Sack zubinden

Matthäus 28, 16-20


 

I. Eine schwere Aufgabe

 

Einen Sack zuzubinden ist manchmal eine schwierige aber wichtige Aufgabe. Als ich hier in meinen Anfängen in Bayreuth es mit dem gelben Sack zu tun bekam, passierten mir immer wieder Missgeschicke. Anfangs fand ich die beiden gegenüberliegenden Litzenaugen im Plastiksaum des Sackes nicht, die ich hätte hervornesteln sollen, um den Sack zuzubinden. Ich behalf mir zunächst mit eigens zugeschnittenen Paketschnüren. Dann, als ich den Trick gezeigt bekam, füllte ich gelegentlich die Säcke mit Wertstoffen so voll auf, dass beim Zubinden die dunklen Plastikstreifen rissen.

„Ich will den Sack zubinden“ ruft ein Mitspieler beim Skat und schmiert noch einmal eine hohe Karte, damit man über die 60 Punkte kommt und gewinnt. Beim Sack zubinden gibt man noch einmal alles, was man hat, um eine großen Gewinn mit nach Hause zu tragen. Manch einer von uns hat gerade Rechnungsabschlüsse für das zweite Quartal hinter sich.  Das heißt, man muss noch einmal alle Geschäfte, Gewinne und Verluste gegenüberstellen und Schlüsse ziehen, wie man weiterwirtschaften will. Viele Schülerinnen, Studenten und Lehrkräfte sind jetzt an dem entscheidenden Punkt, die Jahresschlussnoten festzuzurren. Bei manchen geht es bei einer Abfrage sogar noch einmal um die Versetzung oder ob man in Nachprüfungen muss. Die Klugen geben noch einmal alles, obwohl man doch eigentlich müde und Urlaubs - bedürftig ist.

 

II. Das Wichtigste in gebotener Kürze

 

Auch unser Evangelist Matthäus schnürte einen Sack zu. Wir haben vorhin das Ende des ersten Evangeliums des Neuen Testaments gehört. Wenn man den Text mit den Schlüssen der anderen Evangelien vergleicht, wird man feststellen, dass diese Passage einzigartig in der Bibel ist. Der Evangelist lässt den Auferstandenen noch einmal das Wichtigste sagen, um seinen Sack, sein Evangelium, zuzubinden. Es ist überraschend, was man alles weg lässt, wenn man eine Arbeit, die womöglich über Jahre ging, abschließen muss. Mein Kollege Hans-Helmut Bayer, der in zwei Wochen in den Ruhestand verabschiedet wird, kann Ihnen einiges erzählen, was jetzt aus dem Haus raus muss, was noch wichtig war, als man beruflich „voll im Saft“ stand.

Die Geschichte von Maria und Josef (Kapitel 1) oder die Weisen aus dem Morgenland (2,1ff.) am Anfang des Evangeliums finden bei Matthäus am Ende keinen Nachruf. Die Flucht nach Ägypten (2,13ff.) kommt nicht mehr vor. Des Teufels Versuchung (4.1ff.) oder die Gleichnisse Jesu (Kapitel 13) bleiben ohne Erwähnung. Selbst die Heilungen (wie 9,27ff), Gemeinderegeln (18,1ff.) und die überaus umfangreiche Passionsgeschichte (Kapitel 26f.) spielen keine direkte Rolle mehr. Die Geschichten waren wichtig. Die Wunder, Außergewöhnlichkeit und Glaubwürdigkeit Jesu wollten benannt werden und haben ihr eigenes Gewicht. Jetzt aber will der Evangelist noch einmal das Wichtigste in gebotener Kürze erzählen.

 

III. Fehler beim Sack zubinden

 

Beim Sack-Zubinden kann man wie eingangs bereits erwähnt, Fehler machen. Manch einer erzählt seine Geschichte und Heldentaten noch einmal von Anfang. Man kennt das wohl, wenn jemand kein Ende findet und man sich denkt, wie oft will er uns das noch sagen. Um im Bild zu bleiben: Man macht den Sack zu voll, so dass er sich gar nicht mehr zuschnüren lässt.

Andere haben zu wenig gesammelt, haben nichts mehr zu sagen oder begnügen sich in Erwartung der Freizeit zu früh mit der wenigen Ernte. Hier steht dann meist ein hungriger Winter in Haus. Man läuft dann einem guten Ende hinter her, muss wieder raus, den Sack aufschnüren, nachfassen, obwohl doch Zeit wäre zu genießen.

Anstrengend ist diese Schlussarbeit deshalb, weil man auswählen muss, was wichtig ist. Man muss Entscheidungen treffen, was man einsammelt, was die sogenannten Posterioritäten sind - Dinge, die vielleicht schön und nett waren, aber nun weggelassen werden müssen – und den Prioritäten, die jetzt noch einmal in vollem Glanz leuchten sollen. Am Ende heißt es zu sagen, was mir wichtig war. Wenn wir einen Sack zubinden, wissen wir, worauf es jetzt am Ende ankommt.

Der Evangelist verlegt den Abschied Jesu auf einen Berg. Das ist freilich mit Bedacht gewählt: Geschahen doch die berühmte Bergpredigt mit den Seligpreisungen (5,1-7,29) oder Jesu Verklärung auf einem Berg. Der Gipfel bedeutet: Was jetzt gesagt wird, soll öffentlich gehört werden, allgemein und für alle Zeit Geltung haben.

