"Willkommen"

Johannes 12, 12-26


Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9): »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.« Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte. Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.

 

Liebe Gemeinde,

„Willkommenskultur“, wie sie heute für Flüchtlinge und Fremde gefordert und praktiziert wird, ist keine Erfindung der Neuzeit. Das Evangelium zum Palmsonntag erzählt ein Beispiel von Willkommenskultur, das Schule gemacht hat. Der Advent und die Karwoche, zwei wichtige Zeiten im Kirchenjahr, werden eröffnet mit der Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem. Und weil es hierzulande keine Palmen gab, hat man einfach saisonbedingt die blühenden Weidenzweige genommen und sie deswegen als Palmkätzchen getauft. Das Beispiel Jesu zeigt aber auch, wie schnell die Willkommenskultur umschlagen kann in Feindschaft und Hass, ja sogar in Lynchjustiz. Der Palmsonntag ist nicht der Tag eines glücklichen Siegers, kein Einzug wie der eines Gewinners im amerikanischen Vorwahlkampf, bei dem die Fans auch so etwas wie Hosianna rufen. In Jerusalem endet diese Woche mit Grabesstille. Am Samstag liegt ein schwerer Rollstein vor der Grabhöhle, und die Jünger haben sich versteckt und eingesperrt, weil auch sie den Terror der aufgebrachten Menge fürchten. Erst am nächsten Sonntag, am ersten Tag der Woche, wird Jesus wirklich zum Gewinner. Aber ganz anders, als es sich seine Anhänger vorgestellt hatten; ja für sie unvorstellbar: eine Woche später hat er sogar den Tod besiegt, den allergrößten Feind.

Die Menschen in Jerusalem bereiten Jesus ein ganz besonderes Willkommen, ein Willkommen wie für einen König. Sie breiten ihre Kleider, ihre Obergewänder aus wie einen roten Teppich und streuen Palmzweige, so wie man bei uns Blumen streut auf den Weg eines Hochzeitspaares. Nicht nur ein ehrliches, sondern ein begeistertes Willkommen, das sich auch nicht durch die Tatsache stören lässt, dass Jesus auf einem Esel geritten kommt. Ganz im Gegenteil. Die Menschen verstehen das Zeichen gleich und vermissen keine Staatskarosse oder Begleiteskorte. Das ist nicht nur „Understatement“, Bescheidenheit, so wie es im Lied heißt: dein König kommt in niedern Hüllen; wie der Landesbischof auf den Dienstwagen mit Chauffeur verzichtet und mit dem Rad durch den Englischen Garten fährt. Die Menschen damals kannten ihre Bibel und wussten: das ist der Friedenskönig, den der Prophet Sacharja verheißen hatte. Man könnte auch sagen: der ist anders, der ist wirklich ein Hoffnungsträger. Das ist der, auf den wir lange gewartet haben: ein Gerechter und ein Helfer. Wie viele Hoffnungen weckt ein Neuer, der anders ist als die, die man kennt. Nehmen wir Papst Franziskus, der als Zeichen den Namen des Heiligen Franziskus gewählt hat. Franziskus, der seinem reichen Vater die teuren Klamotten der Edeldesigner vor die Füße wirft und mit seinen Freunden arm wie die Kirchenmäuse in die Wildnis um Assisi zieht. Papst Franziskus weckte und weckt immer noch Hoffnungen, indem er nicht nur die U-Bahn und den Stadtbus benutzt statt der Staatskarosse. Auch er wird entsprechend bejubelt.

Dieses „Willkommen“ in Jerusalem ist Ausdruck größter Hoffnung und Erwartung. Die Leute aus Galiläa, die in Jerusalem das Passafest feiern wollten, verbreiteten die Nachricht. Es heißt, dass sie bei der Auferweckung des Lazarus dabei waren. So viele werden es wohl nicht gewesen sein, die als Augenzeugen mit angesehen haben, wie Jesus den Lazarus aus seiner Grabhöhle herausrief, vor dem einige Jesus gewarnt hatten: er stinkt schon. Da kommt einer in die Hauptstadt, „der macht Tote lebendig“. Und damit war eben nicht ein starker Kaffee gemeint, es war auch kein starker Tobak, sondern ein Ruf, der dem Ankömmling vorauseilte. Da kommt er, der die Kranken gesund macht, der Tote wieder lebendig macht. Er zieht ein in seine Stadt, er nimmt die Hauptstadt ein. Nicht alle jubeln ihm zu, rufen „Willkommen“. Die Verantwortlichen in Staat und Religion sehen nur den Rattenfänger, den Scharlatan, der das Volk verführt, vielleicht so wie es gegenwärtig der Präsidentschaftskandidat Donald Trump in den USA tut.

