Römer 6 und "Der Duft der Frauen"

Predigt über Röm 6, 19-23 am 10. Aug.´14 in der Spitalkirche


 „Wegen eurer Schwachheit rede ich in menschlichen Bildern:

 

Wie ihr eure Glieder in den Dienst der Unreinheit und Gesetzlosigkeit gestellt hattet, so stellt nun eure Glieder in den Dienst der Gerechtigkeit zur Heiligung.

 

Denn als ihr Sklavinnen und Sklaven der Sünde wart, da wart ihr frei von Gerechtigkeit. Welche Frucht habt ihr nun damals gehabt?  - Dinge, für die ihr euch jetzt schämt, denn sie zielen auf den Tod.

 

Nun aber, wo ihr frei von der Sünde und Dienerinnen und Diener Gottes seid, haltet ihr eure Frucht, die Heiligung bewirkt und auf das ewige Leben zielt.

 

Denn der Lohn der Sünde ist der Tod. Das Gnadengeschenk Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.“

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

 

Liebe Gemeinde! 

  

Als ich den Predigttext für heute aus dem Römerbrief las, kam es mir zunächst so vor, dass er weit von unserer Zeit und Wirklichkeit entfernt sei. Doch dann dachte ich an den Film „Der Duft der Frauen“, den ich kürzlich wieder gesehen habe. In dem Film spielt Al Pacino den blinden Colonel Frank Slade, der als Invalide bei der Familie seiner Nichte wohnt. Als diese über das Thanksgiving-Wochenende wegfahren wollen, suchen sie jemanden, der sich um den blinden Onkel kümmert. Hier kommt die zweite Hauptperson des Films ins Spiel: der 17-jährige Schüler Charlie. Er kommt aus einfachen Verhältnissen und kann sich den Besuch auf einer renommierten Privatschule nur durch sein Stipendium leisen. Er sieht den Wochenend-Job am Aushang der Schule und hofft, sich dadurch Geld zu verdienen, damit er wenigstens an Weihnachten nach Hause fahren kann.

 

Als Charlie sich dem Mann, der über 30 Jahre beim Militär war, höflich vorstellt, ist dieser sehr unfreundlich und weist ihn mit scharfen Worten zurecht. Auf die Zuschauer wirkt der blinde, trinkende Veteran eher unsympathisch und man fragt sich, wie er wohl erblindet ist. Nur weil die Familie Charlie inständig darum bittet, erklärt er sich schließlich bereit, dazubleiben. Als der Colonel zusammen mit Charlie unangemeldet bei seinem Bruder und dessen Familie zur Thanksgiving-Feier auftaucht, tritt er auch dort keineswegs liebenswürdiger auf. Nachdem er seine Verwandten mehrmals vor den Kopf gestoßen hat, beschimpft ihn schließlich sein Neffe; und er erzählt Charlie, dass sein Onkel sein Augenlicht nicht etwa als Kriegsheld verloren habe, sondern weil er schwer betrunken mit Handgranaten jongliert habe.

 

Doch nun zu unserem Predigttext aus Römer 6, 19-23. Paulus schreibt der jungen römischen Gemeinde:

(siehe oben)

 

Im Text gibt es zwei Gegensätze: Paulus stellt die Zeit, in der die Sünde geherrscht hat, dem Jetzt gegenüber, wo die Christen die Gnadengabe Gottes – auf Griechisch: Charisma – geschenkt bekommen haben: die Taufe. Über sie hat er am Anfang des Kapitels gesprochen.

 

Früher als Sklavinnen und Sklaven der Sünde standen die römischen Christen im Dienst der Unreinheit und Gesetzlosigkeit. Jetzt dagegen stehen sie im Dienst Gottes. Die Gemeindeglieder haben sich taufen lassen, haben damit Gottes Gnadengeschenk erhalten – und das ist nichts weniger als die Aussicht auf das ewige Leben.

 

Früher ernteten sie schlechte Frucht – eine Parallele zum Colonel im Film. Das, weswegen sich die jungen Christen nun schämen, führt Paulus nicht näher aus, er will ja auf das positive Jetzt hinaus. Nur soviel macht er klar: Der Lohn der Sünde ist der Tod. Oder wie Luther übersetzt hat: Der Sünde Sold ist der Tod.

 

Der Tod ist auch im Film „Der Duft der Frauen“ ein Thema. Den selbstverschuldeten Unfall hat Colonel Slade zwar überlebt aber um den Preis des Augenlichts. An diesem Wochenende will er es sich nun noch einmal im vornehmen Waldorf Astoria-Hotel in New York gut gehen lassen und sich danach erschießen. – Das Verhältnis zwischen Charlie und Slade ist inzwischen enger geworden. Der Blinde spürt, dass den jungen Mann etwas bedrückt, und dieser erzählt ihm, was man vorher im Film sah: Charlie konnte mit einem anderen Jungen beobachten, wie dessen reiche Freunde einen Streich planten, durch den am nächsten Tag der Schulleiter vor allen blamiert wurde. Daraufhin forderte der Rektor die beiden Beobachter auf, ihm die Namen der Jungen zu nennen. Er drohte ihnen mit Schulverweis, und versuchte im Einzelgespräch danach Charlie zu bestechen, in der er ihm den Besuch der Harvard –Universität in Aussicht stellte. Nachdem die beiden nichts sagten, ordnete der Schulleiter eine öffentliche Befragung nach dem Wochenende an. Charlie sagte dem Colonel, er wolle nicht petzen – somit hängt seine Zukunft am seidenen Faden.

