"auf Bewährung"

Lukas 13,1-9


 

Lukas 13, 1-9

Der Untergang der Galiläer. Der Turm von Siloah

Es kamen aber zu der Zeit einige, die berichteten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte.Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben?Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen?Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen.

Das Gleichnis vom Feigenbaum

Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekommen und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge; vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.

 

Liebe Gemeinde,

im Jerusalemer Stadtteil Siloah sind beim Einsturz eines Turmes 18 Menschen ums Leben gekommen. Möglicherweise handelt es sich um einen Wachturm am Stadttor, durch das die Passanten die Stadt betreten und verlassen. Daraus erklärt sich die hohe Zahl der Todesopfer. Es liegen keine Nachrichten vor, ob die Einsturzursache in einem Erdbeben oder in Baumängeln liegt. In einer Stadt, deren Identität noch geheim gehalten wird, hat die Polizei auf Befehl der Regierung einen terroristischen Anschlag blutig niedergeschlagen. Bei den Attentätern handelt es sich um Männer aus Nordisrael. Die Zahl der Toten und Verletzten ist nicht bekannt. Augenzeugen berichten aber, dass die Leichen der Terroristen und die der Opfer in einem einzigen Blutbad durcheinander lagen.

 

So hätten vielleicht Reporter formuliert, was vor 2000 Jahren Reisende Jesus berichtet haben. Das Evangelium zum Buß- und Bettag beginnt mit Schreckensmeldungen: ein Unglück, Einsturz eines Hochhauses, verursacht entweder durch menschliches Versagen, Pfusch am Bau, technische Mängel oder durch ein Erdbeben, eine Naturkatastrophe; und ein Massaker, wohl ein Anschlag mit zahlreichen Toten, von Polizei oder Militär blutig niedergeschlagen, so dass auch die Attentäter ums Leben kamen. Fünf Tage nach den Anschlägen von Paris dieser Predigttext, nicht von uns ausgesucht wegen der Parallelen, sondern in der Ordnung der Predigttexte eben heute dran wie alle sechs Jahre!

 

Sobald so etwas passiert, kommt die Schuldfrage auf. Wir würden heute nach der Schuld der Architekten oder der Bauaufsicht fragen, so wie beim Einsturz der Einlaufhalle in Berchtesgaden, und im Hinblick auf die Opfer von einem tragischen Unfall sprechen. Bei Anschlägen wie vom 11. September in den USA kommt die Frage, ob Polizei und Geheimdienste es nicht hätten verhindern können. Oder jetzt: wenn man die Verhaftung eines mutmaßlichen Komplizen bei Rosenheim, der mit einem Waffenarsenal Richtung Paris unterwegs war, bei den Verantwortlichen in Frankreich ernster genommen hätte. Zugegeben, in solchen Situationen nach Schuldigen zu fragen, klingt hilflos oder wie ohnmächtiger Aktionismus. In den Phasen der Trauer ist die Frage nach Schuldigen oft Ausdruck ohnmächtiger Wut. Die Schuldfrage nimmt dann irrationale Züge an. Es müssen Schuldige gefunden werden. Für die Menschen damals, zur Zeit Jesu, nicht nur für die Juden, war klar: dieses Schreckliche, Unerklärliche, Unfassbare muss Strafe Gottes sein. Dieser Glaube herrschte bis in unsere Zeit. In den Predigten zum Stadt- und Stadtkirchenbrand 1605 begegnet  er auf Schritt und Tritt. Die Frage war nicht, ob das eine Strafe Gottes sei, sondern nur noch: wofür. Auch wenn wir weit davon entfernt sind, bei jedem Unglück, ja selbst bei Krankheit und Behinderung sofort eine Strafe Gottes zu wittern, die Schuldfrage ist präsent. Manchmal erkennt man sie daran, dass Leute anfangen, sich zu verteidigen; weil sie meinen, Sie müssten begründen, warum sie es haben nicht verhindern können. Wer sich rechtfertigt, antwortet auf die Schuldfrage, auch wenn sie gar nicht gestellt ist. Wenn gefragt wird: womit habe ich das verdient? Oder: womit haben die Menschen dort das verdient? Ja selbst, wenn von „unschuldigen Opfern“ gesprochen wird, klingt immer noch die Frage nach der Schuld an, als ob betont werden müsste, dass die Opfer nicht am eigenen Tod schuld seien.