Das Wort „Willkommen“ klingt in meinen Ohren schon lange dissonant, nicht nur harmonisch. Im Basar von Jerusalem wurde das junge Pärchen, das durch Frisur und unzüchtige Kleidung sofort als Fremde, als Touristen auffiel, schon vor knapp 40 Jahren mit dem „welcome“ als Lockruf in die Geschäfte gelockt, um es manchmal auch übers Ohr zu hauen. Willkommen war hauptsächlich das Geld. Ich konnte dieses „welcome“ bald nicht mehr hören. Statt dass es freundlich einlud, führte es dazu, dass wir schnell vorüber gingen. Da muss man Händlern keinen Vorwurf machen. Die Konkurrenz ist hart in den Märkten von Jerusalem und Istanbul, wo jetzt die Touristen wegbleiben wegen der Terroranschläge. Da braucht man schon ein paar Tricks, um die Ausländer in das eigene Geschäft zu lotsen. So harmlos freilich sind andere Geschäfte nicht, wenn Schleuser die Not der Flüchtlinge und die Willkommenskultur in Deutschland und den wenigen verbliebenen Aufnahmestaaten rücksichtslos ausnutzen.

Auch bei dieser „Willkommenskultur“ hat es einen Umschwung gegeben. Auch damit ist es schwieriger geworden. OKR Michael Martin hat gestern im Internationalen Gottesdienst an das Willkommen am Münchener Hauptbahnhof erinnert, die Plakate mit freundlichen Grüßen, die Kuscheltiere für die Kinder, die strahlenden Gesichter auf allen Seiten. Aber es sind viele hier auch in unserer Stadt, die sich nicht beirren lassen von den Gegenkräften, die die Grenzen dicht machen wollen, die abschrecken statt aufnehmen wollen, die Hass statt Freundlichkeit zeigen. Rote Teppiche werden sowieso nicht ausgerollt. Und es sind nicht nur Träumer, weltfremde „Gutmenschen“, die versuchen, sich an Jesu Aufforderung zu halten: wer einen von diesen aufgenommen hat, der hat mich aufgenommen. Und das nicht in einer idealen Traumwelt, sondern auf dem harten Boden der Realität.

Dass in Jerusalem das „Willkommen“ umschlägt in das „Kreuzige ihn!“, ist allgemein bekannt. Man fragt sich schon, woran das lag. Waren es hauptsächlich diese Galiläer gewesen, die ihren Landsmann hochleben haben lassen, während die Stadtbevölkerung von Anfang an reservierter war? Waren es geschickte Schachzüge des Stadtrates und der Kirchenleitung, die ihre Informationen, ihre Gerüchte streuten und ihre Propaganda betrieben? Oder musste die Ernüchterung kommen, mussten die überspannten Hoffnungen zerstört werden, weil Jesus nicht nach Jerusalem kam, um den Gottesstaat zu errichten, eine Revolution durchzuziehen, sondern um zu sterben?

