Gebracht und berührt werden

Lucas Cranach d. Ä., Lasset die Kindlein zu mir kommen, Tafelmalerei, nach 1537, Inv.-Nr. Angermuseum Erfurt: 7414. Foto: Angermuseum Erfurt (Dirk Urban)

Markus 10,13 – 16


(13) Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre.

Die Jünger aber fuhren sie an. (14) Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes. (15) Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.

(16) Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.

 

 

Liebe Gemeinde,

 

1. Lucas Cranachs, Luther und die Kindersegnung

 

Im Angermuseum der Landeshauptstadt Erfurt findet  sich ein Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. (aus den Jahren nach 1537). Um 1475 geboren, bekam Lucas aus Kronach 1505 eine Anstellung als Hofmaler beim Kurfürsten Friedrich dem Weisen von Sachsen im nahen Wittenberg.

 

Martin Luther, der in Erfurt studierte und mehrere Jahre im Augustinerkloster als Mönch verbrachte, verband mit dem in Wittenberg wirkenden Lucas Cranach d. Ä. eine enge Freundschaft. So trat Luther bei der geborenen Tochter Cranachs, Anna, in Wittenberg als Taufpate auf. 1525 war Cranach seinerseits Trauzeuge von Katharina und Martin Luther und später ebenfalls Taufpate bei der Geburt deren Sohnes. Cranach gilt als einer der herausragenden Maler der Reformation. Der Künstler porträtierte Luther mehrfach und illustrierte reformatorische Schriften sowie biblische Szenen – wie die Kindersegnung (siehe Bild). Cranach hatte das Thema neu in die Malerei eingeführt. Das macht das Werk zu etwas sehr Besonderem. Mehr als zwanzig erhaltene Exemplare zeugen von der Beliebtheit dieses Themas.

 

Das Bild ist voller Menschen, so dass es hilft, Gruppen zu unterteilen. Neun Frauen stehen um Jesus in der Mitte. Die Frauen bilden drei Dreiergruppen. Sie tragen und führen Kinder zu Jesus. Auf der linken Seite naht die Schar der Jünger. Im Hintergrund sehen wir eine Stadt mit Burg links und Zwillingskirchtürmen.

 

2. Kind werden – unvernünftig sein?

 

Ich möchte Ihren Blick auf die kleine Figur in der unteren linken Bildhälfte lenken. Sie steht in Seidenstrumpf und Puffärmeln vor der ersten Frau ganz links. Eigentlich wurden Stifter häufig auf Kunstwerke in kleiner Größe eingebracht. Das Thema und andere Beobachtungen lassen hier aber auf anderes schließen. Die Farbe der Tracht dieses Mannes gleicht auffallend der Farbe des Gewandes Jesu und muss von daher Bedeutung beigemessen werden. Die Figur hat die Größe eines Kindes und hat wie zum Gebet und Ehrerbietung den Hut gezogen und in beiden Händen haltend. Die Bedingung „Wenn ihr nicht werdet wie die Kindlein“ ist hier im Bild umgesetzt und der Mann entsprechend dimensioniert.

Die Homepage der Stadt Erfurt, von der ich u. a. dieses Bild dankend bezogen habe, deutet nach Luther, „der Glaube bedürfe nicht des Intellekts oder des lernenden Wissens.“

Ist es denn so, dass man zum Glauben seinen Verstand abgeben muss, was viele heutige Menschen gerade vom Glauben abhält? Heißt „zum Kind werden“ letztlich unvernünftig sein?

 

3. Am Segensarm nicht vorbeikommen

 

In der kleinen biblischen Szene in Markus 10, 13 – 16, die uns allen wohl vertraut ist und bei jeder Taufe verlesen wird, kommen die Jünger bekanntlich schlecht weg. Petrus im dunkel-graublauem Gewand links geht mit erhobenen Händen auf die Frauen zu, als wolle er sie wegschieben. Bei Markus wird Jesus daraufhin unwillig und sagt zu seinen Gefährten: Lasset die Kindlein zu mir kommen und weret inen nicht, den solcher ist das Reich Gottes“(Marc. X.) wie es zwischen den beiden Bergen am oberen Bildrand des etwa 70 x 120 cm² großen Bildes zu lesen ist. Im Unterschied zu dem kleinen Mann nehmen die großen Männer – Größe will uns hier auch etwas über Wichtigtuerei sagen, wohl weniger über den Intellekt – lediglich eine Randposition ein. Es ist spannend, wie die rechte ausgestreckte Hand Jesu segnet und zugleich signalisiert: Ihr Kinder und Frauen bleibt hier und ihr Jünger kommt an diesem Segensarm nicht vorbei.

 

4. Glauben und Gotteskindschaft meint gebracht und berührt werden

 

Wenn man also nicht seinen Verstand als Glaubender abgeben muss, ist doch zu fragen, was es also bedeutet, wie die Kinder zu werden, um ins Reich Gottes zu gelangen? Die Geschichte in ihrer positiven Form verheißt ja nichts weniger als das Himmelreich.

