"Sorget nicht" - einmal anders

1. Petrusbrief 5,5-11


Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen. Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

 

Liebe Gemeinde,

fangen wir einmal nicht mit den Sorgen an. Die melden sich sowieso sehr schnell zu Wort, meistens gleich zum Aufstehen und stehen beim Wachwerden schon als Begrüßungskomitee des Tages am Bett. Oder sie rufen einen zur Unzeit, so wie das Telefon in eine gemütliche Runde hineinplatzt. Lassen wir die Sorgen erst einmal vor der Tür, auch wenn Jesus in der Bergpredigt ausführlich auffordert: Sorgt nicht! und nicht nur die Vögel am Himmel und die Lilien auf dem Feld bemüht, sondern auch noch den König Salomo in all seinem Reichtum. Reden wir nicht von all den Sorgen, die wir uns machen und machen könnten, auch wenn unser Predigttext den Wochenspruch, den wunderbaren Satz enthält: Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch. Vielleicht ist es sowieso am besten, dieser inneren Stimme, die uns mit Sorgen und Problemen behelligt, möglichst wenig Gehör zu schenken.

Zuerst geht es um die Demut. „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“, heißt es, und noch einmal: „So demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes.“ Das ist das eine, was einen demütig machen könnte: „die gewaltige Hand Gottes“. Wer an Gott den Schöpfer glaubt und nachts seinen Blick in den Sternenhimmel richtet, könnte diese Demut lernen. So wie der polnische Priester und Dichter Jan Twardowski Gott bittet:

Dass ich dich nicht mit meiner Person verdecke, dass ich dich nicht störe, wenn du die Patience der Sterne legst.

Twardowski bittet Gott, ihn vor Hochmut zu bewahren. Es sind Formen des Hochmutes, die er bei sich selbst als Theologen entdeckt. Bei anderen äußert sich der Hochmut sicherlich anders, aber wer ist frei davon? Twardowski schreibt

Dass ich nicht ständig das Leiden rechtfertige, es geschehe – und ich bin stumm wie ein Feld,
dass ich nicht in der Bibel herumstolziere wie ein Pfau,
nicht die Sünden zähle, die leichter sind als Schneeflocken,
nicht lange und ungewiss liebe,
nicht die Hände verwerfe über die Vorsehung,
dass mein Herz nicht herumtanze wie ein verbogenes Rad,
dass mir das Weihwasser nicht in den Kopf steige,
dass ich den armen Sünder nicht zu seinem Wohl auf den Scheiterhaufen schleppe,
Dass ich nicht herumtrample auf denen, die auf halbem Weg zwischen Unglauben und Heil stehen bleiben,
dass ich im Schlaf nicht murre.

Gegen diesen Hochmut, sich überlegen vorzukommen; zu meinen, etwas Besseres zu sein, vielleicht auch verächtlich herabzuschauen, nach dem Motto: „so etwas könnte mir nicht passieren“, führt der Katholik die Heiligen ins Feld, aber eben nicht als tadellose Vorbilder, als Ideale, denen es nachzueifern gilt, man könnte sagen: nicht als Saubermänner, sondern als solche, die vom Glauben getragen werden wie der Strohhalm von der Ameise:

„[dass ich] vor allem immer daran denke, dass sogar den allergrößten Heiligen wie einen armseligen Strohhalm die Ameise des Glaubens trägt. DARUM BITTE ICH DICH.

Sie merken, liebe Gemeinde, was das für eine Art Demut ist. Eben keine, die einen klein macht wie eine Ameise, die einem zu einem Nichts schrumpfen lässt angesichts der Größe Gottes, die einen demütigt, das heißt herabsetzt und erniedrigt. So wurde christliche Demut manchmal verstanden und geriet dadurch in Verruf. Diese Demut  wächst aus dem Vertrauen, getragen zu werden. Auch Jesus zeigt in der Bergpredigt dem Menschen seine Grenzen auf: „Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?“ Wir können es nicht, aber wir brauchen es auch nicht.

Womit wir doch wieder beim Sorgen wären. Vielleicht ist dieses Sich sorgen auch eine Form von Hochmut, zu meinen, unsere Sorgen würde etwas ausrichten und helfen. Mir gefällt da besonders, was Martin Luther in einem seiner letzten Briefe an seine Frau Katharina schreibt: „Lies Du, liebe Käthe, den Johannes und den kleinen Katechismus. Denn du willst sorgen für Deinen Gott, gerade als wäre er nicht allmächtig, der da könnte zehn Doktor Martinus schaffen, wenn der einzige alte ersöffe in der Saale oder im Ofenloch oder auf Wolfs Vogelherds. Lass mich zufrieden mit Deiner Sorge; ich habe einen besseren Sorger, denn Du und alle Engel sind, der liegt in der Krippen und hängt an einer Jungfrauen Zitzen, aber sitzet gleichwohl zur rechten Hand Gottes, des allmächtigen Vaters; darum sei zufrieden, Amen.“

Nach dem Aufruf zur Demut folgt dieser wunderbare Satz: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“ Aber dann geht es weiter: „Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.“ Ich verstehe das nicht als Angstmacherei, schon gar nicht mit dem Teufel drohen und Angst zu machen. Das wäre doch genau das Gegenteil davon, seine Sorge auf Christus zu werfen. Angst versetzt manche in Panik und verhindert vernünftiges Denken. Ängste sind irrational, so wie die Angst vor der Vogelgrippe es war, oder vor anderen Ansteckungen, oder heute die Angst, die geschürt wird gegen Flüchtlinge. Unser Predigttext schürt eben nicht die Angst vor einem Gespenst, das umgeht wie ein dämonisches wildes Tier. Nüchtern und wachsam, also nicht im Rauschzustand, besoffen oder verträumt, nicht verschlafen, sondern realistisch sein. Die Christen sollen wissen, dass „ebendieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen“. Realistisch sein, heißt: dass das Leiden dazu gehört und dass keiner davon verschont bleibt.