Jesus kleidet die Ansage, dass er leiden und sterben muss, in das Bild vom Weizenkorn. Es muss in die Erde fallen und sterben, sonst wächst nichts Neues, sonst bringt es keine Frucht. Das Saatkorn muss in die dunkle Erde. Es wird vereinzelt, herausgenommen aus der Menge, so wie Jesus allein war am Kreuz, nicht nur verlassen, im Stich gelassen von seinen Freunden, sondern „von Gott und der Welt verlassen“, allein auf sich gestellt. „Isolationsfolter“ nannte man das vor einigen Jahrzehnten im Zusammenhang mit den RAF-Terroristen. Das Weizenkorn, allein in der dunklen Erde, ohne Licht, ohne Luft, das weckt Assoziationen, das weckt Ängste. Das Bild ruft Bilder in uns hervor – vielleicht bis zum Schlimmsten: lebendig begraben zu werden Aber er soll kein Schreckensbild sein, nur ein ganz natürlicher Vorgang: „wenn es aber erstirbt, dann bringt es viel Frucht.“ Darum geht es, darauf läuft es hinaus, auf den Frühling, auf den Sommer, wenn sich die Ähren im Wind wiegen, wenn der Winter vergessen ist, nichts mehr übrig ist von dem Samenkorn, sondern 30, 40 neue Körner eine neue Ähre bilden.

Jesus redet von sich selbst, von seinem Leiden und Sterben am Kreuz. Er ist das Weizenkorn, das sterben muss, damit es Frucht bringt. Er nennt es Verherrlichung. Verherrlicht wird er nicht durch die Jubelrufe und den roten Teppich, verherrlicht wird er am Kreuz, weil am Karfreitag schon die Ostersonne aufzugehen beginnt, weil sein Tod uns Frucht bringt: Trost in Todesnot und vielen anderen Nöten, Vergebung aller unserer Sünden und Hoffnung auf die Auferstehung, ein neues, ewiges Leben.

Aber Jesus redet von allen Jüngerinnen und Jüngern. Und er meint eben nicht nur die Tatsache, dass auch wir einmal sterben müssen und ihm in der Auferstehung nachfolgen sollen. Er meint wohl auch tägliche Erfahrungen. Wir würden, je nach Charakter und Veranlagung, wohl auch lieber auf roten Teppichen und wenn schon nicht unter Jubelrufen, so doch wenigstens unter allgemeiner Anerkennung oder ein bisschen öffentlichem Lob in die Stadt ziehen. Auch uns sind die blühenden Palmzweige wohl lieber als das Schicksal des Weizenkorns, in die Erde fallen zu müssen. Auch wir würden wohl lieber auf der Welle des Erfolges und der Anerkennung getragen werden, es müssen ja nicht gleich Hosianna- und Halleluja-Rufe sein. Auch wir würden lieber die Ernüchterung, die Enttäuschung vermeiden und gleich die Früchte genießen, ohne diesen mühsamen Umweg durch den Erdboden.

„Wer mir dienen will, der folge mir nach“, sagt Jesus. Das Weizenkorn lehrt beides: Am Ende, und nicht erst am Sanktnimmerleinstag, wird Frucht herauskommen, ewiges Leben nicht erst in Gottes Ewigkeit, sondern Leben in Fülle schon jetzt, ab und zu. Frucht bringen sollen und werden wir. Frucht heißt Gelingen, Erfolg. Frucht ist Nutzen für andere und für mich selbst, dass ich etwas Gutes, Nützliches schaffe. Frucht hängt aber auch mit Genießen zusammen: etwas Fruchtiges, also durchaus Wohlschmeckendes, eine saftige, erfrischende, manchmal sogar süße Frucht. Frucht bedeutet Angenehmes, mit Freude und Glück. Aber der Weg des Weizenkorns geht in die Erde, ins Dunkel, wo es zu ersticken droht; dorthin, wo es eng wird, wo es aussieht, als wäre alles gescheitert, wo man nur Erde sieht; wo etwas stirbt. Die Ernüchterung nach den Palmwedeln und roten Teppichen, nach den Rufen „Er lebe hoch!“, die Ernüchterung nach der Begeisterung, die Enttäuschung gehört dazu. Auch dass die Gegenkräfte, die die Böses sinnen und listenreich durchführen, ja damit sogar Erfolg haben, das gehört dazu. Jesus nennt es etwas ganz Natürliches, ja fast ein Naturgesetz. Aber er setzt eine starkes Hoffnungsbild dagegen. So wie es im Lied heißt: „Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt, Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt – Liebe lebt auf, die längst erstorben schien: Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.“ Amen

 

 



Autor: Dekan Hans Peetz