 

Jesus beantwortet die Schuldfrage indirekt. Er sagt: die Opfer beim Einsturz des Turmes in Siloah und beim Massaker des Herodes sind nicht mehr schuldig als ihr. Jesus gibt die Frage zurück und dreht den Zeigefinger, der auf andere zeigt, einfach um. Ihr alle habt Buße, habt Umkehr nötig. Ihr alle müsst euch ändern. Und dann erzählt er die Geschichte vom Feigenbaum. Eine Geschichte voller Drohung. Sie gipfelt in dem zweimaligen „Hau ihn um.“ Es ist die Drohung mit Vernichtung. Ein Feigenbaum in einer Obstplantage, der keine Frucht bringt, hat sein Existenzrecht verloren. Er nimmt den anderen nur den Platz, die Nährstoffe, das Licht und vor allem das dort so wertvolle Wasser weg. Auch am Ende bleibt die Drohung: „so hau ihn ab“. Drohungen sind oft nötig. Strafandrohungen sollen Verbrechen verhindern und tun es in gewissen Maßen wohl auch. Die Drohung mit dem Gerichtsvollzieher soll zum Zahlen bewegen und die mit dem Nachsitzen in der Schule, seine Hausaufgaben zu machen. Der verstorbene Bundeskanzler Helmut Schmidt hielt in den 80er Jahren an der Nachrüstung der Bundeswehr fest, auch gegen den massiven Widerstand aus Reihen der Kirche. Welchen Einfluss diese Form der Drohung auf die Sowjetunion gehabt hat, und ob sie maßgeblich zur Perestroika, zum Zusammenbruch des Systems geführt hat, mögen spätere Geschichtsforscher beurteilen. Auch jetzt: dem Terror gegenüber muss ein Staat, eine Gesellschaft wehrfähig bleiben, wenn Gewalt nicht anders zu verhindern oder einzudämmen ist als durch staatliche Gewalt.

 

Und doch vermag die Drohung wohl nicht, einen Menschen im Innern zu verändern. Die Bibel nennt es: Herzen aus Stein in lebendige, liebende Herzen aus Fleisch und Blut zu verwandeln, dass sie gerne und von sich aus Gottes Willen folgen. Deswegen ist das Entscheidende an der Geschichte vom Feigenbaum auch nicht die Drohung „Hau ihn um“, sondern die Zeit, die er bekommt. Gib ihm noch ein Jahr. Veränderung braucht Zeit. Der Plantagenbesitzer soll noch ein Jahr Geduld haben. Aber der Gärtner will nicht tatenlos warten, Däumchen drehend daneben stehen oder durch regelmäßige Stippvisiten sich überzeugen, ob der Baum in diesem Jahr endlich von der Blüte in den Fruchtstand übergeht, ob da etwas wächst und reift. Er will den Boden umgraben und lockern, er will düngen, er will sein Bestes geben – eben nicht nur fordern und warten, ob die missratene Kreatur doch noch die Kurve kriegt, sondern nach Kräften unterstützen, dass sie sich zum Besseren ändert.

