Das liegende Kind

Lukas 2,1-10


Liebe Gemeinde,

 

I. Festfreude im Oberfränkischen

 

Verheißungsvolle Festfreude kündigt sich an, wenn die ersten zwei Takte des Weihnachtsoratoriums erklingen. Die Pauke hat ihr großes Solo am Anfang der Bachschen Kantate zum ersten Weihnachtsfeiertag. Vier Töne im bassigen „d“ und dann noch eine Quart abwärts zum „a“. Eine jubilierende Schar von Instrumenten mit fliegenden Geigen, trillernden Oboen und Flöten, schmetternden Trompeten, schnarrenden Fagotti sowie bewegten Celli und Kontrabässen sagen den himmlischen König, den Heiland an. Und dann setzt der Chor vierstimmig mit einer Stimme ein: Jauchzet, frohlocket. So habe ich es letzten Sonntag mit vielen Sängerinnen und Sängern auch in einer kleinen oberfränkischen Stadt gesungen, als ich als Aushilfstenor angefragt wurde. Mit allen Musizierenden habe ich versucht, die Zuhörenden dazu zu bewegen, die Klagen zu verbannen, das Zagen zu lassen, die Tage zu preisen, ja zu frohlocken. Kaum war der Schluss des ersten Satzes im strahlenden D-Dur verklungen, - die heiligen Verse: „Stimmet voll Jauchzen und Fröhlichkeit an!“ lagen noch im Raum, - da schaute ich in die Gesichter der Menschen. Und was sah ich: Herunter gezogene Mundwinkel, versteinerte Gesichter, ernste oder traurige Augen, nirgendwo war auch nur der Hauch eines Lächelns zu sehen. Hatten wir nicht überzeugend gesungen? Müssten die Christen nicht erlöster, fröhlicher dreinblicken wie schon der Philosoph Nietzsche meinte?

 

II. Botschaft von einem anderen Stern:

 

„Fürchtet Euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der HEILAND geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ Die Botschaft der großen Festfreude,  ist sie von einem fremden Stern?

Lukas ließ den Engel die weltberühmte Weihnachtsgeschichte in den Jahren sagen, als der römische Feldherr und spätere Kaiser Titus während des jüdischen Krieges täglich mehr als 500 vor Hunger flüchtender Juden außerhalb der Stadtmauern Jerusalems geißeln, foltern und dann kreuzigen ließ, um die Widerstandskraft der Belagerten zu schwächen. Diese himmlische Geschichte wurde später gelesen, als die Pest im Mittelalter ihre Opfer suchte, als der Dreißig Jährige Krieg (1618-1648) Europa um die Hälfte seiner Menschen brachte oder als vor 100 Jahren deutsche und französische Soldaten sich feindlich in den Schützengräben gegenüberlagen. Zwar geht es uns bei weitem nicht so schlecht wie all diesen Elenden der Vergangenheit. Aber die Rückfrage an die Philosophie sei schon erlaubt: Müssen Gläubige eigentlich immer fröhlich dreinblicken? - Augenscheinlich geht es uns gut. Wir haben zu Essen, seit knapp 70 Jahren Frieden über unserem Land, in der Regel ein Dach über dem Kopf und jede Bundesbürgerin und jeder Einwohner gibt durchschnittlich 286.- € für Weihnachtsgeschenke aus, wie die Gesellschaft für Konsumforschung uns dieser Tage wissen lässt. Und doch fragen wir uns mit Blick auf manche Gesichter: Was schenkt uns ein frohes Gemüt?

 

III. Was uns an der Freude hindert

 

Es geht mir beim Hören der Weihnachtsgeschichte, beim Anblick des Weihnachtsschmuckes hier in der Kirche, beim Klang der Oboe heute gar nicht um ein äußerlich sichtbares Lächeln. Immer noch erlebe ich, wie sich Gläubige da von Nietzsche auf das Glatteis führen lassen und ein gekünsteltes Lächeln aufsetzen, was nur noch mehr Widerwillen, ja Abscheu der Atheisten nach sich zieht. Es geht vielmehr um die innere Freude, um das äußerlich kaum wahrnehmbare Leuchten eines Menschen. Was will unserer Seele diese Fröhlichkeit stehlen? Schauen wir in die Weihnachtsgeschichte: Die Hirten waren voller Furcht beim Auftreten des Engels. Trommelwirbel und Fanfaren wie bei Bach kündigten damals einen Kaiser an. Musste das Volk auf dem Felde neuerliche, nun himmlische Gewalt fürchten? Hatten sie sündenfrei gelebt? Waren sie der göttlichen Botschaft würdig? Mussten sie sich ein Gewissen machen? - Wir singen nachher von „unserer Nacht“. Was verfinstert unser Herz? Es ist allzumal unser eigenes schlechtes Gewissen, das uns belastet. Es schwatzt: Müssten wir nicht der einsamen Nachbarin zu Weihnachten Gesellschaft leisten? Müssten wir nicht intelligent für den Weltfrieden sorgen? Müssten wir nicht „Brot für die Welt“ mit ein paar Scheinen bedenken? Müssten wir nicht bei den Kindern oder Enkeln unter dem Weihnachtsbaum für Gerechtigkeit und Gleichheit sorgen? Kümmern wir uns als christliche Gemeinde ausreichend um Flüchtlinge? Müssten wir in Bayreuth den Leuten von Pegida in diesen Tagen nicht großartige Gegendemonstrationen entgegensetzen? Müssten wir es heute nicht richtig festlich zu gehen lassen? Müssten wir nicht, müssten wir nicht…

