Freude, die im Panorama des Auferstandenen wurzelt

Johannes 16,16-23a


(16) Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.

 

(17) Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater?

(18) Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.

(19) Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?

 

(20) Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.

(21) Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.

(22) Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. (23) An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.

 

Liebe Gemeinde,

 

I. Das Erdloch

 

Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.

Wiedersehen kann Freude machen. In dem Fall, den ich in meiner Kindheit erlebt hatte, brachte ein Wiedersehen nach kleiner Weile sogar Heiterkeit.

Mein Vater hatte unsere Familie in ein Gartenlokal in Kulmbach ausgeführt. Er hatte gerade einen Sonntagsgottesdienst hinter sich und, wie es damals noch üblich war, einen schwarzen Anzug angehabt. Ich erinnere mich, dass es ein Gasthaus am Rehberg war, wo so manche Maus unterirdisch ihre Gänge und Löcher gegraben hatte. Wir setzten uns an den Tisch, studierten die Speisekarte und unterhielten uns. Bis auf einmal mein Vater ganz langsam aber stetig mit seinem Stuhl nach hinten seitlich wegkippte. Ein Stuhlbein - das stellten wir nachträglich fest - war in ein Erdloch geraten und dann in ungeahnte Tiefen vorgestoßen. Ich weiß noch, wie wir alle starr vor Schreck waren. Mein Vater tauchte nach geraumer Zeit mit schief auf der Nase sitzender Brille unter der Tischkante auf und zitierte aus der Bibel: „Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen. Johannes Kapitel 16 Vers 16“. Seither muss ich beim Lesen unseres heutigen Predigttextes an meinen Vater denken, der diesen Schreckmoment mit schlesischem Humor rettete.

 

II. Unverlierbare Freude

 

Wenn man die Jünger zur Stelle aus dem Johannesevangelium hört, tut man sich freilich schwer, Freude oder gar Heiterkeit zu empfinden. Sie rätselten über Jesu Worte. Die Jünger hatten Jesu Einzug in Jerusalem miterlebt. Es war ein Triumphzug mit Bad in der Menge und Hosianna-Rufen. (Johannes 12,12-15). Wie beim Einzug eines Königs legten die Menschen Palmzweig auf den Weg. Jesus indessen redete von seinem Gang zum Vater und seiner Verherrlichung. Schon die Menschenmenge war nach Johannes irritiert: „Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt.“ (12,34). hielten sie Jesus entgegen.

 

Am Abend hielt Jesus mehrere Abschiedsreden im Kreis der Jünger. Doch auch bei seinen Vertrauten stieß er auf Unverständnis: Was bedeutet das, was er sagt: (…) Wir wissen nicht, was er redet. Eigentlich hätte es nach diesem Triumphmarsch ähnlich zugehen sollen, wie in der Kabine bei einer Fußballmannschaft, die die Meisterschaft gewonnen hat. Jubel liegt in der Luft, wenn der Trainer den Raum betritt, Sektkorken knallen, Hochrufe erschallen.

 

Aber selbst einem Fußballverein, der von Erfolg verwöhnt ist, wird eine Zeit der Niederlagen kommen. Ich denke zum Beispiel an die Jahre 1976-1979, als dem FC Bayern München kein Erfolg glücken wollte.

 

Darum geht es Jesus um eine Freude, die niemals vergeht und von niemanden weggenommen werden kann.

 

III. Trauer

 

Die Jünger wollen verstehen und begreifen, was nicht zu verstehen und zu begreifen ist. Es geht um die Erfahrung des Abschieds. Solche Erfahrungen treiben ja immer wieder mit uns sinnlose erscheinende Spiele.

 

Ich denke da an Beziehungen, die einen Bruch erlebt haben. Wenn sich ein Partner trennt, werden Verlassene in Gedankenkreise hineingezogen, aus denen es schwerfällt, heraus zu kommen. Im Wochenendmagazin des Nordbayerischen Kuriers[i] schreibt Bettina Levecke: „Statt (…) den Schmerz zu bearbeiten, neigen Liebeskummer-Geplagte dazu, den Ex über die sozialen Medien zu beobachten, teilweise regelrecht zu verfolgen.“[ii] Sieht man zum Beispiel, dass der Verflossene nachts online ist – bei etlichen Netzwerken wird das sichtbar -, wird dann interpretiert, dass er schon wieder jemand Neues hat.

 

Ich denke bei Abschied aber auch an manche Kinder, die mit ihren Eltern gebrochen haben und jeglichen Kontakt meiden. Immer wieder versuchen die Verlassenen Kontakt herzustellen und werden umso heftiger zurückgewiesen, je intensiver sie ein Wiedersehen erzwingen wollen.

 

Die liebende Seele hat ja wie eine Ranke kleine Äste, die nach Greifbarem suchen. Die Liebe geht aber hier ins Leere. Das Gefühl der Ohnmacht und dann auch der Wut und Rache stellt sich ein. Weit ist man dann von der Trauer entfernt, die einen Abschied ermöglichen könnte.

