Sehnsucht nach Heil

Matthäus 11, 2-6


Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt .

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus!

 

Liebe Gemeinde!

Heute brennen schon drei Kerzen am Adventskranz. Weihnachten steht vor der Tür und wir bereiten uns darauf vor. Wir besuchen Weihnachtsmärkte und –Konzerte, schreiben Briefe, überlegen und kaufen Geschenke, packen Päckchen. Es gibt ja immer einiges zu tun, während wir auf Weihnachten warten. – Doch halt – mit dem Warten ist das so eine Sache. Manche Leute meinen, dass Kinder besonders schlecht warten können. Aber vielen Erwachsenen fällt das gerade in der Adventszeit auch schwer. Am 6. Dez. hatte Herr Reuter gerade die Krippe hier fertig aufgebaut, als ein Mann zu mir und anderen Kirchenbesuchern kam. Er sagte: „Die Krippe ist ja schön, aber da fehlt doch noch das Wichtigste – das Jesuskind.“

„Wir haben ja auch noch nicht den 24. Dezember“ sagte die Frau neben mir. Und ich fügte hinzu, dass wir das Krippenkind hier erst an Weihnachten in die Krippe legen. „Ja, meinen Sie dann, dass ich meinen Jesus zu Hause wieder aus der Krippe herausnehmen soll?“ fragte der Mann. „Das können Sie machen, wie Sie wollen, - aber ich würde noch bis Weihnachten warten“, sagte ich. – „Aber da bin ich ja kurz danach schon weg“ antwortete der Mann;  er verwies auf die Krippen in der Stadt und meinte, er lasse das Kind lieber in der Krippe drin.

Nun, mit dieser Einstellung ist er ja nicht allein. Festlicher Weihnachtsschmuck prangt sogar schon lange vor der Adventszeit in einem großen Einkaufszentrum, allerorten hört man jetzt Weihnachtslieder. Manche Leute stellen auch ihren geschmückten Weihnachtsbaum schon Anfang Advent auf.

Ich habe nach der Szene mit dem Krippenkind nachgedacht, warum das Warten auf Weihnachten abnimmt und das Fest oder zumindest Teile davon vorverlegt werden. – Vom Kirchenjahr her ist die Adventszeit ja eigentlich als Buß- und Vorbereitungszeit, nicht als Feierzeit gedacht. Sicherlich liegt es zum Teil an unseren Konsum-Gewohnheiten. Ob Läden oder Winterdorf – bei Weihnachtsstimmung lassen sich die Waren eben besser verkaufen.

Aber warum ist das so? – Ich denke da liegt etwas Tieferes zugrunde: Die Sehnsucht nach Glanz, nach Glück, nach Heil – all das, was man mit einem gelungenen/guten Weihnachten verbindet. Und um das länger zu haben, nicht nur am W.-Fest selbst oder kurz danach, wenn viele in den Urlaub fahren, holt man sich die Weihnachtsstimmung schon in die Adventszeit hinein.

Auch manche Adventslieder spiegeln diese Sehnsucht, Weihnachten schon da zu haben, wider. Bei „Es kommt ein Schiff geladen“ handeln Strophe 3 und 4 quasi auch schon vom weihnachtlichen Geschehen, freilich mit weiterem Ausblick auf das Heil, was von Jesu Passion und Auferstehung herkommt.   (Der Anker haft´ auf Erden, da ist das Schiff an Land. Das Wort will Fleisch uns werde, der Sohn ist uns gesandt. – Zu Bethlehem geboren im Stall ein Kindelein, gibt sich für uns verloren; gelobet muss es sein.)

 

In unserem Predigttext für heute geht es auch um die Sehnsucht nach Heil, konkret um die Sehnsucht nach dem Heiland, dem Messias, der Heil und Frieden bringt. Das Stichwort „warten“ kommt ebenfalls vor. Ich lese noch einmal Mt. 11, 2-6:

Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt .

 

Johannes der Täufer, der selbst Jesus getauft hatte, war sich nicht sicher. Damals als Jesus zu ihm an den Jordan gekommen war, um sich taufen zu lassen, hatte Johannes eine sehr hohe Meinung von ihm: “Eigentlich müsste es umgekehrt sein“, sagte er zu Jesus, „ich müsste mich von dir taufen lassen.“  - Doch dann wurde er eingesperrt, weil er Klartext geredet hatte, und dem König Herodes seinen Ehebruch vorgeworfen hatte. Im Gefängnis hatte er zwangsläufig viel Zeit zum Grübeln. Und schließlich richtete er Jesus die Frage aus, die ihn beschäftigte: Bist du der, der kommen soll, bist du der Messias oder nicht?