 

Liebe Gemeinde, wir wissen nicht, wie die Geschichte ausgeht. Vom nächsten Erntejahr wird nichts mehr erzählt. Der Schluss bleibt offen. Vielleicht müssen wir sagen: der Schluss bleibt Gott sei Dank offen. Vielleicht steht der Feigenbaum ja immer noch in dem Weinberg. Jedenfalls solange es der Lebensdauer eines Feigenbaumes entspricht. Vielleicht hat ja die Bodenbearbeitung und die Düngung ihre Wirkung gezeigt, und im nächsten Jahr hat der Baum nicht nur geblüht und dem Auge eine Freude bereitet, sondern tatsächlich richtige Feigen getragen. Vielleicht ist er aber auch so stehen geblieben und hat weiterhin die Nährstoffe aufgesogen, dem Boden die Kraft genommen, wie es heißt, und damit auch den anderen Pflanzen. Wie geht das überhaupt mit so einem Baum? Woran liegt es, wenn der keine Frucht bringt? Liegt es Boden? Ist der krank geworden wie die Birnbäume in unserem Obstgarten? Kann es am Baum selbst liegen? Geht das so einfach, so in der Art des gewinnorientierten Unternehmers: Wenn er keinen Gewinn bringt, dann weg mit ihm, er nimmt nur den anderen das Licht und die Energie weg; er verursacht nur Kosten; außer Spesen nichts gewesen.

 

Wie ist das, wenn wir gemeint sind mit dem Feigenbaum, wir als einzelne, jünger oder älter; bei denen der Weinbergbesitzer wohl schon öfter einmal vorbeigekommen ist und nach Früchten Ausschau gehalten hat; oder bei uns als christlicher Kirche, inzwischen schon sehr, sehr alt geworden? Zuerst einmal: wie steht es mit unseren Früchten? Müssen wir uns angesprochen fühlen als solche, die keine Frucht bringen? Vielleicht noch Blüten, dieser schöne Schein; viele Aktivitäten, viel Betrieb, viel Aktionismus – aber keine Frucht? Dass es immer zu wenig ist, das geben wir ja gerne zu; dass manchmal weniger Aktivität mehr wäre, mehr Qualität statt Quantität, auch das wird mancher gerne eingestehen; so wie die Weinreben zurück geschnitten werden, damit es weniger Weintrauben gibt, die aber dafür umso süßer und aromatischer werden; zugegeben, wir verzetteln uns auch in der Kirche immer wieder; wir reden, und kommen doch nicht auf den Punkt; wir tagen, und es wird doch nicht heller; und natürlich gibt es auch die faulen Christen – die sind heute eher nicht hier am Buß- und Bettag. Und in so mancher unserer Früchte steckt auch der Wurm drin, auch das sei zugegeben. Aber: keine Früchte, keine einzige Feige, und das schon im dritten Jahr, stimmt das? Fragen über Fragen. So einleuchtend dieses Gleichnis vom Feigenbaum klingt heute am Buß- und Bettag, wo es um Selbstbesinnung, Selbstkritik und Umkehr, Veränderung geht, so plausibel diese letzte eingeräumte Frist von einem Jahr klingt und die damit verbundene Drohung, irgendwie ist mir unwohl dabei. Und ich hoffe, es ist nicht Selbstgerechtigkeit oder Unbußfertigkeit, wenn ich so frage.

 

Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage. Wem erzählt Jesus dieses Gleichnis eigentlich? Es sind Leute, die von Unglücken und Verbrechen berichten. Ein Turm ist eingestürzt und hat mindestens 18 Menschen unter sich begraben. Ein Anschlag mit zahlreichen Todesopfern wurde blutig niedergeschlagen. Der Schrecken klingt noch nach in den Berichten, auch wenn die Nachrichten von Mund zu Mund viel mehr Zeit brauchten und keiner am Fernseher saß, um eine Fußballspiel anzusehen und die Detonationen um die 20. Minute herum selbst hören konnte oder das merkwürdige Schauspiel der Menschenmassen beobachten konnte, die aus dem Stadion hinaus wollten und wieder zurückströmten, bis es sich langsam leerte. Der Schrecken klingt durch, vielleicht auch die Wut auf die Verursacher. Reflexartig wird damals nach einer besonderen, ganz schweren Schuld gefragt, aber Jesus in seiner Radikalität droht: wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr auch so umkommen. Jesus macht aus den Katastrophenmeldungen eine Glaubensfrage, eine geistliche Frage. Eigentlich musste er das gar nicht tun, denn für  die Menschen damals waren solche Schrecken von vorneherein Glaubensfragen. Sie erklärten sich das Unerklärliche, Unfassbare mit einem sehr einfachen Schema: die müssen eine besondere Schuld auf sich geladen haben. Gott ist gerecht, an seiner Gerechtigkeit kann es nicht liegen. Jeder bekommt, wie er es verdient.

