Predigt zur Ausstellungseröffnung Walter Green

Matthäus 5,13-16


(13) Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als daß man es wegschüttet und läßt es von den Leuten zertreten.
(14) Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. (15) Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. (16) So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

 

 

I. Liebe Gemeinde,

Ich bin aus jenem Holze geschnitzt,

in das man ein Herz und zwei Namen ritzt.

Vielleicht kennen Sie dieses Lied von Reinhard Mey?

Nicht nobel genug für Schachfiguren

und viel zu knorrig für Kuckucksuhren,

zu störrisch, als daß man Holz auf mir hackt,

grade recht für ein Männchen, das Nüsse knackt.

Und dann singt Reinhard Mey einen Vers, der mir in den Sinn kam, als ich diesen Gottesdienst zur Ausstellungseröffnung vorbereitet habe: 

Ich bin aus jenem Holze gebaut,
aus dem man wohl keine Madonnen haut.

Ich bin aus jenem Holze gebaut,
aus dem man wohl keine Madonnen haut.

Wie sollte es eigentlich sein: ein Holz, aus dem man Madonnen haut, und andere Heilige, gar einen Christus.

 

II. So ein Holz, das könnte ein alter Balken sein, würde Walter Green wohl antworten. Ein Eichenbalken aus einem Abbruchhaus etwa. Vielleicht sieht man noch Zapfenlöcher, dort, an den Stellen, an denen er mit anderen Stützen verbunden war. Das wäre so ein Stück Holz, aus dem Walter Green eine Madonna hauen könnte.

 

Oder: Es könnten Bahnschwellen sein. Oder Pfähle, einst in den Hafengrund gerammt, übersät mit Löchern, die Schiffbohrwürmer gegraben haben. Auch das könnte für Walter Green ein gutes Holz sein, um eine Madonna zu hauen. Denn ob es alt ist, ein Holz, wurmstichig, gebrochen, das spielt für ihn keine Rolle: Entscheidend ist sein Kern. Und der kann madonnengleich sein, ganz egal, wie das Holz von außen aussieht.

 

III. Heilige, biblische und andere Figuren: Wie Walter Green seine Skulpturen schafft, hat er einmal anhand eines alten Balkens erklärt. „Eine kleine Eichel wandelte sich zu einem gewaltigen Eichbaum, aus dem wurde ein Haus gebaut. Nach Jahrhunderten des häuslichen Dienens sind die Balken irgendwann aus ihrer Funktion befreit.“ Unnütz nun also? Nicht, wenn so ein Balken – ich möchte sagen: das Glück hat - zu Walter Green zu kommen: Dann gehen Vergehen und Werden ineinander über.

„Unter einer Schicht aus Staub, Nägeln und Vergangenheit wird die faltenreiche Haut des Balkens sichtbar. Diese, von Zimmerleuten, Pilzen und Insekten, von der Sonne und dem Regen hinterlassenen Lebensspuren gilt es, zu würdigen und möglichst zu erhalten. Darunter befindet sich kerniges Eichenholz, das in seiner leuchtenden Reinheit überrascht.“

 

Die Lebensspuren des Holzes dürfen bleiben: die Löcher, die Schnitte, die Brüche im Holz. Zugleich wird sichtbar, was noch in dem Balken steckt, an Schönheit, an Reinheit. So entstehen die Skulpturen Greens, und so stehen sie dann vor uns zwischen einem und zwei Meter groß, ohne Gesichtszüge, doch ganz eigene Charaktere. Sie laden uns zum Blickwechsel ein und dazu, dass wir sie berühren und uns von ihnen berühren lassen:

 

Da ist der in Holz gehauene Schrei hier in der Stadtkirche, unten, in der Fürstengruft: Der Kopf in den Nacken gelegt, dem Himmel zugewandt. Neben der Skulptur das Buch mit den Namen der Gefallenen aus den beiden Weltkriegen, gegenüber die Sarkophage der Markgrafen. Aus der Tiefe rufe ich zu Dir, heißt die Skulptur.

 

Da sind die zwei ineinander verschlungenen Gestalten, das gemaserte Lärchenholz ist wurmstichig. Es ist der Kampf am Jabbok, und Jakob ringt mit Gott und mit seiner Vergangenheit: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn, so der Name dieses Kunstwerks.

 

Da sind die Stelen aus Eiche. Der Kopf der Größeren neigt sich nach unten. Der Kopf des Kleineren ist an den Großen geschmiegt. Ich sehe meine Tochter, meinen Sohn darin, wie sie sich an mich lehnen, und ich streichle über das Holz, so, wie ich sonst über ihre Köpfe streichle. Oder bin ich vielleicht die kleinere Figur, die da Halt sucht? „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, heißt die Skulptur. Und die Skulptur und ich, wir begegnen uns, und der Augen-Blick fällt zurück auf mich selbst und verändert mich.

 

Walter Green erzählt, dass er erst während seiner Arbeit merke, wer und was da in diesem Holz vor ihm schlummere: Ob es die Liebenden sind oder eine Gruppe Trauernder oder die Sanftmütigen der Seilpreisungen, hier, im Chorraum. Da ist nichts Künstliches, nichts Gewolltes. Walter Green holt ans Licht, was bereits in dem Holz steckt. Und das ist wohl auch der Grund für dieses Leuchten, das von seinen Skulpturen ausgeht.

