Geduld, die nicht nachlässt

2. Petrus 3, 8-13


Eins aber sei euch nicht verborgen, ihr Lieben, dass ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag.
Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass jedermann zur Buße finde.
Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden ihr Urteil finden.
Wenn nun das alles so zergehen wird, wie müsst ihr dann dastehen in heiligem Wandel und frommem Wesen,
die ihr das Kommen des Tages Gottes erwartet und erstrebt, an dem die Himmel vom Feuer zergehen und die Elemente vor Hitze zerschmelzen werden.
Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.

 

Liebe Gemeinde,

manchmal brauchen wir viel Geduld. Da sitzt die Frau am Tisch in der Gaststätte. Sie wartet, denn sie ist zum Essen verabredet. Die Bedienung hat sie erst einmal weggeschickt. Nein, ich will noch nichts bestellen, ich warte noch auf jemanden. Als der freundliche Kellner nach einiger Zeit wieder nachfragt, bestellt sie erst einmal ein Mineralwasser. Über dem sitzt sie jetzt, ihr Blick geht einmal zur Tür, die sie im Auge hat, dann wieder zur Uhr. Die geht Minute um Minute weiter, aber zur Tür kommen nur andere Leute herein. Mancher Blick fällt auf sie. Sie meint, die Fragen in den Köpfen lesen zu können. Allein unterwegs oder versetzt, sitzen gelassen? Die Blicke auf die Uhr verraten sie. Vielleicht bestellt sie, als die Bedienung zum dritten Mal fragt, doch etwas zu Essen für sich allein. Oder sie bezahlt ihr Wasser und geht wieder.

Warum kommt er denn nicht? So, wie er es versprochen hatte. Man könnte sagen: wie es ausgemacht war. Ein Menschenleben nach dem Tod Jesu, nach seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt, wurde die Frage unter den Christen immer drängender. Die ersten in der Gemeinde waren längst verstorben. Dabei hatte der Herr selbst zu seinen Jüngern gesagt: ihr und eure Zeitgenossen werdet es erleben und mit eigenen Augen sehen, dass Gott dieser alten, von Leid und Unrecht vergifteten Welt ein Ende machen wird und eine neue schaffen wird – in einem Augenblick, wie mit einer Explosion. Zuerst waren sie dem Rat des Paulus gefolgt – so ähnlich wie die Frau im Restaurant nichts bestellte, weil er ja gleich kommen würde. Sie sollten nicht heiraten, sich nicht binden, so wie die Ausreisewilligen damals in der DDR auf gepackten Koffern sitzen. Es lohnt sich ja nicht mehr, er kommt ja gleich. Wahrscheinlich hatten sie dann doch wieder ausgepackt, gleichsam die Wohnung wieder eingerichtet. Man kann ja nicht ewig auf gepackten Koffern sitzen.

Sind es wirklich nur Spötter, wie sie der Petrusbrief nennt, die Zweifel sähen, ob er wirklich noch kommt. Die höfliche Bedienung im Lokal wird sich hüten, die wartende Frau aufzuziehen: der hat Sie bestimmt vergessen. Eher würde der Ober wohl Entschuldigungen suchen: der dichte Verkehr am Abend, eine kleine Panne. Warten sie nur, er kommt bald. Wahrscheinlich werden aber die Zweifel in ihr selbst bald stärker, die so ähnlich klingen, wie die, die die angeblichen Spötter säen: Wo bleibt die Verheißung dass er kommt? Was ist aus seinem Versprechen geworden. Und noch drängender: Die Älteren in der Gemeinde, die Väter und Mütter, sind gestorben, und nichts hat sich verändert, keine neue Welt, alles ist geblieben, wie es eh und je war. Nichts hat sich geändert seit Adam und Eva.

