„Lasset uns Menschen machen“ - Akademischer Gottesdienst

1. Mose 1,26(a)-31


(26) Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.


(27) Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib. (28) Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht. (29) Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. (30) Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so.


(31) Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.

 

Liebe Gemeinde,

 

als Martin Kleineidam vor einigen Monaten bei mir anfragte, ob ich die Predigt eines akademischen Gottesdienstes übernehmen könne, freute ich mich darüber. Zum einen über die Gelegenheit, zurück nach Bayreuth zu kommen. Fünf Jahre lebte ich mit meiner Familie in Destuben und wir gehörten damals zur Gemeinde der Friedenskirche. Darüber hinaus waren unsere Kinder im Kinderchor der Stadtkirche aktiv und dort kreuzten sich auch unsere Wege mit der Familie Kleineidam. Es war mir jedenfalls eine besondere Ehre und Freude, diese Aufgabe anzunehmen und ich bedanke mich herzlich für die Einladung.

 

Als ich mich dann genauer mit dem Oberthema „Der Mensch zu seinem Bilde“ und den in der Ankündigung angesprochenen Themen des Optimierens und des Klonens beschäftigte, bekam ich dann allerdings doch auch einen kleinen Schreck. Was kann ich, als Allgemeinmediziner und Gesundheitswissenschaftler, denn um alles in der Welt zu diesem speziellen Thema beitragen? Und dann auch noch ausgerechnet am 4. Advent, vier Tage vor Weihnachten?

 

Lassen Sie mich also einen Schritt zurücktreten und ganz von vorne anfangen. Im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich im Ersten Buch Mose, erstes Kapitel, die Erschaffung der Welt. (Die Bibelstelle 26-31 steht zwar nicht mehr auf der ersten Seite der Bibel, aber auf der zweiten.) „Lasset uns Menschen machen“... Worum geht es da? Um das große Ganze und auch um das „Ganz am Anfang“. (Sehr beeindruckend…) Schauen wir uns zunächst einmal den Kontext an: Der Schöpfungshymnus im Ersten Buch Mose ist die wunderbare Geschichte von der Entstehung der Erde und des Menschen. Mit der Gott selbst ja offensichtlich auch sehr zufrieden war: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“.

 

Es ist nun aber so, dass es auch Krankheiten und Leid auf der Welt gibt - und da kommt die Medizin ins Spiel. Es erscheint uns selbstverständlich, dass alle vernünftigen Mittel genutzt werden, um dieses Leid zu erleichtern oder gar zu heilen. Die Medizin hat in den letzten hundert Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Das ist insgesamt sehr erfreulich. Wir können Krankheiten behandeln oder gar deren Ausbruch verhindern. Auf den Intensivstationen können Schwerverletzte wieder zurück ins Leben geführt werden und die moderne plastische Chirurgie sorgt dann dafür, dass die Betroffenen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in ihren Heimatorten auch wiedererkannt werden. Mithilfe der Transplantationsmedizin können schwach gewordene Organe ersetzt werden. Durch moderne Chemotherapie können Kinder mit Leukämie und anderen Krebserkrankungen heutzutage oftmals geheilt werden und anschließend wieder ein nahezu normales Leben führen. Vielen ungewollt kinderlosen Paaren kann durch die Reproduktionsmedizin geholfen werden.

 

Die Liste dieser Beispiele ließe sich noch weiter fortsetzen. Sie ist einerseits eine Erfolgsgeschichte und führt uns aber auch gleichzeitig zu einem Problem. Forschung und Technik machen immer mehr möglich. Diesem naturwissenschaftlichen und medizinischen Fortschritt sind dabei zunächst einmal keine Grenzen gesetzt. Der Mensch ist selbst dafür verantwortlich, diese zu setzen. Dadurch entstehen einige Fragen, mit denen wir konfrontiert sind. Zunächst einmal: Wollen wir das überhaupt, was wir (technisch) können? Werden wir, wie Giovanni Maio, Medizinethiker an der Uni Freiburg, in seinem aktuellen Buch „Medizin ohne Maß?“ schreibt, möglicherweise Gefangene des Machbaren?

