Strahlen brechen viele aus einem Licht

1. Korinther 12,4-11


Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen. In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller; dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem andern wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist; einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen. Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist und teilt einem jeden das Seine zu, wie er will.

Liebe Gemeinde,

jetzt wird es bunt. Bunt wird es, wenn das Licht auftrifft und zum Teil absorbiert, also geschluckt wird und zum andern Teil reflektiert wird, zurückgestrahlt. Trifft das Licht auf Gras oder Blätter, sehen wir grün. Trifft es auf Wasser, erscheint es meistens blau. Die Ziegeldächer leuchten rot. So viele Farben, so viele bunte Gegenstände oder Farbflecken, so dass man spielen kann: Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist gelb. Manchmal scheint das Licht auch durch und verändert seine Farbe. Durch die Atmosphäre, die wir Himmel nennen, scheint es blau und am Abend rot. Und in den Wassertröpfchen des Regenbogens entfaltet es seine Farbskala, genauso wie in einer prismenförmigen Linie. Da ist das Bunte vollkommen.

Wo der Geist Gottes in uns Menschen kommt, wird es ebenso bunt. So wie die Farbe die Ankunft des Lichtes auf der Erde mit allen ihren Wesen und Gegenständen darstellt, so entfaltet der Heilige Geist seine Wirkungen bei uns Menschen. Für den Apostel Paulus ist beides ganz wichtig: dass es verschiedene Gaben und Wirkungen sind, dass es ganz bunt zugeht in der Gemeinde; aber dass es ein Geist ist. Sechs Mal wiederholt er es in dem kurzen Abschnitt: es ist ein und derselbe Geist. Es ist ein Licht, für uns auf der Erde das Licht der einen Sonne, die all diese Farben hervorbringt, bei Nacht sogar über den Umweg des Mondes. Ein Licht, aber so unendlich viele Farbtöne. Der professionelle Briefmarkensammler benutzt einen Farbführer mit zwar nicht unendlich aber doch sehr vielen Tönen, um das Dunkelgrauultramarin vom Dunkellilaultramarin unterscheiden zu können. So viele Farben, aber alles aus einem einzigen Licht, das alle diese Farben ins sich enthält, aber selbst keine Farbe hat.

Zunächst bedeutet die Vielfarbigkeit Reichtum. Schnell fällt einem zu Stichwort „bunt“ der Blumenstrauß ein: ein bunter Blumenstrauß. Das Gegenteil, einfarbig, wird schnell mit „eintönig“ in Verbindung gebracht, was aber nicht stimmt. Der Blumenstrauß des Apostel Paulus, gepflückt und gebunden in der griechischen Hafenstadt Korinth, enthält etwas andere Pflanzen, als sie in unseren nüchterneren volkskirchlichen Gemeinden in Deutschland gedeihen. Da kann man natürlich fragen, warum das bei uns nicht wächst; ob diese Blume bei uns ausgestorben ist oder nur im aufgeheizten Gewächshausklima bestimmter Gruppen gedeiht – wenn zum Beispiel von der Zungenrede die Rede ist, also in unverständlichen Lauten und Silben zu beten, der Zunge sozusagen alle Zügel abzunehmen und sie galoppieren zu lassen wir ein wildes Pferd und sich in Ekstase zu lassen. Und dass dann noch jemand anders da ist, der das Ganze übersetzen kann. Auch Paulus meint, es wäre besser, gleich vernünftig und verständlich zu reden. Oder diese Wunderblume, also die Gabe, Wunder zu tun, vor allem Heilungswunder; jemanden durch Gebet und Handauflegung gesund zu machen. Auch die ist in unseren Gemeinden selten zu finden und wird nicht sehr gehegt. Vielleicht auch deshalb, weil es in der Regel besser ist, zum Arzt zu gehen und die Medizin in Anspruch zu nehmen.

