Abigajil und das kleine Osterfest

1. Samuel 25,14-35 und Johannes 14,27


(14) Einer von Nabals Knechten war zu Abigajil gelaufen. »Soeben waren Boten von David da«, berichtete er. »Er ließ unseren Herrn freundlich grüßen, aber der hat sie nur beschimpft. (15) Dabei waren die Männer Davids immer sehr gut zu uns und haben uns nie etwas getan. In der ganzen Zeit, die wir draußen in ihrer Nähe umherzogen, ist uns kein einziges Schaf gestohlen worden. (16) Sie waren wie eine schützende Mauer bei Tag und bei Nacht, solange die Herden in ihrer Nähe weideten. (17) Sieh zu, ob du noch etwas retten kannst; sonst ist unser Herr verloren und wir alle mit. Er selbst ist ja so boshaft und eigensinnig, dass er nicht mit sich reden lässt.«

 

(18) Schnell ließ Abigajil einige Esel beladen. Sie nahm 200 Fladenbrote, zwei Krüge voll Wein, fünf geschlachtete Schafe, einen Sack geröstete Körner, 100 Portionen gepresste Rosinen und 200 Portionen Feigenmark. (19) Sie befahl ihren Knechten: »Geht ihr mit den Eseln voraus, ich komme gleich nach!« Ihrem Mann sagte sie nichts davon. (20) Als Abigajil auf ihrem Esel den Berg hinunterritt, kamen ihr plötzlich an einer Biegung des Weges David und seine Leute entgegen.

 

(21) David schimpfte gerade: »Für nichts und wieder nichts habe ich in der Steppe alles beschützt, was diesem Schuft gehört! Nicht ein einziges Stück Vieh ist ihm weggekommen, nur Gutes habe ich ihm getan – und das ist jetzt der Dank dafür! (22) Gott soll mich strafen, wenn er von allen seinen Leuten morgen früh noch einen hat, der an die Wand pinkelt!«

 

(23) Als Abigajil sah, dass es David war, stieg sie rasch von ihrem Esel, warf sich vor David nieder, das Gesicht zur Erde, (24) und blieb vor seinen Füßen liegen. »Es ist alles meine Schuld, Herr!«, sagte sie. »Bitte hör mich an, lass es dir erklären! (25) Nabal, diesen nichtsnutzigen Menschen, darfst du nicht ernst nehmen. Er ist genau das, was sein Name sagt: ein bösartiger Dummkopf. Unglücklicherweise war ich nicht da, als deine Boten kamen. (26) So gewiss der HERR lebt und du selbst lebst: Es ist gut, dass ich dir noch rechtzeitig begegnet bin! Der HERR hat dich so daran gehindert, dich zu rächen und dabei schwere Schuld auf dich zu laden. Nabal wird seiner Strafe nicht entgehen. Allen deinen Feinden, die dir schaden wollen, soll es so ergehen wie ihm! (27) Bitte, Herr, nimm dieses Geschenk an, das ich dir mitgebracht habe, und verteile es unter deine Gefolgsleute. (28) Ich bin dir treu ergeben; verzeih mir, dass ich so vermessen war, dir in den Weg zu treten. Ich weiß, der HERR wird dich zum König machen und dein Königshaus wird für immer bestehen. Du bist ja der Mann, durch den der HERR seine Kriege führt; und dein Leben lang wird dir niemand ein Unrecht vorwerfen können. (29) Wenn dich jemand verfolgt und dich umbringen möchte, wird er dir nichts anhaben können, weil der HERR dein Leben bewahren wird, wie man einen kostbaren Stein im Beutel verwahrt; aber das Leben deiner Feinde wird der HERR wegwerfen, wie man einen Stein mit der Schleuder fortschleudert. (30) Wenn dann der HERR alle seine Zusagen eingelöst und dir die Herrschaft über Israel gegeben hat, (31) wirst du froh sein, dass dein Gewissen rein ist und du dir nicht selbst zu deinem Recht verholfen und ohne Grund Blut vergossen hast. Und denk dann auch an mich, deine Dienerin, wenn der HERR dich so weit gebracht hat.«

 