 

Im Anfang der Geschichte heißt es: „Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre.“

Zwei Dinge sind mir wichtig: Gottes Kind sein heißt erstens: zu Jesus gebracht werden. Schauen wir uns an, wie Lucas Cranach dieses „Bringen“ gemalt hat. Auf Jesu linken Arm und Hand sitzt ein kleiner nackter – und das heißt äußerst schutzbedürftiger Mensch. Ein Kleinkind, das noch kaum aufrecht sitzen kann und sich im Bart von Jesu - ungebührlich wie die Jünger finden – festhält und sich Stabilität sucht. Ein Kind wird gerade von der ersten Frau im Tuch nackt gebettet zum Segen hingehalten. Viele andere Mütter tragen ihre Kinder von links und rechts zu Jesus. Nun dnn, es ist bei Markus nicht nur von Frauen die Rede, die Kinder bringen. Es ist ganz neutral von „sie“ die Rede, so dass eigentlich auch Männer eingeschlossen sein können.

Junge Menschen werden aber nicht nur passiv gebracht. Ein kleines Mädchen spielt im Gewand Jesu verstecken: „Kuckuck – Da“ könnte man hinzudenken. Rechts zieht eine Mutter ihr Mädchen heran, das ja eigentlich kommen will, sich aber des Bruders erwehren muss. Und der wird auf diese Weise gleich mitgezogen und mitgenommen. Nun ja, eine vielleicht etwas ruppige christliche Erziehung. Das Bild macht aber deutlich, nicht nur der passive Mensch soll zu Jesus gebracht sein, sondern gerade auch der „Streithansel“ und die „pelzige Maria“ zum Friedensstifter gebracht werden. Gebracht werden ist das eine.

 

Gottes Kind werden heißt aber auch, von Jesus berührt werden. >Haptein< heißt es im Griechischen. Unsere Haptik leitet sich davon ab. Also die Lehre von der Oberflächenbeschaffenheit der Dinge, die durch sinnliche Berührung erfasst wird.

Berührt sein meint also nicht nur ein innerliches, verborgenes Geschehen, wie es der deutsche Mystiker Meister Eckhart intendiert (der ja auch in Erfurt gelebt hat), sondern Segen, Diakonie, Zuwendung und Offenheit für andere und Fremde. So sehen wir Jesus auf dem Bild, der all die Kinder und Menschen an und um sich „er-trägt“, aushält und berührt.

Taufe, Abendmahl, Schöpfung bewahren, für Gleichheit und Gerechtigkeit sorgen, Freiheit schenken und Frieden stiften, wären andere Weisen, wie wir von Jesu Geist und Wirken äußerlich und innerlich berührt werden können.

 

Beides, Gebracht- und Berührt-Werden, gehört zur Kindwerdung – zur Kindschaft im Reich Gottes.

 

5. Berühren lassen durch Segen und Menschenliebe Jesu

 

Wen hat Cranach mit dem kleinen Mann zu Jesus gebracht? Es war offenbar jemand, der von Jesus in irgendeiner Form berührt war. Der Hut in seinen Händen verrät das. Wichtig sind die Beziehungen im Bild, die die Menschen auf dem Bild zeigen.

Als Mann muss ich da noch einmal kurz abschweifen und auf die säugende Frau verweisen. Wir sehen es auf dem verkleinerten Bild nur andeutungsweise: Die Mutter schaut den Betrachter beinahe an, möchte ich meinen. So als wollte sie sagen, „schau lieber Betrachter, es lohnt doch zu Jesus gebracht zu werden“. Aber wahrscheinlich entspringt das wieder einmal männlicher Phantasie.

Zurück zu dem kleinen Mann. Er steht vor einer Frau, die als einzige ein schwarzes Kleid trägt. Ein Trauergewand? Lucas Cranach hat 1537 seinen Sohn Hans verloren. Bringt er ihn vor Jesus, damit er ihn ins Reich Gottes aufnehme?

Welche Kinder wir zu Jesus bringen, verstorbene oder lebende, entscheidend ist, dass wir uns von Jesus berühren lassen durch seinen Segen und Menschenliebe, damit wir das Reich Gottes empfangen wie ein Kind.

 

Amen

Quellen:

Bild mit freundlicher Genehmigung vom Angermuseum Erfurt:

Lucas Cranach d. Ä.

Lasset die Kindlein zu mir kommen

Tafelmalerei, nach 1537

Inv.-Nr. Angermuseum Erfurt: 7414.

Foto: Angermuseum Erfurt (Dirk Urban)


wege-zu-cranach.de/cranach-des-monats/erfurt-lasset-die-kindlein-zu-mir-kommen.html

http://www.museum-digital.de/bawue/index.php?t=objekt&oges=2004

http://www.erfurt.de/ef/de/erleben/besuch/cranach/index.html

P. Teodor Puszcz SChr, BOTSCHAFT FÜR DIE WOCHE - MEDYTACJA TYGODNIA in: http://www.botschaftderwoche.de/index.php?strona=botschaftB061008.php

 

 

 



Autor: Pfarrer Martin Kleineidam