 

IV. Im Evangelium für diesen Sonntag spricht Jesus uns zu: Ihr seid das Licht der Welt! Und er fordert uns auf: Laßt euer Licht leuchten vor den Leuten. Ich blicke auf die Skulpturen von Walter Green, denke daran, was er schafft und wie er das tut, und das Wechselspiel zwischen seiner Kunst und dem heutigen Evangelium lässt mich die Worte Jesu neu lesen lernen.

 

Vom Leben gezeichnet sind wir alle, mehr oder weniger sichtbar sind da Brüche und Risse im Gebälk: Verluste, zerbrochene Träume, Schuld. Ein Leben im Glauben bewahrt uns nicht vor Wunden und nicht vor dem Vergehen, und manchmal mag uns unser Dasein auch nutzlos erscheinen, wie ein Balken, der nicht mehr trägt. Unser Leben ist Fragment. Die Fülle liegt allein bei Gott. Und trotzdem wird uns zugesprochen: Ihr seid das Licht der Welt. Manchmal ist das schwer zu begreifen: Ich, ein Licht, das die Dunkelheit erhellen soll? Und was ist mit all dem, wo ich anderen wehgetan habe, und wo mich das Leben verletzt hat und so anders verlaufen ist, als ich gehofft habe?

 

Dann blicke ich wieder auf die Skulpturen Walter Greens: Die sichtbaren Risse im Holz, die Wurmlöcher, die Spuren gelebten Lebens eben, mal schön, mal schmerzhaft - sie tun dem Leuchten der Figuren keinen Abbruch. Eigentlich sind sie es sogar, die das Leuchten überhaupt erst glaubwürdig machen. Und dass da etwas leuchten kann, liegt daran, dass Walter Green sich intensiv mit dem Holz befasst, dass er mit ihm, so beschreibt er es, absichtslos ins Gespräch kommt, Er vertraut darauf, dass jeder Balken, trotz oder gerade wegen seiner Lebensspuren, etwas in sich trägt, was es wert ist, geborgen zu werden, in seiner Reinheit, seiner Wahrhaftigkeit: Sei es ein Ruf in den Himmel wie in der Fürstengruft, sei es ein Ringen um Segen, wie Jakob am Jabbok, sei es die Umarmung zweier Liebender, so, wie im Hohenlied. Da steckt etwas in dem Holz, das leuchtet und uns berührt und verändert.

 

Wir leuchten, weil Gott an uns glaubt. Trotz allem. Ihr seid das Licht der Welt, sagt sein Sohn zu uns.

 

Ein chilenisches Liebeslied beginnt mit den Worten: Wenn du mich ansiehst, werd‘ ich schön. Gott sieht uns an wie ein Liebender den Geliebten, wie ein Künstler sein Werk. Der Theologe Fulbert Steffensky hat geschrieben: „Gott liest sein Gesicht in uns, und er tut dies gegen das Bild, das wir selber von uns haben. Wir sind, weil wir angesehen werden, nicht, weil wir ansehnlich sind.“ Es klingt leichter als es ist, sich ansehen zu lassen mit liebevollen Blicken, sich zusagen zu lassen: Du bist schön in meinen Augen. Es ist eine Schönheit, die nichts mit dem landläufigen Raster von Attraktivität zu tun hat: Schön sind wir in Gottes Augen, wenn sichtbar wird, wie er uns im Kern gedacht hat: Als Menschen, die sich anrühren lassen von dieser Welt, von ihrem Leid und von ihrer Schönheit, als Menschen, die in aller Fehlbarkeit versuchen, als Schwestern und Brüder zusammenzustehen, ohne harte Rinde, ohne die Berechnung: Wie wirke ich jetzt? Wer so lebt, wird leuchten und andere berühren. Und die Welt ein Stück weit verändern.

  

Ihr seid das Licht der Welt. Diese Zusage ist auch ein Anstoß, den Menschen neben mir mit anderen Augen anzusehen, mich also nicht - um mit Walter Green zu sprechen -, von der Schicht aus Staub, Nägeln und Vergangenheit davon abhalten zu lassen, einen zweiten Blick zu wagen, mit ihm ins Gespräch zu kommen, ihm zu begegnen. Denn nur so kann ich erkennen, was da leuchtet an ihm.

 

V. Ich bin aus jenem Holze gebaut,

aus dem man wohl keine Madonnen haut.

singt Reinhard Mey. Das darf ja auch so sein: Nicht in jedem Holzbalken muss eine Muttergottes, muss ein Heiliger stecken, Gottes hat uns bunt und mit ebensoviel Phantasie wie Liebe gedacht. Und es sind viele Strahlen, die da aus dem einem Licht brechen. Gott sei Dank.

 

Was man aus uns wohl an Kernen, an Reinheit erspüren, an Skulpturen „hauen“ könnte, so, wie wir gerade hier in der Stadtkirche versammelt sind? Was da alles schon leuchtet und was noch intensiver strahlen könnte! Wir müssten nur wagen, mehr von dem zu zeigen, was Gott in uns gelegt hat: an Demut und Aufbegehren, an Kraft und Liebe, an Schmerz und Sehnsucht. An Wahrhaftigkeit eben. Licht sind wir von seinem Lichte.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

 

 

 



Autor: Pfarrerin Dr. Angela Hager