Vielleicht vermissen Sie, liebe Gemeinde, in Jesu Antwort ein klares: „Ja, ich bin der Messias“. Jesus antwortet indirekt. Er verweist auf die Kranken, die er geheilt hat, auf Tote, die auferweckt wurden und auf die Armen, denen die gute Botschaft verkündigt wird. Was will er damit sagen?

Für Johannes und seine Jünger war die Bedeutung klar, sie lebten in der Tradition der Hebräischen Bibel, unserem Alten Testament. Und was Jesus von den Blinden, Tauben und Lahmen, der Totenauferweckung und den Armen sagt, das sind alles Zitate aus der hebr. Bibel, aus dem Buch des Propheten Jesaja. Die aufgezählten Taten sind dort alle Zeichen für die neue Zeit, Zeichen für die Heilszeit. Jesus sagt den Johannes-Jüngern also verschlüsselt: “Was der Prophet über die heilvolle Zukunft vorausgesagt hat, ist passiert und passiert weiter vor euren Augen und Ohren: Ich, Jesus, vollbringe die Taten, die Zeichen für die Heilszeit sind. Johannes und ihr könnt euren eigenen Schluss daraus ziehen.“ - Das gilt auch für uns, auch uns ist es überlassen, unseren eigenen Schluss zu ziehen aus Jesu Worten und Taten.

 

„Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“, anders übersetzt: „Glücklich ist, wer nicht an mir Anstoß nimmt“ - so schließt Jesus seine Antwort ab. Was an Jesus war für andere ärgerlich? Verschiedene Kranke, zum Beispiel Blinde, zu heilen oder die Tochter des Synagogen-Vorstehers zum Leben zu erwecken, wie es in Mt 8 und 9 erzählt wird, das ist doch erfreulich, sollte man meinen. Doch Jesus erregte sehr wohl Anstoß – etwa bei den Gelehrten seiner Zeit. Als einmal ein Gelähmter zu Jesus gebracht wurde, sagte er zunächst zu ihm: „Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben.“  Da sprachen die Schriftgelehrten unter sich: „Wer kann Sünden vergeben, außer Gott selbst?  Dieser Jesus setzt sich an die Stelle Gottes, er lästert Gott.“ Jesus las ihre Gedanken und sagte zu ihnen: „Was ist leichter zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben oder: Steh auf und geh umher. Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden Sünden zu vergeben“ – sprach er zu dem Gelähmten: Steh auf, nimm dein Bett und geh heim. Und er stand auf und ging heim. – Lahme gehen, Tote stehen auf, Armen wird die frohe Botschaft gepredigt.

Jesus hat sich in vielfältiger Weise für die Armen und Schwachen seiner Zeit eingesetzt, für Kinder, für Leute wie Zachäus oder die Ehebrecherin. Doch sein Anspruch, im Namen Gottes zu handeln und seine Taten voller Vollmacht ärgerten seine Gegner.

 

Wie Johannes damals die Antwort Jesu aufnahm und welchen Schluss er daraus zog, ist uns nicht überliefert. Wir wissen nur, dass Herodes ihn schließlich enthaupten ließ. Doch es ist nicht unwahrscheinlich, dass er mit der Überzeugung starb, dass der von ihm getaufte Jesus der Messias ist.

Aber wie ist das nun für uns mit dem Messias, mit Christus? (Die Worte bedeuten ja dasselbe, einmal auf Hebräisch, einmal auf Griechisch: Gesalbter Gottes). Jesus ist als Messias in die Welt gekommen, doch es gibt immer noch Leid und Elend, in unserer näheren wie weiteren Umgebung. Es gibt Terrorakte und Kriege. Das erregt bei uns Anstoß; Fragen und Zweifel tauchen auf. – „Sollen wir auf einen anderen warten?“