 

Beim Abendessen im Luxusrestaurant kann der Colonel das Parfüm einer jungen Frau bestimmen, mit der er zunächst von Charlie begleitet ein höfliches Gespräch führt. Dann lädt er sie zum Tango-Tanzen ein und meistert den Tanz trotz seiner Blindheit bewundernswert.

 

Am nächsten Tag mieten die beiden einen Ferrari und der blinde Slade setzt sich auch ans Steuer. Sowohl Charlie als auch die Zuschauer zittern, als der Blinde immer schneller fährt. Zum Glück geht alles gut.

 

Als sie wieder im Hotel sind, kommt es zur dramatischen Szene: Charlie hatte Slade zuvor zwar aufgefordert, ihm die Patronen für seine Dienstwaffe auszuhändigen, was dieser auch tat, - doch der Colonel hatte noch Munition zurückgehalten. „Ich habe dich angelogen. Ich bin ein Lügner, wusstest du das nicht?“, sagte er zu Charlie und richtete die geladene Waffe gegen sich.

 

„Denn als ihr Sklaven der Sünde wart, da wart ihr frei von Gerechtigkeit. Welche Frucht habt ihr nun damals gehabt?  - Dinge, für die ihr euch jetzt schämt, denn sie zielen auf den Tod.“

 

Der Colonel, der sein Leben als nicht mehr lebenswert empfindet, will Charlie wegschicken und bedroht ihn mit der Waffe, doch dieser weicht nicht von seiner Seite. Nach einem bewegenden Dialog kann er den Colonel überzeugen, sich nicht zu erschießen.

 

 Es kommt zum spannenden Schluss: Charlie und Frank Slade haben inzwischen eine Beziehung fast wie zwischen Vater und Sohn. Sie fahren zusammen zur Schule, wo den Schüler die öffentliche Befragung erwartet, und verabschieden sich. Der Colonel hatte  Charlie übrigens geraten, nicht seine Zukunft aufs Spiel zu setzen und lieber auszusagen. In der großen gefüllten Aula saßen sich die beiden Befragten auf dem Podium gegenüber, zwischen ihnen der Schulleiter. Der andere Schüler hatte seinen reichen Vater an der Seite. Neben Charlie saß niemand – bis auf einmal der Colonel auftauchte und sich neben ihn setzte. Der andere Schüler nannte nach anfänglicher Weigerung schließlich doch die Namen seiner Freunde, worauf der Rektor diese  von Charlie bestätigt haben wollte. Doch dieser sagte: „Ich kann sie nicht sagen“. Prompt reagierte der Schulleiter und sagte, er werde ihn der Schule verweisen.

 

Doch da stand Colonel Frank Slade auf und hielt eine flammende Rede. Er sagte darin unter anderem: „Ich hatte viele wichtige Entscheidungen zu treffen im Leben. Ich wusste, weiß Gott immer, welcher der richtige Weg war. Aber ich bin ihn nicht gegangen. Und warum nicht? Er war mir immer zu steinig. Und hier sitzt nun Charlie. Er würde keinen von euch verraten, niemals, um keinen Preis. Jemand versuchte ihn zu bestechen – doch er ist nicht käuflich. Charlie hat sich für den richtigen Weg entschieden. Drängen sie den Jungen nicht ab von diesem Weg! Er hat eine große Zukunft vor sich. Zerstören Sie sie nicht. Irgendwann werden Sie stolz darauf sein.“ – Nach der Rede brandete Applaus auf und das Schiedskommittee aus Lehrerinnen und Lehrern befand, dass Charlie auf der Schule bleiben dürfe.

 

Liebe Gemeinde, die zwei Hauptfiguren des Films spiegeln, wie ich finde, die beiden Gegensätze in unserem Predigttext wider: Der blinde, verbitterte Veteran steht für das, was Paulus beschreibt als „Glieder im Dienst der Unreinheit“, als „Sklave der Sünde“, er hat „Dinge (gemacht) für die man sich schämt“.  Slade bezeichnete sich (mit der Pistole am Kopf) selbst als schlecht, sogar als Schwein.

 

Charlie steht für den „Dienst der Gerechtigkeit zur Heiligung“, ja man kann ihn als „Diener Gottes“ sehen, (wie Paulus die getauften Christen nennt), denn der mutige 17-Jährige hat den Colonel vor dem Selbstmord bewahrt, ihm Selbstachtung und Lebensmut wiedergegeben. Er hat ihm seine eigenen Worte in Erinnerung gerufen, die dieser zu der jungen Frau im Hotel gesagt hatte: „Wenn man einen Fehler macht, tanzt man einfach weiter“. Und als der Lebensmüde ihn aufforderte: „Nenn mir einen einzigen Grund, warum ich mich nicht erschießen sollte“, sagte Charlie: „Es gibt zwei Gründe: Ich kenne keinen, der besser Ferrari fährt und besser Tango tanzt.“  - Das ist positives Feedback, ermutigend und ehrlich.

 

Ich weiß nicht, liebe Gemeinde, in wen Sie sich mehr hineinfühlen konnten oder wollten, - in Frank Slade, der sich ändert, so Charlies Zukunft rettet und selbst zum Diener der Gerechtigkeit wird, oder in Charlie. Natürlich ist deren Leben anders als unseres. Aber wichtige Entscheidungen müssen auch wir immer wieder treffen. Ich weiß  nicht, welche wichtigen Entscheidungen Sie in Ihrem Leben schon treffen mussten. Ob Sie den gewählten Weg als gut empfunden haben, oder ob Sie manches gerne anders machen würden.  - Der Film macht in dieser Hinsicht – wenn man einen anderen Weg gehen will - Hoffnung. Änderung und Neuanfang ist möglich. Der vorher Lebensmüde lernt am Schluss sogar eine Lehrerin kennen, die nach der Rede voll Bewunderung auf ihn zukommt; und man ahnt, dass sich da eine Beziehung anbahnen könnte. Ja, manches – sicher nicht alles – kann man ändern, angefangen bei sich selbst.  Das zeigt Al Pacino in der Rolle des Colonel, für die er einen Oscar bekommen hat, sehr gut.

 

Auch unser Predigttext spricht von einem Neuanfang, gewissermaßen einem neuen Lebensweg nach der Taufe, der zum ewigen Leben führt. – Wir sind heute zwar in einer etwas anderen Situation als die ersten römischen Christen, an die Paulus schreibt. Sie wurden als Erwachsene getauft, nachdem sie sich für ein Leben im Sinne Jesu Christi entschieden hatten. Auf diese Entscheidung und das Geschenk der Taufe spricht Paulus sie an: Nun aber, wo ihr frei von der Sünde und Dienerinnen und Diener Gottes seid, haltet ihr eure Frucht, die Heiligung bewirkt und auf das ewige Leben zielt.

 

Wir sind also nicht in der Situation in Rom vor 2000 Jahren und die wenigsten von uns sind als Erwachsene getauft, aber auch wir haben die Taufe als Gnadengabe geschenkt bekommen und haben eine Entscheidung getroffen (oder werden sie treffen, liebe KonfirmandInnen): Nämlich bei unserer Konfirmation, wo wir unsere Taufe bewusst bestätigt haben (oder es tun werden). Von daher ist der Predigttext doch nicht so fern von uns. Paulus ermutigt uns mit seinen Worten, ein Leben im Sinne Gottes zu führen und Jesus Christus nachzufolgen. Die Erinnerung an das Geschenk der Taufe hilft uns, „Dienerinnen und Diener Gottes“ zu sein und stärkt uns, der Gerechtigkeit zu dienen. Das bringt nicht nur etwas im Blick auf das ewige Leben, sondern es bringt schon Positives im Hier und Jetzt: Indem wir uns immer wieder an unsere Taufe erinnern – etwa im Gebet -, kann uns das z.B. in schwierigen Situationen helfen. Das erzählt eine kleine Geschichte von Martin Luther:

 

„Immer wenn ich mich gefragt habe“, so Luther, „ob ich noch auf dem rechten Weg bin, ob es sein kann, dass ich einen Kampf sogar gegen Papst und Kaiser zu führen habe, immer dann habe ich auf meinen Schreibtisch mit Kreide in großen Buchstaben geschrieben: BAPTIZATUM SUM. Das heißt auf Deutsch: ICH BIN GETAUFT.  Dieses war die kürzeste Art meines Gebetes. Ausführlich heißt es: `Gott, damals am 11. November 1483, als ich getauft worden bin, hast du die Verantwortung für mich, dein Kind Martin Luther übernommen. Nun sei da und nimm deine Verantwortung wahr!  Schick mir einen Menschen, der sagt: Weiter so, Martin! Oder einen anderen, der mir sagt: Sie sind auf dem falschen Weg, Dr. Luther!´ Und einer von beiden ist immer gekommen.“

 

Dem Colonel schickte Gott so einen Menschen, gewissermaßen seinen Diener. Durch Charlie fand Frank Slade einen neuen Weg für sein Leben.

 

Auch wir haben nicht nur die Taufe, sondern auch Mitmenschen geschenkt bekommen.

 

Mitmenschen, die uns weiterhelfen, sei es, wie Luther ausführt, durch Lob und ein „Weiter so!“ oder auch durch Kritik.

 

Ja, wir haben viel geschenkt bekommen: unsere Nächsten, die Gemeinschaft der Getauften, Gottes Schöpfung und manches, wofür jeder und jede von uns ganz persönlich dankbar ist.

Wir sind Beschenkte! Lasst uns aus dieser Freude heraus leben!

 

Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.



Autor: Anne-Kathrin Kapp-Kleineidam