Damals, gegen Ende des ersten Jahrhunderts, waren es noch nicht die großen Christenverfolgungen, als die Christen in Rom im Zirkus als lebende Fackeln verbrannt wurden. Die ansetzende Verfolgung war wohl subtiler. Nachbarn verleumdeten die Christen, beleidigten sie und verklagten sie vor Gericht, weil sie nicht mitmachten bei den Dorffesten, bei denen den Göttern geopfert wurde. Weil sie nicht mittaten, wurden sie zu Ausgestoßenen, wurden geschnitten; weil man nicht wusste, was sie feierten bei ihrem Abendmahl, erfand man wohl die übelsten Geschichten, so wie bei uns vor Jahrhunderten gegen die Juden. Dass jemand ganz anders ist, wird ja auch bei uns manchmal nur schwer ertragen.

Gegen diese Verfolgungen ist das, was wir als Christen wegen unseres Glaubens in Kauf nehmen müssen, eine Kleinigkeit. Aber so ist es ja oft, dass andere zu uns sagen könnten: Deine Sorgen möchte ich haben. Man nennt das auch: Jammern und Klagen auf hohem Niveau. Bei unseren Reisen nach Tansania in Afrika zum Beispiel, wenn man das eigene Land, die eigene Lebensweise aus der Ferne sieht, mit den Augen der Afrikaner, könnte man auf solche Gedanken kommen; wenn es in Hundert Kilometer nur ein Krankenhaus gibt und die Schwangeren zu Fuß hinkommen müssen, so dass manches Kind unterwegs zur Welt kommt und oft auch zu Tode, dann kommt einen schon seltsam vor, mit welchem Aufwand bei uns Haustiere behandelt werden. Eure Sorgen möchte ich haben.

Der Blick auf die Sorgen und das Leid anderer relativiert das eigene doch ziemlich; oder müsste es jedenfalls relativieren. Freilich ist es nicht sehr tröstlich, wenn man zu jemanden sagt: Mach dir nichts draus, anderen geht es noch viel schlechter. Der fühlt sich wohl nicht sehr ernst genommen in seinem Schmerz. Und einem Jugendlichen, der keine Lehrstelle findet, hilft es auch nicht, dass in Griechenland über 50 Prozent der Jugendlichen arbeitslos sind. Jemandem anderen sein Leid, sein Problem kleinreden zu wollen, indem man auf die zeigt, denen es noch viel schlechter geht, nützt meistens nicht. Aber wenn jemand von sich aus oder durch einen kleinen Anstoß von außen, auf die Idee kommt, sich einmal umzusehen in der Welt und nicht die eigenen Sorgen, das eigene Leid, den eigenen Verlust als das Schlimmste und Einzigartige auf der Welt zu sehen, sondern dass es vielen anderen zumindest genauso schlecht geht oder oft noch viel schlechter, könnte das Eigene doch leichter tragbar machen. Auch das ist ein Mittel gegen die Sorge, dass man die Sorgen anderer sieht. Vielleicht merkt man dann: eigentlich habe ich es noch ziemlich gut. Es ist jedenfalls auch eine Form von Hochmut, zu meinen, meine Sorgen sind die größten und schlimmsten auf der Welt.

Sorge ist Angst vor der Zukunft. Man malt sich aus, was einem alles passieren könnte; oder jemand anderem. Das Geld reicht nicht bis zum Monatsende. Den Kindern könnte etwas passieren im Auslandsurlaub oder bei der Heimfahrt. Die Tochter könnte bei der Geburtstagsfeier versumpfen. Der Arzt könnte bei der regelmäßigen Untersuchung etwas Gefährliches finden. Und solche Dinge passieren ja. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Eine Unfallversicherung verhindert keinen Unfall, sondern ersetzt im Falle des Unfalls den Schaden, und auch nur den finanziellen. Man könnte sich Tag und Nacht sorgen und keine ruhige Minute mehr finden. Man muss aber nicht. Unser Predigttext bietet am Ende eine andere Zukunftsperspektive: der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Man könnte einfach sagen: Ende gut, alles gut; und wenn es nicht gut wird, dann ist es noch nicht das Ende. Das mit der „kleinen Zeit“ erinnert mich an die Autofahrten, als unsere Kinder klein waren. Wenn ihnen die Zeit endlos vorkam, hieß es dann: „Es dauert nicht mehr lange“. Es kann ja tatsächlich auch eine schnelle Wendung zum Guten geben. Unser Predigttext setzt der Sorge einen anderen Blick in die Zukunft entgegen: Gott wird euch aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Aufrichten, so wie es im Morgenlied heißt: mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder, aber nun steh ich, bin munter und fröhlich, schaue den Himmel mit meinem Gesicht. Stärken und kräftigen, wie man nach einer Krankheit wieder zu Kräften kommt, auch neue Abwehrkräfte bekommt. Und gründen, dass ihr fest steht wie ein Baum und euch kein Sturm umwerfen kann. Das sind doch gute Zukunftsaussichten. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz