Ist Gott ungerecht?

Predigt am Israel-Sonntag über Römer 9, 1-8.14-16 u. Röm 11, 33.36.


Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde,

so emotional wie sonst nirgends in seinen Briefen beschreibt Paulus, wie sehr er darunter leidet, dass die Mehrheit seines jüdischen Volkes Jesus nicht als den Messias sieht:  „Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im Heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe. Ich selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch“. – Dass nur wenige Juden zu Christen geworden sind, viele dagegen Jesus ablehnen, ist für Paulus eine Widerspruch (Paradoxon). Denn Jesus ist ein Sohn Istaels, er kommt aus diesem Volk, das von Gott erwählt ist und bleibt. Paulus wünschte sogar, verflucht zu sein zugunsten seiner Brüder,  die seine Stammverwandten sind, und er führt noch viel mehr auf: „… die Israeliten sind, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse - (Bund Gottes mit Mose, 10 Gebote) – und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen, denen auch die Väter gehören und aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über alles.“

Warum kann das jüdische Volk mit dieser Vergangenheit und Würde, die er aufgezählt hat, Gottes Liebe, die sich in Christus zeigt, nicht annehmen? Drei Kapitel lang, Röm 9-11, setzt sich Paulus mit dieser Frage auseinander, die er sich nicht erklären kann und unter der er so leidet. Dabei kommt der Apostel auch zu der Frage „Ist Gott ungerecht?“ (Röm 9,14, siehe Gottesdienstzettel). Hier möchte ich einhaken, denn diese Frage zieht sich ja durch die Jahrhunderte und Jahrtausende – sie wurde und wird dort gestellt wo Menschen an Gott glauben.

Parallel zu Paulus gibt es auch bei uns Fragen, die wir uns nicht erklären können. Warum müssen bei Attentaten Menschen ums Leben kommen? Warum trifft es die einen und die anderen nicht?  - Oder: Warum muss ich so leiden? – das hatte schon der fromme Hiob sich und auch Gott gefragt, das fragen sich manche auch heute. „Warum hat es mich getroffen?  Das ist doch ungerecht!“.

Natürlich kann man nicht für alles Schlechte oder alles Leid Gott verantwortlich machen. Nach einem Unfall, bei dem vier junge Erwachsene zu Tode kamen, weil der Fahrer betrunken war, sagte der Pfarrer damals unter anderem: „Hier kann man nicht einfach Gott die Schuld in die Schuhe schieben“. Ganz klar – Alkohol am Steuer kann tödlich sein, auch für Unschuldige.

Wenn Schlimmes passiert, versuchen wir, Erklärungen zu finden, gerade auch jetzt nach den verschiedenen Attentaten. So hat etwa der Nordbayerische Kurier letzte Woche Klaus Leipziger interviewt, den Chefarzt der Klinik für forensische Psychiatrie hier am Bezirkskrankenhaus.  Unter der Überschrift „Wenn aus Enttäuschung Wut wird“ sagt er am Ende des Interviews u.a., dass es „von Vorteil ist, wenn sich insbesondere labile Personen nicht in die Enge getrieben fühlen und positive Perspektiven sehen.“ – Einer der Attentäter hatte ja einen erneuten Abschiebungsbescheid bekommen, der möglicherweise der Auslöser für seine schreckliche Tat war – er war so verzweifelt und wütend, dass er mit sich auch noch andere umbringen wollte.

