Wurzeln in

Epheser 3, 14-21


(14) Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, (15) der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, (16) dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, (17) dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.

 

(18) So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, (19) auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle.

 

(20) Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, (21) dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

 

I. Zurück zu den Wurzeln

 

Back to the roots, Zurück zu den Wurzeln heißt es für Sie heute, liebe Festgemeinde, liebe Jubilarinnen und liebe Jubilare,

Back to the roots meint keine Lakritze-Fruchtbonbon Neuheit, keine gleichnamige Band oder ein diesjähriges großes Festival. Zurück zu den Wurzeln erinnert auch nicht an den Wahlspruch der Renaissance. Wir tauchen heute mit Ihnen in die Zeit Ihrer Konfirmation im Jahr 1966 und 1991 ab.

1966 das war das Jahr als die Beatles behaupteten: „We’re more popular than Jesus now.“ (Wir sind jetzt populärer als Jesus). Die Äußerung führt in den USA zu heftigen Reaktionen.

Die USA damals standen im Vietnamkrieg und in der damaligen Sowjetunion wurde Leonid Breschnew zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei ernannt. In China rollte unter Mao Zedong (Rote Garden) und seiner später auch in Deutschland in progressiven Kreisen herumgereichte Mao-Bibel die Kulturrevolution und die Erneuerung der sozialistischen Ideen an. Deutschland war geteilt in BRD und DDR.

In Bayreuth hingegen war es recht beschaulich zu dieser Zeit. In den kirchlichen Annalen ist lediglich vermerkt, dass vor 50 Jahren die Erlöserkirche und das Matthias-Claudius-Heim eingeweiht wurden. Damals gab es noch den Präparanden Unterricht, der einjährige dem Konfirmandenunterricht vorgeschaltet war. Es gab noch eine aufregende, wenn gleich rücksichtsvolle öffentliche Prüfung vor der Gemeinde mit auswendig vorgetragenen Stücken aus Luthers „Kleinem Katechismus“. Viktor Lukas spielte die Orgel und Dekan Kübel, Pfarrer Friederich, Kirchenrat Preiser, Pfarrer Drechsel, und die Vikare Weigel und Aschoff konfirmierten 98 Jungen und 74 Mädchen also 172 Jugendliche, von denen heute 40 Personen anwesend sind.

Ihr Mitjubilar Landeskirchenmusikdirektor Michael Lochner, der Sie alle sehr herzlich grüßt, schließt seinen Rückblick auf das Konfirmationsjahr 1966, aus dem ich zitieren darf: „Es waren erfüllte und behütete Kinder- und Jugendjahre unter den Türmen der Stadtkirche Bayreuth, für die ich herzlich dankbar bin.“

 

II. Worin sind wir verwurzelt?

 

25 Jahre später wurden am gleichen Ort allerdings inzwischen ohne die großen Emporen 13 Jungen und 16 Mädchen und 1 Frau also insgesamt 30 Personen von Pfarrer Neuerer, Pfarrer de Fallois und von Pfarrer Scheckenbach konfirmiert. 10% haben feiern Ihre silberne Konfirmation und wir als Stadtkirchengemeinde zum ersten Mal beide Jubelkonfirmationen zusammen an einem Tag. Was war passiert? Die Zeit der großen Kirchengründungen war längst vorbei. 1991 wurde lediglich der große Orgelsaal der Fachakademie für Evangelische Kirchenmusik, wie die Hochschule für evangelische Kirchenmusik damals noch hieß, wieder in Betrieb genommen. Dass unter den 30 Konfirmanden auch eine Frau ihre Taufe bestätigte, lässt auf die grundlegend veränderten geschichtlichen Verhältnisse schließen. Mit großer Wahrscheinlichkeit war sie eine der ersten Spätaussiedler aus Russland, die nach der Grenzöffnung 1989 und Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990, nach Bayreuth zogen und sich entweder hier taufen oder konfirmieren ließen. Das kommunistische Regime zerfiel unter den damaligen Präsidenten Michael Gorbatschow und Boris Jelzin zusehends. Beispiel: Lettland wurde in diesem Jahr unabhängig.

Die USA begannen mit Bombardierung des Irak den zweiten Golfkrieg. Während die ersten ICEs über die Schienen glitten, suchte das wiedervereinigte Deutschland seine neue Rolle in Europa und in der Welt zu finden. Die Käseglocke, die noch ein viertel Jahrhundert zuvor, für Sicherheit im Kalten Krieg sorgte, aber auch deutliche Abhängigkeit Deutschlands von den USA nach sich zog, war im Schwinden begriffen. Nach Auflösung des Warschauer Pakts 1991 zogen die alten Fronten zwischen Ost und West, in der es sich viele hier wie da häuslich eingerichtet hatten, nicht mehr. Euphorie beherrschte Deutschland, die aber eine Unsicherheit kaschierte, die bis zu diesem Tag anhält. Die Frage ist heute, da wir uns auf unsere Konfirmation rückbesinnen, wohinein strecken sich unsere Wurzeln? Bittet doch auch der Apostel im Epheserbrief im vorhin gehörten 3. Kapitel auf Knien, dass wir in etwas eingewurzelt sind.

 

III. Der Rechtsradikalismus als gegenwärtige Bedrohung

 

Auf der Landesgartenschau die hier in Bayreuth noch bis zum 9. Oktober zu besuchen ist, finden Sie auf dem Weg der Kirchen und Religionen – „Melodie des Lebens“ genannt –einen umgedrehten Wurzelstock. Ein junger Erwachsener, der dieses Etwas da in der Erde stecken sah, sagte: „Was ist denn das für ein hässlicher Baum!“ Ja, so schaut ein Baum aus, wenn man ihn einmal auf den Kopf stellt. Der Stamm verschwindet in der Erde, so dass keine Krone, keine Blüte, kein Blatt und keine Frucht zu sehen ist. Nur die Wurzeln ragen in die Höhe. Der umgedrehte Wurzelstock gibt Anlass, sich einmal mit dem Wort Radikalismus auseinanderzusetzen. Das Wort leitet sich vom Lateinischen >Radix< ab. Das heißt Wurzel. Im Blick auf ein jüngst veröffentlichtes Parteiprogramm in Deutschland kann man beispielswiese festhalten, dass an einer Wurzel an sich erst einmal nichts Schlechtes ist, sei es die deutsche Sprache oder die deutsche Kultur. Schwierig wird es erst dann, wenn man diese Wurzeln zur Leitkultur oder Leitsprache erhebt, quasi zur Baumkrone erhebt, und andere Kulturen und Sprachen verdrängen will. Da wird ein Baum radikal, er wird ganz zur Wurzel. Dieses Parteiprogramm ist für die christliche Gemeinde insbesondere deshalb eine große Versuchung, weil es eine deutsche Leitkultur behauptet, die neben der Aufklärung und dem römischen Recht an erster Stelle die „religiösen Überlieferungen des Christentums“ benennt. Freilich: Auch unserer Kirche ist christliche Überlieferung wichtig. Wenn ich auf Jesus Christus und die ersten christlichen Gemeinden blicke, heben sich fünf große Wurzeln von der Erd- und Geistesgeschichte ab: Gerechtigkeit, Friede, Bewahrung der Schöpfung, Gleichheit und Freiheit. Diese unsere Wurzeln sind von herausragender Bedeutung und für jeden Christenmenschen wichtig zu wissen und zu beherzigen. Aber entscheidend ist, worin diese Wurzeln stecken. Stecken sie im Geist der Ausgrenzung, Absonderung, der Separierung von Kulturen und Nationen? Ich möchte die Irrleitung dieser Partei am Beispiel der deutschen Sprache deutlich machen. Die Deutsche Sprache beschränkt sich bei weitem nicht auf die Bundesrepublik Deutschland. Sie wird beispielsweise in Österreich, in der Schweiz, in Liechtenstein, in Luxenburg, in Ostbelgien oder in Südtirol gesprochen. Sie gehört also keineswegs nur den Deutschen, die zwischen Bodensee und Ostsee leben. Und horcht man sich in Bayreuth auf der Straße herum, gehören zu Deutschland viele Sprachen. Seit alters her gibt es in Deutschland: Nordfriesisch, Dänisch, Sorbisch, Wendisch und Romani. Inzwischen hört man neben Russisch, Englisch auch viele arabische und afrikanische Sprachen. Das alles macht Vielfalt und Reichtum aus. Radikalisiere ich hier, bedeutet das letztlich den Tod eines lebendigen und sich ständig verändernden Sprachbaumes und aus ihr folgenden Kulturblüten und -früchten. Der Baum wird ganz Wurzel, und um es mit den Worten des jungen Mannes zu sagen: hässlich.