Wenn wir, liebe Gemeinde, für uns trotzdem den Schluss ziehen, dass Jesus der erwartete Messias war, dann bedeutet das: Wir müssen die Spannung aushalten, dass das Heil in dieser Welt noch nicht vollkommen ist, dass nicht alles Elend beseitigt ist, es immer noch Gewalt und Krieg gibt. Wenn wir an Jesus als den Christus glauben, dann glauben wir an einen der nicht äußere gewaltvolle Macht demonstrieren will, etwa durch einen spektakulären Kriegszug oder ein machtvolles Dreinschlagen. Wir glauben an einen, der sich nicht selbst darstellen will, wie es so manche Herrschende heute tun. Wir glauben an einen, der sich von den Mächtigen nicht einschüchtern lässt, der mutig und entschieden seinen Weg geht, an einen, dem in besonderer Weise die Armen und Schwachen am Herzen liegen.

Dem also auch wir am Herzen liegen. – Denn obwohl wir materiell gesehen nicht zu den Armen der Welt zählen, so fehlt es uns doch immer wieder an anderem. Der eine ist arm an Zuwendung seiner Mitmenschen, der anderen fehlt es an der Kraft, das zu schaffen, was sie vorhat, der 3. hat keine Arbeit. Die vierte hat das Gefühl, ihr läuft die Zeit davon, der fünfte hat zwar Geld, ist jedoch schwer krank.  Es gibt viele Arten arm, oder – in biblischen Worten „mühselig und beladen“ zu sein. Jesus hat Menschen zu seinen Lebzeiten geheilt und ihnen Heil gebracht. Auch für uns gilt, was er sagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“

 

Liebe Gemeinde, ich denke, entscheidend ist nicht, ob das Krippenkind schon in der Krippe liegt oder nicht. Die verschiedenen Arten, sich vorzubereiten und zu feiern, sind ja Äußerlichkeiten. Freilich habe ich mich gefreut, dass bei einem Orchesterkonzert am 9. Dez. extra nicht wie in manch vorigem Jahr das Weihnachtslied „O du fröhliche“ gespielt und gesungen wurde, sondern das Adventslied „Macht hoch die Tür“. Denn meine Familie begeht das eigentliche Fest  - wie viele – erst an Weihnachten. Und danach geht für uns die weihnachtliche Freudenzeit bis weit in den Januar. (Auch in den Kirchen werden die Christbäume ja meist erst zu Lichtmess, also dem 2. Febr. abgeräumt. )

Doch nicht bestimmte Daten oder Kalender sind maßgeblich,  - da sind die christlichen Traditionen weltweit  sowieso unterschiedlich. In Russland etwa feiert man seit jeher Weihnachten am 6. Januar. Entscheidend ist, wie ich finde, ob wir diesen Jesus als Messias an uns heranlassen, ob wir nicht nur Glitzerstimmung und ein schönes weihnachtliches Gefühl suchen, sondern wahres Glück und Seligkeit.

Mit der Sehnsucht nach ihm im Herzen kann es sein, dass wir etwas von seinem Heil spüren. Vielleicht erfahren wir dann, dass wir plötzlich etwas sehen können, wofür wir vorher blind waren. Wir sehen dann auf einmal sog. Kleinigkeiten, die uns mit großer Freude erfüllen, z.B. eine kleine Kerze oder das Lächeln eines Menschen. Oder wir können  jemanden mit anderen Augen sehen. Oder wir sehen Licht in der Dunkelheit, für das unsere Augen vorher verschlossen waren. Möglicherweise kommen wir plötzlich weiter, obwohl es davor „nicht mehr ging“ oder wir wie gelähmt waren. Wir merken, dass wir auf einmal hören können, dass wir anderen gut zuhören können, während wir bisher für manches taub waren. Es kann sein, dass wir von Musik – Gesang oder Instrumentalmusik – so bewegt werden, dass wir Gottes heilvolles Wirken tief in uns drin spüren.

 

In dem Lied „Macht hoch die Tür…“ heißt es: „…ein König aller Welt zugleich…, der Heil und Leben mit sich bringt“. Wenn wir an Jesus als den Christus glauben, erfahren wir schon hier etwas von dem Heil und dem Leben erfahren, die dieser König mit sich bringt. (Womöglich erahnen wir auch die Dimensionen seines Heils, die für uns nicht greifbar sind.)

Ich wünsche Ihnen noch eine gute Zeit bis zum Fest der Geburt von Jesus.

Amen.

 

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

 

 

 



Autor: Anne-Kathrin Kapp-Kleineidam