Gott ist die Liebe

Predigt über 1. Joh 4, 16b-21


Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben für den Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.  Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.

Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht. Und dies Gebot haben wir von ihm, dass wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde,

„Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“. Dieser Vers wird häufig als Konfirmationsspruch ausgesucht, ähnlich ein weiterer Vers unseres Predigttextes: „Lasset uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt“. Dass diese Worte so beliebt sind, hat seinen Grund: Sie leuchten hell, sie strahlen in unser Leben hinein. Die Sehnsucht nach Liebe ist wohl bei allen Menschen da. Mit das größte Glück ist wohl, geliebt zu werden und selbst zu lieben.

Doch manchmal erleben wir die Liebe nicht so, oder nicht so vollkommen wie wir es uns wünschten.  Ob das Beziehungs-Probleme sind – da trennen sich die Eltern oder befreundete Paare; ob das Streitigkeiten in der Familie sind – Geschwister oder andere Verwandte verstehen sich nicht gut oder streiten sich. Manchmal fühlt sich der eine ungerecht behandelt, oder es prallen einfach unterschiedliche Lebenseinstellungen bei den Geschwistern aufeinander; da fällt es schwer einander zu lieben.

Neben den familiären Defiziten beim Lieben sind da auch Schwierigkeiten, die Geschwister im Glauben zu lieben. Das gab es schon zu Beginn der Christenheit, wie wir an den Worten des 1. Johannesbriefes sehen können. Die Gemeindeglieder der jungen christlichen Gemeinde in Kleinasien waren sich offensichtlich nicht alle grün. Sie ließen es teilweise an Liebe vermissen, ja sogar das Wort „hassen“ taucht auf: „Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner“. Trotz dieser Worte und Jesu Botschaft der Liebe insgesamt kam es zu den Konfessionskriegen, zum Beispiel dem Dreißigjährigen Krieg. Gott sei Dank ist diese Ära überwunden und ich denke, die Christen in Europa haben ihre Lektion gelernt. (Und ich hoffe, sie vergessen sie nicht wieder). Die verschiedenen Glaubensrichtungen, ob römisch-katholisch, protestantisch oder orthodox haben ihre jeweiligen Eigenarten, aber sie praktizieren Ökumene; man bekämpft sich nicht mehr, sondern redet miteinander, ja man kann manches Fest sogar miteinander feiern. Vor einigen Jahren noch gingen z.B. die Fronleichnamszüge in manchen Orten demonstrativ am evang. Pfarrhaus vorbei, im Gegenzug machten manche Evangelische extra ihre Fensterläden zu, wenn die Prozession kam. Noch krasser war es in der Schweiz. Da fuhren die protestantischen Bauern an Fronleichnam  Gülle aus; die katholischen revanchierten sich, indem sie es an Karfreitag ebenso machten.

Bei uns ist das heute nicht mehr so, allerdings hat es in Diasporagebieten die jeweilige evangelische oder katholische Minderheit nach wie vor nicht immer leicht. Ich weiß das nicht zuletzt aus Erzählungen von Ihrer Seite, liebe Gemeinde, ebenso wie von katholischen Christen.  Die Furcht, dass die eigene Tradition, Frömmigkeit und damit die eigene Identität zu kurz kommt, war noch vor einigen Jahrzehnten in Gebieten, wo man in der Minderheit war, nicht unbegründet.

Die Furcht zu kurz zu kommen, erlebe ich heutzutage besonders bei persönlichen Beziehungen. In unserer Gesellschaft, wo Selbstverwirklichung und Individualität wichtig sind, steht dem Wunsch nach einer (festen) Liebesbeziehung oft die Angst entgegen, nicht mehr frei sein zu können, zu sehr vereinnahmt zu werden, eingeschränkt zu sein. Ein Spruch wie „Zu zweit ist dein Euro nur noch 50 Cent wert“ macht das deutlich.

In unserem Text heißt es: „Furcht ist nicht in der Liebe“. Allerdings bezieht sich die Furcht auf den Tag des Gerichts: „Darin ist die Liebe in uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben für den Tag des Gerichts“. Das endzeitliche Gericht, das wir erwarten – wie wir es im Glaubensbekenntnis sprechen („…von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“) – ist für die Opfer von Ungerechtigkeit ein entscheidender Trost. 

Geschichten wie die vom reichen Mann und armen Lazarus, die wir vorhin gehört haben, können einem diesbezüglich Angst einjagen. Allerdings soll diese Erzählung, wie vieles im Lukas-Evangelium in erster Linie zur Buße bewegen, soll zum Nachdenken und zur Umkehr bringen. Sie will Hartherzige zur tätigen Nächstenliebe anregen.

Freilich macht die Geschichte wie auch unser Predigttext klar, dass Gott nicht einfach ein lieber alter Mann mit weißem Bart ist, nicht nur ein „lieber Gott“, der über alles hinwegsieht. Nein, das Gericht wird kommen. Aber die, die sich von der Liebe bestimmen lassen, müssen keine Angst davor haben.

Liebe Gemeinde, wir lieben – aber nicht nur, weil es das Gebot von uns fordert: „Dies Gebot haben wir von ihm, dass wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder (bzw. seine Schwester) liebe“. Der Johannesbrief-Schreiber erinnert hier die Christen an das, was Jesus das höchste Gebot nannte: Gott lieben von ganzem Herzen, mit aller Kraft und den Nächsten wie sich selbst.

Wir lieben auch nicht, weil wir Angst haben vor dem jüngsten Gericht. Nein, wir lieben, weil wir von der Liebe ergriffen sind, weil die Liebe Gottes zuerst auf uns zugekommen ist. Mit den strahlenden Worten ausgedrückt: „Lasset uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt“.

In diesem „er“ liegt Gottes Liebe, die sich durch Jesus gezeigt hat. Er hat die Liebe Gottes in die Welt getragen. Er hat im Garten nach seinem innigen Gebet (das wir hier am Altar als Bild haben) nicht Macht demonstriert. Er hat nicht seinen Willen durchgedrückt, sondern sein Gebet beschlossen mit den Worten: „Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst“. Danach hat er nicht zu Gewalt gegriffen, sondern er ließ sich gefangen nehmen, litt Unrecht. - Welch Dummheit, sagen die einen; die anderen glauben, dass er bedingungslose Liebe allen Menschen gegenüber ausübte und so für alle einen Weg gebahnt hat. Man könnte einwenden, das ist lange her. Doch Christen machen immer wieder aufmerksam auf die Spuren dieses Liebesweges von Gott mit uns Menschen. Wir weisen auf Spuren der Liebe Gottes hin im persönlichen Gespräch, durch Gottesdienste oder Veranstaltungen wie den Katholikentag in Leipzig, der heute zuende geht, ebenso auf den Evangelischen Kirchentagen.

Auch wenn manche Menschen die Liebe nicht so erlebt haben, wie sie es sich gewünscht hätten, gibt es doch vielleicht einige Liebesspuren , an die sie anknüpfen können. `Was ist mir an Gutem widerfahren in meinem Leben?´ könnten sie sich fragen `Wo habe ich Liebe erleben dürfen, vielleicht gerade auch in schweren Zeiten?´ Möglicherweise entdecken sie Spuren der Liebe, die Jesus in die Welt gebracht hat, und die von Christen durch die Jahrhunderte weitergegeben wurde.

Ein anderer Aspekt von Gottes Liebe ist die Schöpfung. Ihre Farbenpracht und Vielfalt kann ebenfalls als Fingerzeig von Gottes Liebe gesehen werden, der Liebe des Schöpfers zu seiner Welt. Diese schöpferische Vielfalt und Schönheit können wir nicht nur auf der Landesgartenschau bei den bunten Blumen sehen, sondern wir können sie gerade in der ganzen Natur bewundern. Faszinierend finde ich etwa die vielen verschiedenen Grüntöne, wunderbar ist der Duft von Flieder oder Rosen, das hüpfende Eichhörnchen und vieles mehr kann man als Ausdruck von Gottes Liebe sehen.

„Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“.

Liebe Gemeinde, wer sich von der Liebe bestimmen lässt, wer die Liebe im Gepäck hat, der muss keine Angst haben.

In Paar-Beziehungen muss keiner Angst haben, dass er oder sie zu kurz kommt. Wenn beide von Liebe durchdrungen sind, freuen sie sich, wenn es dem Partner oder der Partnerin gut geht. Für wen das Glück des / der anderen wichtig ist, der kann mit den eigenen Ansprüchen zurücktreten, kann Kompromisse machen. Das sind keine „faulen“ sondern liebevolle Kompromisse. - Meine Schwiegermutter meinte zu dem Satz „Zu zweit ist dein Euro nur noch 50 Cent wert“: „Das ist aber ein komischer Spruch, das stimmt doch gar nicht. Zu zweit wird das Glück doppelt so groß!“ – Sie ist fast 60 Jahre glücklich verheiratet…

Wer von Liebe ergriffen ist, strahlt Liebe aus und kann auf andere zugehen. Wenn es in der Familie oder unter Bekannten Differenzen oder Streit gibt, ist es nicht hilfreich, Vergangenes aufzurechnen. Gegensätzliche Positionen werden sich nie ganz vereinbaren lassen, aber auch hier ist es möglich, sich einander zu nähern. In Liebe dem oder der anderen ihre Art zu lassen oder in gutem Ton Streitpunkte anzusprechen lohnt sich.

Und auch unter christlichen Brüdern und Schwestern hilft die Liebe, aufeinander zuzugehen - etwa zwischen uns Protestanten und unseren röm.-katholischen Glaubensgeschwistern .  Nicht vergangenes Unrecht, von dem viel auf beiden Seiten geschah, aufzählen, vielmehr der jeweiligen anderen Frömmigkeit ihre Eigenart lassen – das ist hier angesagt. Die Vorbereitungen für das Luther-Jubiläum nächstes Jahr laufen weltweit überwiegend in diesem ökumenischen  Geist der Liebe.

Eine ökumenische Besonderheit haben wir hier in Bayreuth: Dass zum Fronleichnamszug der Schlosskirche wir als Pfarrer der Stadtkirche und auch Vertreter des Kirchenvorstands eingeladen sind. Am Donnerstag war dieses Jahr mein Mann dabei und er erzählte von einem bewegenden Miteinander. Martin Luther kritisierte einst, dass man mit der Fronleichnams-Prozession dem Heiligen Sakrament, das dabei getragen wird, „alle Schmach“ antue, weil „man´s nur zum Schauspiel umträgt“. Doch weder mein Mann noch ich, die ich vor einigen Jahren bei der Prozession mitging, haben sie jetzt – 500 Jahre später – als etwas nur Äußerliches erlebt. Wir haben vielmehr Gläubige mit großer innerlicher Beteiligung erlebt. Und das Heilige Sakrament, das im Mittelpunkt an Fronleichnam steht, ist ja auch das  Zeichen der Versöhnung, der großen Liebe von Gott zu uns Menschen und der Versöhnung von uns Menschen untereinander, gerade unter Glaubensgeschwistern. - Gemeinschaftsfördernde Veranstaltungen wie diese und die ökumenischen Gottesdienste, die zur Zeit auf der Landesgartenschau stattfinden, sind jedenfalls nicht nur für konfessionsverbindende Ehepaare wichtig.

„Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“.

Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

 

 



Autor: A.-K. Kapp-Kleineidam