Aber die Tatsache, dass manche dieser bunten Blumen in unserem Gemeindegarten nicht mehr gedeihen oder nicht mehr gepflanzt werden, heißt ja noch nicht, dass es bei uns ärmlicher, weniger bunt zuginge, dass bei uns der Geist Gottes weniger aktiv wäre als im alten Korinth. Natürlich müssen wir uns an Pfingsten auch fragen lassen, wo wir eventuell verarmt sind; ob wir so etwas wie eine Monokultur pflegen wie beim Maisanbau auf den meisten Feldern, weil dessen Energiebilanz von allen Nutzpflanzen bei uns eben die größte ist. Vielleicht stellt es tatsächlich so eine geistliche Monokultur dar, dass alle diese Gaben und Ämter, die Paulus beschreibt, bei uns oft auf eine Person, auf ein Amt vereinigt scheinen, nämlich das des Pfarrers und der Pfarrerin. Und was der nicht kann, was der nicht in seinem Blumen- und Gemüsegarten zu bieten hat, wenn er oder sie nicht ein Tausendsassa ist, das fehlte dann der Gemeinde. Der Trend zu einem Ämtermonopol begann sehr früh in der Kirchengeschichte. So eine Buntheit ist ja auch gefährlich und lässt sich schlecht kontrollieren, wie sich schon in Korinth gezeigt hat, als einige schwärmerische Geister, wohl vor allem Frauen, sich im geistlichen Blütentaumel allzu sehr einnebeln ließen und allzu verzückt ihre Gefühle auslebten, so dass der Apostel auf die unsinnige Idee kam, den Frauen insgesamt einen Maulkorb zu verpassen.

Aber wenn man genauer hinsieht, dann entdeckt man auch in unseren Gemeinde die bunte Vielfalt der Gaben Gottes. Von der Kirchenmusik zum Beispiel hatten die Korinther überhaupt keine Ahnung. Und die müsste man doch mit an erster Stelle nennen, wenn es um diese kreativen Begabungen geht. Und eben nicht nur die Hauptamtlichen, die mit Orgelspiel und Instrumenten, mit Gesang und Chorleitung  nicht nur das Gehör erfreuen, sondern die Botschaft Gottes tief ins Herz hineinpflanzen. Auch die Kinder und Jugendlichen, die ein Instrument lernen oder ihre Stimme trainieren und im Gottesdienst oder beim geistlichen Kindermusical mitmachen.

Oder ein anderes Beispiel, ein anderes Blumenbeet: der Kirchenvorstand, von denen manche auch unsere Kirche mit Blumen schmücken. Aber in der Regel muss sich dieser mit graueren Dingen befassen, zum Beispiel mit Geldangelegenheiten, wie wir die Sanierung unseres zweiten Pfarrhauses finanzieren, damit da wieder ein Pfarrer oder eine Pfarrerin einziehen kann und die Gemeinde einen Saal hat im Erdgeschoss, wo die Kinder zum Kindergottesdienst hingehen können und in Zukunft auch Rollstuhlfahrer barrierefrei hinkommen können. Meistens sieht die Gemeinde diese Männer und Frauen nur, wenn sie am Sonntag an der Kirchentür begrüßen und manche Lesungen übernehmen oder beim Abendmahl mit austeilen. Ich will jetzt keine Blumen verteilen bzw. keine Blumensorten zuordnen, aber die Kirchenmusik blüht auffälliger, so wie eine Rose, während der Kirchenvorstand zwar nicht wie ein Stiefmütterchen, aber eher als Vergissmeinnicht erscheint.

Im Vergleich zur Blumenpracht im alten Korinth muss ich noch ein Feld nennen, das der Apostel Paulus noch nicht im Blick hatte. Das hat vor allem Martin Luther zwar nicht erfunden, aber doch stark ins Bewusstsein gebracht. Dass der Heilige Geist wirkt, dass er uns Gaben schenkt, die wir zum Nutzen anderer einsetzen, das beschränkt sich ja nicht nur auf einen kleinen umzäunten Bereich, den wir Kirche nennen. Der christliche Glaube äußert sich ja nicht nur im Singen und Beten im Gottesdienst, sondern im täglichen Leben, im Beruf, in unseren familiären Beziehungen, in der Nachbarschaft; auch dort, wo jemand als Christ Verantwortung übernimmt im politischen Leben einer Gemeinde oder eines Staates. Paulus sagt: das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und da könnte es uns tatsächlich so gehen wie bei dem Spiel: Ich sehe was, was du nicht siehst. Denn davon sehen wir in der Kirche wenig. Manchmal ist es ja auch nur ein Farbtupfer, in dem sich Gottes Geist bemerkbar macht.

Wenn Paulus sagt: dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden; dem anderen wird gegeben, von der Erkenntnis zu reden, dann meint er zunächst freilich die Weisheit Gottes in dem gekreuzigten Jesus, die für die Welt eine Torheit, eine bodenlose Dummheit darstellt, für die Glaubenden aber eine viel höhere Weisheit als alle Philosophie, weil Gottes Kraft in der Schwachheit mächtig ist. Und auch bei der Erkenntnis, meint er natürlich zuerst, dass wir Gott erkennen in Jesus Christus. Aber weil Christus das Haupt der Schöpfung ist, umfasst diese Weisheit und Erkenntnis eben auch das Forschen und Lehren an Universitäten und Schulen. Ein christliches Amt hat aber auch die Kindergärtnerin, und nicht nur dann, wenn sie den Kindern biblische Geschichten erzählt, sondern ihm Alltagskompetenz vermittelt, wie man das heute nennt, wenn es Schuhe binden und sich im Verkehr sicher zu bewegen lernt.

Nein, wir leben nicht in ärmlichen Verhältnissen, auch nicht geistlich, auch wenn vieles verdorrt liegt, manches abgestorben ist oder ausgestorben scheint wie so viele Tier- und Pflanzenarten leider. Wir leben nicht in einer geistlichen Wüste, auch wenn die Quellen des Geistes viel kräftiger sprudeln könnten in unserer Kirche. Es blüht vieles, Gott sei Dank, manches auch im Verborgenen. Dem Apostel Paulus ging es aber nicht nur um die Fülle und die Verschiedenheit, um den bunten Reichtum. Ihm ging es genauso darum, dass all diese Farben einem einzigen Licht entspringen. Denn im alten Korinth stritt man sich: Wer hat die besseren Gaben? Wer blüht schöner und auffälliger? Wer hat mehr Erfolg? Wer hat mehr vom Heiligen Geist? Wer ist wichtig und wer unwichtig? Dieser Streit wird ihm zu bunt. Deswegen benutzt Paulus im Anschluss gleich das Bild vom Körper mit seinen verschiedenen Organen und Körperteilen, von denen keines fehlen darf; wo man eben nicht sagen kann: der Fuß ist wichtiger als das Auge. Deswegen wiederholt er hier gleich sechs Mal: es ist ein und derselbe Geist, der da überall am Werk ist, der seine Blüten treibt.

Liebe Gemeinde, die Idee zu dieser Predigt, ausgehend vom Licht und von den Farben und dann den Blumen, stammt auf einem Lied in unserem Gesangbuch: Strahlen brechen viele. Ein Lied zur Ökumene. Man könnte ja den Predigttext auch auf das Verhältnis der Konfessionen anwenden und betonen: bei aller Unterschiedlichkeit, es ist ein Geist. Aber ökumenische Verschiedenheit gibt es eben auch innerhalb unserer Kirche und Gemeinde. Bevor wir es singen, hören sie den Text:

EG 268

Strahlen brechen viele aus einem Licht. Unser Licht heißt Christus. Strahlen brechen viele aus einem Licht - und wir sind eins durch ihn.

Zweige wachsen viele aus einem Stamm. Unser Stamm heißt Christus. Zweige wachsen viele aus einem Stamm - und wir sind eins durch ihn.

Gaben gibt es viele, Liebe vereint. Liebe schenkt uns Christus. Gaben gibt es viele, Liebe vereint - und wir sind eins durch ihn.

Dienste leben viele aus einem Geist, Geist von Jesus Christus. Dienste leben viele aus einem Geist - und wir sind eins durch ihn.

Glieder sind es viele, doch nur ein Leib. Wir sind Glieder Christi. Glieder sind es viele, doch nur ein Leib - und wir sind eins durch ihn.

Amen



Autor: Dekan Hans Peetz