 

Die Wissenschaft lebt ja durch ihren Anspruch, sich immer weiter zu entwickeln, Neues zu entdecken und zu beschreiben. Der Fortschritt ist dabei teilweise so rasant, dass es mitunter schwer fällt, im selben Tempo den gesellschaftlichen Diskurs darüber zu führen, welche Möglichkeiten der Technik und Medizin nun eigentlich wünschens- und erstrebenswert sind und welche wir vielleicht lieber nicht haben wollen. Oder nur Teile davon. Oftmals geht es auch um die Frage, ob es bestimmte Gruppen von Menschen gibt, die von einem Verfahren mehr profitieren als andere. Da kann das Alter eine Rolle spielen oder auch die Art und Ausprägung der Erkrankung. Manchmal kann eine Methode auf den zweiten Blick auch mehr schaden als nutzen. Nur weil etwas technisch möglich ist, sollte es jedenfalls nicht automatisch auch durchgeführt bzw. angeboten werden.

 

Es geht aber auch noch eine Stufe weiter bzw. in der Lebensspanne wiederum ganz an den Anfang. Bei der Pränataldiagnostik geht es darum, Risiken für bestimmte Krankheiten, Abweichungen und/oder Behinderungen frühzeitig zu entdecken. Und zwar noch vor der Geburt. Die dann unter Umständen gar nicht stattfindet, wenn nämlich bei der Pränataldiagnostik etwas mehr oder weniger „Unerwünschtes“ herausgekommen ist. Zunächst einmal erscheint es uns ja erstrebenswert zu sein, Leid zu reduzieren, gesundheitliche Probleme zu vermeiden und dadurch den Menschen möglicherweise ein Stück weit von den Fesseln der Natur zu befreien. Auf den zweiten Blick entstehen aber durch die Charakterisierung von sogenannten „Risikoschwangerschaften“ neue Probleme, die es so vorher gar nicht gab. Vom Zustand der „guten Hoffnung“ –wie die Schwangerschaft früher bezeichnet wurde- in einen Zustand der Unsicherheit und der Frage, wie man mit bestimmten Ergebnissen dann eigentlich umgehen soll. Oftmals wird durch die Diagnostik ja noch nicht einmal eine Erkrankung oder mögliche Behinderung sicher festgestellt, sondern nur das Risiko dafür eingeschätzt. Hierdurch können erhebliche Belastungen für die betroffenen Familien entstehen.

 

Ein weiteres Phänomen ist die Gefahr eines Diktats der sozialen Erwartung. Wenn es z.B. zur akzeptierten Normalität wird, dass Embryonen auf Unbedenklichkeit durchuntersucht werden, verbunden mit den Versprechungen der modernen Medizin, könnte der Eindruck entstehen, dass es eine Garantie auf gesundes Leben gäbe. Und dass es sich von selbst versteht, dass man die medizinisch möglichen Verfahren in Anspruch nimmt, um bestimmte oder unbestimmte Übel zu vermeiden.

 

Giovanni Maio lehnt in dem eingangs erwähnten Buch („Medizin ohne Maß?“) eine pauschale Machbarkeitskritik ab und fordert stattdessen eine Ethik der Besonnenheit. Was bedeutet denn aber eigentlich Besonnenheit? Wird man da von der Sonne beschienen? Homer definierte Besonnenheit als das Gegenteil der Hybris, also der Selbstüberschätzung. Im Griechischen bedeutet sophrosyne so etwas wie der gesunde Sinn. Platon versteht unter Besonnenheit die Harmonie des Ganzen und die Gesundheit der Seele. Arthur Schopenhauer (1788-1860) letztendlich formulierte es so: Besonnenheit ist die Fähigkeit, vom Augenblick Distanz zu gewinnen und das Ganze des Lebens zu übersehen.

 

Was gehört nun konkret dazu, welche Bedingungen können uns hilfreich sein? Als erstes ist es Klugheit und ein gewisser Realitätssinn. Daraus entsteht dann idealerweise auch Zuversicht. Veränderung ist möglich, evtl. auch der eigenen Einstellung zur Realität. Durch Besonnenheit kann eine Harmonie entstehen zwischen dem was ist und dem was sein könnte. Dazu kommt die Notwendigkeit der inneren Ruhe und einer reflektierten Haltung. Durch die Betrachtung von Nutzen und Risiko und durch sorgfältiges Abwägen können wir zu Standfestigkeit und zu einer „inneren Überlegenheit“ gelangen. Es geht dabei darum, eben nicht maßlos zu sein, auch nicht mit den eigenen Gefühlen, vor allem den Gefühlen der Angst und der Hoffnung, der Sehnsucht und der Besorgnis. Als wichtiger dritter Punkt wird noch das Handelnwollen gesehen. Dazu gehört auch der Mut, tatsächlich etwas verändern zu wollen. Besonnenheit ist nämlich etwas anderes als Besinnlichkeit. Duldsamkeit mag zu Gelassenheit verhelfen. Die Ethik der Besonnenheit fordert uns aber darüber hinaus dazu auf, das große Ganze zu sehen und uns für das erkennbar Gute einzusetzen.

 

Lassen Sie mich zu einem weiteren Punkt kommen. Durch die zunehmende Spezialisierung der Medizin sind uns einige moderne Verfahren gar nicht bekannt oder zumindest nicht vertraut. Wer weiß schon, wie eine allogene Knochenmarktransplantation abläuft und welche Komplikationen dabei im Verlauf möglich sind? Auch Fachleute kennen sich ja vor allem (und manchmal nur) mit ihrem eigenen Fach richtig gut aus.

Das Thema des Umgangs mit der modernen Medizin wird uns auch in Zukunft noch weiter beschäftigen und es werden immer wieder neue Fragen dazu kommen. Umso wichtiger wird es sein, den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu pflegen. Dabei gibt es einen erheblichen Nachholbedarf. Selbst zwischen einzelnen Disziplinen der Wissenschaft, aber auch zwischen verschiedenen Gruppen der Gesellschaft fällt die Kommunikation und der Informationsaustausch oft schwer.

 

In diesem Zusammenhang empfehle ich das Motto des DAAD, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Es lautet „Wandel durch Austausch“. Durch die Erfahrung in anderen Lebensbereichen können wir einiges dazu lernen und für uns und die Gesellschaft mitnehmen. Dazu muss man gar nicht unbedingt in die Ferne schweifen, manchmal genügen schon ein paar Schritte und ein Tag oder ein paar Stunden, um einen anderen Aspekt unserer Gesellschaft oder unserer Wissenschaft besser zu verstehen oder überhaupt erst kennen zu lernen.

 

In Anbetracht der um sich greifenden Informationsflut und Medienpräsenz ist es umso wichtiger, den Blick auf das Wesentliche zu richten. Und auf die nahe Zukunft.

Weihnachten steht vor der Tür. Gestern durfte ich an dem wunderbaren Ersten Internationalen Gottesdienst der Stadtkirche teilnehmen. Dieser fand fünfsprachig statt. Auch zahlreiche Flüchtlinge nahmen an dieser besonderen Feier teil.

Und es gibt noch mehr erfreuliche Nachrichten, von denen wir diese Woche erfahren durften: Die Zahl der Geburten in Deutschland steigt wieder an und befindet sich auf dem höchsten Stand seit 1990. Das ist doch kaum zu glauben.

Schließen möchte ich mit einem Zitat von Marie von Ebner-Eschenbach, die damals leider keine eigenen Kinder haben konnte:

„Man muss Glück teilen, um es zu multiplizieren.“

 

Und da wir heute kein adventliches Lied miteinander singen, möchte ich noch die erste Strophe meines Lieblingsadventslieds vorlesen:

O komm, o komm, du Morgenstern,

lass uns Dich schauen, unsern Herrn.

Vetreib das Dunkel unsrer Nacht durch deines klaren Lichtes Pracht.

Freut euch, freut euch, der Herr ist nah.

Freut euch und singt Hallelujah.

 

Amen.

 

 

 



Autor: Prof. Dr. Michael Freitag