Kraft, Liebe und Besonnenheit

2. Timotheus 1, 7-10


Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes. Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.

 

Liebe Gemeinde,

ja, ist denn schon wieder Ostern? – könnte man in Abwandlung des Kalauers von Franz Beckenbauer fragen: ja, ist denn schon wieder Weihnachten? Auch das könnte man fragen, wenn pünktlich zum Herbstbeginn das Weihnachtsgebäck wieder in die Läden kommt. Aber das Thema heute ist die Auferstehung – und deshalb die dumme Frage: Ist denn schon wieder Ostern? Aber nach dem Ostern damals, der Auferstehung Jesu Christi, ist das Thema jeden Tag aktuell. Im Predigttext heißt es: „Jesus Christus hat dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht“. Wenn schon nicht jeden Tag Ostern, denn wir sind noch nicht auferstanden, uns steht der Tod noch bevor, unser Leben vergeht, und wir haben täglich zu kämpfen mit dem, was das Leben beinträchtigt – wenn schon nicht jeden Tag Ostern, so doch jeden Tag ein Lichtstrahl von dieser Ostersonne.

Jesus Christus hat das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht. Ein unvergängliches Wesen? Was ist das, das nicht vergehen soll, wo doch alles vergeht, von der Eintagsfliege, die nur einen Tag lebt bis hin zur Sonne, die in Jahrmilliarden erkaltet sein wird, so dass es kein Leben auf Erden mehr geben wird. Auch unsere schöne Stadtkirche wird vergehen trotz Denkmalschutz. Glück und Glas, wie leicht bricht das – auch wenn man beim Polterabend Porzellan wirft und zerschmeißt, damit dieses zerbricht und nicht das junge Glück. Die jungen Leute wünschen sich oft, dass die Zeit schneller vergeht, bis sie mit der Schule fertig sind, bis sie den Führerschein machen können und selber Auto fahren, aber mancher ist doch vielleicht traurig, dass die Sommerferien auch schon wieder vorbei sind. Überall Vergehen, selbst bei den Dingen, die ewig halten sollen. Was ist dieses unvergängliche Wesen?

Oft wird es die unsterbliche Seele genannt. Die Seele, die bei unserem Tod sozusagen dem Leib entschlüpft und von Engeln zum Himmel, zu Gott getragen wird. So wie es im Lied heißt: Ach Herr, lass dein lieb Engelein am letzten End die Seele mein in Abrahams Schoß tragen. Oder wie es auf alten Bildern dargestellt wird, dass die Seele als ein kleines  Wickelkind in weißem Tuch eingewickelt aus dem Mund des Verstorbenen entweicht und von Engeln beschützt und getragen wird, damit nicht der gierige Teufel es an sich reißen kann. Sicherlich sind das naive Vorstellungen und Bilder. Aber wie sollen wir uns sonst dieses unvergängliche Wesen vorstellen? Das Neue Testament weiß nichts von einer unsterblichen Seele. Die bei uns so verbreitete Vorstellung kommt aus der griechischen Philosophie, vor allem dem Neuplatonismus, nach dem der göttliche Funke für einige Zeit in einen sterblichen Körper eingeschlossen wird wie in einem Gefängnis. Wenn dieser irdische Körper mit all seinen Einschränkungen und Qualen, seinen Versuchungen und Lüsten, seinem Hunger und seiner ekligen Verdauung stirbt, dann wird dieser göttliche Funke wieder frei und geht zurück ins himmlische Reich. Nein, eine solche Verachtung und Verächtlichmachung des Körpers, des Leiblichen kennt die Bibel nicht, aber doch ein unvergängliches Wesen, das bleibt, wenn alles abstirbt, ja wenn nichts mehr übrig ist vom Menschen als Erde, so wie wir bei der Beerdigung sagen: Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Etwas wird bleiben. Das, was unsere Person ausmacht und wofür unser Name steht, wird bleiben und nicht vergehen. Auch wenn wir in keinem Geschichtsbuch stehen und unsere Spuren im Internet längst keinen mehr interessieren, auch wenn die Facebookfotos noch tausend Jahre irgendwo blieben. Unser Leben soll bleiben, nicht nur wie ein Museumsstück leblos aufbewahrt in einem unendlich großem Gedächtnis oder Speicher, sondern lebendig, so wie Jesus Christus auferstanden ist, nicht ein neues Leben angefangen hat mit neuen Wundern und dergleichen, sondern mit dem, was er getan und gesagt hatte und wovon die Evangelien berichten, lebendig. Wir können es uns nicht vorstellen. Warum also nicht von der unsterblichen Seele sprechen, wenn deswegen nicht das Leibliche, das Leibhaftige verachtet oder schlecht gemacht wird. Wenn wir von einer leibhaftigen Auferstehung reden, dann meinen wir ja auch nicht Haut und Knochen oder irgendwelche Körperteile, weswegen früher verboten war, einen Leichnam zu verbrennen, weil man Angst hatte, dass man die Körperteile nicht mehr zusammen bringt. Nein, obwohl alles vergeht, hat Jesus Christus durch seine Auferstehung unvergängliches Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht.

