"Frisch gestrichen"

Predigt beim "Künstlergottesdienst" bei Ausstellung "Frisch gestrichen" des HPZ und Künstlermarkt/Kultursonntag


Liebe Gemeinde,

 

„frisch gestrichen“ ist unsere Stadtkirche. Allerdings haben die Wände das gleiche Weiß wie vorher. Es wirkt nur heller, weil es in den knapp 40 Jahren seit der letzten Renovierung nachgedunkelt war. Und weil es jetzt besser ausgeleuchtet wird. Und draußen sind die Sandsteine abgeschliffen worden. Sie sind heller geworden, aber nicht bunt wie auf dem Bild. Einige junge Leute haben die Kirche bunt ausgemalt, so dass sie wirklich wie frisch gestrichen aussieht: rot, grün, blau, mit kräftigen bunten Farben.

Vielleicht wünschen sich die jungen Leute das – und nicht nur sie: so bunt müsste die Kirche sei. Bunt wie das Leben; grün ist das Leben in den Blättern der Bäume und dem Gras der Wiesen. Von dem Künstler Georg Meistermann heißt es, dass er seinen Schülern eine Stunde lang einen Vortrag halten konnte über die verschiedenen Grüntöne, die er draußen sah. Rot ist das Leben im Blut und in den Tomaten, in Äpfeln und im Abendrot. Blau ist das Leben im sprudelnden Wasser, in Heidelbeeren und in Kornblumen. Unsere Kirchenmauern sind dagegen kahl, farblos und langweilig. Gilt das auch für unsere Kirche, unsere Gemeinde? Spielt sich das bunte, pralle Leben woanders ab, während hier leere oder halbleere Bänke trostlose tristesse verkünden. Oft wird ja in der Öffentlichkeit solch ein Bild von Kirche gezeichnet.

Kirchenbilder, das sind ja nicht nur die Zeichnungen und Gemälde auf Papier. Kirchenbilder sind in den Köpfen und entscheiden darüber, ob jemand zum Gottesdienst kommt, ob sich jemand hinein wagt, ob er mit seinen Problemen zum Pfarrer kommt, ob er sich da Hilfe verspricht; ob er die Predigt für einen sehr langen, langweiligen Vortrag hält, die mit meinem Leben nichts zu tun hat, oder ob er sich Hilfe, Trost, Gedankenanstöße erwartet, eine Wegzehrung für die Woche. Oft haben die Kirchenbilder von Menschen, die lange nicht mehr hier waren, sehr wenig mit der heutigen Realität zu tun. Auch wenn sie die heutigen Kirchen nicht mehr mit denen zur Zeit der Kreuzzüge identifizieren, manche Bilder sind sehr überholt. So wie es sich in der Anektode ausdrückt: „Du warst doch in der Kirche? Ja. Und worüber hat der Pfarrer gepredigt? Über die Sünde. Und was hat er gesagt? Er war dagegen.“ Warum bringen manche Alleinerziehende ihre Kinder nicht zur Taufe? Vielleicht weil sie immer noch meinen, sie würden schief angeschaut wegen eines „unehelichen Kindes“. Am liebsten möchte man den Leuten zurufen (wenn es nicht aus der Werbung für die Bild-Zeitung wäre): Mach dir doch selbst ein Bild. Und nicht nur eine schnelle Fotografie von einem alten Gebäude, sondern von dem Leben und vor allem, von dem, was du hier für dein Leben bekommen könntest.

Die jugendlichen Künstler jedenfalls haben ein buntes, fröhliches Kirchenbild. Ihre Stadtkirche leuchtet in kräftigen Farben, da ist Leben drin. Mitten im Leben. Das ist das Motto unserer Stadtkirche. Mitten in der Stadt steht diese Kirche, mitten im Leben, und man kann in der Mittagspause von der Regierung, vom Finanzamt, von der Deutschen Rentenversicherung, von den Geschäften schnell einmal hinein gehen, die Akten und die Rechnungen, die Telefongespräche und den Ärger für einen Moment vergessen und aufatmen, eintauchen in einen ruhigen, meditativen Raum, einen Raum voller Licht. Mitten im Leben steht diese Kirche. Hier hat alles Platz, was zum Leben gehört: die Freude über ein neu geborenes Kind und die Sorge der Eltern um seine Zukunft; das Glück der Liebe, das zwei Menschen ein Paar werden lässt und das Wissen, dass sich jede Beziehung verändert und gefährdet ist; und die Trauer, wenn ein Mensch stirbt. Wie war diese Kirche voller Blumen und Kränze bei einer Trauerfeier vor einiger Zeit. Die bunten Kirchenbilder der Jugendlichen sind ein Ansporn für die Gemeinde und die Verantwortlichen, dass das bunte Leben hier seinen Ort hat und dieser Ort seine Bedeutung für das bunte Leben rings herum, und dass die Menschen das merken.

