Annahme - Predigt zur Jahreslosung 2015

Römer 15,7


Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.

 

Liebe Gemeinde,

 

im Laufe der Jahre sind mir die kurzen Bibelverse, die uns als Losung oder Leitwort einen Tag, eine Woche, einen Monat oder gleich ein ganzes Jahr begleiten, immer wichtiger und hilfreicher geworden. Ich staune immer wieder über ihre Aktualität und ihre Aussagekraft für den Umgang mit den gerade anstehenden Problemen. Und die Jahreslosung für das gerade begonnene neue Jahr 2015 ist für mich dafür ein Paradebeispiel:

 

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.

Röm 15,7

 

Ein ganze Jahr lang also soll uns jetzt dieses Wort immer wieder in den Sinn kommen und uns in entscheidenden Situationen zurechthelfen. Schauen wir es uns also einmal genau an und verinnerlichen wir es dann.

 

Paulus schreibt an die Christen in Rom. Er hat davon gehört, dass es dort sehr unterschiedliche Ansichten und durchaus auch Streit in der wachsenden Gemeinde gibt. Es geht etwa um Speisegebote und um das gegenseitige Richten, um die Kontroverse um die vermeintlich einzig wahre Glaubenspraxis. Heute würde man sagen: Es geht um die soziale Kontrolle innerhalb einer Gemeinde. Es gibt halt immer welche, die genau darauf achten, was der andere tut, was er isst oder wie er sich kleidet, was er vermeintlich denkt und vertritt. Es gibt eher konservative Menschen, die sich sehr eng an bestimmte Regeln halten möchten, um Gott zu gefallen, sie essen z.B. kein Fleisch, dass womöglich von einem heidnischen Opferaltar stammen könnte - Paulus nennt sie übrigens die Schwachen - und es gibt die anderen, die recht gelassen mit solchen Dingen umgehen können, die „Starken“, zu denen sich Paulus selber zählt. An beide Adressen gerichtet schreibt er aber sehr deutlich:

„Wer ißt, der verachte den nicht, der nicht ißt; und wer nicht ißt, der richte den nicht, der ißt; denn Gott hat ihn angenommen.“ (Römer 14,3)

 

Dies ist also der Kontext für unsere Jahreslosung und hier taucht das entscheidende Wort schon auf: Annahme. Gott hat ihn angenommen!

 

Angenommensein soll das Grundgefühl, die Lebensgrundlage für die Christen in Rom sein. Gott hat dich angenommen! Um Jesu Christi willen.

 

Keine Taufe, bei der ich das nicht gesagt hätte, kein seelsorgerliches Gespräch, das nicht in diese Richtung der Selbstvergewisserung gezielt hätte:

Es ist gut, dass es dich gibt! Es ist gut, dass du da bist! Es ist so gewollt, dass du lebst. - Also, mach was daraus, denn du bist angenommen!

Meinen Konfirmanden habe ich das versucht als spirituelle Grundausstattung mit auf den Weg zu geben: Taufe ist das Sakrament der Annahme:
Wenn alle Welt sich scheinbar gegen dich verschwört – bei Gott bist du geliebt. Und deshalb darfst du dich auch selber lieben, selber annehmen. Auch wenn die Haarfarbe nicht stimmt, oder die Nase zu groß ist oder die Hände schwitzen. Auch wenn du dummes Zeug gemacht hast, das dir hinterher von Herzen leid tut. Auch wenn dir der Mann, die Frau davon läuft. Auch wenn du sehr ernsthaft krank wirst, wenn dir das Leben zerrinnt – bei Gott bist du angenommen. Da gibt es nichts zwischen dir und ihm. Noch nicht einmal der Tod kann dich von ihm scheiden. Du bist geliebt bei Gott.

Für Paulus hat das Konsequenzen. Wenn ich von Gott so geliebt bin, was sich ja in der Liebe Christi zeigt, dann kann es nicht sein, dass ich selber zur Liebe nicht fähig sein soll.

Deshalb steht in unserer Losung auch nicht einfach nur „Nehmt einander an“, also ein Imperativ, ein Befehl, so nach dem Motto: „Piep, piep, piep, habt euch alle lieb!“ sondern auch gleich die Ausführungsanleitung: Nehmt euch so an, wie Christus euch angenommen hat.

Ui, das ist viel! Den andern genau so annehmen, wie er von Gott angenommen ist?!

Das hieße ja dann, ihn so zu nehmen, wie er ist! Ja, denn wenn er anders hätte sein sollen, dann hätte Gott ihn anders gemacht. Ganz einfach.

 

Liebe Gemeinde, das ist mehr als nur die Forderung nach Toleranz.

Den anderen annehmen, wie er von Gott angenommen ist, heißt dann vor allem, damit aufhören über ihn die Nase zu rümpfen und über ihn zu richten. Und vor allem damit aufhören ihn so formen zu wollen, wie er meiner Meinung nach zu sein hat, damit er Gott gefällt.

Die Jahreslosung ist eine Absage an alle, die sich anmaßen in Gottes Namen über andere zu Gericht sitzen zu dürfen. Was würde Paulus etwa den christlichen Fundamentalisten sagen, die den Schwulen das Schwulsein austreiben wollen?

Annehmen ist mehr als tolerant zu sein, wobei schon unsere hochgelobte Toleranz nicht ausreicht. Schon Johann Wolfgang von Goethe schreibt: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zu Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“

Die Jahreslosung fordert mehr als dulden: Nehmt einander an!

Paulus weiß durchaus, dass das nicht leicht ist. Es war ja nicht so und es wird auch nie so sein, dass sich alle mögen. Die Menschen damals wie heute mögen sich durchaus nicht immer sehr. Sie misstrauen und verachten sich vielleicht sogar. Deshalb muss Paulus sie dazu drängen: Nehmt einander an!

Heißt das etwa, auch Menschen, die andere politische und/oder soziale Ziele verfolgen, annehmen? Ja!
Menschen, die einen verhöhnen, verfolgen, bedrohen, annehmen? Ja!

Menschen, die selber verfolgt und bedroht sind und um unsere Hilfe flehen, annehmen? Ja! Was denn sonst?
Warum? - Weil Christus uns angenommen hat, weil Gott uns immer wieder annimmt - und uns vergibt.

Und das alles nicht zur Gewissenberuhigung, sondern weil mit dieser Haltung Gott gelobt wird!

Unsere Taten – was wir tun und auch das, was wir nicht tun – zeichnen uns aus. Wir loben Gott mit dem, was wir gut machen, - und wir machen ihn schlecht, wenn wir Schlechtes machen. Mit Vorurteilslosigkeit, mit Offenheit, mit Mildtätigkeit, Barmherzigkeit und Verständnis für unsere Mitmenschen, für unsere Brüder und Schwestern loben wir Gott und zeigen, was Nächstenliebe bewirken kann. Man kann das lernen.

Im Predigerseminar haben wir damals die sogenannte „Zuwendung des Widerspruchs“ gelernt. Gelernt, um Verstehen und Verständnis zu ringen. Gelernt, um ein Miteinander zu ringen.

Wie wir mit Problemen und Menschen umgehen, macht uns als Christen glaubwürdig oder unglaubwürdig.

Wie wir uns der Menschen in Bedrängnis annehmen, ist Ausdruck unseres Glaubens. Mit unseren guten Taten loben wir nicht uns, - wir loben Gott und sind damit Zeugen unserer Hoffnung. 

Wir haben es in der Hand, ob Missbrauchs- und Finanzskandale das Bild unserer Kirche prägen, - oder Vergebung und ein gemeinsamer Weg der Kirche und Religionen.

Wir haben es in der Hand, ob wir Vergeltung oder Vergebung üben, ob wir mit Foltererkenntnissen oder mit Integrationsprogrammen unsere Welt in die Zukunft führen.

Und wir haben es selbst in der Hand, ob wir als Christenmenschen glaubwürdig sind und ein Leben (vor)leben, das auch andere überzeugt und für Gott begeistert.

Bei unseren katholischen Glaubensgeschwistern gibt es immer noch die traditionelle Begrüßung: „Gelobt sei Jesus Christus!“. Alles, was dann folgt, alle Worte, die gewechselt werden, alle Taten, alles soll letztlich zum Lobe Gottes sein,- auch unser Benehmen und unser Annehmen.

Gelobt sei Jesus Christus, durch unser Denken, Reden und Handeln.

Eine gute Wegweisung für alle Tage in einem guten und segensreichen neuen Jahr, - zum Lobe des Herrn. Amen.

 

 

 

 

 

 



Autor: Pfarrer Hans-Helmut Bayer