Umwege zur Freude

Johannes 2,1-11 (OP 1. Reihe)


Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen.

Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was geht's dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut.

Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt's dem Speisemeister! Und sie brachten's ihm.

Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam - die Diener aber wussten's, die das Wasser geschöpft hatten -, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten.

Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn

 

Liebe Gemeinde,

ein herrliches Fest! So werden die Hochzeitsgäste noch tage- , wenn nicht wochenlang geschwärmt haben. Das war eine Hochzeit! Das Essen war ausgezeichnet – bei uns würde man sagen: von der Hochzeitssuppe bis zum Mousse au chacolait, vom Braten bis zur Hochzeitstorte. Aber das allerbeste war der Wein. Ja, der wurde immer besser. Was die für edle Tröpfchen noch im Keller hatten, als das erste Fass leer war. An so einem Tag trank man den Wein damals unverdünnt, kein Wasser in  den Wein gießen, wie an normalen Tagen: vier Zehntel Wein, sechs Zehntel Wasser. Wer halb halb mischte, galt schon als unmäßig. An so einem Tag gönnt man sich und seinen Gästen etwas. Und das Brautpaar nimmt dieses Überdosis an Glück mit wie einen kräftigen Schwung hinein in ein gemeinsames Leben.

Die wenigsten werden mitbekommen haben, wem sie das Glück verdankten. Nur zwei Gruppen wussten es: die Diener, denen Jesus befohlen hatte, die riesigen Tonkrüge mit Wasser voll zu schöpfen und dann einfach daraus in Krüge zu schöpfen und es dem Speisemeister zu bringen, ohne Hokuspokus, ohne die Zutaten und Zaubersprüche eines Miraculix, der seine Zaubertränke braute fernab in Gallien. Die diener aber wussten´s, die das Wasser geschöpft hatten, heißt es ausdrücklich. Die Diener, die Hausangestellten, die Mitarbeiter, die Sekretärin wissen oft, was hinter den Kulissen vorgeht, wie der Chef so ist, wenn die Presse abgezogen und der Besuch gegangen ist. Man redet untereinander. Die Diskretion verbietet es, den Hausherrn bloß zu stellen: dass dieses Fest ziemlich den Bach hinter gegangen wäre, wenn das nicht dieser junge Mann mit seiner Mutter gekommen wäre und alles so seltsam zugegangen wäre.

Die zweite Personengruppe sind die Jünger. Von  ihnen heißt es am Anfang: sie waren auch dabei. Sozusagen als Statisten: auch mit eingeladen. Aber am Ende, als die Geschichte an ihr eigentliches Ziel kommt, steht: und seine Jünger glaubten an ihn. Kein Wort davon, was sie beobachtet hatten, ob sie alles gesehen und gespeichert hatten wie mit einer Filmkamera. Sie glaubten an ihn, ihnen offenbarte er seine Herrlichkeit. Darauf zielt die ganze Geschichte ab: und wir sahen seine Herrlichkeit. In dieser Geschichte zeigt Jesus seine Herrlichkeit, die darin besteht – nicht wie man missdeuten könnte, den Alkoholkonsum zu fördern oder zu rechtfertigen durch die Bereitstellung von mehreren Hektolitern besten Weines. Seine Herrlichkeit besteht darin, Freude zu schenken. Jesus der Freudenmeister, steht in altmodischen Worten über diesem Sonntag.

Aber wie es im Johannesevangelium üblich ist, liegen da erst einmal Missverständnisse im Weg, so wie umgestürzte Baumstämme die Langlaufloipe versperren. Aber nicht nur im Johannesevangelium versperren Missverständnisse den Weg zur Freude. Der Kommunikationsforscher Paul Watzlawick gibt in seinem bekannten Buch eine Anleitung zum Unglücklich-Sein. Um beim Thema Alkohol zu bleiben, ein Beispiel: Ein Betrunkener sucht unter einer Straßenlaterne seinen Schlüssel. Ein Polizist kommt vorbei und hilft ihm dabei. Als sie beide nach längerem Suchen nichts finden, fragt der Polizist, ob er sicher sei, dass er den Schlüssel genau hier verloren hat. Der Betrunkene antwortet: „Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.“ Vielleicht gilt das auch für die verlorene Freude, dass manche sie an der falschen Stelle suchen.

Der Durchbruch zur Hochzeitsfreude beginnt in der Krise, nämlich damit, dass der Wein ausging. Maria, die Mutter Jesu, muss es vor den anderen Gästen mitbekommen haben, wir wissen nicht wie. Aber sie wendet sich an ihren Sohn und flüstert ihm zu: Sie haben keinen Wein mehr. Nur diese Feststellung, nicht mehr und nicht weniger. Das klingt so ähnlich wie die bekannte Ansage der Ehefrau oder des Ehemannes auf dem Beifahrersitz: Die Ampel ist grün. So eine harmlose Feststellung, dass das Leuchtsignal an der Fahrbahn gerade die grüne Farbe anzeigt, kann zu einem richtigen Ehekrach führen. Denn die einfache Beschreibung enthält ja die Aufforderung: Fahr endlich los. Und was noch alles mitschwingen könnte bis zum Urteil über fehlende Fahrkünste. Ich sag`s doch immer: du kannst nicht Auto fahren. Da kommt bestimmt keine Freude auf, und wenn sie sich gerade gezeigt haben sollte, ist sie schnell verflogen. Der Hinweis an den ablenkten Autofahrer sollte wohl anders ausgedrückt werden, vielleicht mit einem freundlichen „Hallo!“

Jesus hört die Aufforderung seiner Mutter sofort durch: Sie haben keinen Wein mehr, tu doch was! Und Jesus antwortet zunächst eher wie der pubertierende Sohn in der dritten Trotzphase: Was geht`s dich an, was ich tue. Ziemlich heftig gegen die eigene Mutter. Aber manchmal ist es sehr entlastend, sich nicht alle Erwartungen und alle Verantwortung aufdrücken zu lassen. Der Gast ist nicht verantwortlich und auch nicht zuständig für den Getränkenachschub. Es ist wohl ein schmaler Grat zwischen Bequemlichkeit und mangelnder Hilfsbereitschaft, die immer abwehrt: ich bin doch nicht zuständig, da sollen sich andere kümmern, und der Unfähigkeit, Nein zu sagen auf der anderen Seite. Jedenfalls kann man sich seine Lebensfreude ziemlich zuschütten lassen, wenn man meint, überall verantwortlich zu sein. So ein freches „na und?“ kann sehr entlastend sein. Man könnte es allerdings freundlicher ausdrücken, als es Jesus tut.

Aber Maria ist nicht eingeschnappt. Sie lässt sich auch nicht abbringen durch das unfreundliche Nein ihres Sohnes. Sie kennt ihn halt. Sie weiß, irgendetwas wird er schon tun, um die drohende Peinlichkeit, den Eklat abzuwenden, dass die Gäste an ihren Tischen versauern oder vorzeitig heimgehen.  Sie vertraut ihm, sie glaubt an ihn. Nicht wie Mütter manchmal an ihre Söhne glauben, sondern als die erste Glaubende, die erste, die an den Sohn Gottes glaubt. Sie weiß nicht, was er tun wird. Aber sie weiß, dass er etwas tun wird. Sie lässt es offen, sie schreibt ihm nicht vor. Sie bereitet nur vor: Was er euch sagt, das tut. Und ist wohl selbst gespannt, was er tun wird und wann.

Der Betrunkene bei Watzlawik sucht an der falschen Stelle. Am leichtesten ist etwas zu finden, wo es hell ist. Im Dunkeln den Schlüssel zu suchen, ist viel schwerer. Wir lachen über die dümmliche Einfalt. So denkt ein Betrunkener. Aber vielleicht suchen auch wir lieber dort, wo es hell ist, als an der Stelle, wo wir etwas verloren haben. Ohne den Zwischenfall, ohne die aussichtslose Situation, in der sich das Fest befand, wäre es wohl eine ganz normale, vielleicht sogar eine etwas langweilige Hochzeit geworden. Ohne dass es ein paar Leuten mit Durchblick ganz heiß und dann wieder ganz kalt geworden ist, wäre am Ende die Begeisterung über den guten Wein ausgeblieben. Beim Wein heißt es ja auch: nur was gepresst ist, macht trunken. Maria jedenfalls, die hier tatsächlich als Vorbild im Glauben agiert, lässt offen, wie Gott durch ihren Sohn ein Ausweg findet, damit die Festfreude weitergehen kann. An der richtigen Stelle suchen, ist das eine. Sich überraschen lassen, das andere.

Die Diener tun ihre Arbeit. Sie machen, was Jesus ihnen sagt, auch wenn sie es nicht verstehen und keinen Sinn darin sehen. Diese Haltung widerspricht natürlich, was heute über den Umgang mit Mitarbeitenden gepredigt wird und was in dem Gleichnis von den Steinmetzen ausgedrückt wird, wo der eine nur seine stumpfsinnige Arbeit sieht: Ich behaue Steine, der andere aber das große Ziel vor Augen hat: Ich baue mit am Dom. Für Mitarbeitermotivation ist das wohl Gift, wenn jemand etwas tun soll, worin er keinen Sinn sieht, sondern nur seinen Handgriff am Fließband. Vielleicht hätte einer der Diener sogar protestieren können: Statt hier Wasser in ein Fass zu schöpfen, könnte man doch mit dem Esel zum Nachbarn gehen und dort Wein besorgen. Nicht nur, dass so eine einfache, ja stumpfsinnige Handarbeit für so Kopfmenschen sehr entspannend sein kann. Nicht nur, dass es auch einmal entlastend wirken kann, sich nicht dauernd den Kopf zerbrechen zu müssen, ob das jetzt das Richtige ist, was ich tue, und ob ich nicht besser was anderes tun sollte, sondern einfach nur das zu tun, wozu ich angewiesen bin. Das andere große Geschenkwunder, der Fischzug des Petrus, begann auch damit, dass einer einfach das getan hat, wozu Jesus ihn aufforderte, auch wenn es – wie man sagen könnte – hirnrissig erschien: aber auf dein Wort, will ich hinausfahren. Hier heißt es: tut einfach, was er euch sagt, und vertraut: es ist genau das Richtige. Wo man das weiß: ich tue im Vertrauen auf ihn das Richtige, auch wenn ich nicht ganz sicher bin, da kommt schon Freude auf.

Der Bräutigam und der Speisemeister und die ganzen anderen bekommen vom Wunder überhaupt nichts mit. Nur dass diese zweite Ration viel besser schmeckt als die erste. Was schon eine gewisse Verschwendung darstellt, da die leicht Angetrunkenen gar nicht mehr richtig schmecken und die Qualität des Weines genießen und würdigen können. Verschwenderisch geht es ja auch beim Fischzug zu. Nicht nur das Nötigste zum Lebensunterhalt, sondern gleich so viel, dass die Boote zu sinken drohen. Verschwenderisch auch hier: nicht nur ein paar Krüge Fusel für die, die immer noch nicht genug haben, sondern mehrere Hundert Liter besten Weins. So verschwenderisch großzügig ist Gott. Wir können es in der Natur ablesen: den Millionen Samen, der überfließenden, überwältigenden Schönheit. Manchmal erleben wir es selbst, dass die Freude alle Grenzen sprengt und das Herz zerspringen lassen möchte. Wem wir das zu verdanken haben, realisieren wir meistens genauso wenig wie der Bräutigam, der Speisemeister und die meisten Hochzeitsgäste damals. Sie haben sich einfach nur gefreut und genossen. Niemand macht ihnen einen Vorwurf, außer dass der Bräutigam für seine angebliche Schlitzohrigkeit freundlich getadelt wird: wenn der Durst schon fast gestillt ist, bringst du erst das Beste.

Für die Jünger Jesu und für alle, die nach ihnen an Jesus Christus glauben, aber war es mehr. Der Evangelist Johannes nennt es das erste Zeichen, das Jesus tat. Das erste Mal, als Jesus seine Herrlichkeit zeigte. Bei ihnen ging die Festfreude sozusagen auf Jesus über. Sie konnten sich nicht nur über ein gelungenes Fest freuen, so wie die Gäste beim Ball der Stadt Bayreuth am nächsten Tag schwärmen, über eine tolle Stimmung und ein glückliches Paar. Viel größer wird ihre Freude und Begeisterung über ihn geworden sein, der für die meisten unerkannt dahinter steckte, - nicht den Speisemeister, sondern den unbekannten Freudenmeister. Und der hat den Vorteil, dass sie ihn ständig dabei haben. Das Lied „So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag, der sollte nie vergehn“ hat ja schon die Wehmut des Vergehens in sich. Aber er, Gott selbst in Jesus Christus, der bleibt bei uns und ist noch für viele Überraschungen gut. Amen



Autor: Dekan Hans Peetz