Und dass die Leute dann sagen können: meine Stadtkirche. Die Bilder von der Stadtkirche wurden nach Vorlagen gezeichnet. Eine davon ist die Ansicht, die August Riedel von der Kanzleistraße her gezeichnet hat. Er stand dabei ungefähr vor dem Fotogeschäft Altkofer (das es damals noch nicht gab, 1819). Von ihm stammt ja auch „Die Heilung des Gelähmten“. Unsere Künstler haben nicht nur abgepaust, nicht nur kopiert. Heute heißt es ja oft: kopieren statt kapieren, auch wenn man nicht mehr das Kopiergerät benutzt, sondern etwas aus dem Internet herunterlädt. Kapieren, verstehen, so hat es uns Studenten unser Lehrer Professor Jüngel in Tübingen eingetrichtert, heißt, es mit eigenen Worten sagen können, mit meinem Worten. Auch im Glauben ist das so: nicht nur Worte und Formeln wiederholen, nicht nur das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis mitsprechen, sondern es selbst sagen können. Sie merken: beides gehört dazu: diese alten Worte, die unveränderlichen Sätze, die schon Generationen vor uns gebetet und bekannt haben. Das nennt man Tradition. Aber eben auch, dass wir es jetzt sagen, mit unserer Stimme, mit unseren Gedanken, die uns dazu einfallen, mit unseren Erfahrungen, wenn es heißt: unser täglich Brot gib uns heute, mein tägliches Brot; oder: vergib uns unsere Schuld; was ist meine, und wer ist mein Schuldiger, dem ich vergeben soll. Immer wieder muss es meines werden, muss ich es mir aneignen, damit es lebendig wird.

Die Künstler haben die Bilder von der Stadtkirche eben nicht nur abgepaust, kopiert, sondern haben ihre eigenen Bilder daraus gemacht, mit ihren eigenen Linien, die manchmal auch etwas von den vorgegebenen abgewichen sind. So gehen heute viele mit der Tradition um. Mit ihren eigenen Farben. So wird es „meine Stadtkirche“. Nicht alle von uns können malen, nicht alle drücken sich auf Papier mit Stift oder Pinsel aus. Aber viele würden sagen: meine Stadtkirche – nicht nur meine, sie gehört allen und keinem – aber eben doch meine. Wie kommt das? Manche verbinden mit dieser Kirche ein besonderes Erlebnis. Zum Beispiel: die eigene Taufe, auch wenn ich nichts mitbekommen habe. Aber dieses Wissen, ich bin an diesem Taufstein getauft, mit seinen wunderbaren Bildern, den Reliefs aus Alabaster; so wie das Kind vor 400 Jahren getauft wurde, dem jetzt der Kopf fehlt; auch wenn der Pfarrer und die Eltern sicher anders angezogen waren; andere wurden hier konfirmiert und waren bei der Goldenen, Diamantenen oder einer anderen Jubelkonfirmation wieder hier; haben hier geheiratet und erinnern sich noch an manche Worte oder Bilder, als wäre es erst gestern gewesen. Das prägt sich ein, prägt sich ein wie ein Bild, das man immer wieder vor dem inneren Auge sieht. Kunst macht diese inneren Bilder sichtbar. „Meine Stadtkirche“ können die sagen, die hier arbeiten und die regelmäßig hierher kommen zum Gottesdienst. Anders beim Geld oder einer Torte wird der Anteil, wird das Kuchenstück nicht kleiner, je mehr Leute sagen: meins, meine. Ganz im Gegenteil. Sie wird umso mehr wert.

Das Stadtkirchenbild des stark sehbehinderten Schülers, dem es sehr schwer fällt, eine gerade Linie zu zeichnen, so dass die Kirche zusammenzufallen scheint, so wie sie vor 9 Jahren einzustürzen drohte, die „Stadtkirche zerknittert“ erinnert mich an den großen romantischen Maler Caspar David Friedrich. Der malte gerne Kirchenruinen. Nicht nur, weil sich Ruinen und besonders Kirchenruinen so gut machen in einem Park, so romantisch wie die künstlichen Ruinen der Markgräfin in Montplaisir. Caspar David Friedrich malte auch schöne intakte Kirchen als Ruinen. Manche meinen, darin drückte sich auch seine Kirchenkritik, seine Kritik an der Institution aus. Die feste stabile Architektur, die starken Wände, das kunstvoll ausgestattete Innere könnte einen auf den Gedanken bringen: wir haben Gott, wir haben ihn dingfest gemacht, wir können über ihn verfügen. Gottes Geist aber kann man nicht einsperren in noch so dicke Kirchenmauern. Eine selbstgefällige und sichere Kirche, eine Institution, die sich nur um sich selbst und um ihren Fortbestand drehen würde, die müsste einstürzen, damit der Geist wieder atmen und wehen kann, damit wieder neues Leben aufgehen kann, so wie es in der Nationalhymne der einstigen DDR heißt: auferstanden aus Ruinen.

Ich stimme nicht ein in die gängige Kirchenkritik, die die Institution Kirche ebenso erfasst hat wie alle Institutionen, auch die Parteien, Gewerkschaften; als könnte man auf Institutionen verzichten und nur die Freiheit leben oder die eigene Lust. Aber die einstürzende Kirche, die Ruine mahnt und weist darauf hin, dass diese Kirche nicht Selbstzweck ist. Dass es eben nicht nur darum geht, sie zu erhalten und sie so schön als möglich zu gestalten und so viele Leute wie möglich dazu bringen, dass sie sagen: meine Stadtkirche, unsere Stadtkirche, und dass sie dann vielleicht auch noch Geld dafür spenden. Diese Kirche ist kein Selbstzweck, sondern sie dient. Sie dient, dass Menschen hier zu Gott und damit zu sich selbst kommen. Man könnte das an August Riedels Bild von der Heilung des Gelähmten zeigen, vor der schönen Pforte des Tempels in Jerusalem. Wir singen dann auch: tut mir auf die schöne Pforte. Wo der Apostel Petrus von sich weg zeigt nach oben zu Gott. Um den geht es. Ich nehme noch ein Bild aus der Ausstellung. Da ist keine Kirche drauf, aber genau das, was in der Kirche geschehen soll. Die Vorlage stammt von Karl Schmidt Rotluff (EG S. 202). Die Jünger auf dem Weg nach Emmaus sind Kriegsheimkehrer 1918, Kriegsversehrte, die Bäume Granatsplitter, die Sonne ein schwarzer Kreis wie eine Kanonenkugel. Die Jünger erkennen Jesus nicht, noch haben sie keine Hoffnung. Unsere jugendlichen Künstler haben auch diese Vorlage mit Leben und Farbe gefüllt. Die Sonne leuchtet, alles ist hell und bunt. Obstbäume wachsen und tragen Früchte. Jesus Christus ist auferstanden, da kann es doch nicht dunkel und tot bleiben wie nach einem Bombenangriff, da müssen die Menschen doch wieder froh werden, auch wenn es erst nur zaghaft geschieht. Jesus lebt, er ist bei seinen Jüngern, er ist da, er ist bei ihnen. Das ist das Wichtigste. „Gott ist gegenwärtig.“ Und dann erklärt er ihnen die Heilige Schrift, er stellt Zusammenhänge her, dass sie das Geschehene einordnen können. Man könnte sagen: er predigt. Sie bitten ihn: Herr bleibe bei uns. Und er feiert Abendmahl mit ihnen, so wie wir es heute wieder tun. Wenn der Auferstandene so mitten unter uns ist, den zweien oder dreien auf dem Weg, den vielen oder wenigen in der Kirche, dann verwandelt sich das Bild, es wird hell und bunt. Und die Menschen kehren fröhlich zurück nach Jerusalem oder irgendwo in oder um Bayreuth. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz