Es ist vollbracht

Partielle Sonnenfinsternis in Bayreuth Kanzleistraße, 20. März 2015, Foto: mk-Stadtkirche

Partielle Sonnenfinsternis in Bayreuth Kanzleistraße, 20. März 2015, Foto: mk-Stadtkirche

Johannes 19,30


Liebe Karfreitagsgemeinde,             


I. Sonnenfinsternis

 

Die Sonne, von der hier die Rede sein wird, verliert nicht ihren Schein. - Um 10.41 Uhr am Freitag, 20 März 2015, war es soweit, der Mond hatte auch in Bayreuth zu 70% die Sonne verdeckt. Doch an vielen ging diese partielle Sonnenfinsternis fast ungesehen vorbei. Denn um dieses Naturschauspiel betrachten zu können, benötigte man einen speziellen Sichtschutz. Tags zuvor machten sich deshalb noch viel Schaulustige auf den Weg zu Bayreuths Optikern; doch nur wenigen war es vergönnt, eine der heiß begehrten Sonnenfinsternis-Brillen (kurz Sofi-Brillen) zu ergattern.

Wenn man ganz aufmerksam war, konnte man das Naturereignisses trotzdem wahrnehmen: Nicht nur das Licht war gräulich-silbern, die Schatten deutlich am Boden zu erkennen, sondern auch die Vögel verstummten, die Krokusse schlossen ihre Kelche und es wurde spürbar kalt. Aber richtig sehen konnte man diese seltene Konstellation mit bloßem Auge nicht. Auch auf unserem Bild aus der Kanzleistraße mit dem Dekanat links im Bild ist die Mondscheibe vor der Sonne nicht zu sehen und doch ist die Welt in ein seltsames Licht getaucht. Überdeutlich und dunkel heben sich die Häuser und die beiden Bäume vom Himmel ab, der zu den Bildrändern schnell an Dunkelheit gewinnt. Am deutlichsten spürte man, dass die Sonne ihre wenige Wärme, die sie am 20. März besaß, auch noch verlor.

 

II. Welt nimmt keinen Anteil am Tod Jesu

 

Die drei ersten Evangelisten im Neuen Testament erzählen von einer Finsternis, die sich bei der Kreuzigung Jesu bis zur neunten Stunde (15 Uhr nach heutiger Zeit) über das ganze Land gelegt haben soll. Der Evangelist Lukas schrieb besonders anschaulich: „die Sonne verlor ihren Schein“. Genauso fühlte sich die partielle Sonnenfinsternis in Bayreuth an. Mit einem seltenen galaktischen Naturschauspiel, einer besonderen Erdtrabant – Stern – Konstellation – beenden die Synoptiker die Passion Jesu am Kreuz: Mit einer Sonnenfinsternis. Doch was schrieb unser vierter Evangelist Johannes? „Es ist vollbracht!“ Das war alles. - Kein Zweifel des Gekreuzigten findet sich: Mein Gott, warum hast Du mich verlassen, wie es heute Abend in der Uraufführung des Bayreuther Credos von Enjott Schneider in der Stadtkirche zu hören sein wird. Kein lauter Schrei oder Ruf, wie bei den anderen drei Evangelisten. Völlig ohne Dramatik, ja fast lapidar heißt es bei Johannes nur: „Und er neigte das Haupt und verschied.“ Von großen Naturphänomenen berichtete der 4. Evangelist nichts. Was ist seine Botschaft für uns, wenn die Welt offenbar keinerlei Anteil an diesem Ereignis nahm. Nicht einmal die religiöse Welt erfuhr durch den Tod Jesu eine Erschütterung. Während Lukas und Matthäus erzählen, dass der Vorhang im Tempel von oben bis unten in zwei Stücke zerriss, schweigt Johannes.

 

III. Die Welt und ihr Getöse

 

Und überhaupt Matthäus! Anders als die anderen beiden Synoptiker Markus und Lukas steigert der erste Evangelist die Naturereignisse auf Äußerste: Matthäus lässt nach dem Tod Jesu die Erde erbeben, Gräber aufbrechen und sogar Tote erscheinen. Wer solche Dramatik liebt, und da wohnen wir ja recht nah am grünen Hügel mit seinen alles dirigierenden Wagnerfiguren, wird bei Matthäus eher Nährboden für seinen Glauben finden als bei dem Verkündiger des Evangeliums, dem man den Adler als Wappentier zur Seite gestellt hat; der wie der König der Lüfte zu schweben scheint und die Welt von oben sieht und sich von ihrem Getöse wenig beeindrucken lässt.

 

IV. ES

 

Der vierte Evangelist Johannes kann auf solche Naturdramatik gänzlich verzichten. Und doch hat er gerade für die Welt in ihrer Angst und mit ihrem unbegründeten Hass auf alles, was nicht nach ihren Gesetzen läuft, eine Botschaft. Sein ganzes theologisches Gewicht liegt auf dem einen Satz: Es ist vollbracht. Im Griechischen ist es sogar nur ein Wort: tetelestai. In diesem Wort steckt Telos, das Ziel. Am Kreuz ist Jesus ans Ziel seiner Mission gekommen. Es ist ans Ende gebracht, was sein ganzer Auftrag war. Der Gekreuzigte hat am Kreuz das vollendet, wofür er nach Johannes von allem Anfang der Welt vorgesehen war. - Ja, und was ist dieses „ES“, das da vollbracht war? Der Schlüssel liegt im heutigen Spruch zum Tag. Der Code, von dem her sich das ganze Evangelium erschließen lässt, findet sich in Johannes 3,16: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Am Kreuz, das wir heute am Karfreitag bedenken, ist Gottes Liebe ans Ziel gekommen. Es ist kein sinnlos scheinender Tod, wie ihn mancher von allen Verwandten Verlassener auf irgendeinem sterilen Gang in einem Krankenhaus sterben muss. Noch am Kreuz führt er die trauernde Mutter und seinen Liebling zusammen, damit sie einander trösten können. Es ist ein Leben in Liebe bis zum Schluss. Mag sich alle paar Jahrzehnte aus unserem Blickwinkel der Mond vor die Sonne schieben. Johannes weiß um die Sünde der Welt, aber er braucht keine Sofi-Brille um sie zu sehen. Er redet bis zum Schluss von der lebendigen Sonne, die in Jesus Christus erschienen ist und die durch das Kreuz einen Weg ins Leben gebahnt hat, damit alle Welt die Möglichkeit hat, aus der Angst und dem Hass der Welt einen Weg zu finden. In der Welt habt ihr Angst, aber seht, ich habe die Welt überwunden, sagte der, der sich mit dem Vater im Himmel eins wusste.

 

V. Ewig scheinende, wärmende Sonne am Kreuz

 

Es ist nicht so, liebe Gemeinde, dass wir hier in Bayreuth nur den Dramatikerinnen im Festspielhaus ausgeliefert wären. Schauen wir noch einmal genau auf das Naturereignis vor zwei Wochen: Die wenigen, die eine Sonnenfinsternis taugliche Brille vom letzten Mondtransit (2011) besaßen, wurden von denen, die keine Sofi-Brille hatten, mit einem kurzen sehnsüchtigen Blick bedacht. Der Neid schien kalt um sich zu greifen. Mussten die Besitzlosen also bis zum 3. September 2081 warten, wenn die nächste totale Sonnenfinsternis in Deutschland zu sehen sein wird? Da geschah es ohne großes Getöse im Orchestergraben, ohne verzweifelte und geschminkte Geste eines Tannhäusers und ohne opernhafte Kulisse eines Venusberges, dass in Bayreuths Fußgängerzonen die Leute anfingen, ihre Schutzbrillen mit anderen zu teilen. Die eröffnete Chance ließ sich freilich keiner so schnell entgehen. Die wenigen Brillen wurden von Hand zu Hand gereicht. Und da konnte man endlich den Mond sehen, wie er sich dunkel vor die weit hinter ihm liegende Sonne schob. Und so wurde in Bayreuth in der Fußgängerzone aus einem kühlen Naturereignis ein herzliches Gemeinschaftserlebnis. Bei der Sonnenfinsternis 2015 hat sich die Liebe im Teilen ohne große Dramatik in Bayreuth Bahn gebrochen. Einer Liebe, die als wärmende Sonne am Kreuz ihren Ausgang genommen hat und ungebrochen und ewig scheint. Amen.

 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen



Autor: Pfarrer Martin Kleineidam