Die Krone

Psalm 65,12


Du krönest das Jahr mit deinem Gut. (Psalm 65, 12)

Liebe Gemeinde !

Das ist die Krönung! „Jakobs Krönung“ stellt angeblich die Krönung des Kaffeegenusses dar. Und die gekrönten Häupter, das waren früher die Kaiser und Könige. Und weil viele Menschen das Bedürfnis haben, jemandem eine Krone aufzusetzen, deshalb werden heute Wein-, Bier- und Hopfenköniginnen und natürlich Schönheitsköniginnen gekrönt. Die Krone zeigt: Hier ist etwas ganz Besonderes, das Höchste, Beste, Schönste. Und deswegen mussten und müssen die Kronen auch aus dem edelsten, wertvollsten Metall sein, dem Gold, verziert mit den kostbarsten Edelsteinen: Diamanten und Rubinen.

Auch die Erntekrone ist golden, geflochten aus dem Gold des Feldes, dem Getreide, das kostbarer ist als jedes Edelmetall. Aus vier Getreidesorten muss die Erntekrone geflochten sein. Die Zahl vier hat eine ganz besondere Bedeutung. Vier ist die Ganzheit unserer Erde und unseres menschlichen Lebens. In vier Himmelsrichtungen ist die Erde ausgespannt: dem Osten, wo die Sonne aufgeht. An der aufgehenden Sonne, lateinische sole oriente, suchen wir Orientierung. Im Süden steht sie am Mittag und gibt dem Getreide Reife, im Westen geht sie unter und bringt uns die Ruhe des Abends, und der Norden steht für Kälte und Finsternis. Vier Jahreszeiten umfasst das Jahr vom Säen und Blühen im Frühjahr, dem Wachsen und Reifen im Sommer, der Ernte im Herbst und der nötigen Starre und Ruhe im Winter, die Gelegenheit gibt, das Holz im Wald zu ernten, wenn sein Saft in die Wurzeln zurückgezogen ist. Die vier Jahrezeiten werden zum Gleichnis unseres Lebens: der Frühling, der Sommer und der Herbst des Lebens, die uns unsere Vergänglichkeit lehren und zugleich hoffen machen, dass nach der Erstarrung des Winters ein neuer, ewiger Frühling lockt, dass es – wie wir sagen – wieder nauswärts geht.

Wie der Himmel sich wölbt, so wölben sich die Bögen der Krone. Die Krone ist ja ein kleiner Himmel über dem Kopf, so wie auch die Kuppeln alter Kirchen den Himmel symbolisieren. Die Kronen wiesen göttliche Gestalten aus, den König von Gottes Gnaden und so etwas wie Gottes Stellvertreter auf Erden, oder heute eine überirdische Schönheit. Der Himmel wölbt sich über der Erde und kommt mit seinem Segen auf sie herab. Deswegen haben manche Früchte auch himmlische Namen, von den Paradeiserchen, den Golden Delicious bis zum himmlischen Tröpfchen..

Aber wem gehört nun diese Krone? Wem setzen wir diese Erntekrone auf? Dass sie für einen Menschen zu groß ist, das ist klar. Im Psalm heißt es: Du krönst des Jahr mit Segen. Die Erntekrone thront zwischen und über den Erntegaben. Zunächst einmal, ganz vordergründig trägt die Schöpfung, die Natur die Krone. Die Felder, die Wiesen, die Beete und Gärten, auf denen und in denen die Nahrung für Menschen und Tier wächst. Der Boden mit seinen Nährstoffen, die Sonne und der Regen, ihnen verdanken wir unser Leben. So wie die Untertanen früher beim Anblick der Königskrone ihre Abhängigkeit begriffen, so sollen wir beim Anblick der Erntekrone begreifen, dass wir abhängig sind, dass wir eben nicht alles machen können, vor allem nicht Sonne und Regen zur jeweils rechten Zeit, dass im Frühjahr die Sonne scheint, dass die Bienen fliegen und die Obstbäume bestäuben und nicht der Frost die Blüte vernichtet. Wir können die Dürre nicht verhindern und auch nicht einen verregneten Sommer, den Hagel nicht und nicht den Sturm. Menschen, die Landwirtschaft treiben oder mit ihr verbunden sind, wissen oft mehr als manche Städter von dieser Abhängigkeit; dass wir eben nicht alles machen können. Sondern dass wir im wahrsten Sinn des Wortes unser Leben und unsere Lebensmittel „verdanken“.

Abhängigkeit wird im Zeitalter der Freiheit und der Machbarkeit meist negativ gesehen. Wir wollen unabhängig, frei sein, aber nicht abhängig und angewiesen. Die jungen Leute wollen  Geld verdienen und mit dem eigen Auto mobil, und nicht auf die Eltern angewiesen sein. Und die Alten fürchten sich vor dieser Abhängigkeit, auf die Pflege und vielleicht die finanzielle Unterstützung angewiesen zu sein. Mancher Landwirt oder Kleingärtner, Skilift- oder Hotelbesitzer möchte bestimmen können, wann es schneit, regnet oder die Sonne scheint. Wenn sie es könnten, würden sie sich wahrscheinlich schnell in die Haare kommen. Die Erntekrone zeigt uns, dass diese Abhängigkeit kein Unglück ist, sondern Segen.

Und ein alter Kirchenmann sagte: „Glauben heißt, die Abhängigkeit von Gott als Glück zu bezeichnen“ (Herrmann Bezzel). Ja, wem gehört die Krone? Vordergründig der Natur, der Schöpfung – im tiefsten Grund aber unserem Gott, dem Schöpfer, dem Geber aller guten Gaben. Deshalb beten wir vor dem Essen: „Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt, o Gott von dir, Dank sei dir dafür.“ Und Erntedank zeigt eben, dass dieser Gott kein knickeriger, geiziger Alter ist, der uns kurz halten will und uns nichts gönnt, sondern ein großzügiger, freigiebiger Vater, der uns regelrecht überschüttet mit seinen Gaben. Und eben nicht nur mit dem allernötigsten nach dem Motto „zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig“, sondern auch mit „Unnötigem“, so wie jemand über die Muttermilch sagte, dass sie nicht nur nährreich und gesund ist, sondern auch noch so schön verpackt. Dem Geber aller guten Gaben gebührt die Krone, so wie wir an seinen Altar die schönsten Früchte bringen, weil und damit wir nicht vergessen, wem wir das alles verdanken.

Die Krone der Schöpfung, englisch: „crown of creation“, damit ist ja sonst der Mensch gemeint. Wir Menschen sind ja auch mit ausgezeichneten Gaben und Begabungen ausgestattet. Wir sind nicht nur Geschöpfe Gottes, sondern sind zu Mitschöpfern geworden. Gott hat uns seine Erde anvertraut, sie zu bebauen und zu bewahren. Der Mensch hat Werkzeuge entwickelt, den Ertrag der Felder zu steigern und sich die Arbeit zu erleichtern. Er hat entdeckt, welche Stoffe die Pflanzen brauchen, um besser zu wachsen und mehr Frucht zu bringen. Und er  hat gelernt, diese Nährstoffe zu gewinnen. Er  kann Pflanzen und Tiere züchten und hat so die Evolution in die Hand genommen. Ja, inzwischen durchschaut er die Baupläne des Lebens, die Informationen der Gene, und hat gelernt, sie zu beeinflussen, sie zu manipulieren. Wenig niedriger als Gott hast du ihn gemacht, heißt es im 8. Psalm. Und ein älterer Kollege, der sich sehr für Wissenschaft interessiert, sagte zu mir: Ich staune schon darüber, dass Gott es uns so leicht macht, seine Baupläne zu entschlüsseln.

Doch das Wort von der „Krone der Schöpfung“ hat einen bitteren Beigeschmack. Denn der Mensch ist nicht nur im Positiven zu Dingen fähig, zu der kein Tier fähig wäre. Man braucht nur die Bilder anzuschauen, die Bilder von Terroranschlägen, den Käfigen und der Folter von Kriegsgefangenen, aber manchmal auch den Käfigen von Tieren. Wenn der Transport zum Schlachten über Hunderte Kilometer geht, wenn der Respekt auch vor dem Tier, das der eigenen Ernährung dient, ja, und das geschlachtet wird, wenn der Respekt davor fehlt. Der Liederdichter folgert daraus: „Do sichst as genau, der Mensch is a Sau.“

Dazwischen ist es gar nicht so weit: der Mensch als Krone der Schöpfung, dem Gott seine Erde anvertraut hat, dass er sie bebaue, ja, dass er sie sich untertan mache, ja sogar, dass er sie weiter entwickle. Und auf der anderen Seite, der Mensch, der die anvertraute Schöpfung zugrunde richtet, weil er die Ehrfurcht vor dem Leben verloren hat. Der König, der zum Krösus wird, der Herrscher, der sich als Diktator benimmt. Erntedankfest ist jedes Jahr eine Erinnerung an unsere Verantwortung. Wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel verlangt werden, sagt Jesus. (Ich denke, dass diese LGS auch den Effekt hat, dass die Ehrfurcht vor dem Leben, diese Achtung vor dem Geschöpf Gottes wächst.) In dem Film “animal Farm“ von George Orwell proben die Tiere den Aufstand und verjagen den Bauern, der zum Tyrannen geworden ist. Sie werfen die Krone ab so wie viele Völker sich der Königskrone entledigten. Die geschändeten Kreaturen der Erde können das wohl nicht. Und doch rächt es sich, ihre Stimme zu überhören. So wie ein guter König die Wohlfahrt seines Landes im Blick hat, das Glück und Gedeihen seiner Untertanen, eben als ein guter Hirte, so sollen wir Krone der Schöpfung sein.

Noch eine Krone zuletzt. Jesus sagt: Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Sei getreu, damit meint er vor allem: Halte fest an deinem Glauben. Das schreibt Johannes in seiner Offenbarung an Christen, deren Glaube bedroht ist. Damals bedrohte äußere Verfolgung den Glauben. Auch heute ist der Glaube bedroht, aber mehr von innen. Traditionen brechen ab. Traditionen aufrecht zu erhalten, nicht nur als äußere Brauchtumspflege, sondern mit Sinn und Inhalt, stärkt aber den Glauben. Denn der Glaube braucht äußere Zeichen – wie eben diese Erntekrone. Jesus sagt: Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Meist wird dieser Spruch bei Beerdigungen ausgewählt. Doch er passt auch gut zum Erntedankfest und zur Erntekrone. Denn die Krone des Lebens ist nicht nur ein Siegespreis im Himmel für alle, die hier auf Erden ihren Glauben festgehalten haben. Die Krone, die Krönung des Lebens, das ist der Glaube jetzt schon.

Jakobs Krönung verspricht die Steigerung des Kaffeegenusses. Der Glaube als Krone des Lebens krönt das Leben. Am Erntedankfest kann das zweierlei bedeuten:

Erstens, wer glaubt, kann danken. Danken, das ist nicht eine Pflichtveranstaltung, so wie wir es als Kinder manchmal lernen mussten „Sag schön Danke zur Tante“, manchmal mit der Drohung verbunden: wenn du nicht dankbar bist, nimmt sie dir die Tafel Schokolade wieder weg. Danken ist viel, viel mehr. Sie kennen vielleicht dieses englische Liebeslied, das in dem Satz gipfelt: Danke, dass es dich gibt. Wer dankt, nimmt etwas nicht einfach hin, reißt es sich nicht schnell unter den Nagel, sondern schätzt es, ästimiert es. Es wird wertvoll für ihn. Sonst nehmen wir vieles als selbstverständlich. Und es ist schnell wieder vergessen, vergangen. Das Essen hinuntergewürgt, die Hilfe der Nachbarn gar nicht richtig bemerkt. Wer dankt, fängt an, etwas zu würdigen. Er nimmt es wahr, es bekommt einen Wert und wird nicht so schnell wieder vergessen. Durchs Danken wird das Leben reicher. Nicht, dass man plötzlich mehr Geld hätte oder größere Kartoffeln, aber in unserem Bewusstsein wird das Leben reich durch das Danken. Ein echter Mehrwert, kein wirtschaftlicher. Doch es gibt ja mehr, was zählt.

Der Glaube krönt das Leben. Ein zweiter und letzter Gedanke dazu. Wer glaubt, dass alles Gottes Gabe ist, der kann ohne schlechtes Gewissen genießen. Ich sage „ohne schlechtes Gewissen genießen“ und nicht „ohne Gewissen genießen“ – das gibt es auch: nach dem Motto: nach mir die Sintflut – und: Jeder denkt an sich, nur ich denke an mich. Das meine ich nicht, diesen egoistischen Genuss nach dem Motto: Hauptsache ich habe meinen Spaß. Ohne schlechtes Gewissen genießen sollen und können wir, wenn wir Gott als den Geber aller guten Gaben ehren. Er will, dass ich mich an seinen Gaben freue. Wie sagt Martin Luther: „Darf unser Herr Gott gute große Hechte, auch guten Rheinwein schaffen, so darf ich sie wohl auch essen und trinken.“ Schließlich hat er das alles für uns geschaffen – nicht nur für uns, aber auch für uns. Deshalb setzt er unserem Leben die Krone auf. Amen

 



Autor: Dekan Hans Peetz