 

IV. Jesus der Seelsorger

 

 

Den Jüngern fiel es schwer, einen Lebenden unter den Scheidenden zu wissen. Wie sollten sie ihn für tot halten, wenn er doch vor ihnen war? Und doch verhält es sich bei Trennungen und Brüchen zwischen Menschen genau in dieser Weise. Der andere lebt, ja freut sich womöglich an einem schönen neuen Leben, wie es im Predigttext mit Blick auf die Welt anklingt (Vers 20); für den Verlassenen ist der Abtrünnige oder Geschiedene aber unerreichbar, ja wie tot.

 

Es geht um die Zeit der kleinen Tode, Abschiede und Trennungen. Jesus erweist sich in unserem Text als Seelsorger. Er wiederholt zunächst nur das Fragen und die Unverständnis der Jünger, ohne eine Antwort zu geben. Behutsam macht er mit der Trauer vertraut, die nötig ist, um zu einer unverlierbaren Freude vorzustoßen. Jesus verlegt die Trauer zunächst in die Zukunft: „Ihr werdet weinen und klagen…“ (20).

 

Dann sollen Bilder helfen, die Situation zu fassen: Eine Gebärende hat Schmerzen, die aber dann vergessen sind, wenn einmal das neue Leben auf dem Bauch liegt. – Freilich auch Bilder haben ihre Grenzen und Fallstricke: Manche junge Mutter kommt ja auch in eine Traurigkeit nach der Geburt. Aber was versucht ein Seelsorger nicht alles, den Verletzten mit der unvermeidlichen Situation vertraut zu machen, dass unsere Macht über andere an ihre Grenzen stößt. Mithin gilt es, die Abschiede, kleinen Tode und die eigene Ohnmacht zu akzeptieren, um damit der Wut den Nährboden zu nehmen.

 

V.  Panorama des Auferstandenen

 

Nach diesem Bild von der Geburt erst macht Jesus die Jünger mit ihrer Trauer vertraut: Und auch ihr habt nun Traurigkeit…(V.22). - Jesus sprach beim Einzug in Jerusalem von Nachfolge. Die Nachfolge ans Kreuz, den Ort der Ohnmacht (12,26) war gemeint. Es geht darum, diese Ohnmacht auszuhalten, weil es in unserem Leben um ein Leben mit Gott geht. In ihm finden wir zur Ehre, Würde und Liebe, die uns andere vorenthalten.

 

Jesus ist der, der uns auf diesen Weg des Abschieds aber auch der Freiheit mitnehmen will. Es geht ihm, weniger um unser Sehen, wie das Beispiel des Thomas am Ende des Evangeliums zeigt (20,29), sondern um unser Vertrauen auf seine Zusage hin: Ich will euch wiedersehen.

 

ICH will euch wiedersehen, heißt es in unserem Predigttext. Wenn bei Johannes das ICH Jesu erklingt, dann darf der Hörer in diesem ICH Gott hören. Denn im vierten Evangelium heißt es: Ich und der Vater sind eins (10,30). Gott unser Schöpfer will uns wiedersehen. Diese Zusage soll Kraft geben, die Welt und alles was in ihr ist loszulassen.

 

Ich will EUCH wiedersehen. Es geht nicht nur um eine individuelles Wiedersehen, wie man es an einem Bahnhof beobachten kann, wenn lang voneinander Getrennte sich wieder in den Armen halten können. Es geht um eine Freude in der Gemeinschaft der Glaubenden. Das EUCH verweist auf viele andere, die Jesu Kreuzweg und Einsamkeit mitgehen. Es hilft in der Liebesnot vielleicht einmal den Blick zu heben, wieviel Menschen mit uns das gleiche Schicksal der Ohnmacht, Wut und dann Trauer teilen. Wir sind eine Weggemeinschaft hin zu einer unverlierbaren Freude beim Schöpfer.

  

Ich will euch WIEDERSEHEN. Dieses Wiedersehen ist mehr als ein humorvoller Umgang mit einem Missgeschick, wie es mein Vater mit dem einsinkenden Stuhl erfahren hat. In Jesus hat jemand das Weltgeschehen, die Omnipräsenz des Todes und seine Wirkweisen durchschaut. Er hat die Verlustängste, Ohnmachtsgefühle, Wut und Trauer im Garten Gethsemane am eigenen Leib durchlitten. Dieses Wiedersehen, das Jesus uns vor Augen stellt, ist ein Panorama Gottes, das die Welt nicht richten, sondern aus Wut und Krieg retten möchte. Mit Jesus die Ohnmacht aushalten führt in eine unverlierbare Freude. Darauf sollen wir im Leben wie im Sterben vertrauen.

 

Amen.


[i] Bettina Levecke, dpa-Meldung in: Nordbayerischer Kurier, 6.5.2017, 46.

[ii] Ebd.



Autor: Pfarrer Martin Kleineidam