(32) »Gepriesen sei der HERR, der Gott Israels«, rief David, »dass er dich in diesem Augenblick mir entgegengeschickt hat. (33) Und gepriesen sei deine Klugheit! Gesegnet sollst du sein, weil du mich davor bewahrt hast, eigenmächtig Rache zu nehmen und Blutschuld auf mich zu laden. (34) Ich schwöre dir beim HERRN, dem Gott Israels, der mich davor bewahrt hat, dir etwas zuleide zu tun: Wenn du mir nicht so schnell entgegengekommen wärst, hätte Nabal morgen früh, wenn es hell wird, von seinen Männern keinen mehr am Leben gefunden – keinen von allen, die an die Wand pinkeln!« (35) David nahm die Gaben an, die Abigajil ihm gebracht hatte, und sagte zu ihr: »Geh unbesorgt nach Hause. Was du von mir erbeten hast, ist dir gewährt.«

 

Liebe Gemeinde,

 

I. Abigajil – Freude des Vaters

 

Abigajil heißt zu Deutsch „Freude des Vaters“. Und wahrscheinlich wird der leibliche Vater auf diese zwar kaum bekannten aber doch bedeutenden Frau der Bibel stolz gewesen sein. Das 1. Samuel Buch widmet der Schönheit und Weisheit dieser Frau ein ganzes Kapitel. Da heute eigentlich am Frauensonntag Lätare eine Frau predigen sollte, möchte ich doch wenigstens die Leiterin der Fachstelle für Frauenarbeit FrauenWerk Stein e. V. in unserer Kirche zu Wort kommen lassen. Frau Dr. Andrea König schreibt zu Abigajil: „Mit Abigajil haben wir eine biblische Frauengestalt vor uns, die den wenigsten vertraut ist. Dabei ragt die Abigajil-Erzählung aus den oftmals brutalen und kriegerischen Geschichten des Alten Testaments heraus. Sie plädiert – wie kaum eine andere Erzählung im Alten Testament – für den Verzicht auf Gewalt. Wir lesen von Abigajil, einer klugen und schönen Frau, die nicht nur ohne zu zögern Entscheidungen trifft, sondern auch handelt. Kurz bevor das Geschehen eskaliert und es Mord und Totschlag gibt, verhindert Abigajil ein Blutbad, indem sie bedenkenlos einfach alle Schuld auf sich nimmt und in Demut um Nachsichtigkeit bittet. Dass Entschuldigungen äußerst wirksam sein können, Konflikte gewaltlos lösen können, Uneinigkeit beheben und im zwischenmenschlichen Bereich stabilisieren können, lehrt uns Abigajil. Mit ihrer Diplomatie überführt sie den sicheren Krieg in eine friedliche Lösung.“

 

II. Abigajil – Eine junge Witwe auf Freiers Füßen

 

Stolz wird ihr Vater gewesen sein. Aber warum hat er sie dann ausgerechnet mit Nabal verheiratet? Dummheit und Stolz wachsen ja bekanntlich auf einem Holz. Offensichtlich glaubte der Vater mit Nabal eine gute Partie gemacht zu haben; denn Nabal wird wenige Zeilen vor unserem Predigttext als sehr vermögend beschrieben. Er besaß dreitausend Schafe und tausend Ziegen. Dass Nabal in seinem Verhalten als roh und boshaft beschrieben wird, schien ihn nicht gestört zu haben. Und auch Abigajil selbst lässt kein gutes Haar an ihrem Ehemann, als sie dem zürnenden David begegnete, sagte sie Folgendes über ihn: „Bitte hör mich an, lass es dir erklären! (25) Nabal, diesen nichtsnutzigen Menschen, darfst du nicht ernst nehmen. Er ist genau das, was sein Name sagt: ein bösartiger Dummkopf. Unglücklicherweise war ich nicht da, als deine Boten kamen.“ Das klingt nicht nur nicht sehr schmeichelhaft für einen Ehemann. Nach unserem Predigttext wird über Abigajil berichtet, dass sie den Ehemann abends betrunken vorgefunden hatte, ihm aber erst am anderen Morgen, als er völlig nüchtern und aufnahmefähig war, die ganze Wahrheit erzählte, die zwischen ihr, seinem Knecht und David vorgefallen war. In Luthers Übersetzung heißt es darauf über Nabal: „Da erstarb sein Herz in seinem Leib und er ward wie ein Stein. Und nach zehn Tagen schlug der HERR den Nabal, dass er starb.“ Woran starb Nabal? An Herzschlag oder an gebrochenem Herzen oder durch Mord? Wie dem auch sei, die ganze Geschichte bekommt ein Geschmäckle, als David um Abigjil warb, um sie zur Frau zu nehmen, kurz nachdem Nabal tot war. Und Abigajil machte sich als junge Witwe fluchs daran, das Aufgebot anzunehmen. Die damals übliche Schwagerehe wird nicht einmal ansatzweise erwogen. Hatte Abigajil – der Stolz ihres Vaters – wohl noch eine bessere Partie im Auge. Und was kann uns solch eine Geschichte heute eigentlich sagen?