Doch wenn wir nach den Erklärungsversuchen weiterdenken, kommen wir letztlich zu der Frage: „Wie kann Gott das zulassen, dass Unschuldige verletzt und sogar getötet werden? Oder ist Gott nicht allmächtig? – Gibt es neben Gott noch eine genauso mächtige böse Macht wie den Teufel oder Satan?“ Auch das haben sich die Menschen zu allen Zeiten gefragt. Im Vorspann des Hiob-Buches wettet der Satan mit Gott, dass der gottesfürchtige Hiob von Gott abfallen werde, wenn ihm all sein Besitz genommen wird und seine Kinder sterben. Doch als das tatsächlich passierte, klagte Hiob, aber er wandte sich nicht gegen Gott, sondern sagte: „Der HERR hat´s gegeben, der HERR hat´s genommen, der Name des HERRN sei gelobt“. Erst als Hiob mit schwerer Krankheit geschlagen war, klagte er zu Gott und fragte ihn, womit er das verdient habe. (Also unsere Frage, die auch Theodizee-Frage genannt wird). Gott antwortet Hiob schließlich aus dem Wettersturm und weist ihn zurecht, indem er ihn auf seine Allmacht als Schöpfer verweist: „Wo warst du, als ich die Erde gründete?“ beginnt diese Rede. Am Schluss erkennt Hiob die Größe Gottes an und gibt zu, dass er unweise geredet hat. „Wer ist der, der den Ratschluss verhüllt mit Worten ohne Verstand?“  Danach wendet Gott Hiobs Geschick, gibt ihm doppelt so viel Besitz wie vorher und eine neue Familie. – Vom Satan ist keine Rede mehr.

Für uns heute hat der Satan oder Teufel keine solche Bedeutung mehr wie noch im Mittelalter; doch auch wir erleben, dass das Böse immer wieder Macht erlangen will. Wir beten im Vaterunser: „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“.  Wenn aber das Böse eine eigene, gleichstarke Macht neben Gott wäre, wäre Gott nicht allmächtig.

Mir leuchtet daher die Vorstellung von Martin Luther ein, nach der Gott der Urheber von allem ist und er eine abgewandte und eine uns zugewandte Seite hat. Der „deus absconditus“, ist der rätselhafte Gott, das ist Gottes dunkle, ja schreckenerregende Seite, die für uns hier auf Erden nicht ergründbar ist. Der „deus revelatus“ ist der enthüllte, offenbare Gott. Er hat sich uns in Jesus Christus gezeigt, durch ihn hat er auch seine Liebe zu den Menschen deutlich gemacht, seine Gnade und Barmherzigkeit. „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich“ (so zitiert Paulus in Röm 9,15 das 2. Mose 33,19)

Freilich hat Jesus am Kreuz selbst die Warum-Frage gestellt. Matthäus und Markus berichten, dass er mit Worten aus Ps 22 zu Gott geschrien hat: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“  - Doch das war es ja, was Jesus auszeichnete: dass er menschlich war, gelitten hat, aber seinen Weg durchhielt; dass er nicht floh und auch nicht Gewalt anwendete und kämpfte, sondern für seine Überzeugung in den Tod ging. Und das war es dann, was ihn gleichzeitig göttlich machte: dass er den Tod überwand, dass er mit seiner Auferstehung Tod und Teufel die Macht nahm. Deshalb müssen auch wir keine Angst davor haben, Sünde und Tod sind nicht das Ende. Christus hat auch für uns gelitten, im Glauben an ihn sind wir vor Gott gerechtfertigt, - (das ist die Grundüberzeugung von Paulus) Durch den Glauben an Jesus Christus erfahren wir Gottes Liebe und Barmherzigkeit. „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“

Gottes abgewandte Seite ist nach Luther für das Dunkle und Negative verantwortlich, seine zugewandte Seite für sein Erbarmen – das finde ich nachvollziehbar. Damit bleibt aber die Frage bestehen: „Ist Gott ungerecht?“ Warum erbarmt er sich über den einen und über die andere nicht? Theologen und Philosophen haben auf die Theodizee-Frage keine allgemeine Antwort.

Wir finden keine befriedigende Lösung für die Frage, warum die einen bei einem Amoklauf oder einer Naturkatastrophe getroffen und die anderen verschont werden. Warum der eine krank und die andere gesund ist.  Ebenso findet Paulus auch nach drei Kapiteln ausführlicher Erörterung keine eindeutige Antwort auf  seine Frage, warum das von Gott erwählte Volk Israel zu einem großen Teil nicht an Jesus als Messias und Heilsbringer glaubt.