 

IV. Die Taufe und das Anbefohlene

 

Zwei Dinge wollte der Evangelist dem scheidenden Auferstandenen in den Mund legen: Die Taufe und das Anbefohlene.
Bei der Taufe werfen wir einen Blick zurück auf das Taufkapitel 3 im Evangelium. Während Johannes eine Bußtaufe praktizierte, Menschen mit dem Gesetz Gottes konfrontierte, geschah bei der Taufe Jesu etwas Neues: Nach der Taufe des Nazareners (2,23) wurde eine Stimme laut: „Das ist mein lieber Sohn.“ Mit diesem Geist Gottes (Feuer/brennender Dornbusch, vergleiche 3,11.20b mit 2. Mose 3,2.14) sollte Jesus taufen. „Taufet die Völker“ hören wir. Alle Völker sind in der Taufe zu Gottes Kindern bestimmt. Aber es geht um eine qualifizierte Gleichheit aller Töchter und Söhne Gottes. Alle sollen in der Taufe geliebte Kinder Gottes sein. Unser Taufstein steht wieder in der vorderen Mitte der Stadtkirche. Aber im Grunde gehört er nicht nur nach Osten, über den Gräbern der erlauchten Markgrafen und zu denen, die sich in den Chor trauen oder einen besonderen Zugang zu ihm haben. Nach Matthäus gehört er mitten in die Gemeinde, dort wo sich alle Wege kreuzen. Taufet alle Völker ruft uns der Auferstandene am Ende des Matthäusevangeliums zu. Die Erbschaft des Himmels und die Liebe Gottes gehören mitten in alle Welt. – Ganz nebenbei entsteht auch das dreigliedrige Taufwort, das auch unser Glaubensbekenntnis mitgeprägt hat. So sprechen wir bei jeder Taufe: „Ich taufe dich auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Beim gelingenden Sackzubinden werden also Wege gewiesen – manchmal auf für Jahrtausende.

 

„Lehret alle Völker halten, was ich geboten habe.“ Diese Aufforderung ist das Zweite, was Matthäus wichtig war, als er sein Evangelium zuband. Das Anbefohlene spielt auf die Bergpredigt an. Vielen Ausleger wie Tolstoi oder Albert Schweitzer haben sich über die Bedeutung der herausfordernden Worte der Bergpredigt Gedanken gemacht. Wie zum Beispiel: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.  (5,20) So verstehen die einen Jesu Gebot aus Angst wortwörtlich; andere halten sie nur zurzeit Jesu für gültig oder nur für besondere Auserwählte wie Priester. Aber einmal wird vergessen, dass Jesu Abschiedsworte die Völkerwelt zum Ziel hat und damit universal über alle Zeiten Geltung beansprucht und ein andermal dass die Botschaft der Taufe die Menschheit zu geliebten Kindern des Schöpfers macht. Und die Liebe weiß Rat, Wege zu finden, kreativ immer wieder dem Gesetz Genüge zu tun ohne gesetzlich eng zu werden.

 

V. Unsere Säcke als Säcke Gottes zubinden

 

Wenn wir also den Sack der Taufe und der Gebote Jesu mit Matthäus zubinden und global gelten lassen, ist es wichtig, für wen er überhaupt diesen Sack zumachte. Er tut es ja nicht aus Eigennutz. Zu Beginn des Predigttextes werden zwei Gruppen der Jüngerschar deutlich: Die eine fiel vor Jesus nieder als Zeichen, dass sie ihm und seiner Botschaft huldigte. Die andere Gruppe der Jünger zweifelte. Um diese Zweifler ging es Matthäus am Ende. Wie ein cleverer Verkaufsstratege wusste er, dass er die Gegner Jesu schwerlich gewinnen würde können, wenn er nicht die Unentschiedenen für sein Evangelium in Bann schlagen würde. Wer waren, wer sind diese Zweifler? Matthäus bietet ihnen gegenüber alle Macht (ἔξουσια) auf und übereignet sie dem Nazarener. „Mir ist gegeben alle Gewalt.“ Entscheidend ist nun ist, wo diese Macht Geltung hat. Viele Menschen verbannen Jesu Macht lediglich in den Himmel. Denn dann müsste man sich mit Jesu Anspruch nicht auseinandersetzen. Wenn man sich die Not der Völker damals wie heute anschaut, wird man erkennen, dass die Geltung von Taufe und der Gerechtigkeit, die in der Bergpredigt laut wird, auch auf Erden gelten muss. Matthäus hatte die Hungrigen, Durstigen, Ungeschützten, Kranken und Gefangenen wohl im Blick (25,31ff.). Sie fasste er zusammen in der Völkerwelt.
Wenn die Schüler jetzt ihre Säcke zubinden, denken sie da daran denken, dass diese Völker in ihrer Sprache oder wenigstens in einer Weltsprache angesprochen werden wollen? Wie wollen sie mit den richtigen Speisen gesättigt werden, wenn sie uns nicht verstehen? Also bindet da Eure Säcke gut zu, schließt Fremdsprachen gut ab! Wenn die zahlreichen Studierenden der Rechtswissenschaft nicht nur nach dem Sportwagen „spechten“, sondern vielmehr darauf, was der Gerechtigkeit dient, machen sie sich zu Hörern des Auferstandenen, wird sein Wille unter uns lebendig. So verhält es sich auch beim Quartalsabschluss des Apothekers. Möchte er doch letztlich den Kranken helfen.

Erkennen wir, dass es bei dem schwierigen Akt, unsere Säcke zuzubinden, darum geht, Gottes Sack zuzubinden? Möge uns unsere Aufgabe, einen guten Abschluss zu finden, leicht fallen, wenn wir den Heiland (11,25-30) hören: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“Amen.



Autor: Martin Kleineidam