Keine Frage also: Wurzeln gehören nicht in die Krone eines Baumes, sondern in die Erde!

 

IV. Eingewurzelt in der Liebe

 

Der umgekehrte Wurzelstock der Religionen und Kirchen auf der Landesgartenschau hat den Sinn, sich bei Entscheidungen, wo es lang gehen soll, darauf zu besinnen, worin die Wurzeln stecken. Der Apostel aus dem Epheserbrief sagt es mit flehentlicher Bitte. In der Liebe soll die christliche Gemeinde eingewurzelt bleiben. Die Liebe grenzt nicht aus, verbannt Menschen mit einer anderen Sprache nicht nach Hause. So nach dem Motto: Auf deutschen Straßen wird nur deutsch gesprochen. Nein! Liebe lässt andere Sprachen zu Wort kommen. Wir bewegen uns ja ganz stark auf Pfingsten zu, das christliche Hochfest weltweiter und unterschiedlicher Sprachen der Liebe. Liebe heißt bei weitem nicht, dass ich alles für mich gelten lassen muss. Ich erinnere an die 5 Wurzeln des Christentums: Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit, Friede, Freiheit und Gleichheit zum Beispiel der Geschlechter und Generationen. Aber entscheidend ist doch, dass die Liebe alle Menschen auf diesen Weg der Wurzeln mitnehmen will.

 

Die Goldenen und auch die Silbernen Konfirmandinnen und Konfirmanden haben sich mit den großen Ideen des 20sten Jahrhunderts auseinandersetzen müssen. Da war der Kommunismus des Mao Zedongs, der den Gemeinschaftsgedanken radikalisiert hatte. Etliche Professoren wurden damals an chinesischen Universitäten einfach erschlagen, weil sie nicht so gedacht haben, wie es Mao vorgab zu denken. Da war und ist der Kapitalismus, der den freien Waren- und Kapitalverkehr weltweit radikalisiert und dann schon einmal ein Land wie den Irak mit Krieg überziehen konnte, wo es doch letztlich ums Öl als Liefergut geht. Auch an den Wurzeln Gemeinschaft, Kapital, Handel und Waren ist an sich nichts Schlechtes. Sie sind sogar Gaben und Begabungen des Schöpfers. Entscheidend ist, ob sie in der Nächstenliebe (Agape) wurzeln.

 

V. Eingewurzelt im Vater über alle Kinder auf Erden

 

Wo stecken unsere Wurzeln, liebe Gemeinde? Erheben wir die Wurzeln auch die der Kirche zur allein selig machenden Wahrheit, werden sie radikal und eine Ideologie. Unser Predigttext gibt uns eine Hilfe. Es gilt, nicht die Wurzeln zu bekämpfen. Das wäre Unsinn. Wurzeln sind wichtig. An ihnen sehe ich, woher ich meine Kraft bekomme und wohin meine Energien fließen. Sie helfen mir, Lebensentscheidungen zu treffen. Entscheidend ist, worin unsere Wurzeln verankert sind. Ich beuge meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden. Hören wir beim Apostel. In seiner Liebe mögen wir wurzeln. In Gott mögen Sie wurzeln, in Gott, der der Vater nicht nur der Deutschen ist, sondern aller Kinder auf Erden. Viele Religionen wurzeln in Gott und das ist auch gut so. Was wir als Christenmenschen weitergeben dürfen und sollen, ist, dass Gott als Vater aller Kinder auf Erden in Christus erkennbar wird. Allein schon am Leben Jesu können wir ablesen, was Liebe heißt. Sei es in seinem Gespräch mit einer Frau aus Samaria (Johannes 4) oder einem römischen Hauptmann (Lukas 7). Immer wieder hat er mit Menschen anderer Herkunft und Sprache geredet, ihnen geholfen, sie sogar als Vorbild für seine eigenen Glaubensgenossinnen und Landsleute hingestellt.

Deshalb beten wir heute mit der ganzen Gemeinde so herzlich wie der Apostel darum, dass Sie, liebe Silberne und Goldene Konfirmandinnen und Konfirmanden, durch Jesus Christus einen gütigen Vater im Himmel und im Herzen haben; somit in der Liebe zu seinen sehr unterschiedlichen Kindern auf Erden eingewurzelt sind und bleiben.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen



Autor: Pfarrer Martin Kleineidam