Immer wieder kommt Paulus in seinen Ausführungen darauf zurück, dass Israel das von Gott erwählte Volk ist und bleibt. Das haben die Christen in den vergangenen Jahrhunderten besonders während der Nazi-Zeit viel zu wenig ernst genommen. Sätze wie „Das Heil kommt von den Juden“ (Joh 4,22, Evg.-Lesung) wurden ebenso außer Acht gelassen wie die Tatsache, dass sowohl  Jesus als auch sein Apostel Paulus aus dem jüdischen Volk kamen. Die schrecklichste Folge war der Holocaust im 3. Reich. Auf ihn folgte die Gründung des Staates Israel, wo die Überlebenden Schutz suchten. Seitdem gibt es Konflikte und Kriege zwischen Juden und Palästinensern. Diese Situation ist von Menschen herbeigeführt worden, letztlich eben durch die Shoa, und sicher alles andere als gottgewollt zu nennen.

Doch zurück zu Paulus und seinem Leiden am „Nichtglauben“ seiner Stammesgenossen. Bei seinen Überlegungen stellt er anhand von Abraham fest, dass die Verheißungen Gottes nun über Israel hinaus auch zu den anderen Völkern gelangen. Christus wird zum Vermittler für die Völker. Durch ihn, der „nach dem Fleisch“ von den Israeliten kommt, erhalten die Völker Anteil an dem, was bisher nur den Juden gegeben war. So können bzw. konnten sie „Kinder der Verheißung“ werden. Schließlich endet Paulus ähnlich wie das im Hiob-Buch der Fall ist: Bei Gottes großer Weisheit und seinem unergründlichen Ratschluss, bei seiner Schöpfermacht und unantastbaren Größe. Röm 11, 33ff.:  O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! … Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Hm sei Ehre in Ewigkeit.

Liebe Gemeinde, ich denke, mehr an Erklärung oder Lösung ist uns hier zu unseren Lebzeiten nicht möglich. Wie Hiob oder Paulus können wir Gottes Größe und  seine unerforschliche Weisheit nur mit Demut anerkennen.

Wo wir selbst leiden, können wir versuchen, Trost in Jesu Leiden zu finden; Trost darin, dass er auch für uns litt und darin, dass er den Tod überwunden hat – die Hoffnung auf eine Leben nach dem Tod kann und soll Angst überwinden.

Und schließlich bleibt uns der Dank. Dass wir dankbar sind für all das Gute, was wir von Gott geschenkt bekommen haben, für das, wo er gnädig war.

Auch aus Dankbarkeit, dass wir hier keinen Krieg erleben müssen, setzen sich nach wie vor viele Freiwillige für Flüchtlinge ein. Sie erleben, wir erleben hier – etwa im Internationalen Gottesdienst – viel Dankbarkeit; aber natürlich gibt es auch viele Menschen, die wegen der anhaltenden Gewalt und dem Krieg in ihren Herkunftsländern traumatisiert sind. Von diesen ist nur ein Bruchteil selbst gewalttätig – die Kanzlerin sprach von den vielen unschuldigen Flüchtlingen - , doch durch Anschläge wie in Ansbach wächst jetzt bei manchen hier die Angst vor Fremden und die Fremdenfeindlichkeit. Türkische Bekannte, die schon seit Jahrzehnten hier leben, haben vorgestern erzählt, dass sie in letzter Zeit vermehrt angefeindet wurden. - Im Namen Jesu, der sich für Frieden und für Barmherzigkeit Schwachen gegenüber einsetzte, ist es m.E. wichtig, dass wir uns nun nicht von Angst und Misstrauen beherrschen lassen, sondern seine Friedensbotschaft weitertragen. Es gilt, dem Bösen und dem Terror, der von Menschen kommt, nicht von Gott!, zu widerstehen. Ich stimme mit Angela Merkel überein: Wir dürfen uns die Art wie wir leben, nicht kaputt machen lassen. Und ich füge hinzu: Auch wenn wir auf manche Fragen keine Antwort bekommen – lasst uns auf Jesu Weg der Liebe bleiben!

Amen.   

 

 Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.



Autor: Kapp-Kleineidam, Anne-Kathrin