Die grüne Jogginghose

Lukas 6,36-42


(36) Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! (37) Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet! Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt! Vergebt, so wird euch vergeben! (38) Gebt, so wird euch gegeben!

Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen.

(39) Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?

(40) Der Jünger steht nicht über dem Meister; wenn er vollkommen ist, so ist er wie sein Meister.

(41) Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr? (42) Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

Liebe Gemeinde,

 

I. Rollladen runter

 

Barmherzigkeit will um Jesu Willen gewagt werden. Es gibt Momente, in denen fällt es schwer, Barmherzigkeit zu zeigen. Nehmen wir ein Beispiel, das geographisch relativ weit weg zu liegen scheint, aber über die Medien sehr nahe rückt: Griechenland. Oh je! Allein wenn das Wort fällt, gehen da bei vielen gleich die „Rollladen runter“, wie man sagt. Die Redensart meint, dass ein Hausbesitzer seine Fenster so zu schließt, dass es einschlägige Bekannte schwer haben, einzubrechen und zu stehlen. Wenn jemand die Fensterrolllanden zu macht, stehen schlechte Erfahrungen im Hintergrund, die man mit einem anderen gemacht hat. In unserem Fall überweist Europa ununterbrochen Geld nach Griechenland, ohne dass sich an deren Verwendungszwecken etwas entscheidend ändert. Auf 216 Milliarden Euro summierten sich Mitte Juni die Zahlungen aus den Rettungspaketen, die in Form direkter Kredite der Euro-Staaten, teils über den Rettungsschirm EFSF und teils über den Internationalen Währungsfond flossen.[i] So verstärkt sich der Eindruck, im Südosten der europäischen Union liegt ein „Loch“ vor, aus dem hart erwirtschaftete Finanzmittel abfließen. Griechische Staatspleite aber auch allgemeine europäische finanzielle Disziplinlosigkeit drohen. Denn wenn man jetzt nachgiebig, barmherzig ist, dann wollen andere Staaten auch ihre Schulden nicht bezahlen oder ebenfalls keine drastischen Einsparungen vornehmen, wenn man über seinen Verhältnissen gelebt hat. Also Rollladen runter.

 

II. Griechenland und die grüne Jogginghose

 

Wenn die Rollladen unten sind, kann auch niemand mehr das wunderbare Griechenland sehen, wie ich es einst kennenlernen durfte. Kurz nach meiner Schulzeit flog ich mit meinem Freund in das Land, das als Wiege der Demokratie gilt. Unter strahlend blauen Himmel verließen wir das Flugzeug. Die vielen neuen Eindrücke ließen mein Missgeschick am Flughafen vergessen machen; denn beim Aufheben vom Rucksack riss meine einzige Hose, die ich für den Besuch von Kirchen und Klöstern mitgenommen hatte vom Po an abwärts durch. Wir aber genossen den Besuch der Akropolis in Athen, den Besuch des alten Korinth, dem auch unser vorhin gehörter Paulus mehrere Besuche abstattete und badeten im azurblauen, erfrischenden Meer. Dann aber ging es für mehrere Tage auf den nördlich gelegenen Athos. Es handelt sich um eine Halbinsel, die nur von Mönchen bewohnt wird. Sie ist mit Sicherheitszäunen und Mauern vom Festland abgeriegelt und man muss im griechisch-orthodoxen Patriarchat in Istanbul eine Sondergenehmigung beantragen, um dort einreisen zu dürfen. Au weh, Pflicht war es, mit einer langen Hose dort anzutreten. Wir aber waren jung, fröhlich und mit wenig Geld in der Tasche unterwegs. Für eine neue Hose blieb da nichts übrig. Und so musste ich mich mit meiner leuchtend grünen Jogginghose begnügen, um mit dieser die Insel zu durchwandern. Zuvor auf dem Schiff sahen wir, wie die einheimischen Mönche eigentlich gekleidet waren. Neben dem schwarzen Talar trugen die Ehelosen ein Kamilavkion auf dem Haupt, das an die Dornenkrone Jesu erinnern soll. Wie würden die Mönche mich mit dieser Touristenkleindung aufnehmen?

 

III. Im Grunde nackt

 

Ein kleiner Bus brachte uns vom Hafen nach Karyes, der Hauptstadt der Mönchsrepublik. Bang saß ich da, zwischen Männern und Mönchen, die allein diese Insel betreten dürfen. Gerade wollte ich den Bus verlassen, als ein älterer Mönch schimpfend auf mich zukam. Wie konnte ich auch nur mit so einer unwürdigen Hose auf diesen Heiligen Berg kommen? Das war der Inhalt seiner Schimpfe. Schwarz zu tragen, war angesagt; den Leib und seine Begehren vor Gott zu verhüllen, ja tot sein zu lassen. Der schlimmste Fall war eingetreten. Alles im Bus starrte auf meine Hose, die mir ja selbst peinlich war. Im Grunde bestand ich in diesem Moment nur noch aus meiner grünen Jogginghose. Mehr noch: Im Grund war ich sogar nackt, angreifbar, weil ich so wenig der Kleiderordnung dieser autonomen griechischen Republik entsprach wie ein Anzugträger mit Krawatte der freien Körperkultur in einem Freibad.

Dieses tiefe Gefühl der Peinlichkeit und Scham wird mir wohl in Erinnerung bleiben. Wie mag es Menschen gehen, die auch gegen Regeln verstießen, die Gesetze, die seit Alters Geltung haben, missachtet haben: Denen, die die Ehe gebrochen haben, denen, die bei der Unterschlagung von Steuern erwischt wurden, die jemanden schwer verletzt oder getötet haben. Alle starren nur noch auf das Vergehen. Sie sind nur noch der „Geldpresser“, Steuersünder, der Schläger oder der Mörder. Niemand sieht mehr die anderen Facetten: Die Geschichte wie bei mir am Flughafen, Beruf oder Hobbies. Am Ende sehen die Betroffenen selbst nur noch das, womit sie in der Regel selbst zu kämpfen haben. Vor allem der barmherzig Gott im Himmel wird übersehen.

 

IV. Vier Eckpfeiler der Barmherzigkeit

 

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Ruft uns Jesus vom Feld zu. Bei all der Schuld und den Schulden, die sichtbar werden - Deutschland hat übrigens derzeit eine Pro-Kopf-Verschuldung die mit rund 27.000 EURO nur rund 2000 EURO unter den Schulden Griechenlands liegt – ist es wichtig zu hören, dass wir einen barmherzigen Vater im Himmel haben, der uns alle miteinander nicht fallen lässt. Er wird ausdrücklich unser Vater genannt. Wer sich selbst verurteilt, weil ihm ein Weg aus seiner Schuld fehlt, für den ist es erst einmal wichtig zu hören: Gleich welche Schuld Dich drückt, Du hast einen barmherzigen Vater im Himmel. Hier ist der feste Boden für Deine Beine, ob die eine grüne Jogginghose umgibt oder ein anderes Makel. Jesus bringt uns Gott näher als einen, der wie ein guter Vater sein Kind auf den Arm nimmt, wenn es eine Scheibe mit dem Fußball eingeschossen hat. Mit so jemanden im Rücken, kann man sich dann auch der Schuld allmählich stellen und daran arbeiten.

Der Feldprediger nennt vier Eckpfeiler der Barmherzigkeit:

Zunächst zwei Negationen: 1. Richtet andere nicht! 2. Verurteilt andere nicht! Im Zusammenhang der Feldrede bezieht es sich auf alle Menschen, die Jesus hören (Luk. 6,17-19). Aber selbst vor einem Gericht heute, wird nicht der Mensch gerichtet, sondern dessen Taten. Der Mensch selbst soll unversehrt bleiben. Gefängnisfolter und Todesstrafe sind daher in Jesu Namen zu Recht abgeschafft. Aber auch menschliche Urteile sollten der Tat, nicht dem Menschen selbst gelten.

Zwei positive Eckpfeiler der Barmherzigkeit nennt Jesus noch: Gebt! Und vergebt! Das griechische Wort ἀπολύω meint eigentlich: Gebt frei! Entlastet! Ach, Griechenland! Ach, Europa! Die ihr seit Monaten die Presse bestimmt, wenn Ihr Euch doch beide unter Jesu Wort stellen würdet! Ist das so schwer? Der eine gibt, was von ihm verlangt wird (Reformen), der andere entlässt aus Schulden und gibt ein überfließendes Maß, wie es bei Jesus heißt, weil Europa doch ohne Griechenland nicht kann und wir es auch nicht wollen. Griechenland gehört zu Europa. So wie jeder, der sich etwas unter uns zu Schulden kommen ließ, doch zu uns gehört. Können wir hinter uns, die wir uns orthodoxe, evangelische und katholische Christen nennen, noch den barmherzigen Schöpfer sehen?

 

V. Noch eine Zeit lang Geduld

 

Es ist manchmal nicht leicht, die Rollladen hochzuziehen - bei alten Holzrollos ist das besonders schwer! Ich weiß. Weil halt der andere eine Zeit lang weiter mit der „grünen Hose“ rumläuft. Er kann doch zunächst gar nicht anders. Wie ich seinerzeit auf dem Athos von einem Kloster zum anderen wanderte mit grünem Beinkleid an den Klosterpforten anklopfte und nolens volens aufgenommen wurde, ja ein Bett sowie zu Essen und zu Trinken bekam. Ich versichere Ihnen, liebe Gemeinde, es wird eine Zeit kommen, die wird wieder wohlgefällig aussehen. So wie ich heute vor Ihnen – wer hätt ´s gedacht – in schwarzer Kleidung vor Ihnen stehe. Haben wir Geduld miteinander. Seid barmherzig, wie Euer himmlischer Vater barmherzig ist, um Jesu willen. Amen.


[i] http://www.tagesschau.de/wirtschaft/rettungspakete-101.html

 

 



Autor: Martin Kleineidam