Merken Sie, liebe Gemeinde, die Stiche,  - nicht nur Sticheleien: hat er dich wohl versetzt? Das sind Stiche bis ins Herz des Glaubens: hat sich etwas geändert durch Jesus Christus, oder ist alles geblieben wie es seit Adam und Eva war, oder seit Kain, der seinen Bruder Abel tot schlug aus Eifersucht; oder seit der Sintflut, dass auch die Katastrophe die Menschen nicht bessern konnte, so wie sie seitdem nach jeder Katastrophe und allen Besserungsschwüren danach doch wieder in den alten Trott zurück gefallen sind; oder seit dem Turmbau zu Babel, seitdem die Menschen zerstreut sind und einander nicht verstehen – oft auch bei gleicher Sprache. Das war und ist ja auch die Frage der Juden an uns Christen: wenn wir behaupten, Jesus sei der versprochene Messias, warum gibt es dann noch Krieg und Unrecht, Leid und Geschrei, Krankheit und Tod?

Der Petrusbrief sucht nach Erklärungen, so wie der freundliche Kellner vielleicht nach tröstlichen Erklärungen sucht für die wartende Frau. So wie der spekuliert: Vielleicht geht seine Uhr falsch – bitte entschuldigen Sie den unpassenden Vergleich –, so argumentiert der Petrusbrief mit der Zeit: Bei Gott gehen die Uhren eben anders. Was euch wie tausend Jahre vorkommt, das ist bei Gott wie ein Tag. Sie kennen vielleicht die kleine Geschichte, in der einer mit Gott verhandelt: Lieber Gott, für dich sind doch Tausend Jahre wie ein Tag und eine Million Euro wie ein Cent. Gib mir doch bitte nur diesen einen Cent. Worauf Gott antwortet, gerne mein Lieber, warte nur ein Minütchen.

Ich weiß nicht, ob das tröstet, dass bei Gott die Uhren anders gehen. Wenn einem die Zeit lang wird, wenn einem die Minuten wie Stunden vergehen, wenn man immer wieder auf die Uhr schaut – so wie es mir als Jugendlichen immer wieder gegangen ist auf dem Bahnhof beim Warten auf den Zug – und der Zeiger ist immer noch nicht viel weiter. Ja, die Zeit ist relativ. Und wenn es sich bei Gott nur um Sekundenbruchteile handeln sollte, für uns kann sie verdammt lang werden.

Wir müssen also geduldig sein, wie Xavier Naidoo singt. Er meint, dann dauert es nicht mehr lang. Ob das stimmt, dass Geduld die Zeit verkürzt. Tatsächlich geht es beim Warten um Geduld. Geduld heißt ja: warten können. Vielleicht ist Warten können tatsächlich eine Kunst. Geduld hat aber zwei Seiten. Nicht nur dieses: sich gedulden; dass man nicht gleich an die Decke geht, wenn es einen Moment dauert; dass man jemanden Zeit lässt; z.B. die Zeit lässt, dass der andere ausreden kann. Dann nennt man dann: geduldiges Zuhören. Manchmal muss man oder frau warten können, bis die Zuneigung, die Liebe, die man jemandem entgegenbringt, erwidert wird; der Angler muss Geduld haben, bis der Fisch anbeißt; und wenn die schlaue Forelle angebissen hat, dann darf man auch nicht gleich an der Angel reißen, sondern muss sogar noch etwas nachlassen mit der Schnur, damit der Haken nicht gleich wieder abreißt.

Nicht nur in Bezug auf die Wiederkunft Christi ist geduldiges Warten angesagt, so wie es im Predigttext heißt: wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt. Warten kann man am besten, wenn man das Vertrauen und die Gewissheit hat: auch wenn es lange dauert, ich bekomme, was ich mir wünsche oder was mir versprochen ist. Die Frau im Lokal wird geduldiger sein, wenn sie weiß: er hat sich nur verspätet; vielleicht ist das so seine Art, so wie manche Menschen immer zu spät kommen; oder es ist halt etwas dazwischen gekommen. Am besten kann man warten, wenn man eine Erklärung hat. Der Petrusbrief gibt noch eine andere Erklärung, warum die Wiederkunft Christi sich verzögert: Er sagt: Gott wartet selbst noch, er wartet sozusagen auf die Nachzügler, so wie die Reisegruppe auf die Nachzügler warten muss, die da schnell noch ein Foto machen müssen oder vor der Damentoilette in der Schlange stehen. Gott selbst hat Geduld, deswegen wartet er so lange, bis noch möglichst viele zum Glauben kommen. Ob er da ewig warten kann und muss?