Betrachten wir uns von diesem Ende her, nicht nur dem Ende unseres Predigttextes, sondern vom Ende des Lebens, von dem Ziel, auf das wir zugehen, den Anfang, nämlich diesen schönen Satz, der einmal Jahreslosung war und für manche Konfirmationsspruch: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Nicht den Geist der Furcht. Zwar lässt sich nicht jede Furcht und Angst gleich auf die Angst vor dem Tod zurückführen, aber oft steht diese Todesangst doch dahinter, so wie der große Unbekannte hinter seinen Agenten. Die Angst vor Krankheit oder einem Unfall lässt sich leicht als Schatten der Todesfurcht begreifen. Vielleicht auch diese Angst, etwas zu versäumen oder zu verpassen im Leben; weil die Zeit eben begrenzt ist; so wie geschädigte Bäume Angsttriebe produzieren oder Nadelbäume vor dem Absterben noch einmal ganz viele Tannen- oder Fichtenzapfen. Bei Männern nennt man das dann Torschlusspanik. Vielleicht kommt auch manche Wichtigtuerei aus dieser Angst, dass nichts bleibt von meinem Leben. Ich muss mir ein Denkmal setzen. Wie vergeblich ist dieser Versuch in der Regel, trotz aller Beteuerungen bei Grabreden und in Nachrufen: wir werden dich nie vergessen. Generationen später weiß man nichts mehr von einem Menschen.

Aber Gott hat uns eben nicht ein ängstliches, sondern ein unvergängliches Wesen, nicht den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit gegeben. Wie klingt das, wenn wir dabei die Botschaft von der Auferstehung im Ohr haben? Welche Farben sehen wir, wenn wir es im Licht der Ostersonne sehen?

 

