestimmen? In unserer Gipfelgeschichte trifft die Exekutive die Entscheidung. In der sinaitisch-karmelitischen Blitz- und Feuerwolke (vgl. zur Stelle 2. Mose 20,18; 24,16 hier auch die Referenz zu den 6 Tagen; 1. Könige 18,38) spricht der Herr der Geschichte mit Blick auf Jesus: Den sollt ihr hören.

 

III. Smaug und Gretchen

 

In dem Buch „Der Hobbit“ von J.R.R. Tolkien – jüngst als Dreiteiler verfilmt von Peter Jackson – macht sich ein Halbling mit 12 Zwergen und einem Zauberer auch auf den Weg zu einem Berg. Er wird der einsame Berg genannt, zu dessen Füßen sich eine tote Stadt befindet. Weit in der Ferne treffen die 14 Gefährten die Entscheidung, den alten Schatz wieder in Besitz zu nehmen, der einst den Bewohnern dieser toten Stadt gehörte. Einziger kleiner Problempunkt war ein Drache namens Smaug, der die Stadt vormals heimgesucht, deren Bewohner getötet, alle Schätze in den Berg gesammelt hatte und nun über diesem sagenhaften Reichtum wachte, auf dass ihm auch kein einziges Goldstück verloren ginge. Als der Drache über eine andere Stadt herfällt, die auf schnelles Geld gewettet hatte, eroberten die Zwerge den Schatz und bauten später eine Mauer gegen die Flüchtlinge der Opfer Smaugs. Der Phantasieautor Tolkien hat eine wunderbare allegorische Weisheit in eine Erzählung übersetzt wie sie sich z. B. auch in Gretchens Munde bei Goethe findet: Zum Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach, wir Armen! Es ist ein Leichtes sich über Mephisto im Faust hinweg zu heben oder den Drachen ein Fabelwesen sein zu lassen. Die Geldschwemme freilich letzte Woche lässt einerseits wieder den Lockruf des Goldes ertönen, andererseits werden uns bald wieder die sagenhaften Finanzprodukte umgarnen, ungeheure Renditen versprechen, hinter denen sich wie 2008 nur heiße Luftlasen verstecken. Der Goldkurs steigt schon. Der einsame Berg ruft und Smaug sucht seine nächsten Opfer unter den Spekulantinnen und Renditejägern. So ergeht es denen, die Gold und Geld als Grundlage und Ziel des Lebens sehen statt als Rohstoff und erleichterndes Zahlungsmittel.

 

IV. Berührt werden

 

„Den sollt ihr hören!“ Keine wolkige Rede sondern eine klare Ansage lesen wir durch die Jahrhunderte bei Matthäus. Petrus hätte zuvor gerne Hütten gebaut: Mose eine, Elia eine und Jesus freilich auch eine; denn sagte dieser nicht auf einem anderen Berg in seiner sogenannten Bergpredigt: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ (Matthäus 5,17) Petrus hätte sich gerne in der Gesetzlichkeit wohnlich eingerichtet, jüdische Laubhütten oder sogar Kirchen gebaut; denn freilich das Gesetz in seinen drei Dimensionen der Legislative, Judikative und Exekutive ist heilig, gerecht und gut, wie auch Paulus sagt (Röm. 7,12). Aber im Gebrauch des Menschen ohne Christus richtet es Schaden an, weil der Mensch aus Fleisch und Blut ist und immer wieder verführt wird und sich am Nächsten oder der Schöpfung vergeht. Das Wesentliche des Gesetzes also hätte Petrus, der Fels der Kirche, wohl verpasst. „Den sollt ihr hören!“ Nur was sagt dieser in der Aura des Gesetzes verklärte Mann vom Berg: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“ Also doch wieder nur ein neues Gebot – nun mit der Autorität des prophetischen  „al tira“ (אַלּ תׅירָא ) wie wir es bei Jesaja hören (43,1) und des „Fürchte dich nicht“ des Engels, wie er den Vater Jesu im Traum begegnete. Wie sollte man sich auch nicht fürchten, was im neuen Jahr auf einen an Anforderungen zu gebraust kommt: Die Flüchtlingswellen, der Klimawandel, die Prüfungen, Krankheiten oder Todesfälle. Frauen und Männer sinken dahin wie die Jünger auf ihr Angesicht. Schuld und Angst vor Versagen lässt viele aus dem Bett nicht mehr aufstehen. Man nennt das dann Depression oder Burnout. Viel wichtiger als die Rede Jeus ist seine Tat: Er trat zu ihnen und rührte sie an.

 

V. Auf das Festleuchten des Gekreuzigten achten

 

In dieser Tat findet sich endlich die Klarheit, die der Mensch braucht. Er möchte von Gott berührt werden ohne die Heldentaten, die das Gesetz fordert. Er möchte wieder Kind sein dürfen, getragen werden ohne Zutun. Erst dann kann er das „Fürchte dich nicht!“ hören, zwar vielleicht noch nicht aufstehen, aber wenigstens wie die drei Jünger auf-sehen.

Die Einweihung der Stadtkirche liegt hinter uns, Weihnachten und die Silvesterfeiern sind vorbei. Nun gehen auch die Epiphaniaszeit und der gesamte Weihnachtsfestkreis zu Ende. Die Passionszeit kündigt sich an. Geht es jetzt wieder in die Niederungen des Alltags? Damit meint man doch eine entbehrungsreiche, freud- und festlose Zeit in Räumen voller Tristes, Enttäuschungen und Schmerzen. Ich darf bei dieser Gelegenheit ein Gemeindeglied zitieren, das mit Rückblick auf die Einweihung der Stadtkirche folgenden Satz gesagt hat: „Ich schwebe immer noch auf der Wolke 7.“ Ja, es geht um das Getragen-Werden wie auf einer Wolke am 7. Tag, um Gott, der uns wieder Halt, Freude und Liebe für den Alltag schenkt. Wenn wir wie die Jünger wieder aufsehen, sehen auch wir Jesus. Er ist am Altar von Vätern und Müttern des Glaubens angebracht, damit ihn jeder Mensch sehen kann. Er ist das ganze vor uns liegende Jahr bei uns. Tritt uns entgegen zum Beispiel in der Musik. Nächste Woche hören wir hier ein Konzert der Hochschule. Die Stadtkantorei bereitet für Karfreitag das Mozart-Requiem vor. Auch dort hören wir vom Lamm, das die Sünden der Welt weg nimmt und einen Neuanfang möglich macht. Achten wir im Panorama des Alltags auf das Festleuchten des Gekreuzigten, das uns berühren möchte, damit wir das in Liebe und Freude tun können, was von uns gefordert ist. Amen



Autor: Martin Kleineidam