 

IV. Der dreimal liegende Christus

 

Geliebte weihnachtliche Gemeinde, diese Anforderungen sind ja nicht falsch. Und zu anderer Stunde werden Sie ja auch dazu eingeladen, sich über Schöpfung bewahren, Frieden und Recht im Rahmen des Reiches Gottes, das das Krippenkind später verkündet hatte, Gedanken zu machen. Aber jetzt einmal nichts davon. Sonst verpassen wir alle mit einander das Wesentliche des Weihnachtsfestes: Der Engel hat es gesagt. „EUCH ist heute der Heiland geboren!“ Er hat nicht nach dem ethischen Vorleben der Hirten gefragt. „Seid ihr auch schön brav gewesen?“ Habt ihr auch allen Eure Verwandten Weihnachtspost geschickt? Nein! Fürchtet euch nicht! Sagte er. Fürchtet keine inquisitorischen Fragen und keine Gewissensprüfung. Allem Volk soll es widerfahren, Christus ist der Herr. Er macht Dich zu einem Kind und Boten Gottes. Ich werde an diesem heutigen Abend mit unseren vielen Mitarbeiterinnen, Musizierenden und Mesnern bis in die Nacht hinein nicht müde, diese Liebesbotschaft Gottes an unsere Gemeinde auszurichten; an die, die sich ohnehin um vieles kümmern und sorgen gerade an diesen Festtagen. Bitte nehmen Sie das Kind, das lediglich in der Krippe lag, als Zeichen des Engels. Das gewickelte Bündel Leben tat nichts weiter als Liegen. Dreimal wird in dem Evangelium des Lukas vom liegenden Jesus geredet. Einmal in der Weihnachtsgeschichte, ein andermal im Boot, als die Jünger mit den Stürmen des Lebens kämpften und dann zum Dritten im Grab, als die Feinde triumphierten, die Jünger sich verflüchtigten und die Frauen trauerten. Nehmt den liegenden Jesus als Zeichen. - Aber für was eigentlich?

 

V. Das liegende Kind als Zeichen des Glaubens

 

Dieser liegende Jesus ist doch ein Zeichen des Glaubens. Er ist für den Glaubenden ein Wegzeichen der eigenen Seligkeit, der Fröhlichkeit, des inneren Jauchzens und Frohlockens. Der Glaubende lässt eigentlich lediglich die Botschaft des Engels von vor 2000 Jahren für sich gelten: Euch, Ihnen, Dir und mir ist heute der Heiland geboren. Bevor wir an Fragen der Gerechtigkeit, des Friedens und an das richtige christliche Maß an Freiheit denken, sollten wir wie Maria diese goldenen Worte des Engels in unserem Herzen bewegen. Das Zagen, das aus dem schlechten Gewissen hervorgeht, sollen wir verbannen. Das Hadern mit uns selbst, das Klagen über die Umstände, die wir für mancherlei Scheitern mit verantwortlich machen, all diese höllischen Feuer des Gewissens dürfen wir in dieser Nacht zum Schweigen bringen, weil Gott uns ohne unser Zutun liebt und uns Leben schenkt.

Nehmen Sie den liegenden Jesus als Zeichen heute mit nach Hause.

Es vergeht kaum eine Woche in der ich mich nicht auch einmal auf den Boden lege; einfach spüre, dass Gottes Erde mich trägt, ohne mein Zutun. Nehmen Sie sich doch die Freiheit und legen Sie sich einfach auf den Boden. Nehmen sie wieder Kontakt auf, zu dem Grund, der ihnen von Gott geschenkt ist. Spüren Sie wieder, wie der Atem einfach einströmt, die Luft einfach für sie da ist. Und wenn Sie einen Weihnachtsbaum haben, legen Sie sich doch einmal da drunter, so dass Sie den Glanz über sich sehen können. Der ist für Sie da; denn Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Amen Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

 

 



Autor: Martin Kleineidam