Den Geist der Kraft. Die stärkste Kraft, wenn man nicht an Muskelkraft oder die Kraft einer Maschine, wenn man nicht an Kilowatt und PS denkt – die stärkste Kraft ist der Glaube; nicht nur im christlichen Sinn. Denn der Glaube kann Berge versetzen. Oder der Glaube an ein Medikament kann gesund machen, auch wenn es keinerlei Wirkstoffe enthält. Man nennt das dann Placebo-Effekt. Zwar verleiht auch die Angst ungeheure Kräfte, besonders die Todesangst. Der Rettungsschwimmer muss aufpassen, dass der Ertrinkende mit seinen ungeahnten Kräften ihn nicht in die Tiefe zieht. Die Kraft des Glaubens aber sind Hoffnung und Zuversicht. Das Vertrauen, dass Gott mir nichts auferlegt, was über meine Kräfte geht, hilft, auch schwere Lasten zu tragen. Und es gibt Selbstvertrauen, bei sich selbst Kräfte zu entdecken. Eben nicht zu sagen: Ich bin so schwach, ich schaffe das nicht. Es braucht ja auch Kraft und Mut, andere um Hilfe zu bitten, und das Vertrauen, dass der andere, den ich bitte, mich nicht verachtet, verlacht, abweist, und dass er etwas kann, mir zu helfen. Der Geist der Kraft weiß, dass Gott gerade in meiner Schwachheit mächtig ist. Auch und gerade, wer seine Grenzen und seine Schwächen kennt, verfällt nicht in ständiges Jammern, sondern sucht Lösungen. Eben in Hoffnung und Zuversicht, dass es einen Weg gibt, eine Lösung. Und wo es keine Lösung gibt, dann eben, damit zu leben. Nicht nur wer eine chronische Krankheit hat, braucht diese Kraft, täglich wieder aufzustehen. Der Dichter Rudolf Otto Wiemer nennt es „Den Mut des Grases, nach so viel Wintern zu grünen. Die Geduld der Spinne, die ihrer Netze Zerstörung nicht zählt.“

Den Geist der Liebe. Gehen wir wieder vom Gegenteil aus: dem Geist der Furcht, der Angst. Es gibt eine Angst, die einen immer um sich selbst kreisen lässt und einen deshalb unfrei macht, den anderen zu sehen; unfähig zur Liebe. In diesem Sinn schließen sich Furcht, Angst und Liebe aus, so wie es heißt: Furcht ist nicht in der Liebe (Martin Luther meint in seiner Auslegung der zehn Gebote etwas anderes, wenn er jede Auslegung anfängt: „wir sollen Gott fürchten und lieben“; nicht Angst, sondern Ehrfurcht). Liebe braucht Freiheit. Lieben bedeutet ja, frei zu sein von der Sorge um sich selbst. Der Schüler, der nur sich selbst sieht und aus lauter Angst unbedingt eine gute Note braucht, der lässt die anderen nicht abschreiben. Wer sich selbst immer zu kurz gekommen, benachteiligt, vom Leben betrogen fühlt, der kann nicht lieben. Wer an Gott glaubt, wer das Licht der Ostersonne gesehen hat, der weiß: Für mich ist gesorgt. Ich bekomme genug. Ich habe schon so viel geschenkt bekommen, und am Ende erwartet mich noch viel mehr. Das ist das Thema des letzten Sonntags: Sorgt nicht, denn euer himmlischer Vater weiß wohl, was ihr braucht. Das macht frei zur Liebe, den anderen zu sehen, wahrzunehmen, in seiner Not und in seiner Liebenswürdigkeit.

Und den Geist der Besonnenheit. Besonnenheit hat auch damit zu tun, das richtige Maß zu finden. Der Ängstliche schwankt oft hin und her zwischen Selbstzweifel und Stolz, zwischen Verzweiflung und Hochmut, zwischen Ohnmacht und Allmachtsgefühl. An einem der letzten Sonntage ging es in der Predigt darum, dass der Heilige Geist unserem Geist sagt, wer wir sind: Gottes geliebte Kinder. Heute wird uns gesagt, dass wir ein unvergängliches Wesen sind und haben. Besonnenheit kommt von besinnen. Dass wir uns immer darauf besinnen, wer wir sind und was für einen Geist wir empfangen haben. Es heißt ja nicht: ich wünsche euch diesen Geist. Oder: ihr solltet ihn haben. Ihr habt ihn empfangen, als ein Geschenk bei der Taufe, bei der Konfirmation oder wann immer euch die Hände aufgelegt wurden zum Segen. Ihr könnt darauf vertrauen und ihn gebrauchen. Darum geht es: sich immer wieder darauf besinnen, besonders wenn Angst und Furcht sich breit machen: Ihr habt ein unvergängliches Wesen und: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Amen

 

 



Autor: Dekan Hans Peetz