 

Solche Erklärungsmuster greifen nicht. Nicht nur menschlich gesehen. Das wäre Verhöhnung der Opfer. Jesus selbst setzt den Schematismus außer Kraft, als würde jeder letztlich das bekommen, was er verdient.  Straft Gott so? Ich meine jetzt nicht, dass vieles in unserem Leben seine Wirkung hat; dass der, der sich selbst und andere kaputt macht, sich nicht zu wundern braucht über die Folgen. Auch dazu ist ja dieser Buß- und Bettag da, dass wir uns besinnen über unsere Art zu leben und über die Folgen nachdenken. Da kann man beim Alkohol anfangen oder beim Tablettenkonsum, da kann man über Essgewohnheiten reden oder den Autoverkehr, und da kann und muss man schließlich auch zum Klima kommen und der von uns Menschen verursachten und den wohl unabwendbaren katastrophalen Folgen der Erderwärmung. Da muss Gott gar nicht strafen, da sind die Folgen oft Strafe genug. Ja, da müssen und dürfen wir Gott bitten, dass die Folgen unseres Handelns nicht voll auf uns und unsere Kinder zurückfallen. Oft können wir dankbar sein, dass sich nicht alles rächt im Leben, beginnend beim Leichtsinn im Straßenverkehr. Zum Glück.

 

Darum noch einmal die Frage: Straft Gott? Nicht im Sinn der Redensart: „die kleinen Sünden straft der Herrgott sofort“, wenn sich kleine Bosheiten unmittelbar rächen und der, der die Nase zu hoch trägt über den Fußabstreifer stolpert. Das wäre immer noch im Schema von Ursache und Wirkung zu verstehen – nach dem Motto: das hast du jetzt davon. Können wir Christen noch so von der Strafe Gottes reden, wenn wir am Karfreitag hören und bekennen: die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt? Müssen wir ständig mit Strafe rechnen, wenn wir glauben, dass am Kreuz Vergebung für alle unser Sünden geschehen ist? Verbietet es sich nicht vielmehr, ständig Gottes Strafe fürchten zu müssen? Was nicht ausschließt, dass wir die Konsequenzen unseres Handelns tragen müssen, oder auch andere sie tragen müssen.

 

Damit komme ich wieder zum Feigenbaum. Im Zeichen des Kreuzes Jesus Christus verstehe ich sein Gleichnis nicht als Drohung, nicht als letzte Abmahnung vor der Kündigung, nicht wie die Strichliste des Lehrers vor dem Verweis oder die gelbe Karte des Schiedsrichters kurz vor der roten. Und selbst wenn es so gemeint wäre, setze ich dagegen, was Jesus an anderer Stelle sagt: dass ein guter Baum gute Früchte bringt, automatisch. Und gut wird ein Baum nicht durch Drohungen, sondern durch Güte, durch guten Boden, durch das Licht der Sonne und durch das Wasser des Regens. Auf den Glauben übertragen: wir werden gut und gerecht durch Gottes Gnade.

 

Letztlich geht es in dem Gleichnis um die Geduld. Geduld, das können wir hier lernen, ist nicht Resignation. Der Weinbergbesitzer drängt. Er will Früchte sehen. Und der Weingärtner, der um Geduld bittet, legt auch nicht die Hände in den Schoß, sondern gräbt in der Zwischenzeit den Boden um und düngt ihn. Wer etwas verändern will, braucht Geduld, braucht den langen Atem. Schließlich brauchen wir es ja auch, dass Gott Geduld hat mit uns, trotz seines Feuereifers für Gerechtigkeit, trotz seiner brennenden Liebe zu den Opfern, gerade wegen dieser Liebe. Amen

 

 

 



Autor: Dekan Hans Peetz