 

III. Eine der acht Frauen Davids

 

Es ist gut, dass es in unserer Kirche Frauen und Männer im Predigtamt gibt. Ich möchte einmal die Geschichte aus Nabals Perspektive erzählen, er kommt ja kaum zu Wort:

Da kommt so ein entlaufener Knecht Sauls daher, der ein Verhältnis mit seiner Tochter Michal hatte, die ihn rettete; es ihr aber wohl wenig dankte, denn er hatte ja noch andere Frauen nach ihr. David dieser Warlord. Der findet dieses unterwürfige Verhalten meiner Frau gut. Ihm ist es nicht einmal peinlich, dass eine Frau vor ihm in den Schmutz fällt und für ein Vergehen Schuld auf sich nimmt, das sie nicht begangen hat. Ihr unterwürfiges Verhalten wäre wohl die Rolle gewesen, die er für mich als Mann als angemessen betrachtet hätte. Er kommt ungefragt daher mit seiner Truppe und erwartet dann ohne jegliche Bitte oder Übereinkunft Schutzgelder. Gibt man sie ihm nicht, muss man um sein Leben fürchten. Riecht die ganze Geschichte nicht nach mafiösen Strukturen mit allem „Ich schwöre!“ und Duftmarken-Gehabe wie bei Hunden? „Keiner von denen, die an die Wand pinkeln, hätten den morgigen Tag erlebt, wenn Du nicht gekommen wärst.“ Sagt der Feldherr David. Dieses brunftige Säbelrasseln riecht wie eine Männer-Toilette, die schon lange keine Reinigung mehr gesehen hat. Und dann muss ich als Ehemann hören, dass einer meiner afterredenden Knechte nicht den Mumm hatte, mir die Wahrheit zu sagen, dass meine eigene Frau nicht mit mir redet, sondern mich obendrein als Dummkopf bei meinem Widersacher anschwärzt. Wen da nicht der Schlag trifft?! Und nach meinem Ableben wird Abigajil Davids achte Frau und bekommt von ihm ein Kind. Mehr kann eine Ehefrau ihren Ehemann kaum demütigen.

 

IV. Diplomatischer Friede und Friede des Gekreuzigten

 

Das ist freilich die Perspektive eines Trunkenbolds aus der Sippe der Kalebs zu Karmel. Wozu dient uns diese Geschichte? Sehen wir die Geschichte mit den Augen der jüdischen Gelehrten Dr. Antje Yael Deusel: Da spinnt eine Frau den Faden, während sie spricht. Mit den Geschenken von Rosinenkuchen gibt sie den Soldaten haltbaren und nachhaltigen Proviant. Mit ihrer Schönheit und ihren demütigen Gesten beschwichtigt sie einen Kriegshelden im Blutrausch. Sie wendet durch ihren Segen und Prophezeiung über David Unheil von ihrer Sippe ab und wird mit ihrer Diplomatie zur Friedensstifterin. Die Alternative wäre Mord und Totschlag gewesen. Allerdings bleibt der fade Geschmack wie die Autoren der Frauenwerks Stein mit der Rabbinerin Deusel wohl erkennen, dass sich Abigajil einen neuen Ehemann ausschaut, während ihr Mann noch lebt. Für Frauen scheint Macht, Ansehen und Geld genauso anziehend zu sein wie für Männer eine schöne weibliche Gestalt. Trotz dieses sehr biologischen Nebenbefundes war die Weisheit und Diplomatie dieser Frau sehr erfolgreich. Wie alle Diplomatie kommt sie zu friedlichen Ergebnissen und fährt gleichzeitig Gewinn für sich und ihr Land ein. Dass für diese Vermittlungskunst auch Menschen das Herz gebrochen wird und sie über die Klinge springen müssen, gehört zu diesem Frieden offenbar dazu.

 

 

Wir haben uns im Vorbereitungsteam daher dazu entschieden, der Geschichte von Abigajil einen neutestamentlichen Text daneben zu stellen. Er findet sich bei Johannes 14,27: Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

 

Wenn wir uns in der Passionszeit mit dem Mann aus Nazareth auf den Weg machen, dann sehen wir jemanden, der mit seinem Auftreten für den Frieden in der Welt keinen eigenen Vorteil verbindet. Er ist jemand, der die Sehnsucht nach Gerechtigkeit in die Kerker und Folterzellen eines Pilatus bringt. Er macht sich am Kreuz mit der ganzen bedrohten Schöpfung gleich und zeigt ihr einen Weg durch den Tod. Unter seinem Kreuz und dieser Klarheit entdeckt der Mensch sein heilloses Wesen und erfährt trotzdem in unerklärlicher Weise, dass er Gottes Kind bleibt. Unter dieser gekreuzigten Wahrheit eröffnet sich nicht nur ungeahnte Freude und Freiheit, hier entsteht auch ein ganz neuer Mensch unter der Liebe Gottes, der tiefen und umfassenden Frieden erreichen und weitergeben will. Der diplomatische Frieden einer Abigajil wird uns gelassen. Die Frage ist, ob nach dem österlichen Auftreten Jesu daran im Innersten noch Interesse an dem kleinen Ostern einer Abigajil besteht.

 

V. Brückenversuche der unterschiedlichen Friedensstifter

 

Die Gefahr aber, liebe Gemeinde, sich aus der Welt einer Abigajil herauszuziehen und diese Welt sich selbst zu lassen, ist groß. Wer meint, diese alttestamentlichen Geschichten gehören der Vergangenheit an, der lese nur einmal über die Familiengeschichte eines bekannten Ministerpräsidenten, verfolge einmal einige Scheidungen in der Bekanntschaft und Verwandtschaft, wo Frauen, Männern und Kindern reihenweise das Herz gebrochen wird; der blicke einmal in manche Betriebe, wo im Schatten der Gesetze Vorgesetzte und Kollegen wie Machos vom Kaliber eines Davids auftreten, wo man schon einmal die Faust am Kinn zu spüren bekommt, wenn man nicht genügend Ehrerbietung und Dienstbarkeit bis hin zur sexuellen Willfährigkeit zeigt. Ja, das ist unsere Welt damals wie heute.

 

Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht, ruft uns der Auferstandene zu. Er war es auch, der genau dort hingegangen ist, wo die Ungerechtigkeit und Gemeinheit zum Himmel stinkt. Dort ist der himmlische Friede besonders nötig. So steht der Rosinenkuchen, den Sie am Ausgang von den Dekanatsfrauenbeauftragten, Frau Teufel und Frau Dr. Frunzke gereicht bekommen, für die Philosophie einer Abigajil, die Sie vielleicht in Ihrer Welt benötigen, um schlimmeren Schaden abzuwenden. Den Frieden lasse ich Euch…

 

Auf der anderen Seite gehen Sie nachher an einer Friedenstaube aus Lichtern vorbei, um sich bei Brot und Wein für den himmlischen Frieden stärken zu lassen, der nicht den eigenen Vorteil im Blick hat, sondern Ihren selbstlosen Einsatz erfordert. Die Welt hat dieses himmlische Geschick einer Erneuerung der Menschlichkeit unter dem Kreuz Christi bitter nötig, um echten Frieden zu bewirken.

 

Amen.

 

Dieser Friede, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

 

Quelle: Es ist alles meine Schuld..., Die Diplomatie Abigajils, hrsg. vom FrauenWerk Stein e. V. in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, A. König u. a., Stein 2015.



Autor: Pfarrer Martin Kleineidam