Geduld heißt also: warten können, sich gedulden. Aber das ist nur die eine Seite, man könnte sagen die passive, so wie die Frau im Lokal herumsitzt und eben nichts tun kann, als warten. So wie eine Münze zwei Seiten hat, hat eben die Geduld auch eine andere, eine aktive. Geduld heißt nämlich auch: nicht aufgeben. Natürlich wird die Frau irgendwann zahlen und heim gehen oder anderswohin, weil ihre Geduld zu Ende ist und weil kein Mensch ewig warten kann, besonders wenn es nur um so etwas Belangloses wie ein Abendessen geht. Diese aktive Seite der Geduld ist mir erst in dieser Woche so richtig aufgegangen, obwohl sie in der Bibel so häufig und so plastisch beschrieben wird, etwa am Beispiel dieser hartnäckigen Frau, die wir die „bittende Witwe“ nennen, die den korrupten oder faulen Richter eben nicht nur durch ihre Aufdringlichkeit nervt, so wie Kinder einen manchmal nerven können. Die Frau hat dazu noch Ausdauer. Sie gibt nicht auf, bis der Richter ihr zu ihrem Recht verhilft, also genau die Gerechtigkeit schafft, von der im Predigttext die Rede ist. (Manchmal kommt man sich als Verbraucher auch so vor, wenn einem ein defektes Gerät geliefert wird und man seinen Gewährleistungsanspruch geltend machen will, besonders wenn man im Internet bestellt hat und nicht dem Händler um die Ecke auf die Pelle rücken kann).

Möglicherweise sind wir als Christen und als Kirche längst erschlafft und haben diese Geduld verloren, wenn es um die große Wende geht. Wer hätte vor 1989 in Deutschland noch ernsthaft an diese Wende geglaubt, die im Vergleich zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde doch ein Kinkerlitzchen ist. Nicht zur geduldigen Erwartung dieser ganz großen Wende will ich Sie heute aufrufen, sondern zu kleineren, alltäglichen. Wenn wir im Vaterunser beten: dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden, dann ist diese Gerechtigkeit gemeint. Wenn auf der Erde das geschieht, was Gott will, sein guter und gerechter Wille, wenn geschieht, was seine Liebe will, dann herrscht tatsächlch der Himmel auf Erden. Das werden wir in dieser alten, von Sünde und Schuld, von Unrecht und Leid gezeichneten Welt nicht erleben. Dazu müsste diese Welt ganz neu werden. Und trotzdem wird sich dieser gute Wille, diese Gerechtigkeit Gottes immer wieder durchsetzen, so wie die hartnäckige Witwe selbst bei einem ungerechten Richter ihr Recht bekommen hat. Geduld lohnt sich, und wenn das Erwartete nicht genau so eintritt, wie erhofft, so bringt die Geduld überraschender Weise an anderer Stelle ihre Früchte.

Geduld war ja auch für unsere Gemeinde angesagt in diesen achteinhalb Jahren, die wir warten mussten, bis die Stadtkirche wieder sicher und fest steht, ja in altem und neuem Glanz erstrahlt und wir unseren Hauptgottesdienst wieder dort feiern können. Warten können – das wissen auch die Kinder vor Weihnachten – macht es noch viel schöner. Aber es gilt auch das andere: Wartezeit ist keine verlorene Zeit. Die Frau im Lokal wird die Zeit vielleicht auch genutzt haben, und sei es damit, mit dem Kellner zu schäkern. Wir haben die Wartezeit jedenfalls auch dazu nützen können, die Spitalkirche noch mehr lieb zu gewinnen, ihren Wert für unsere Gemeinde zu entdecken und ihre Schönheit (die jetzt auch bald wieder erneuert werden kann). Manchmal ist das Durchgangsstadium genauso schön wie das erwartete Glück, wenn auch in ganz anderer Weise. Auch unsere alte, so geschundene Welt ist kein Jammertal, und nicht nur eine Warteraum, sondern eine sehr gastliche Stätte, in der man seine Zeit nicht durch warten totschlagen muss. Denn in Geduld Gottes Gerechtigkeit zu erwarten heißt, sie jetzt schon immer wieder zu genießen. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz