Predigt zur Wiedereinweihung der Stadtkirche in Bayreuth

Matthäus 21,1-9


Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.« Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und er setzte sich darauf. Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

 

Liebe Gemeinde hier in der Stadtkirche in Bayreuth, in der Spitalkirche und an den Livestream-Bildschirmen,

 

der heutige Tag ist ein Festtag nicht nur für diese Gemeinde. Er ist ein Festtag für unsere ganze Kirche und für die ganze Stadt. Nach acht Jahren wird die Stadtkirche heute wieder eingeweiht. Viele Menschen haben viel Liebe, viel Zeit und auch viel Geld investiert, damit dieser Tag heute möglich wird, damit diese Kirche in neuem Glanz erstrahlt und uns alle heute mitstrahlen lässt.

Mit guten Gründen ist auch viel öffentliches Geld in die Renovierung dieser Kirche investiert worden. Das ist allein schon deswegen gerechtfertigt, weil es sich bei der Stadtkirche um ein Gebäude von großer kulturhistorischer Bedeutung handelt, das aus dieser Stadt nicht wegzudenken ist. Aber es gibt einen noch viel tieferen Grund: eine Stadt braucht eine Seele! Und eine Kirche wie die Stadtkirche, die wir heute wiedereinweihen, steht wie wenig anderes für diese Seele der Stadt.

Ein Gemeinwesen wäre arm, wenn es sich immer nur noch um sich selbst drehen würde. Wenn es nur noch um die jeweiligen eigenen Interessen ginge. Wenn jeder nur noch versuchen würde, sein eigenes Schäfchen ins Trockene zu bringen. Wenn es nur noch um den Konsum ginge und das Bummeln das Beten ersetzen würde. Eine Stadt braucht Orte, an denen innegehalten wird, an denen bereut wird, an denen vergeben wird, an denen gebittet wird und an denen gedankt wird. Eine Stadt braucht Orte, an denen viele Stimmen das Lob Gottes singen, an denen Posaunenchöre dieses Lob in ihre Instrumente hineinblasen und an denen die Musik der Streicher und der mächtige Klang der Orgel den Menschen das Herz öffnet, so dass sie die Kraft des Gottes spüren, der uns alle geschaffen hat und uns jeden Tag begleitet und erhält.

Heute, liebe Gemeinde, dürfen wir das alles in einer Fülle erfahren, die uns im Herzen bleiben wird. An diesem Gottesdienst, an der Liebe, mit der er vorbereitet worden ist, an der Menge der Menschen, die hier und in der Spitalkirche und an den Bildschirmen daran teilnehmen, kann man erkennen, dass die Seele dieser Stadt lebt. Und ich verhehle nicht, dass es mir selbst auch ganz persönlich eine große Freude ist, dass ich nun meinen ersten Gottesdienst im neuen Amt als EKD-Ratsvorsitzender hier in Bayreuth halten darf, der Stadt, die für meine eigene Familiengeschichte eine so zentrale Bedeutung hat.

Kirchengebäude stehen für die Seele einer Stadt. Aber wir wissen alle, dass die Seele auch vergiftet werden kann. Und wir bekennen, dass auch die Kirchen vor solcher Vergiftung nicht gefeit waren. Wir haben in diesem Jahr zahlreiche Gedenktage gefeiert, die uns daran erinnert haben, wie anfällig wir als Kirchen für solche Vergiftung sind. Vor Hundert Jahren trieben Nationalismus und Militarismus unser Volk in einen Weltkrieg, der unendliches Leid anrichtete und dem viele Millionen Menschen zum Opfer fielen. Und anstatt dagegen zu protestieren und zur Kraft der Versöhnung zu werden, stimmten die Kirchen an vielen Orten in die Kriegspropaganda mit ein und wirkten mit an der Vergiftung der Seelen.

Und am 9. November haben wir nicht nur 25 Jahre Mauerfall gefeiert, sondern auch der Ereignisse in der Reichspogromnacht vor 76 Jahren gedacht, in der überall in Deutschland Synagogen angezündet und jüdische Menschen gedemütigt und misshandelt worden sind. Und anstatt den Brüdern und Schwestern des Juden Jesus zur Seite zu stehen, haben Christen geschwiegen oder sogar eingestimmt in die Hohnrufe. Ja, Kirchen als Orte der Seele einer Stadt können auch vergiftet werden.

Deswegen ist die Geschichte, die uns heute am 1. Advent als Predigttext mit auf den Weg gegeben ist, eine so rettende, eine so zurechtrückende, eine so heilsame Geschichte! Ich könnte mir keine kraftvollere Geschichte für die Wiedereinweihung einer Kirche vorstellen als die Geschichte von Jesu Einzug in Jerusalem. Denn es ist die große Entgiftungsgeschichte! Sie ist wie das Serum, das wir nach dem Biss der Schlange aufnehmen und das uns wieder heil macht. Sie ist die Tür, die sich uns öffnet, wenn wir in uns selbst gefangen sind, wenn die Sünde uns im Griff hat und wir einfach nicht herausfinden. Es ist das Tor, das sich öffnet in die Freiheit!

Ein Mann zieht in Jerusalem ein. Er kommt nicht mit militärischem Zeremoniell, er kommt nicht auf einem Prunkwagen daher gefahren. Er wird auch nicht auf einer Sänfte getragen. Er reitet auf einer ärmlichen Eselin in die Stadt ein. Und obwohl dieser Mann so ohne jede äußere Pracht kommt, spüren die Menschen, welche Kraft von ihm ausgeht. Sie breiten ihre Kleider auf den Weg; sie schneiden Zweige von den Bäumen und legen sie auf die Straße. Und sie rufen: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

 

Teil II nach dem Werk von Otto Olssen (1879-1964) "Advent" für Chor und Orgel

 

Die Menschen rufen: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Der Chor hat eben in diesen Ruf eingestimmt. Und wir alle haben zu Beginn des Gottesdienstes auch mit eingestimmt: „Macht hoch die Tür die Tor macht weit! Es kommt der Herr der Herrlichkeit!“

Wir haben eingestimmt, weil wir am heutigen Tage sagen: Ja, Jesus, zieh in diese Kirche ein, so wie du damals nach Jerusalem eingezogen bist! Lass deinen Geist hier in dieser Kirche wohnen und lass deinen Geist in unseren Herzen wohnen! Vertreibe die bösen Geister, die sich immer wieder in unseren Kirchen und in unseren Herzen einnisten wollen und mache uns neu. Wir wissen, dass die Menschen in Jerusalem, die Hosianna geschrien haben, nur wenig später „Kreuziget ihn!“ gerufen haben. Wir wissen, dass wir nicht anders sind. Deswegen bitten wir dich: Zieh immer wieder von neuem bei uns ein. Sei du gerade darin unser Heiland, dass du uns auch in unseren Irrtümern nicht fallen lässt. Heile unsere kranken Seelen! Bring Klarheit in unseren getrübten Verstand! Öffne unsere Augen, dass wir den Nachbarn in Not sehen! Wecke unsere müden Glieder, dass wir ihm zu Hilfe eilen! Öffne unsere Münder, dass wir dich loben für den reichen Segen, den du in unser Leben gibst und singen „Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“

Liebe Gemeinde, das alles dürfen wir dem Herrn entgegenrufen, der heute in diese Kirche einzieht. Und wenn in dieser Kirche gepredigt, gebetet und gesungen wird, dann werden wir uns daran erinnern, wer es ist, der in diese Kirche eingezogen ist und der immer wieder in sie einzieht. An fünf Merkmalen können wir ihn erkennen:

Es ist keiner, das ist das erste Merkmal, der alles im Griff hat, keiner, der die Kontrolle hat. Sondern einer, der sich verletzlich macht, dessen Macht in der Ohnmacht sichtbar wird, der als Folteropfer am Kreuz stirbt, der den Menschen genau dadurch nahe ist, dass er ihr Leiden und ihre Ohnmacht teilt. Wer die Bilder von den Opfern von Krieg und Gewalt sieht, wer in die Gesichter der Kinder in den Flüchtlingslagern der Welt schaut, der weiß ganz genau, dass Gott da ist. Mittendrin. Gekreuzigt zusammen mit all den anderen Gekreuzigten dieser Erde. Wo sie sind, da ist Christus auch.

Deswegen ist das zweite Merkmal, an dem wir ihn erkennen können, der Vorrang für die Armen. Wo die Hungrigen gespeist werden, den Durstigen zu Trinken gegeben wird, wo die Fremden aufgenommen, wo die Nackten gekleidet werden, wo die Kranken besucht und die Gefangenen aufgesucht werden, da ist Christus. Deswegen, wenn ihr wissen wollt, ob wirklich Christus in eure Kirche einzieht, dann schaut auf die Hungrigen, die Durstigen, die Fremden, die Nackten, die Kranken und die Gefangenen!

Das dritte Merkmal, an dem ihr den Geist Jesu Christi erkennen könnt, ist die Versöhnung, ist die Überwindung der Gewalt. Und ich sage das mit besonderem Nachdruck, weil ich selbst ja, schweren Herzens, aber wohlüberlegt, für den militärischen Schutz der unmittelbar bedrohten Christen und Jesiden im Nordirak eingetreten bin. Dass Menschen mit Gewalt geschützt werden müssen, ist immer eine Niederlage, es kann nie eine Lösung sein. Es verpflichtet uns umso mehr, den Weg der Feindesliebe ernst zu nehmen, den der Bergprediger uns gelehrt hat und wirklich alles zu tun, damit es eben gar nicht zu einer Situation kommt, in der wir so oder so Schuld auf uns laden.

Der Weg dazu – und das ist das vierte Merkmal – ist, dass wir jeden Menschen als gutes Geschöpf Gottes sehen, selbst dann, wenn er in die Irre geht. Auch der schlimmste Verbrecher verliert seine von Gott zugesprochene Würde nicht und verdient deswegen Achtung und Respekt. Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch, sagt Jesus in der „Goldenen Regel“. Deswegen: Schreibt die Jugendlichen, die der IS-Propaganda auf den Leim gehen, nicht ab. Öffnet ihnen die Türen zurück in eine zivile Gesellschaft und zeigt ihnen genau dadurch, wie wunderbar es ist, in einem Land zu leben, in dem die Würde des Menschen geachtet wird!

Und schließlich – das ist fünfte Merkmal: Der Gekreuzigte ist auferstanden! Verliert niemals die Hoffnung! Denn Gott hält diese Welt in seiner Hand. Die Gewalt wird nicht das letzte Wort haben! Am Ende werden die Tränen abgewischt. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Selig – sagt der Mann auf der Eselin – sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden! Wo du dem Mann, der durch die Tore von Jerusalem in die Stadt eingezogen ist, dein Herz öffnest, wo du ihn in dein Herz einziehen lässt, da ist das Dunkel überwunden. Da wird es hell! Denn er hat das Dunkel des Todes überwunden und nimmt dich mit ins Licht!

Liebe Gemeinde, wenn ihr hier in dieser Kirche Gottesdienst feiert, wenn ihr hier in der Gemeinde und in der ganzen Stadt lebt und wirkt, dann achtet darauf, dass es der Geist Jesu Christi ist, der euch leitet. Sucht ihn bei den Verletzten und Ohnmächtigen. Tretet für die Armen und Schwachen ein. Seid Friedensstifter und überwindet die Gewalt. Streitet, wo immer ihr könnt, für die Würde des Menschen. Und verliert nie die Hoffnung! Freut euch, dass Christus auferstanden ist und ihr auf einen neuen Himmel und eine neue Erde zugeht!

Das alles, liebe Gemeinde, dürfen wir mitnehmen, wenn wir heute diese Kirche wiedereinweihen. Das alles wird uns nach diesem Festtag bleiben, weil wir jetzt den Heiland in unser Herz einziehen lassen. Das alles macht unser Leben hell, wenn wir nun weitergehen. Nichts kann uns mehr trennen von der Liebe Gottes – in Zeit und in Ewigkeit.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN

 

 

 



Autor: Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD