Glück und Leid

Mk 8, 31-38


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

 

Liebe Gemeinde!

 

Wie sieht ein glückliches und gelungenes Leben aus? Das ist eine Frage, die nicht so leicht und auch verschieden beantwortet werden kann, und auf die wohl jede und jeder selbst eine Antwort finden will. –  Ich nenne einige Möglichkeiten: Zu einem glücklichen Leben gehört, meinen einige, dass man sich selbst verwirklichen kann, oder dass man viel Geld hat (über 50% der Deutschen meinen, dass das glücklich macht). Oder dass man keine Leid-Erfahrungen hat.

Auch wenn diese Einschätzungen ganz vernünftig klingen, spricht der Predigttext für heute eine andere Sprache. Ich lese Mark 8, 31-38:

Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Da nahm Petrus ihn beiseite und begann ihn zu tadeln. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und tadelte Petrus: Geh weg, von mir, Satan! Denn du hast nicht Göttliches im Sinn, sondern Menschliches.

Und als er das Volk mit seinen Jüngern zusammengerufen hatte, sprach er zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.

Denn wer sein Leben / seine Seele / bewahren will, der wird es verlieren und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird es bewahren. Denn was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?  Und was soll ein Mensch als Tauschmittel für seine Seele geben?

Wer sich (aber) meiner und meiner Worte schämt in diesem treulosen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommt in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

 

Zunächst spricht Jesus von seinem eigenen Schicksal. „Menschensohn“ nennt er sich selbst öfters. - Kurz zuvor hatte Petrus zu Jesus gesagt: „Du bist der Christus“, also der erwartete Messias, der Retter, und die Jünger malten sich im Geist eine glänzende Zukunft aus, - da kündigt Jesus ihnen an, dass er von allen Autoritäten nicht nur abgelehnt und verworfen werde, sondern sogar getötet werde. Dass Petrus solche Worte nicht hören kann noch will und Jesus deshalb unter vier Augen zur Rede stellt, ist verständlich. Umso schroffer fällt Jesu Reaktion aus. Nicht nur: „Du hast mal wieder nichts kapiert, Petrus“, sondern „Geh weg von mir Satan!“ – Jesus hört aus den Worten von Petrus genau den Versucher heraus: die Versuchung ist für ihn, den menschlichen Weg einzuschlagen („Du meinst nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich ist“), die Versuchung ist, den Weg des Erfolgs beim Volk und der Kompromisse mit den Autoritäten zu gehen, sich mit den Machthabenden zu arrangieren, um seinen Kopf bzw. sein Leben zu retten.

Aber Jesus stemmt sich dagegen. Nein: „Wer sein Leben retten will, der wird es verlieren“.  Im griechischen Urtext steht hier für das Wort Leben: „Psychä“, Seele. Denn die Seele ist im Griechischen sowohl Trägerin des irdischen, leiblichen Lebens als auch des überirdischen Lebens. Von daher kann sich der Mensch vor die Frage gestellt sehen, in welcher Eigenschaft er sie sich zu erhalten wünscht. Jesus macht klar:

Wer seine Seele verkauft, ist arm dran, hat kein glückliches Leben.

 

Schauen wir uns seine Alternative an: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.“ – Sich selbst verleugnen soll zu einem guten und glücklichen Leben führen? – Wie es nicht gemeint sein kann, dafür gibt es einige negative Beispiele, etwa wenn sich christliche Fanatiker selbst geißeln, wie es in dem Buch von Dan Brown „Sakrileg“  und dem Film dazu vorkommt. Ein anderes Extrembeispiel für seelische Nötigung erzählt Claudia Schreiber in ihrem Roman „Ihr ständiger Begleiter“. Dort stellt ein Vater seine Tochter vor die Entscheidung, ob der Heiland ihr wichtiger ist als alles in der Welt. Als sie Ja sagt, nimmt er di rote Lieblingshose des Mädchens und wirft sie ins Feuer. Man kann sich das Entsetzen und die Trauer des Kindes ausmalen, und dass der Glaube des Mädchens an den „Heiland“ zwanghafte Züge bekam.

Nein, das hat Jesus nicht gemeint, das ist Fanatismus. In diesen Beispielen fehlt eines ganz auffallend: die Liebe. Beim Vater des Mädchens überwog die Doktrin „Jesus über alles“ die Liebe zu seinem Kind.  

In 1. Kor 13, dem Hohenlied der Liebe, sagt Paulus -  wohl auch im Blick auf Fanatiker: „Ließe ich meinen Leib verbrennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir´s nichts nütze.“ Oder: „Hätte ich allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.“

Und Jesus selbst sagt im Dreifachgebot der Liebe, wir sollen Gott lieben und unseren Nächsten wie uns selbst – um Selbstmarterung oder Selbstgeißelung wie beim Fanatiker aus „Sakrileg“ kann es nicht gehen, völlige Selbstaufgabe ist nicht gemeint.

 

Ich finde den Ausdruck „sich selbst verschenken“ passend. Schenken macht Freude und macht glücklich – auch der Person, die verschenkt. Ebenso macht das Sich-Verschenken, die Hingabe, glücklich. Liebende verschenken sich gerne. Sie geben von Herzen ihre Zuwendung, ihre Zeit, ihre Mühe für den geliebten Menschen. Eltern schenken den Kindern beim Essen gerne die Leckerbissen. Das heißt, sie verzichten ihnen zuliebe darauf. Wenn man liebt, verzichtet man gerne, aber man empfindet das gar nicht als Unglück, sondern das Verzichten und das Sich-Verschenken bedeutet vielmehr Glück. Hingabe ist das Gegenstück zu einer einseitigen Selbstverwirklichung. Wenn man nur um sich selbst kreist, und was für einen selbst das Beste, Angenehmste, Gesündeste usw. ist, dann kann es sein, dass man einsam wird, und es kann sein, dass man letztlich nie zufrieden ist.

 

Jesus sagt des Weiteren, um ihm nachzufolgen, solle man sein Kreuz auf sich nehmen. Auch dies klingt nicht sehr verlockend. Für viele Menschen schließen sich Leid und Glück gänzlich aus. – Einer kürzlich erschienenen Studie der Universität of New South Wales in Sydney zufolge legen die westlichen Gesellschaften steigenden Wert auf gute Gefühle. Ständig wird der Einzelne aufgefordert, positiv zu denken, gute Laune zu haben und optimistisch zu sein. Der penetrante Druck, ein Leben mit Nonstop-Sonnenschein zu führen, verfügt jedoch über die Macht, die Laune zu verhageln. Glücksbefehle können das Gegenteil bewirken. -

Ja, liebe Gemeinde, Leid gehört zum Leben, so wie es auch kein Leben gänzlich ohne Krankheit gibt. Immer wieder haben wir – bildlich gesprochen – ein größeres oder kleineres Kreuz zu tragen.  Die Älteren unter uns, besonders die, die den Krieg noch erlebt haben, können davon ein Lied singen. Aber ich kenne leider auch viele junge Menschen, die „ihr Päckchen zu tragen haben“, wenn nicht sogar ihr Kreuz. – Und wenn man in so einer Situation von außen gesagt bekommt, man solle doch einfach positiv denken, und so schlimm sei es doch gar nicht, dann ist das unsensibel und geradezu verletzend für die leidende Person.

 

 Umgekehrt:  Wenn wir anerkennen, dass es kein Leben völlig ohne Leid gibt, macht uns das dankbar für die Lebenslagen, wo es uns gut geht. Im Sinne Jesu ist es besser für uns und unsere Seele, Verzicht und auch Leid auf uns zu nehmen, als das um jeden Preis zu vermeiden. Jesus nachfolgen heißt teilnehmen an seiner Passion, heißt: unser Leben, wo Leid und Leiden vorkommen, intensiv erfahren und es gerade so gewinnen und nicht verlieren.

„Denn  wer sein Leben (seine Seele) bewahren will, der wird es verlieren und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird es bewahren. Denn was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?“

Es gibt ein Glück des Himmels, liebe Gemeinde, mitten im Leben, und das macht so stark, dass selbst Leid und Tod ihre Schrecken verlieren. Es ist das Glück, Jesus zu glauben, sein Heil nicht in Geld und Gewinnen zu suchen, sondern im Da sein für andere, im sich Verschenken können. Dieses Glück, Jesus zu glauben und daraus Freiheit in unterschiedlichen Lebenslagen zu gewinnen, können und dürfen wir genießen.

Der katholische Theologe Eugen Drewermann sagt in seiner Auslegung zum Markusevangelium: „Für diese Freiheit des Menschen für sein Glück ist Jesus eingetreten. Keinesfalls sah er im Leid eine ursprüngliche, in sich berechtigte oder gar notwendige Form des Gottesverhältnisses.“ Drewermann macht klar, dass Jesus nicht das Leid um des Leides willen im Sinn hat. Er schreibt weiter: Jesus „forderte dazu auf, sich nicht aus Angst zurückzuziehen und, wenn nötig, keine Auseinandersetzung zu scheuen bzw. keinem Leid durch falsche Kompromisse auszuweichen. Nicht um weniger Leben, sondern um ein intensiveres, innerlich reicheres, wahreres Leben war es ihm zu tun“.

 

Jesus ist nicht den Weg der Macht oder des Erfolgs gegangen; er wollte nicht, was menschlich ist, sondern was göttlich ist. Er hat sich nicht mit den Autoritäten seiner Zeit arrangiert,  sondern er ist den Weg der Liebe und der Hingabe gegangen. Wenn wir, liebe Gemeinde, unsere Tage ausfüllen, indem wir dieser Liebe nachgehen,  dann werden wir unser Leben gewinnen und voller Freude das Kommen des Menschensohnes erwarten dürfen.

Ob man einen hilfsbedürftigen Angehörigen versorgt, ihm Zeit und Liebe schenkt,  ob man im Blick auf künftige Generationen und den Klimawandel auf einen Teil der Mobilität oder energieaufwändigen Luxus verzichtet, oder ob man einen Teil seiner Ansprüche zugunsten von Familienangehörigen oder Mitmenschen zurückschraubt, - da gibt es viele Beispiele. Wir können jede und jeder von uns unsren eigenen Weg der Liebe, der Hingabe und der Nachfolge Jesu gehen. Ich bin überzeugt, dass das zu einem glücklichen und gelungenen Leben führt.

 

Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.



Autor: Anne-Kathrin Kapp-Kleineidam